Google
Über dieses Buch
Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde.
Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch,
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist.
Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei - eine Erin¬
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat.
Nutzungsrichtlinien
Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen.
Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien:
+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden.
+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen
unter Umständen helfen.
+ Beibehaltung von Google-Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht.
+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein,
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben.
Über Google Buchsuche
Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser We lt zu entdecken, und unterstützt Au toren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen.
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter http : //books . google . com durchsuchen.
liuiimmlmig
V MiTAS
p^tsmoFimcin,^
:|a jiimuuiiiiinim 'i R .n\
* ' * • * * ■ * ' *
^x4Y4V^ViVfVf »
V/ \ -■ N
' ° ‘ ~ v ' * • A - >
. A ' .- X . A . . '*’ i X- " X '"X X x'V
7 ' 4 • * * ^ • * , V X .. * . + , *.. *
< -• X . x . * . V>-V ■
■ x V V : ^ A'
' ♦ \ X' X ■ X' « • ,. * /,X ••• ^
1 % 1 *i I 1 ^F I j
• 4 ‘ * ' 4 ’
' : . x A>Xx^XXXX'X
? < 4 ' • ^ * -<|S- *• ^ 7 "
:; - ' v ’% t / \/ •■' ,\^ JF .\'.J **1 \
"y^-" v* 4 - <>- • * ^V" * •y- ♦- — ^- • <^-- *.’ y*~~ * ~y
L . ‘V X , ' J" i Jp . *%;., J0 ,
■ \ VV ^ V
f ' ' ■ *
> <■<..■<• . o . * . f>>X
4 ■ <- . - <. \axavvxa «.
' - 4 • * • A ^ % 4 \xC ~4
* . a • f • i
.T. v x ■ • y Y
A XA VXA- . 4-V-i
f / X ^ Ä . ' *fc. ' / \, T 7 .*• v ' «x s
4 x . < • a • xV^
1 1 , 'S. y , - s .}* ( \ ..'' , %*V' i \ ^ ( \ .-
i f >;\t ■ * ;-<Vx*>Xt
-A- • -A. * * -A . -A- » -A- *' -A- * A > -A
,< \ T : \’/,\VA'/ V //X .,
y ’ y ; V> ■ -:■ ,■• \ V V/>T;#• 1
X ■ • A • A • A •' A •' A ’ k A •' A ' A
§ - , A A '
xVA
' i f Al X 4 - -f
^ ->' . S , x ^ i \k Ti »/' ; *v. «• i 1
• •*■ «-A > ■ 4 >•. A • *. ^ ^
Ul 0.5"
1^99
J u L?
Deutsche Vierteljalirsschrift
für
öffentliche Gesundheitspflege
Digitized by LaOOQle
Digitized by
Googl
Deutsche Vierteljahrsschrift
für
öffentliche Gesundheitspfleg
Organ
des
„Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege“
Herausgegeben von
Oberbürgermeister Dr. F. Adickes (Frankfurt a. Main), Oberbürger¬
meister Dr. med. hon. P. Fass (Kiel), Geh. Medizinalrat Professor
Dr. G. Gaffky, Direktor d. Institutes für Infektionskrankheiten (Berlin),
Hof rat Professor Dr. Max Gräber (München), Dr. Sigmund Merkel
(Nürnberg), Geh. Ober-Medizinalrat a. D. Dr. M. Pistor (Berlin),
Dr. Pröbsting (Köln), Regierungs- und Geh. Medizinalrat Dr. Roth
(Potsdam), Ober- und Geh. Baurat Dr. J. Stfibben (Berlin),
Regierungs- und Geh. Medizinalrat Dr. R. Wehmer (Berlin)
( Redigiert
von
Moritz Pistor und Sigmund Merkel
Berlin Nürnberg
Neununddreifsigster Band
Braunschweig
Druck und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn
1907
Digitized by t^ooQle
Alle Rechte, namentlich dasjenige der Übersetzung in fremde Sprachen,
Vorbehalten.
Digitized by t^ooQle
Inhalt des neununddreißigsten Bandes.
Erstes Heft:
' Seite
Julius Reineke f .I—III
Bericht des Ausschusses über die einunddreißigste Versammlung des
„Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege“ in Augsburg
am 12., 13. und 14. September 1906 . 1
Erste Sitzung.
Eröffnung der Versammlung. 2
Rechenschaftsbericht. 5
Nr. I. Die Bekämpfung der Tollwut. 8
Leitsätze des Referenten. 8
Referat von Professor Dr. Frosch (Berlin). 8
Diskussion. 21
Nr. II. Die Milchversorgung der Städte mit besonderer Be¬
rücksichtigung der Säuglingsernährung. 32
Leitsätze des Referenten. 32
Referat von Stadtbezirksarzt Dr. Poetter (Chemnitz) 32
Leitsätze des Korreferenten. 45
Korreferat von Beigeordnetem Brugger (Köln) ... 45
Diskussion. 60
Zweite Sitzung.
Nr. in. Walderholungsstätten und Genesungsheime .... 71
Leitsätze des Referenten. 71
Referat von Dr. R. Lennhoff (Berlin). 71
Diskussion. 92
Nr. IV. Die Bekämpfung des Staubes im Hause und auf der
Straße .107
Leitsätze der Referenten.107
Referat von Professor Dr. Heim (Erlangen).109
Korreferat von Stadtbaumeister Ni er (Dresden) ... 116
Diskussion.154
Dritte Sitzung.
Über die Erfolge der öffentlichen Gesundheitspflege in Augs¬
burg. Von Dr. Müller (Augsburg).160
Neuwahl des Ausschusses.165
333370
Digitized by
Googl(
VI
Inhalt des neununddreißigsten Bandes.
Seit»
Nr. V. Welche Mindestanforderungen sind an dieBeschaffen-
heit der Wohnungen, insbesondere der Klein¬
wohnungen zu stellen?.165
Leitsätze des Referenten.165
Referat von Regierungsbaumeister a. D. Beigeordnetem
Schilling (Trier) .. 167
Diskussion.181
Schluß der Versammlung ..199
Das ländliche Krankenhaus. Von Dr. Dosquet-Manasse.200
Kritiken and Besprechungen:
Der Alkoholismus, seine Wirkungen und seine Bekämpfung. (Dr. Paul
Schenk).202
M. Helenius und A. Trygg-Helenius: Gegen den Alkohol. (Dr. Paul
Schenk). 202
Denkschrift über die Bekämpfung der Granulöse (Kömerkrankheit,
Trachom) in Preußen. (Dr. Isakowitz, Nürnberg).205
0. v. Boltenstern: öffentl. Gesundheitspflege und Medizinalwesen. (E. R.) 204
A. Bender: Gewerbliche Gesundheitspflege. (E. R.).204
Dr. Wolfgang Weichardt: Jahresbericht über die Ergebnisse der Im¬
munitätsforschung. (S. Merkel, Nürnberg). 205
Klinisches Jahrbuch. (S. Merkel, Nürnberg).205
Dr. med. Hans Loetscher: Schweizer Reise- und Kur - Almanach.
(S. Merkel, Nürnberg) . .. 205
Nocht: Vorlesungen für Schiffsärzte der Handelmarine über Schiffs¬
hygiene, Schiff8- und Tropenkrankheiten. (Kisskalt, Gießen) . . 207
H. Salomon: Die städtische Abwässerbeseitigung in Deutschland. (Kiss¬
kalt, Gießen).205
R. Otto: Die staatliche Prüfung der Heilsera. (Kisskalt, Gießen) . . 208
FriedrichPrinzing, prakt. Arzt: Handbuch der medizinischen Statistik.
(Landsberger, Charlottenburg). 209*
Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte. (M. Pi stör).210
Zur Kenntnis der Kupfer-Zinklegierungen. (M. Pi stör).211
Leo Burgerstein: Schulhygiene. (Altschul, Prag).212
Dr. K. A. Martin Hartman: Der Schularzt für höhere Lehranstalten.
(Altschul, Prag).213
Hampe: Über den Schwachsinn nebst seinen Beziehungen zur Psycho¬
logie der Aussage mit einem Anhang. (Dr. v. Rad, Nürnberg) . . 214
Neu erschienene Schriften über öffentliche Gesundheitspflege (112. Ver¬
zeichnis) .. 216-
Zweites Heft:
Schulhygienische Betrachtungen. Von Dr. Solbrig, Regierungs- und Medi¬
zinalrat in Allenstein.235
Über Ätiologie und Prophylaxe der Chlorakne. Von Dr. med. Friedrich
Holtzmann. 258-
Über eine Trinkwasser - Typhusepidemie. Von Dr. M. Kaiser. Mit 1 Ab¬
bildung im Text.265
Arbeiten über die übertragbare Genickstarre in Preußen im Jahre 1905. (Ab¬
druck aus dem Klinischen Jahrbuch 1906, Bd. 15.) Referiert von M.Neisser
(Frankfurt a. M.).275
Digitized by LaOOQle
Inhalt des neununddreißigsten Bandes. VII
Seite
Die Rauchbekämpfung in England und Deutschland. Von L. Ascher (Königs¬
berg i. Pr.).291
Die gesundheitliche Bedeutung der Hornplattenfabriken für die Anwohner. Von
Dr. Franz Spaet, Königl. Bezirksarzt in Fürth in Bayern.301
tTber die Charlottenburger Waldschule. Von Privatdozent Dr. B. Bend ix
(Berlin). Mit 2 Abbildungen im Text.305
Ermüdung8 - und Überermüdungsmaßmethoden. Mit besonderer Berück¬
sichtigung der schulhygienischen Untersuchungen. Von Privatdozent Dr.
Wolf gang Weichardt (Erlangen). Mit 3 Abbildungen im Text und
1 Tafel.324
Zur Errichtung einer Zentralstelle für Volkswohlfahrt. Von Professor Dr.
H. Albrecht (Gr.-Lichterfelde).336
Wohnungspflege in England und Deutschland. Von Geheim. Oberbaurat Dr.
J. Stübben. Mit 2 Abbildungen im Text.353
Kritiken und Besprechungen:
Anweisungen des preußischen Ministers der geistlichen, Unterrichts- und
Medizinalangelegenheiten zur Ausführung des Gesetzes, betreffend die
Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. (M. Pistor).362
Ludwig Kamen, Dr., Oberstabsarzt: Die Infektionskrankheiten rücksicht¬
lich ihrer Verbreitung, Verhütung und Bekämpfung. (M. P.) ... . 363
Schlockow — Roth-Leppmann: Der Kreisarzt. (M. P.).364
Das Gesundheitswesen des Preußischen Staates im Jahre 1904. (M. P.) . 365
Handbuch der gerichtlichen Medizin. (M. P.).366
Alfred Martin: Deutsches Badewesen in vergangenen Tagen. (M. P.) 369
Ueh. Medizinalrat Prof. Dr. Magnus: Abhandlungen zur Geschichte der
Medizin. Geschichte der Pestepidemien in Rußland von der Gründung
des Reiches bis auf die Gegenwart von Dr. med. F. Dörbeck.
(S. Merkel, Nürnberg).372
W. Roths Jahresbericht über die Leistungen und Fortschritte auf dem
Gebiete des Militär-Sanitätswesens. (S. Merkel, Nürnberg) .... 373
W. Röttger, Berlin: Genußmittel — Genußgifte? (S. Merkel, Nürnberg) 373
Lehmanns Medizinische Handatlanten. (S. Merkel, Nürnberg) . . . 374
L. Heim: Lehrbuch der Bakteriologie. (K iss kalt, Berlin).374
Dr. Carl Mense: Handbuch der Tropenkrankheiten. (Kisskalt, Berlin) 375
Dr. W. Schallmayer: Beiträge zu einer Nationalbiologie nebst einer
Kritik der methodologischen Einwände und einem Anhang über
wissenschaftliches Kritikerwesen. (E. Pfeiffer, Hamburg) .... 376
Dr. Umberto Deganello: Süll’ assistenza ospitaliera in Italia e in alcuni
altri stati. (Pröbsting) ..379
Stabsarzt Dr. Barthelmes: „Grundsätze der Militärgesundheitspflege für
den Truppenoffizier“. (Kolb, Nürnberg).381
Regierungs-und Baurat a. D. Th. Oehmcke: Bauordnung für Großstadt¬
erweiterungen und Weiträumigkeit (J. Stübben).382
Dr. med. Ludwig Teleky: Die Sterblichkeit an Tuberkulose in Öster¬
reich 1873 bis 1904. (Seyffert, Stabsarzt a. D.).384
Prof. Dr. Martin Kirchner, Geh. Obermedizinalrat: Die Tuberkulose
und die Schule. (Seyffert, Stabsarzt a. D.).385
Zur Tuberkulosebekämpfung 1906. (Seyffert, Stabsarzt a. D.) .... 386
Prof. Dr. Gustav Kabrhel: Studien über den Filtrationseffekt der Grund¬
wässer. (Vlad. Ruziöka).388
Dr. ing. Stübben: „Der Städtebau“. (Genzmer, Danzig).390
Digitized by LaOOQle
VIII Inhalt des neununddreißigsten Bandes.
Seite
Vereine and Versammlungen:
Deutscher Verein für öffentl. Gesundheitspflege. (Diesjährige Versammlung) 392
Neu erschienene Schriften über öffentliche Gesundheitspflege. (113. Ver¬
zeichnis) .398
Drittes Heft:
Die Säuglingssterblichkeit in München in den Jahren 1895 bis 1904 und der
Einfluß der Witterungs Verhältnisse auf dieselbe. Von Walter Fuerst
(München).417
Wird durch Anwendung der staubbindenden Fußbodenöle in den Schulen die
Staubaufwirbelung während des Unterrichts vermindert ? Von Dr. Arnold
Meyer (Abteilungsvorsteher am Hygien. Institut, Bremen).430
Über Behandlung und Unterbringung von Tuberkulösen in allgemeinen Kranken¬
häusern und dem neuen Pavillon für Lungenkranke in der städtischen
Krankenanstalt in Kiel. Von Prof. Dr. G. Hoppe-Seyler, dirig. Arzt
der städtischen Krankenanstalt in Kiel. Mit zwei Abbildungen im Text 440
Säuglingssterblichkeit und Säuglingsfürsorge. Von Dr. med. Rudolf Kindt
(Grimma).450
Die Leicheneinäscherung vom sozialhygienischen Standpunkte. Von Dr. med.
Moritz Fürst (Hamburg).480
Geschichte der Sterblichkeit und der öffentlichen Gesundheitspflege in Frank¬
furt a. M. Von Dr. med. W. Hanauer, prakt. Arzt (Frankfurt a. M.) . 498
Das bakteriologische Untersuchungsamt, seine Aufgaben und Organisation.
Von Prof. v. E. Esmarch (Göttingen).519
Zur reichsgesetzlichen Regelung des Apothekenwesens. Von E. Kempf . . 534
Fürsorge für Krüppel. Von Dr. Leonhard Rosenfeld (Nürnberg) .... 538
III. Kongreß der deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechts¬
krankheiten. Mannheim, 24. bis 25. Mai 1907. Von Dr. Julian Marcuse
(München) . ...550
Kritiken and Besprechungen:
Holger Roo8e: Warmwasserbereitungsanlagen und Badeeinrichtungen.
(H. Chr. Nussbaum).558
Dr. jur. Rudolf Siegert: Die Wohnungsfürsorge im Großherzogtum
Hessen. (H. Chr. Nussbaum).558
Hygienischer Unterricht für Bautechniker in Frankreich. (J. St.) . . . 558
Dr. phil. W. Stille: Die Ärzte und unsere Trinksitten. Die Alkoholfrage.
(Dr. Becker, Dassel).557
Der Alkoholismus in München. (Dr. Paul Schenk, Berlin).558
Der Alkoholismus, seine Wirkungen und seine Bekämpfung. (Dr. Paul
Schenk, Berlin).559
Zur Frage der Berufsvormundschaft. (Dr. v. Rad, Nürnberg) ..... 560
Karl Roller: Hausaufgaben und höhere Schulen. (Dr. v. Rad, Nürnberg) 560
Heisraths Tarsalexzision und Kuhnts Knorpelausschälung in der Gra-
nulosebehandlung. (Dr. Isakowitz, Nürnberg).562
H. S a 1 om o n: Die städtische Abwässerbeseitigung in Deutschland. (K i s s -
kalt, Berlin).562
Dr. Fritz Kirstein, Kgl. Kreisarzt in Lippstadt: Grundzüge für die Mit¬
wirkung des Lehrers bei der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten.
(Altschul, Prag).568
Digitized by LaOOQle
Inhalt des neununddreißigsten Bandes. IX
Seite
Prof. Dr. Jessen (Straßburg i. £.): a) Der heutige Stand der zahnhygie¬
nischen Frage; b) Die Stellung der Schulzahnärzte als städtische
Beamte. (Altschul, Prag).563
Erkältung und Erkältungskrankheiten. (Theodor B. Schilling, Nürn¬
berg) .564
Dr. Karl Kisskalt und Dr. Max Hartmann: Praktikum der Bakterio¬
logie und Protozoologie. (Fürst, Berlin).565
Deutsches Bäderbuch. (S. Merkel, Nürnberg).566
Dr. J. Bongardt in Bochum: Die Naturwissenschaften im Haushalt.
(S. Merkel, Nürnberg).567
Prof.Dr. M. Schottelius, Freiburg i.B.: Bakterien, Infektionskrankheiten
und deren Bekämpfung. (S. Merkel, Nürnberg).567
Dr. H. Rühle, Stettin: Die Kennzeichnung (Deklaration) der Nahrungs¬
und Genußmittel. (S. Merkel, Nürnberg).568
Die menschliche Stimme und ihre Hygiene. (S. Merkel, Nürnberg) . . 569
Prof. W. G. Sobernheim: Leitfaden für Desinfektoren. — Prof. A. Lode:
Über die Desinfektion von Büchern, Drucksachen und dgl. mittels
feuchter, heißer Luft. — Hilfsbüchlein für Desinfektoren. (S. Merkel,
Nürnberg).569
H. Sachs: Bau und Tätigkeit des menschlichen Körpers. (S. Merkel,
Nürnberg).571
Max Hübner: Lehrbuch der Hygiene. (S. Merkel, Nürnberg) .... 571
Dr. A. Bender, KönigL Gewerbeinspektor: Gewerbliche Gesundheitpflege.
(S. Merkel, Nürnberg).572
Dr. med. Georg Bonne: Deutsche Flüsse oder deutsche Kloaken?
(S. Merkel, Nürnberg).572
Yereine und Versammlungen:
Sitzung des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege .... 574
XIV. Internationaler Kongreß für Hygiene und Demographie.575
Neu erschienene Schriften über öffentliche Gesundheitspflege. (114. Ver¬
zeichnis) .579
Viertes Heft (Erste Hälfte):
Über Händereinigung. Von Dr. K. Port (Nürnberg).609
Die Entwickelung des Lazarettwqpens in Schweden. Von Medizinalrat Dr.
Wawrinsky (Stockholm).615
Die Luftuntersuchungen in Manchester. Mit 2 Abbildungen im Text. Von
KreisassiBtenzarzt Dr. Ascher (Königsberg, Ostpreußen).652
Die Vergiftung durch Leuchtgas und andere Kohlenoxyd führende Gasarten
und deren Verhütung wie gerichtsärztliche Bedeutung. Von Stabsarzt
Dr. Buchbinder (Ehrenbreitstein). 669
Entwurf eines Reichs-Apothekengesetzes nebst Erläuterungen. Mit Bemer¬
kungen von M. Pi stör (Berlin).708
Gesamtbericht über die Tätigkeit des Schularztes in Ulm im Wintersemester
1906/07. Von Dr. K. Sing (Ulm a. D.).742
Kritiken und Besprechungen:
Tuberkulosearbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamt. (E. Roth) . 759
Nietner: Bericht über die III. Versammlung der Tuberkuloseärzte. l.Juni
1906. (E. Roth).759
Philippi, H.: Die Lungentuberkulose im Hochgebirge, die Indikationen
und Kontraindikationen derselben, sowie die Anwendung des alten
Koch sehen Tuberkulins. (E. Roth).760
Digitized by LaOOQle
X Inhalt des neununddreißigsten Bandes.
Viertes Heft (Zweite Hälfte):
Jahresbericht für die Kreishauptstadt Ulm pro 1906 mit besonderer Berück¬
sichtigung des Kostkinderwesens, des Prostitutionswesens und der Kinder¬
sterblichkeit während der Jahre 1902 bis 1906. Von Dr. K. Sing . . . 761
Über den zweiten internationalen Kongreß für Schulhygiene und über den
achten internationalen Wohnungskongreß zu London vom 5. bis 10. August
1907. Von R. Wehmer...779
Die Fabrikation von Fleischkonserven. (Mit 4 Abbildungen im Text.) Von
Dr. Wilhelm Dosquet.. 785
Erfahrungen über die moderne Straßenbehandlung. Von Dr. Ammann . . 817
Aufklärungsarbeit über die Bewahrung der Jugend vor den Genußgiften.
(Autoreferat über den Vortrag auf dem II. internationalen Kongreß für
Schulhygiene in London.) Von F. Weigl.821
Die neue badische Landesbauordnung in hygienischer Beziehung. Von Dr.
ing. R. Baumeister . .829
Kritiken and Besprechungen:
Dr. med. Aug. Paldrock: Der Gonococcus Neisseri. (Dr. Grünwald,
Frankfurt a. M.). 834
Hof rat Prof. Dr. H. Ray dt: Spielnachmittage. (Dr. Grünwald, Frank¬
furt a. M.) ..834
L. Becker: Lehrbuch der ärztlichen Sachverständigentätigkeit für die
Unfall- u. Invaliditäts-Versicherungsgesetzgebung. (E. R o t h, Potsdam) 835
E. Pütt er: Die Bekämpfung der Tuberkulose innerhalb der Stadt.
(E. Roth).835
Frey: Die Zinkgewinnung im oberschlesischen Industriebezirk und ihre
Hygiene. (E. Roth, Potsdam) .836
G. Adam: Die Entnebelung von gewerblichen Betriebsräumen. (E. R.) 836
Gutachten des Reichsgesundheitsrats über den Einfluß der Ableitung von
Abwässern aus Chlorkaliumfabriken auf die Schunter, Oker und
Aller. (E. R.) .837
R. Granier: Lehrbuch für Heilgehilfen und Masseure, Krankenpfleger
und Bademeister. (E. Roth, Potsdam).838
R. Flinzer: Die Medizinalgesetze und Verordnungen des Königreichs
Sachsen. (E. Roth, Potsdam).839
Dr. med. Heinrich Stadelmann, Nervenarzt in Dresden: Das nerven¬
kranke Kind in der Schule. (Hartmann).840
Die preußischen Apothekengesetze mit Einschluß der reichsgesetzlichen Be¬
stimmungen über den Betrieb des Apothekergewerbes. (M. Pistor) 840
Das Gesundheitswesen des Preußischen Staates im Jahre 1905. (M. P.) 841
Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte.842
Desgleichen.843
Desgleichen. (M. P.).845
Erster Bericht der Kommission zur Bekämpfung des Rauches in Königs¬
berg i. Pr. (M. P.).845
Prof. Dr. Martin Kirchner, Geh. Ober-Med.-Rat in Berlin: Über den
heutigen Stand der Typhusbekämpfung. (M. P.).846
Viertel]ahrsschrift für praktische Pharmazie. (Landsberger, Char¬
lottenburg) .847
Leick (Chefarzt der inneren Abteilung des evangelischen Diakonissen¬
krankenhauses zu Witten a. d. Ruhr): Krankenpflege. (Landsberger,
Charlottenburg).847
Digitized by LaOOQle
Inhalt des neununddreißigsten Bandes.
XI
Seite
Jahrbuch für Volks- und Jugendspiele. (Landsberger, Charlottenburg) 847
Sternberg, Dr. med.: Kochkunst und Heilkunst. (Landsberger,
Charlottenburg).848
Maria Lischn ewska: Die geschlechtliche Belehrung der Kinder.
(Landsberger, Charlottenburg).848
L. Pfeiffer sen. (Weimar): Taschenbuch der Krankenpflege. (Lands¬
berger, Charlottenburg).849
Das Medizinalwesen in Elsaß-Lothringen. (Landsberger, Charlottenburg) 850
Die Ergebnisse der Schlachtvieh- und Fleischbeschau im Deutschen Reiche
im Jahre 1904. (Landsberger, Charlottenburg).850
Das preußische Gesetz, betreffend die Bekämpfung übertragbarer Krank¬
heiten vom 28. August 1905 und die Ausführungsbestimmungen dazu
in der Fassung vom 15. September 1906. (Dr. Fürst, Berlin) ... 851
Professor Dr. Heinrich Jäger, Generaloberarzt, und Frau Anna Jäger:
Hygiene der Kleidung. (S. Merkel, Nürnberg).852
Zum Vorgang der Wasserenteisenung. (S. Merkel, Nürnberg) .... 853
Pfarrer A. Wild: Die körperliche Mißhandlung von Kindern durch Per¬
sonen, welchen die Fürsorgepflicht für dieselben obliegt. (S. Merkel,
Nürnberg)...854
Statistische Mitteilungen, veröffentlicht vom statistischen Amt der Stadt
Amsterdam. (S. Merkel, Nürnberg).855
Dr. Carl Schindler: Die venerische Ansteckung der Hebammen im
Beruf. (S. Merkel, Nürnberg).855
Dr. Rudolph Senntorff: Bibliothek für soziale Medizin, Hygiene und
Medizinalstatistik. (S. Merkel, Nürnberg).856
Dr. Albert Plehn: Über Beri-Beri. (S. Merkel, Nürnberg).857
Dr. med. phil. Erhard Glaser, k. u. k. Regimentsarzt: Über Bücher¬
desinfektion. (S. Merkel, Nürnberg).857
Privatdozent Dr. Paul Her re: Wissenschaft und Bildung. (S. Merkel,
Nürnberg).858
A. Reich, Direktor: Reinigung und Beseitigung städtischer und gewerb¬
licher Abwässer. (S. Merkel, Nürnberg).859
Sanitätsrat Dr. Brennecke: Freiheit. (S. Merkel, Nürnberg) .... 859
G. Ilberg: Geisteskrankheiten. (M.).860
Th. H e y d, Dipl.-Ing.: Die Kanalisation für Oppau in der Rheinpfalz. (J. S t.) 861
Oberlehrer Karl Roller in Darmstadt: Lehrerschaft und Schulhygiene
in Vergangenheit und Gegenwart. (Altschul, Prag).861
Regierungs- u. Geh.Medizinalrat Prof. Dr. G. Leubuscher in Meiningen:
Schularzttätigkeit und Schulgesundheitspflege. (Altschul, Prag) . 862
Internationales Archiv für Schulhygiene. (Altschul, Prag).863
Prof. Dr. Otto Fischer: Kinematik organischer Gelenke. (Port, Nürn¬
berg) . 865
Prof. G. C. Schmidt: Die Kathodenstrahlen. (Port, Nürnberg) . . . 866
Dr. Fritz Elsner: Die Praxis des Chemikers. (A. Juckenack) . . . 866
Ne« erschienene Schriften über öffentliche Gesundheitspflege (115. Ver¬
zeichnis) .868
Digitized by
Google
Digitized by
Julius Reineke f,
Am Sonnabend den 10. November 1906 verschied nach
jahrelangen schweren, mit der größten Geduld ertragenen
Leiden der Medizinalrat des Hamburgischen Staates Dr. med.
Johannes Julius Reineke im Alter von fast 64 Jahren.
Um den nie rastenden verdienstvollen Organisator der
Hamburgischen Medizinal Verwaltung trauert mit seinen Mit¬
bürgern und heimischen Kollegen der Deutsche Verein für
öffentliche Gesundheitspflege, wie die Herausgeber und die
Verleger dieser Zeitschrift.
Julius Reineke hatte sich eine umfassende naturwissen¬
schaftliche und medizinische Vorbildung angeeignet, trat nach
längeren wissenschaftlichen Reisen als Assistenzarzt am Ham¬
burgischen Krankenhause ein. Nach dem deutsch-französischen
Kriege wirkte er an der Irrenanstalt Friedrichsberg als Assistenz¬
arzt, ferner als Armenarzt und dann als Assistenzarzt am
Medizinalamt des Hamburgischen Staates und wurde 1875
Hamburger Physikus. Während der 1892 er Cholera-Epidemie
vertrat der Physikus Reineke den schwer erkrankten Medizinal¬
rat Dr. Kraus und bewährte sich in dieser schweren Zeit so,
daß er 1893 zum Medizinalrat ernannt wurde. In dieser
Stellung hat er 13 Jahre mit den größten Erfolgen zum Segen
der Hamburger Bevölkerung und vielfach vorbildlich für andere
Staaten und Gemeinwesen gewirkt.
Reineke hat mit vollstem Verständnis auf Grund seines
gründlichen Wissens und mit großer Umsicht auf dem Gebiete
der praktischen Gesundheitspflege geschaffen und damit be-
Digitized by eaOOQie
II
wiesen, daß ein Arzt wohl Leiter einer Medizinalverwaltung sein
kann. Mit sicherem Blick wußte er das Erreichbare von dem
Wünschenswerten zu unterscheiden und durch seine glänzende
und überzeugende Beweisführung bei den führenden Männern
in der Regierung der freien und Hansestadt Hamburg die Ge¬
nehmigung seiner Anträge durchzusetzen. Mit großem Geschick
hat Reineke die Bekämpfung der Cholera im Jahre 1892 ge¬
leitet, die Verbesserung der Wasserversorgung Hamburgs und
seineB Landgebietes in Gemeinschaft mit seinem Freunde
F. Andreas Meyer, unserem verstorbenen Mitherausgeber,
durchgeführt, den Krankentransport und die Desinfektion ge¬
setzlich geregelt, die Wohnungshygiene in hervorragender Weise
ausgebaut, Wohnungsüberwachung eingeführt, die Organisation
der Medizinalbehörde zeit- und zweckgemäß gestaltet, das In¬
stitut für Schiffs- und Tropenkrankheiten, die Errichtung einer
biologischen Versuchs-Kläranlage herbeigeführt, den stadtärzt¬
lichen Dienst und die Leichenbestattung geordnet. Auch die
Errichtung eines hygienischen Institutes hat der Verstorbene
gefördert; die Statistik des Hamburgischen Staates hat er vor¬
züglich bearbeitet. Dauernd war er bemüht, unterstützt durch
die Freigebigkeit der Hamburger Behörden, durch Reisen ins
Ausland seine Kenntnisse zu erweitern.
Reineke betätigte sich auch schriftstellerisch nicht uner¬
heblich und hat dieser Zeitschrift mehrere Beiträge geliefert,
u. a. „zur Epidemiologie des Typhus in Hamburg und Altona“,
„Beseitigung des Kehrichts und anderer städtischer Abfälle be¬
sonders durch Verbrennung“, und hat mehrere Vorträge in den
Versammlungen des Deutschen Vereins für öffentliche Gesund¬
heitspflege gehalten, so „über Schiffshygiene“ auf der achten
Versammlung in Hamburg usw.
Noch bis vor wenigen Jahren war er als Arzt, wenn auch
in geringem Umfange, tätig.
Seinen Mitarbeitern war er ein liebenswürdiger Vorgesetzter,
entgegenkommend gegen die Mitbürger, kannte aber keine
Digitized by t^ooQle
III
persönlichen Rücksichten gegen den Einzelnen, wie gegen die
Sippe; für ihn handelte es sich immer nur um die Sache.
Reineke war ein echter deutscher Mann ohne Kautschuk-
Wirbelsäule, ein treuer Freund. Wem es vergönnt war, mit
ihm in nähere Berührung zu kommen oder gar in seiner
Familie zu verkehren, der wird an solche Stunden sich gern,
wenn auch heute mit Wehmut erinnern.
Durch jahrelange Krankheit gezwungen trat Reineke am
1. Mai 1906 in den Ruhestand, der ihm nur wenige Monate be-
schieden sein sollte.
Seine Schöpfungen werden seinen Namen der Zukunft er¬
halten.
Ehre seinem Andenken!
Im Dezember 1906.
M. Pistor. Sigm. Merkel.
Digitized by t^ooQle
Digitized by
Googl
Bericht des Ausschusses
über die
Einunddreissigste Versammlung
des
Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege
zu Augsburg
am 12., 13. und 14. September 1906.
Tagesordnung:
Mittwoch, den 12. September.
Erste Sitzung.
Eröffnung der Versammlung; Rechenschaftsbericht und geschäftliche
Mitteilungen.
1. Bekämpfung der Tollwut.
Referent: Professor Dr. Frosch (Charlottenburg),
n. MQchversorgung der Städte mit besonderer Berücksichtigung der
Sänglingsernähnwg.
Referenten: Stadtbezirksarzt Dr. Poetter (Chemnitz).
Beigeordneter Brugg er (Köln).
Donnerstag, 13. September.
Zweite Sitznng.
UI. Walderholungsstätten und Genesungsheime.
Referent: Dr. R. Lennhoff (Berlin).
IV. Die Bekämpfung des Staubes im Hanse and auf der Straße.
Referenten: Professor Dr. Heim (Erlangen).
Stadtbaumeister Nier (Dresden).
Freitag, den 14. September.
Dritte Sitzung.
V. Welche Mindestforderangen sind an die Beschaffenheit der Woh¬
nungen, insbesondere der Kleinwohnungen zn stellen?
Referent: Reg.-Baumeister a. D. Beigeordneter Schilling (Trier).
Vierteljahrsschrift für Gesundheitspflege, 1907.
1
Digitized by LaOOQle
2
XXXI. Versammlung des Deutschen Vereins
Erste Sitzung.
Mittwoch, den 12. September, 9 Uhr vormittags.
Vorsitzender Professor Genzmer (Danzig): „Hochverehrte An¬
wesende! Als diesjähriger Vorsitzender Ihres Ausschusses eröffne ich hier¬
mit die 31. Versammlung des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheits¬
pflege. Mir wird dadurch die hohe Ehre zuteil, Vertreter der Königlichen
Staatsregierungen und Vertreter der Stadt Augsburg, in deren gastlichen
Mauern wir weilen, namens des Vereins hier begrüßen zu dürfen.
„Ich glaube, Ihrer aller Gefühle zum Ausdruck bringen zu müssen,
indem ich ferner von Herzen willkommen heiße das Ehrenmitglied unseres
Vereins, den einzigen Mitstifter unseres Vereins, der unserem Verein noch
angehört, unseren ebenso hochverdienten wie allverehrten Herrn Geheimrat
Professor Dr. Lent.
„Weiter begrüße ich die älteren Vereinsmitglieder, welche mit mir seit
einer langen Reihe von Jahren bei unseren Wanderungen durch die deutschen
Gaue sich alljährlich zusammenfinden zu ernster Arbeit bei unseren Ver¬
handlungen und zu einem nicht minder wichtigen Austausch persönlicher
Erfahrungen und Anschauungen im engeren Freundeskreise, sowie zur An¬
knüpfung neuer Verbindungen und neuer Freundschaftsbande.
„Endlich bewillkommne ich die neu hinzugetretenen Mitglieder unseres
Vereins mit dem lebhaften Wunsche, daß sie uns auch fernerhin treu bleiben
möchten; denn auf ihnen beruht die Zukunft unseres Vereins, auf ihnen
das Fortbestehen unserer Bestrebungen.
„Ich gebe der zuversichtlichen Hoffnung Ausdruck, daß unter Ihrer
aller tätiger Mitwirkung auch in der diesjährigei* Tagung unseres Vereins
durch Rede und Gegenrede, durch das, was wir hier in Augsburg an muster¬
gültigen Veranstaltungen und Einrichtungen auf dem Gebiete der öffentlichen
Gesundheitspflege sehen werden, Wahrheiten erkannt, Anregungen gegeben
werden, welche uns unserem hohen Ziele, der Volksgesundheit zu dienen,
wiederum um einen guten Schritt näher bringen.
„Namens des Ausschusses habe ich Sie nun zu bitten, das Bureau dieser
Versammlung zu besetzen. Es wird Ihnen zu dem Zwecke vorgeschlagen:
zum ersten stellvertretenden Vorsitzenden zu wählen den Ersten Bürger¬
meister der Stadt Augsburg, Herrn Hofrat Wolfram; zum zweiten stell¬
vertretenden Vorsitzenden den Herrn Bezirksarzt Dr. Böhm und zum stell¬
vertretenden Schriftführer den städtischen Oberingenieur Herrn Nieder¬
reiter. Ich bitte die genannten verehrten Herren, die Wahl freundlichst
annehmen und sich mit uns an dem Tische hier niedersetzen zu wollen.
„Ich erteile sodann das Wort dem Herrn Medizinalrat, Regierungsrat
Dr. Roger, welcher die Freundlichkeit haben wird, namens der Königlich
Bayerischen Staatsregierung zu uns zu sprechen. tt
Digitized by
Google
3
für öffentliche Gesundheitspflege zu Augsburg.
Kgl. Regierangs- und Kreismedizinalrat Dr. Otto Roger
(Augsburg): „Hochansehnliche Versammlung! Sehr verehrte Damen und
Herren! Ein dreifacher Auftrag führt mich an diese Stelle: Im Namen des
Königlich Bayerischen Staatsministeriums des Innern, des Königlichen
Staatsministeriums des Innern für Kultus- und Schulangelegenheiten und
auch der Königlichen Regierung von Schwaben und Neuburg habe ich Ihre
Versammlung zu begrüßen und Ihren Verhandlungen beizuwohnen.
„Wie groß das Interesse ist, das die Staatsregierung und nicht minder
auch die Kreisregierung an Ihren Verhandlungen nehmen, bedarf wohl einer
näheren Versicherung, weiterer Ausführung und Begründung nicht. Ist
doch die Pflege der Volksgesundheit eine der vornehmsten, eine der not¬
wendigsten Aufgaben jeder Regierung und haben deshalb auch bei uns
schon mehrfache Punkte Ihres diesjährigen Beratungsprogrammes in Bekannt¬
machungen, Verordnungen und oberpolizeilichen Vorschriften, welche unseren
amtlichen Kollegen zur Genüge bekannt sein dürften und deren namentliche
Aufzählung ich mir und Ihnen wohl ersparen darf, bereits die entsprechende
Behandlung erfahren.
„Reich ist Ihr Programm, und gleich seine erste Nummer hat leider
in neuerer Zeit auch in einem Teile unseres engeren Vaterlandes eine er¬
höhte aktuelle Bedeutung erlangt. Was die übrigen Punkte Ihres Beratungs¬
programmes betrifft, so behandeln sie meist näherliegende Fragen, welche
in ärztlichen Vereinigungen, in der Fachpresse, sowie auch in der Tages¬
presse seit geraumer Zeit schon, und ich darf vielleicht sagen unausgesetzt,
Gegenstand der Besprechung und Behandlung sind, bei deren Beratung
sensationslüsterne Gemüter wohl kaum auf ihre Rechnung kommen dürften,
und die zumeist in Grund- und Leitsätzen kulminieren, welche oberflächlicher
Urteilende wohl leicht geneigt sein möchten, als mehr weniger vulgäre Wahr¬
heiten zu taxieren. Leider sind sie aber zu solchen noch nicht geworden,
und gilt eben Ihre Arbeit gerade dem Bemühen, sie erst zu solchen zu
machen: die Grundsätze der Gesundheitslehre in die breitesten Schichten
des Volkes zu tragen und diesen zum Bewußtsein zu bringen, wieviele Mi߬
stände und Verluste, wieviel Jammer und Elend leicht erspart und vermieden
bleiben könnten, wüßte das Volk nur erst vernunftgemäß zu leben, zu
wohnen, sich zu nähren und loszukommen aus den Ketten und Banden so
mannigfacher und zahlreicher Vorurteile und Gewohnheiten, diejsein Urteil
trüben und die in ihm wurzeln althergebracht und fast unausrottbar. Und
doch werden sie noch ausgerottet werden; doch muß das Dunkel des Irrtums
noch dem Lichte der Erkenntnis weichen; doch wird der Sieg und der Erfolg
noch Ihren Anstrengungen zuteil werden; wenn auch nicht mit einem
Schlage, so doch allgemach, Schritt für Schritt!
„Möchte auch die diesjährige Tagung Ihrer Vereinigung in den Mauern
unserer alten Römerstadt, deren reiche Geschichte auch ein großes und lehr¬
reiches Stück Geschichte der Gesundheitslehre in sich schließt, und welche nach
manchen trüben und düsteren Tagen der Vergangenheit in neuerer Zeit nun
auch auf diesem Gebiete in der erfreulichsten Weise im Aufschwünge und im
Aufsteigen begriffen ist zum Besseren und Besten, eine erfolgreiche und be¬
deutsame Episode bilden in diesem Kampfe, den Sie kämpfen, freudig und
unentwegt unter der leuchtenden Devise: Suprema lex salus publica!
1 *
Digitized by LaOOQle
4
XXXI. Versammlung des Deutschen Vereins
„In diesem Sinne begrüße ich Ihre Versammlung, und wünsche ich
Ihren Verhandlungen einen gedeihlichen Gang und besten Erfolg. tt
Erster Bürgermeister Hofrat Wolfram (Augsburg): „Hochgeehrte
Versammlung! Ich danke zunächst dem verehrten Herrn Präsidenten für
die freundliche Begrüßung, die er den Vertretern der Stadt Augsburg hat
zuteil werden lassen. Sie wissen ja, meine hochverehrten Damen und
Herren, daß jede Stadt, in der der Deutsche Verein für öffentliche Gesund¬
heitspflege seine alljährliche Tagung abhält, es als eine hohe Ehre betrachtet,
daß diese illustre Versammlung in ihren Mauern tagt, und so empfinden
wir es auch in Augsburg als eine hohe Ehre, daß Sie für Ihre Tagung
unsere Stadt gewählt haben. Wir sind uns bewußt, daß uns diese Wahl
die Verpflichtung auferlegt, unseren lieben Gästen den Aufenthalt in Augs¬
burg möglichst angenehm zu gestalten.
„Die Stadt, die Sie alljährlich besuchen, hat sich in bezug auf ihre
sanitären Einrichtungen einer Generalrevision zu unterstellen, und jede
Stadt hat keinen sehnlicheren Wunsch, daß sie bei dieser Generalrevision
nicht zu leicht befunden werde. Sie können deshalb den Wunsch begreiflich
Anden, den ich als Vertreter der Stadt Augsburg hege, daß Sie unseren
Einrichtungen reges Interesse entgegenbringen möchten und daß Sie mit
dem Eindruck von hier scheiden möchten, daß wir emsig bemüht waren, in
einen eifrigen Wettstreit einzutreten mit den übrigen blühenden Gemein¬
wesen unseres Vaterlandes. Als Bürgermeister der Stadt Augsburg glaube
ich, ohne unbescheiden zu sein, sagen zu dürfen, daß wir uns in bezug auf
unsere Wasserversorgung, Schlacht- und Viehhöfe, öffentliche Bäder, öffent¬
liche Anlagen, Fürsorge für Kranke, Arme und Gebrechliche auf der Höhe
der Zeit befinden und daß wir getrost Ihrem Urteil entgegenseben können.
Was die Kanalisation betrifft, so haben wir zwar hygienisch vollkommen
befriedigende Zustände, wir sind aber in einer grundsätzlichen Änderung
begriffen, und wir werden deshalb Ihnen auf dem Gebiete der Kanalisation
nichts besonders Neues zu zeigen haben.
„Der Deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege hat ein Haupt¬
augenmerk darauf gerichtet, das Wohnungswesen zu verbessern, und die
Bestrebungen des Vereins sind nach der Richtung hin schon von kräftigem
Erfolge begleitet gewesen. Es wird Ihnen nicht unbekannt sein, daß die
Stadt Augsburg in den letzten Jahren eine umfassende Wohnungserhebung
durch sachkundige Leute durchgeführt hat. Das Resultat dieser Erhebungen
ist vollständig wissenschaftlich bearbeitet, soviel ich weiß zum erstenmal
in einer deutschen Stadt, und wir haben in gerechter Würdigung der Ver¬
dienste des Vereins für öffentliche Gesundheitspflege, die er sich gerade auf
dem Gebiete des Wohnungswesens erworben hat, diese wissenschaftliche
Bearbeitung dem Deutschen Verein für öffentliche Gesundheitspflege gewid¬
met und haben Ihnen die bezügliche Festschrift überreichen lassen. Ich
bitte, diese Festschrift gütigst entgegennehmen zu wollen.
„Sie wissen, meine hochverehrten Damen und Herren, daß in unserem
Lande unsere Stadt in bezug auf Industrie eine gewisse hervorragende
Stellung einnimmt. Insbesondere unsere Maschinenindustrie, unsere Baum¬
wollenindustrie hat einen gar guten Klang in der weiten Welt. Aber mit
Digitized by LaOOQle
für öffentliche Gesundheitspflege zu Augsburg. 6
Stolz kann ich es als Erster Bürgermeister der Stadt konstatieren, daß
unsere Industrie nicht bloß darauf bedacht ist, Geld zu verdienen, sondern
daß sie allezeit bestrebt war, auch für entsprechende Wohlfahrtseinrichtungen
zu sorgen, und die verehrten Damen und Herren, denen ja unsere Industrie
in bereitwilliger Weise ihre Etablissements öffnen wird, werden sich über¬
zeugen können, daß unsere Industrie nach der Richtung weitgehende Für¬
sorge getroffen hat.
„Und nuu heiße ich Sie alle mitsammen in unserer lieben Stadt Augs¬
burg herzlich willkommen. Ich wünsche, daß Ihre Verhandlungen, wie
bisher, vom besten Erfolge begleitet sein möchten; ich wünsche aber auch,
daß Sie sich wohl bei uns befinden und daß Sie aus unserer Stadt mit dem
Eindruck scheiden mögen, daß wir bemüht waren, Ihnen herzlichste Gast¬
freundschaft entgegenzubringen. Herzlich willkommen in Augsburg rufe
ich Ihnen allen zu. tt
Vorsitzender Professor Oenzmer (Danzig): „Ich danke den
beiden Herren Vorrednern für Ihre liebenswürdigen Worte. Es war eine
Freude für uns zu hören, daß die Herren von denselben Bestrebungen erfüllt
sind, die wir verfolgen; denn erst dadurch werden die Ziele, welche wir
uns stecken, erreichbar, wird das, was wir als richtig erkennen und das,
von dem wir wollen, daß es in weiteren Kreisen verbreitet wird, erst wirk¬
lich in die Tat umgesetzt. Wir können hier nur raten und empfehlen, die
Ausführung liegt bei den Behörden. Darum sind wir dankbar für die Er¬
klärung des Herrn Vertreters der Staatsregierung, daß die Staatsregierung
auch unsere Aufgaben zu den ihrigen macht; darum sind wir dankbar für
das, was der Herr Erste Bürgermeister dieser Stadt uns hier eben mitgeteilt
hat von den Bestrebungen, die seine Stadt verfolgt. Ich glaube ihm nach
dem, was ich bei dem kurzen Aufenthalt bisher hier gesehen habe, schon
jetzt versichern zu können, daß die Generalrevision, von welcher er sprach,
günstig ausfallen wird, und daß die Stadt Augsburg nicht zu leicht befunden
werden wird. —
„Ich bitte nunmehr unseren Herrn ständigen Sekretär, Dr. Pröbsting,
uns den Rechenschaftsbericht zu erstatten. tt
Rechenschaftsbericht
des Ausschusses des Deutschen Vereins für öffentliche Gesund¬
heitspflege für das Geschäftsjahr 1905/06.
Durch Beschluß der Versammlung in Mannheim wurde der Ausschuß
folgendermaßen zusammengesetzt:
Oberbürgermeister Beck (Mannheim),
Präsident des Landesmedizinalkollegiums Geh. Medizinalrat
Dr. Buschbeck (Dresden),
Baurat Professor Genzmer (Zoppot),
Geh. Sanitätsrat Professor Dr. Le nt (Köln),
Oberbürgermeister Dr. Lentze (Magdeburg),
Oberbaurat Schmick (Darmstadt) und
Dr. Pröbsting (Köln), ständiger Sekretär.
Digitized by LaOOQle
6
XXXI. Versammlung des Deutschen Vereins
Nach Schluß der Versammlung trat der Ausschuß zu einer Sitzung
zusammen und wählte gemäß § 7 der Satzungen Herrn Baurat Professor
Genzmer zum Vorsitzenden für das Geschäftsjahr 1905/06.
Die von der Versammlung in Danzig beschlossene Absendung eines
Fragebogens an alle Städte über 50000 Einwohner über die Ausbildung
und die Stellung der städtischen Heizingenieure und die Verwaltung und
Vergebung der Heizanlagen wurde erledigt. Das Resultat soll bearbeitet
und demnächst veröffentlicht werden.
Der Ausschuß trat satzungsgemäß am 4. Februar in Köln zu einer
Sitzung zusammen, erledigte die laufenden Angelegenheiten, wählte Augs¬
burg zumOrt der diesjährigen Versammlung, als Zeit die Tage vom 12. bis
15. September und stellte die Tagesordnung in der den Mitgliedern zuge¬
gangenen Fassung auf.
Bei dem 50 jährigen Stiftungsfest Deutscher Ingenieure war der Verein
durch seinen Vorsitzenden Herrn Baurat Professor Genzmer vertreten.
In den Ausschuß für die in Dresden im Jahre 1909 geplante Allgemeine
Internationale Hygiene-Ausstellung wurde der Berichterstatter gewählt.
Die Rechnungsablage für das Jahr 1905 wurde von dem Ausschuß
geprüft und richtig befunden.
Es betrug danach:
Kassenbestand am 1. Januar 1905 . 1 856,70 M.
Einnahmen durch Beiträge und Zinsen. 10 396,06 „
Mithin zusammen . . 12 252,76 M.
Ausgaben. 9 882,26 n
Somit Kassenbestand für 1906 . . 2 370,50 M.
Die Mitgliederzahl des Vereins betrug zu Ende des Jahres 1905: 1708.
Von diesen sind im Laufe des Jahres ausgeschieden 155, davon 28 durch Tod.
Es sind dies die Herren:
Inspektor Adam (Köln),
Kommerzienrat Berger (Danzig),
Geh. Medizinalrat Dr. G. Butter (Kötschenbroda),
Hofrat Dr. Cnopf (Nürnberg),
Generaloberarzt Dr. Davids (Kiel),
Oberbaurat v. Ehmann (Stuttgart),
Professor Dr. Elsner (Berlin),
Geh. Regierungsrat Professor Dr. Emmerling (Kiel),
Dr. med. Gläser (Hamburg),
Dr. med. Guttenplan (Frankfurt a. M.),
Medizinalrat Dr. Haase (Danzig),
Kreisarzt Dr. Herrendörfer (Ragnit),
Sanitätsrat Dr. Horn (Gnoien),
Digitized by LaOOQle
für öffentliche Gesundheitspflege zu Augsburg. 7
Obermedizinalrat Dr. Kersch (Speier),
Sektionschef im Ministerium des Innern Kusy
Ritter von Dubraw (Wien),
Geh. Sanitätsrat Prof. Dr. La ehr (Zehlendorf),
Medizinalrat Dr. Mankiewicz (Posen),
Hofrat Professor Dr. M eiding er (Karlsruhe),
Regierungs- und Geh. Medizinalrat Dr. Meinel (Metz),
Geh. Medizinalrat Dr. Meyer (Schiltigheim),
Sanitätsrat Dr. Müller (Schandau),
Oberstabsarzt Dr. Müller (Mannheim),
Medizinalrat Dr. Overkamp (Warendorf),
Generalarzt Dr. Port (Nürnberg),
Medizinalrat Dr. Schacht (Berlin),
Generalarzt a. D. Dr. Scholz (Braunschweig),
Hofrat Dr. Paul Schubert (Nürnberg),
Physikus Dr. Wahne au (Hamburg).
Neu eingetreten sind 120 Mitglieder, so daß der Verein zurzeit
1673 Mitglieder zählt, von denen 395 in Augsburg anwesend sind. u
Vorsitzender, Professor Göüzmer (Danzig): „Verehrte Damen
und Herren! Wir haben mit tiefem Schmerz soeben gehört, daß wiederum
eine große Zahl unserer Vereinsmitglieder uns auf dem Wege in die Ewig¬
keit vorangegangen ist, auf dem wir ihnen, der eine früher, der andere
später, einmal folgen "werden. Es würde uns zu weit führen, sollte ich
Ihnen ein Bild ihres Lebens im allgemeinen und ihres Wirkens für unseren
Verein im besonderen hier entrollen. Ich glaube auch nicht, daß dies im
Sinne der Verstorbenen liegen würde. Sie waren uns alle treue Mitarbeiter.
Ihr Wirken bleibt daher mit dem unsern dauernd verbunden. Wir werden
ihnen stets ein ehrenvolles Andenken in unseren Herzen bewahren.
„Zum Zeichen dessen bitte ich die verehrte Versammlung, sich von
den Plätzen zu erheben. (Geschieht.) Ich danke Ihnen.
„Wir können nunmehr in die eigentlichen Verhandlungen eintreten.
Das Wort hat Herr Professor Dr. Frosch, welcher die Güte haben wird,
uns Bericht zu erstatten über:
Digitized by LaOOQle
8 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
Die Bekämpfung der Tollwut.
Es lauten die von dem Referenten Prof. Dr. Frosch (Berlin) auf¬
gestellten
Leitsätze:
1. Unter dem Einfluß sanitätspolizeilicher Maßnahmeu hat eine deutliche Ab¬
nahme der Hundswut in Deutschland stattgefunden.
2. Zur Vervollständigung dieses Erfolges erscheint die allgemeine Durchführung
des Maulkorbzwanges und ein scharfes Vorgehen gegen herrenlose Hunde
geboten.
8. Die Wirksamkeit der Tollwutbekämpfungsmaßnahmen ließe sich durch gegen¬
seitige behördliche Mitteilung beim Auftreten der Wut in den Grenzorten
benachbarter Länder beschleunigen und verstärken.
4. In verseuchten oder erfahrungsgemäß häufig von Hundswut heimgesuchten
Orten wäre die Schutzimpfung der Hunde zu versuchen.
5. Es ist noch mehr wie bisher Sorge zu tragen für Belehrung des Publikums
über den Nutzen der Pasteurschen Behandlung und die Notwendigkeit
ihres möglichst frühzeitigen Beginnes.
6. Die Pasteursche Behandlung vermag die Tollwutinfektion beim Menschen
unschädlich zu machen. Der Erfolg ist unter sonst gleichen Bedingungen
um so sicherer, je kürzere Zeit zwischen Biß und Beginn der Behandlung
vergeht.
7. Der Erreger der Hundswut ist noch unbekannt. Die von Negri im Gehirn
tollwutkranker Tiere entdeckten eigenartigen Zelleinschlüsse sind zwar nur
der Tollwut eigentümlich, doch ist ihre ursächliche Bedeutung nicht be¬
wiesen.
Referent, Professor Dr. Frosch (Berlin): •
„Hochgeehrte Versammlung! Die Krankheit, deren Bekampfung ich
heute die Ehre habe, vor Ihrem Forum zu erörtern, gehört nicht mehr zu
den gefürchteten Seuchen, die durch die Zahl ihrer menschlichen Opfer die
allgemeine Aufmerksamkeit auf sich lenken. Weite Kreise unserer Bevölke¬
rung kennen die Hunds wut kaum anders als dem Namen nach, und vielfach
wird ihr eine Bedeutung nicht mehr zugemessen, weil die Zahl der mensch¬
lichen Opfer verschwindend klein und auch der Verlust an nützlichen oder
wertvollen Tieren so gering ist, daß er im Vergleich mit anderen Tierseuchen
eine wirtschaftliche Bedeutung kaum besitzt.
„So richtig diese letzteren Tatsachen auch gegenwärtig sind, so ist
doch damit das Wesen der Tollwutgefahr nicht erschöpft; der Hygieniker
hat vielmehr Grund genug, diese Gefahr ganz anders und viel ernster zu be¬
urteilen. Ich brauche ja nur zu erinnern an die Verbreitung der Seuche noch
in der Mitte des vorigen Jahrhunderts, brauche nur darauf hinzu weisen, daß die
Toll wut erkrankung zum Unterschied fast von allen anderen Infektionskrank¬
heiten, selbst Cholera und Pest, immer unter schrecklichen Qualen tödlich ver¬
läuft. Wenn ich dann weiter hinzufüge, daß auch die Schutzimpfung nach
Pasteur kein absolutes Heilmittel darstellt, daß wir ferner mit unseren
sonst so wirksamen sanitätspolizeilichen Maßnahmen die Tollwut haben in
Deutschland noch nicht vollständig ausrotten können, sondern umgekehrt
sogar eine geringe Zunahme, ein allmähliches Anwachsen der Seuche im
Laufe der letzten Jahre nicht mehr verkennen dürfen, so werden Sie mir
Digitized by LaOOQle
Die Bekämpfung der Tollwut.
9
wohl beipflichten, daß Sorglosigkeit oder Geringschätzung gegenüber dieser
Gefahr ein schwerer und vielleicht verhängnisvoller Fehler sein würde. Wir
dürfen nicht übersehen, was uns der ungezügelte Lauf dieser Seuche leicht
einbringen könnte, dürfen nicht vergessen, daß unter geeigneten Bedingungen
die Hundswut einen ausgesprochen seuchenhaften Charakter annehmen kann.
Um dafür Belege zu Anden, ist es nicht nötig, in mittelalterlich ferne Ver¬
gangenheit Zurückzugreifen. Schon das 18. Jahrhundert mit 13 und schlimmer
noch das 19. Jahrhundert mit wenigstens 29 größeren, echten und richtigen
Epidemien von Hundswut,, einige davon mit mehrjähriger Dauer, lassen
gerade diese gefährliche Eigenschaft der Seuche erkennen. Im Verlaufe
dieser überall mit erheblichen Opfern an Tier und Menschen verbundenen
Epidemien sehen wir beinahe alle Länder Europas heimgesucht und darüber
hinaus auch das Auftreten der Seuche in Amerika und Asien. Besonderes
Interesse erweckt die große Seuche von 1819 bis 1829 durch zwei Eigen¬
schaften, die wir als Seuchenmerkmale kennen: die Wanderung von Land
zu Land durch Italien, die Schweiz, Deutschland, Holland, Norwegen,
Schweden, Rußland und England, fast erinnernd an den Seuchenzug der
Cholera oder der schwarzen Pocken im Mittelalter, und ferner das außer¬
ordentlich heftige Auftreten der Seuche, so daß neben Hunden, Wölfen,
Füchsen, Katzen auch Pferde, Rinder, Schweine, selbst Hirsche und Rehe in
großer Zahl zugrunde gingen.
„Zuverlässige statistische Aufzeichnungen über die Zahl der Opfer
namentlich unter den Menschen besitzen wir begreiflicherweise aus jenen
ferner liegenden Zeiten nicht. Immerhin muß der Verlust an Menschen
selbst noch zu Anfang des verflossenen Jahrhunderts beträchtlich gewesen
sein. So starben allein in Preußen von 1800 bis 1810 jährlich 200 bis
260 Menschen an Tollwut, und von 1810 bis 1819 finden sich noch weitere
1053 Todesfälle an Tollwut verzeichnet. Diese hohe Sterblichkeit ist zwar
in Deutschland im Laufe des 19. Jahrhunderts unter dem Einflüsse sani¬
tärer Maßregeln nach und nach heruntergegangen, doch finden sich immer
noch gelegentlich einzelner Epidemien ganz erschreckende Zahlen. So
starben in Wien noch im Jahre 1884 infolge der Aufhebung des Maulkorb¬
zwanges 141 Menschen in dieser einen Stadt und in diesem einen Jahre an
Tollwut, und ähnliche Beispiele ließen sich mit Leichtigkeit noch viele an¬
führen.
„In Preußen herrschte zu Ende der sechziger und in der ersten Hälfte
der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts die Tollwut so häufig und so
ausgedehnt, daß in den meisten Jahren alle Regierungsbezirke ergriffen waren.
In Bayern war die Hundswut zu jener Zeit die häufigste Krankheit der Haus¬
tiere überhaupt, und in Württemberg fielen 1863 bis 1871 wenigstens
597 wütende Tiere, von denen nachweislich 449 Menschen gebissen wurden.
In ähnlicher Weise herrschte die Seuche auch im Königreich Sachsen, und
wenn man für jene Zeit die Gesamtsumme für Süddeutschland allein zieht,
so ergeben sich beispielsweise für 1865 bis 1867 rund 4500 tolle Hunde
und 900 von ihnen gebissene Menschen.
„Nun, meine Damen und Herren, diese Angaben, die sich leicht und
reichlich aus der Stastistik außerdeutscher Länder vermehren ließen, zeigen
schon alles in allem, eine wie gefährliche und auch für den Menschen ver-
Digitized by
Google
10 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
derbliche Seuche die Hundswut sein kann und daß ihre Existenz in irgend
einem Lande eine nie versiegende Quelle dauernder Beunruhigung und Ge¬
fährdung der Volksgesundheit bilden muß.
„Gegenwärtig freilich ist es anders und besser. Seit dem Inkrafttreten
23. Juni 1880 .
des Reichsviehseuchengesetzes vom ^ 139 4 " cm 8 anz entschiedener
Rückgang der Hundswut sowohl in geographischer Beziehung, als auch in
der Zahl der Erkrankungsfälle bei Tieren und Menschen zu verzeichnen. In
dem 20 jährigen Zeitraum, den wir heute statistisch sicher überblicken können,
sind in ganz Deutschland der Wutkrankheit zum Opfer gefallen: 12011 Hunde,
2031 Rinder und 681 andere Tiere (Schafe, Schweine, Pferde usw.), in
Summa 14 723 Tiere und, last not least, in der ganzen Zeit 93 Menschen.
„Von den wutkranken Tieren entfallen auf:
Preußen .... 85,05 Proz. der Gesamtsumme
Königreich Sachsen 8,58 „ „ „
Bayern .... 3,69 „ „ „
d. h. auf diese drei Staaten allein entfallen 97,33 Proz., und für alle anderen
Bundesstaaten verbleiben nur 2,67 Proz.
„Auf den Jahresdurchschnitt berechnet heißt das: es sterben im Deut¬
schen Reiche jährlich 736,15 Tiere und alljährlich etwa 4 oder 5 Menschen
an Tollwut.
„Welch ein Unterschied gegen früher!
„Der Hauptanteil entfällt, wie Sie sehen, auf die drei größten Staaten des
Reiches, und es könnte scheinen, als ob die Tollwutsterblichkeit der Ein¬
wohnerzahl oder der Größe des Gebietes entspräche. Doch trifft das zunächst
rechnerisch nicht zu, denn die Einwohnerzahlen von Preußen, Bayern und
Sachsen verhalten sich wie 8 3 / 4 zu Vfa zu 1 , die entsprechenden Tollwut¬
zahlen aber wie 24 zu 1 zu 2 1 /a* Auch die Beziehung zu dem Flächeninhalt
oder der Bevölkerungsdichtigkeit der drei Reiche gibt keine korrespondieren¬
den Verhältnisse. Alle Kalkulationen nach der Richtung werden auch über¬
flüssig, wenn die Ausbreitung der Tollwut innerhalb dieser drei Staaten
nach Beteiligung der einzelnen Provinzen, Regierungsbezirke usw. untersucht
wird. Hierbei ergibt sich für Preußen, daß auf vier von seinen zwölf Pro¬
vinzen, und zwar:
Ostpreußen . .
. . . mit 25 Proz.
Posen ....
• • • , ,
Schlesien . . .
••• . 20 „
Westpreußen.
• • • » 15 ,
zusammen . .
. . . 84 Proz.
aller Tollwutfalle entfallen.
„Ebenso für Bayern, daß auf
die unter sich ziemlich gleichmäßig be-
troffenen Regierungsbezirke Niederbayern, Oberfranken und Oberpfalz zu¬
sammen wieder 83 Proz. aller überhaupt vorkommenden Tollwutfälle ent¬
fallen. In beiden großen Staaten sind also über 4 /s sämtlicher Fälle in den
Landesteilen lokalisiert, die an Rußland und Österreich grenzen.
„Werden diese Tollwutzahlen
noch weiter aufgelöst nach kleineren
Verwaltungszentren (Kreise, Amtshauptmannschaften usw.), so ergibt sich
für Preußen, Bayern und nun auch für das Königreich Sachsen immer deut-
Digitized by LaOOQle
11
Die Bekämpfung der Tollwut.
licher und handgreiflicher die sehr bemerkenswerte Tatsache, daß ganz all¬
gemein die weitaus überwiegende Zahl sämtlicher Tollwutfälle im Deutschen
Reiche aus den unmittelbaren Grenzgebieten gegen Rußland und
Österreich stammt!
„Als Resultat dieser 20jährigen Übersicht kann also vom epidemiolo¬
gischen Standpunkte Deutschland im großen als frei von Tollwut erklärt
werden, ausgenommen seine verseuchte östliche Grenze.
„Der Weg, auf dem dieser Stand der Dinge erreicht wurde, ist bestimmt
und gegeben durch die Vorschriften des Reichsyiehseuchengesetzes und der
Instruktionen des Bundesrates vom 24. Februar 1881. Es muß interessieren,
die Mittel kennen zu lernen, mit denen so viel erreicht werden konnte und
die bis zur völligen Befreiung unseres Landes von der Seuche noch viel
stärker angestrengt werden müssen.
„Wie unsere ganze neuzeitliche sanitäre Gesetzgebung, fußen auch die
auf Tollwut bezüglichen Vorschriften des Gesetzes auf den allgemeinen und
den besonderen Eigentümlichkeiten dieser Seuche hinsichtlich ihrer An¬
steckung und Verbreitung. Bei vielen anderen Infektionskrankheiten können
wir derartige Vorschriften direkt auf die experimentell ermittelten Lebens¬
eigenschaften des wohlbekannten Erregers zuschneiden. Bei der Tollwut
fehlt uns zwar diese Hilfe, die Kenntnis ihres Erregers, leider noch immer.
Wir können aber indirekt durch epidemiologische Beobachtungen oder Ver¬
suche mit infektiösem Material doch die zur Bekämpfung der Seuche not¬
wendige reale Grundlage uns verschaffen. Das Bild, das auf diesem Wege von
den wichtigsten Lebenseigenschaften des Tollwuterregers gewonnen ist, zeigt
folgendes: Der Erreger der Hundswut hat seinen Sitz im Gehirn, Hals und
Rückenmark, den größeren Nervenstämmen, in den Speicheldrüsen und im
Speichel der Erkrankten. Auch in der Milch, der Tränenflüssigkeit, im Urin
und in der Lymphe erkrankter Tiere ist er gefunden, dagegen nicht im Blute
nachgewiesen. Diese letzteren Befunde sind aber so unbeständig und selten,
daß für die Übertragung der Krankheit praktisch allein der Speichel kranker
Tiere in Frage kommt. Der Speichel ist aber nicht nur während der eigent¬
lichen Erkrankung ansteckend, sondern, was sehr zu beachten ist, schon zwei
bis vier Tage vor dem Ausbruche der Krankheit, also zu einer Zeit, wenn
beispielsweise der dem Tode geweihte Hund scheinbar noch gesund uns um¬
spielt und die Hand zu lecken versucht. Andererseits ist auch beobachtet,
daß selbst bei ausgebrochener Krankheit der Speichel nicht immer virulent
ist, und daraus erklärt es sich vielleicht neben anderen Momenten, daß nicht
jeder Biß eines tollen Tieres die Krankheit hervorruft.
„Das Wutgift selbst ist ziemlich widerstandsfähig gegen äußere Ein¬
flüsse, wie etwa Trocknen, Verfaulen usw. Auch Desinfektionsmittel, wie
Sublimat, Carbol usw., müssen in den üblichen Konzentrationen zwei, auch drei
Stunden ein wirken, nur strömender Wasserdampf vernichtet das Gift schnell.
„Die allerhäufigste Form der Übertragung ist die durch den Biß eines
kranken oder kurz vor dem Ausbruche der Krankheit stehenden Hundes,
oder in gewissen gebirgigen Gegenden (Vogesen, Jura, Karpathen) auch des
Wolfes. In Deutschland entfallen nach der vorher mitgeteilten Zusammen¬
stellung auf 14 723 Tiere 12011 Hunde, das sind 81,6 Proz. Für Ungarn
soll sich dieser Prozentsatz auf 87,4 und in Frankreich sogar auf 92,7 Proz.
Digitized by LaOOQle
12 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
erhöhen. Dieses Überwiegen des Hundebisses kommt auch anderweitig zum
Ausdruck. So waren nach einer Zusammenstellung von Kirchner in Preußen
94 Proz. aller gebissenen Menschen durch Hunde verletzt, und ähnliche
Zahlen zwischen 80 bis 95 Proz. sind auch außerhalb Deutschlands beob¬
achtet. Hierher gehört auch die Tatsache, daß bei Einschleppung in un-
verseuchte Länder auf dem Seewege die Krankheit regelmäßig von den ein¬
geführten Hunden ausging (Madeira und Kapkolonie 1892). Deshalb haben
sich vielfach gegen Hunde gerichtete Einfuhrverbote oder diesen gleich¬
kommende Maßregeln — zwei- bis sechsmonatige Quarantäne auf Kosten
der Hundebesitzer — da bewährt (England, Holland, Australien), wo die
geographische Lage die wirksame Durchführung solcher Maßregeln begünstigt.
Neben dem Hundebiß spielt die Infektion durch andere Tiere zwar zahlen¬
mäßig keine erhebliche Rolle, darf aber vom praktischen Standpunkte durch¬
aus nicht vernachlässigt werden. In Betracht kommen alle unsere Haustiere
und viele Arten von Wild (Wölfe, Füchse, Dachse, Marder usw.). Wie die
experimentelle Untersuchung zeigt, ist unter den Vierfüßlern noch jede
untersuchte Tierart empfänglich gefunden worden, und vom praktischen
Standpunkte nicht unwichtig erscheint mir die neuerdings wieder fest¬
gestellte Eigenschaft der Ratten und Mäuse, vorzugsweise an rasender Wut zu
erkranken. Nur beiläufig sei erwähnt, daß im verflossenen Jahre zwei Menschen
in Tunis durch ein wutkrankes Ichneumon infiziert worden sind. Auch Hühner
und Tauben können erkranken, doch sind sie, wie überhaupt das Vogel¬
geschlecht, im allgemeinen wenig empfänglich. Die häufigste Form, unter
der die Krankheit bei dem Menschen, dem Hunde und den übrigen Haus¬
tieren auftritt, ist die sogenannte rasende Wut. Sie ist gekennzeichnet
durch ein mehrere Tage währendes Stadium hochgradigster Aufregung und
Unruhe, in dem alle diese Tiere, auch sonst so furchtsame und scheue wie
Schafe und Ziegen, angriflslustig und sehr bissig werden. Recht gefährlich
sind Katzen durch ihre Neigung, am Menschen hoch zu springen und ihm
Gesicht und Kopf zu zerkratzen und zu zerbeißen. In diesem Stadium hat
der tollwütige Hund und die Katze einen unbezähmbaren Trieb, zu ent¬
weichen und tagelang umherzuschweifen, wobei der Hund oft ganz er¬
staunliche Entfernungen, selbst bis zu 200 km, zurücklegen kann. Während
dieser Wanderperiode treten beim Hunde auch die gefährlichen Anfälle
einer hochgradigen Bissigkeit auf, die sich in sinnloser Wut bis zur Tobsucht
steigern, so daß er blindlings alles, was in seinen Weg kommt, Menschen
wie Tiere, überfällt und schrecklich zurichtet, aber auch an leblosen Gegen¬
ständen, die man ihm entgegenhält, seine krankhafte Wut ausläßt. Außer¬
ordentlich charakteristisch ist während dieser Zeit das eigentümliche raube
und heisere Gebell, das nicht wie sonst absatzweise, sondern in einem ein¬
zigen Tone lang hingezogen wird und das mehr ein Heulen vorstellt, das
niemals vergißt, wer es einmal gehört hat. Vielfach wird dem Hunde auch
die Wasserscheu zugeschrieben; dieses beim kranken Menschen sehr aus¬
gesprochene Symptom ist beim Hunde nicht so ausgeprägt. Er säuft nicht
nur Milch, Wasser und andere Flüssigkeiten, sondern durchquert bei seinen
Wanderungen oft Teiche und Flüsse.
Für die Bekämpfung der Tollwut von Wichtigkeit ist eine ihrer Be¬
sonderheiten, die sich auf die Entwickelung der Krankheit im Organismus
Digitized by LaOOQle
Die Bekämpfung der Tollwut.
13
bezieht. Zwischen dem Biß and dem Ausbruche der Krankheit vergeht er¬
fahrungsgemäß gerade hei der Tollwut eine oft sehr lange Zeit, die durch¬
schnittlich drei bis acht Wochen beträgt, in Ausnahmefällen kürzer, ver¬
hältnismäßig oft aber noch länger dauert. Für den gebissenen Menschen hat
diese lange Inkubationszeit von 20 bis 80 Tagen mehrfach besondere Bedeu¬
tung. So kennt zum Unterschiede von anderen lebensgefährlichen Infektions¬
krankheiten der vom tollen Hunde gebissene Mensch den Augenblick der
Infektion genau. Da erfahrungsgemäß nicht jeder Biß eines tollen Hundes
die Krankheit nach sich zieht, so schwebt der Gebissene wochen- und monate¬
lang im Ungewissen über ein unter Umständen fürchterliches Schicksal. Sie
werden sich, meine Damen und Herren, leicht vorstellen können, daß
schwere und unheilbare Zerrüttungen des Nervensystems durch diese lang¬
dauernde Folter verursacht worden sind, in Fällen, wo der Hundebiß selbst
nicht geschadet hatte.
„In dem Krankheitsbilde der Wut beim Menschen fehlt der Wandertrieb,
dafür tritt die Wasserscheu, verursacht durch heftige Krämpfe beim Schlingen
und Schlucken, sehr stark hervor. Atemnot, furchtbare Angstzustände,
Halluzinationen, Verfolgungsideen und Tobsuchtsanfälle, verbunden mit
häufigen periodischen Muskelkrämpfen, zwischen denen Bewußtsein und
Verstand nicht getrübt sind, gefolgt von einem nach vollständiger Erschöpfung
eintretenden Tode, alles das macht diese Krankheit zu einer so fürchter¬
lichen und ihre Opfer so bejammerns- und bemitleidenswert, daß auch nur
ein einziger Fall von menschlicher Tollheit in 20 Jahren schon zuviel
ist, um so mehr, als diese Krankheit, wie Kirchner mit Recht sagt, ver¬
meidbar wäre.
„Zwar ist die Krankheit schon jetzt bei uns so selten geworden, daß ihr
Vorkommen nicht annähernd die Zahl der täglichen Unglücksfälle im Reiche
erreicht, auch wenn wir die 93 Todesfälle der letzten 20 Jahre nur auf die
verseuchten Teile unseres Landes beziehen. Es bleibt nur die Frage, haben
wir auch Sicherheit und Bürgschaft für den Fortbestand dieses Verhält¬
nisses bzw. die selbstverständlich anzustrebende weitere Verminderung der
Wut, oder liegt eine Zunahme der Seuche, ebenfalls und bis zu welchem
Grade noch, im Bereiche der Möglichkeit? Nun, diese Garantien kann uns
die Gesamtheit der Maßnahmen zur Bekämpfung der Tollwut bieten. Die Be¬
kämpfung der Tollwut im Deutschen Reiche ist gesetzlich festgelegt in den
§§ 9, 34—39, 65—67 des Reichsviehseuchengesetzes und in den §§ 16—31
der Bundesratinstruktionen, deren Ausführung in den einzelnen Bundes¬
staaten durch besondere, im Großen und Ganzen aber gleiche Bestimmungen
gesetzlich geregelt ist. Der Inhalt der Bestimmungen ist kurz folgender:
Durch die Anzeigepflicht für jeden Fall von Tollwut oder Wutverdacht, ver¬
bunden mit tierärztlicher Feststellung und Überwachung der verdächtigen
Haustiere, ferner durch Tötung bzw. Entfernen aller kranken oder verdäch¬
tigen Hunde und Katzen oder der von ihnen verletzten Tiere wird der
Seuchenausbruch örtlich bestimmt und, soweit angängig oder zum Teil
möglich, unterdrückt. Die Benachrichtigung benachbarter Gemeinden bzw.
Kreise warnt diese und setzt sie in den Stand, Schutzmaßregeln zu ergreifen.
Die Einführung des Maulkorbzwanges, verbunden mit Festlegen der Hunde
an die Kette und die Abtötung aller herrenlosen Hunde innerhalb dea
Digitized by
Google
14 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. offentl- Gesundheitspflege zu Augsburg.
Sperrgebietes in Ausdehnung von 4 km und für die Zeit von drei Monaten
bezweckt diejenigen Hunde unschädlich zu machen, die vielleicht infiziert
worden, aber der Kenntnisnahme entgangen sind. Das Verbot des Ver¬
kaufs oder der Entfernung von Tieren aus dem Sperrgebiete vervollständigt
die beabsichtigte Isolierung der Seuchenkeime auf ein örtlich eng begrenztes
Gebiet. Hierzu treten als weitere unterstützende Maßnahme die Desinfektion,
ferner die landespolizeilich wiederholt angeordnete und ausgeführte Beleh¬
rung der Bevölkerung über die Kennzeichen der Wutkrankheit, die Gefahr
der Übertragung auf andere Haustiere und auf Menschen, sowie über die
Mittel zur Bekämpfung der Seuche und endlich die Tätigkeit der Wutschutz¬
abteilungen, die beim Kgl. Institut für Infektionskrankheiten seit Juli 1898
und beim Hygienischen Institut in Breslau seit August d. J. bestehen.
„ Die Aufgabe dieser Wutsch utzimpfungs-Anstalten indem Kampfe gegen
die Tollwut ist eine zweifache. Neben der Behandlung der Gebissenen nach
dem Verfahren von Pasteur obliegt ihnen die diagnostische Untersuchung
des eingesandten Tiermaterials. Der Dienstbetrieb, betreffend Aufnahme,
Unterbringung, Behandlung und Entlassung der schutzzuimpfenden Personen,
Untersuchung des Tiermaterials, die Listenführung, Bericht- und Melde¬
wesen U8w., ist durch ministerielle Erlasse des Kultus-, Landwirtschafts- und
des Ministeriums des Innern geregelt. Die Behandlung geschieht unent¬
geltlich , auch für nicht preußische Staatsangehörige, und ambulatorisch.
Eine Krankenhausaufnahme der Verletzten ist nicht notwendig, außer wenn
es interkurrente Krankheiten, wie bei Kindern öfters Maseru, Scharlach usw.,
notwendig machen. Die zu behandelnden Personen sollen dem Institut vorher
schriftlich oder telegraphisch von seiten der zusendenden Behörde ange¬
meldet werden und haben sich unter Vorlegung eines formularmäßig fest¬
gelegten Zuweisungsattestes der Ortspolizeibehörde im Institute vorzustellen.
Dies Attest enthält außer dem Nationale die wesentlichsten Angaben über
Art und Zeit der Infektion, Wundverlauf, über das Tier, von dem die Ver¬
letzung stammt, sowie Bemerkungen, ob noch andere von diesem gebissene
Personen oder Tiere vorhanden sind.
„Über jeden entlassenen Patienten geht eine Benachrichtigung in dop¬
pelter Ausführung nach vorgeschriehenem Muster an die zusendende Be¬
hörde, von der nun die Mitteilung an den zuständigen Kreisarzt weiter¬
gegeben wird. Der aus der Behandlung entlassene Patient ist gehalten,
sich nach drei Monaten bei dem Kreisarzt vorzustellen bzw. seinen behan¬
delnden Arzt zu einer schriftlichen Äußerung über den Gesundheitszustand
an den Kreisarzt zu veranlassen.
„Die Einsendung von Untersuchungsmaterial zu diagnostischen Zwecken
geschieht behördlicherseits. Der Ausfall der Untersuchung wird auf direktem
Wege der Ortspolizeibehörde bzw. der nächsthöheren Verwaltungszentrale
(Regierungspräsident usw.) mitgeteilt. Für das Königreich Sachsen liegen
die Untersuchung und die vorschriftsmäßige Benachrichtigung der Kgl. tier¬
ärztlichen Hochschule in Dresden ob.
„Alljährlich am 1. März ist ein Tätigkeitsbericht von der Wutschutz¬
abteilung dem Herrn Kultusminister einzureichen.
„Die Behandlung gebissener Personen wird im wesentlichen nach dem
von Pasteur angegebenen Verfahren ausgeführt und besteht in durch-
Digitized by LaOOQle
Die Bekämpfung der Tollwut.
15
schnittlich 20 Einspritzungen des Impfstoffes unter die Haut, die täglich
je eine in den Vormittagsstunden gemacht werden. Als Impfstoff dient
das getrocknete Rückenmark von künstlich infizierten Kaninchen, das im
Verhältnis 1:5 in einer indifferenten Flüssigkeit verrieben und vor dem
Gebrauch auf Abwesenheit von Verunreinigung, namentlich eiter- und ent¬
zündungserregender Bakterien sorgfältig geprüft ist. Wesen und Auf¬
gabe dieser Behandlung ist kurz zusammengefaßt folgende: Durch länger
oder kürzer dauerndes Austrocknen des Rückenmarkes wutkranker Ka¬
ninchen läßt sich die Giftigkeit des Markes beliebig abstufen von ganz un¬
giftiger bis zu hoch giftiger Substanz. Diese einzelnen Abstufungen bilden
den Impfstoff. Indem die Behandlung mit sehr schwachem, zwölf Tage lang
getrocknetem Mark beginnt und in feststehendem Turnus allmählich zur
Verwendung von hoch giftigem Material steigt, gewöhnt sie den Gebissenen
an dieses Gift und macht ihn dadurch immun gegen die Wirkung der vom
Bisse her in seinem Körper weilenden Krankheitserreger. Wie ersichtlich,
setzt also diese immunisierende Behandlung eine gewisse von der Dauer der
Behandlung abhängige, und in Summa 20 Tage betragende, Zeit voraus.
Unmittelbar nach Beendigung der Behandlung ist aber der volle Impfschutz
noch nicht erreicht, sondern die Immunität braucht zur vollen Entwickelung
nun noch weitere 15 Tage, so daß der nach Pasteur Schutzgeimpfte erst
15 Tage nach vollendeter Behandlung vollständig immun geworden ist. Diese
lange Zeit von 35 Tagen ist ihm nun für gewöhnlich auch gegeben, da, wie
erwähnt, zwischen Biß und Ausbruch der Krankheit gerade bei der Tollwut
eine längere Zeit zu vergehen pflegt. Andererseits folgt aber aus diesem
Verhalten auch, daß die Behandlung so bald wie möglich nach dem Biß vor-
genommen werden sollte, und weiter, daß sie in allen jenen Fällen versagen
muß, wo aus uns noch mehr oder weniger unbekannten Gründen der Aus¬
bruch der Krankheit ungewöhnlich schnell erfolgt.
„Einer von diesen Gründen wird in der Menge des mit dem Biß in die
Wunde gelangenden Infektionsstoffes gesucht. Deshalb kann die sofortige,
nie zu unterlassende ärztliche Behandlung der Wunde dadurch nützlich
werden, daß sie die Menge des eingedrungenen Wutgiftes vermindert und
die Inkubationszeit verlängert. Bei einigen von den Leitern der europäischen
Pasteurinstitute wird grundsätzlich jede Wunde, ob groß oder klein, vor
Beginn der Schutzimpfung örtlich behandelt, auch wenn sie schon vernarbt
ist; letzteres, weil der Verbleib des Krankheitserregers in Narben experi¬
mentell sicher nachgewiesen ist. Allerdings darf der lokalen Behandlung
nur eine unterstützende Wirkung zugeschrieben werden. Die vollständige Ver¬
nichtung des eingedrungenen und von der Wunde sehr bald weiter wandern¬
den Krankheitserregers ist durch Wundbehandlung allein nicht möglich.
„Nach diesem Verfahren sind seit der Begründung der Wutschutzabteilung
im Jahre 1898 bis Ende 1904 im ganzen 2256 Patienten aus allen Teilen des
Reiches, hauptsächlich aber aus Preußen, Sachsen und Bayern, behandelt.
Gestorben sind davon 21 Personen, und zwar 4, weil sie zu spät zur Be¬
handlung kamen, weitere 6 innerhalb der 15 Tage, die nach Beendigung
der Schutzimpfung zur Vollendung des Impfschutzes nötig sind. So ver¬
bleiben für die Beurteilung des Nutzens der Schutzimpfung 11 Personen,
gleich 0,49 Proz., bei denen die Schutzimpfung versagt hat. Dieses Resultat
Digitized by
Google
16 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg*
entspricht zahlenmäßig im wesentlichen den besten Ergebnissen, die in
anderen Pastenrinstituten erzielt wurden. Nach allgemeinem Gebrauch
werden die Behandelten eingeteilt in drei Gruppen, je nachdem die Tollwut
des verletzenden Tieres durch Tierversuch festgestellt ist: Gruppe A; oder
durch tierärztliche Diagnose: Gruppe B; oder überhaupt nicht, der Wut¬
verdacht aber wegen der begleitenden Umstände besteht: Gruppe C.
„Bezieht man den Heilerfolg nur auf die Gruppen A und B, also auf
sicher wutinfizierte Personen, so ergibt sich ein Prozentsatz von 0,56 Proz.
Sterblichkeit, oder wenn auch die erwähnten sechs innerhalb 15 Tage nach
beendeter Impfung Gestorbenen noch dem Verfahren zur Last gelegt werden,
ein Prozentsatz von 0,87 Proz. Das würde die obere, kaum den wirk¬
lichen Verhältnissen mehr entsprechende Grenze des Mißerfolges sein, und
sie besagt, daß im allerungünstigsten Falle bei 1000 behandelten wirklich
wutinfizierten Personen acht oder neun nicht durch die Pasteursche
Impfung geschützt werden können.
„Wie groß ist nun aber der Prozentsatz an Todesfällen unter
1000 Gebissenen, die nicht behandelt werden? Die Angaben darüber
schwanken ganz erheblich, zwischen 45 bis 8 Proz., je nachdem nur Bisse
von nachweislich wutkranken oder auch die von nur wutverdächtigen Tieren
berücksichtigt sind. Derartige, nur die von wirklich wutkranken Tieren
Gebissenen berücksichtigende Statistiken existieren und ergeben die sehr
hohe Zahl von 45 Proz.
„Wir finden also, daß im Durchschnitt auf 1000 nicht behandelte Ge¬
bissene 80 bis 450 Todesfälle an Tollwut entfallen. Welche Zahlen man
nun auch berücksichtigt, der bedeutende Unterschied im Mortalitätsverhältnis
zwischen Behandelten und Nichtbehandelten spricht deutlich genug zu¬
gunsten des Pasteurschen Verfahrens; doppelt zu bedauern ist daher, daß»
immer noch Jahr für Jahr Leute an Wut sterben, weil sie entweder zu spät
oder überhaupt nicht zur Behandlung kommen (gleich 10 Proz. aller Ge¬
bissenen in Preußen in den letzten Jahren). Allerdings läßt sich auch trotz
rechtzeitig einsetzender Behandlung in einigen Fällen, wie gezeigt, der
Ausbruch der Krankheit und der Tod der Patienten nicht vermeiden. Haupt¬
sächlich sind es ausgedehnte schwere Verletzungen, dann Wunden des
Kopfes, Gesichtes und der Hände. So hat Högyeses an sehr umfangreichem
Material 2,37 Proz. Mortalität für Kopfverletzung, 0,66 Proz. für solche
der Hand und 0,30 Proz. für Fuß und Rumpf gefunden.
„Eine Anzahl anderer Gründe für das Versagen der Schutzimpfung
darf ich um so eher übergehen, als sie hypothetischer Natur sind; erwähnt
sei nur, daß begründete Aussicht besteht, die Erfolge der Schutzimpfung
dadurch zu verbessern, daß nach dem Vorgänge von Schüder, dem früheren
Leiter unserer Wutabteilung, Schwerverletzte, bzw. am Kopfe Verletzte einige
Zeit nach Absolvierung der 20 tägigen Behandlung noch einmal demselben
Turnus unterzogen werden, und daß andererseits schon bei der ersten Be¬
handlung in kürzerer Zeit größere Mengen des wirksamen Impfstoffes dem
Patienten einverleibt werden.
„Die diagnostische Untersuchung der eingesandten Tierköpfe, die bisher
durch Verimpfung des Materials auf Kaninchen vorschriftsmäßig ausgeführt
wurde, hat in den letzten Jahren eine ganz wesentliche Verbesserung erfahren*
Digitized by LaOOQle
17
Die Bekämpfung der Tollwut.
Durch die Entdeckung von Negri, einem italienischen Forscher, kennen wir
in dem Gehirn tollwatkranker Tiere sehr eigentümliche, nur mikroskopisch
wahrnehmbare Gebilde, die bei keiner anderen Krankheit Vorkommen und
deshalb ganz sichere Kennzeichen der Wutkrankheit sind. Negri selbst hält
diese nach ihm „Negrische Körperchen“ genannten Gebilde für die Erreger
der Hundswut. Doch liegen für seine Ansicht ausreichende Beweise nicht yor,
eher für das Gegenteil. Dagegen haben alle Nachuntersuchungen ergeben, daß
die Körperchen bei der Wutkrankheit außerordentlich häufig Yorkommen
und zwar nur bei dieser. Und da nach einer im Institut für Infektions¬
krankheiten yoo Dr. Bohne Yerbesserten Methode diese Körperchen sich
schon in drei Stunden nachweisen lassen, während die Verimpfung auf
Kaninchen nach wenigstens drei Wochen erst ein positiYes Resultat gibt, so
liegen die beiden großen Vorteile des Verfahrens, Schnelligkeit und Tier¬
ersparnis, auf der Hand, von denen der letztere — jährlich etwa 1000 Ka¬
ninchen — vom ökonomischen wie humanen Standpunkte einen großen
Fortschritt bedeutet.
„Mit diesen drei Faktoren: unseren gesetzgeberischen Maßnahmen,
der Belehrung des Publikums und der Tätigkeit der Wutschutzabteilungen,
ist der Kampf gegen die Tollwut geführt und der Stand der Dinge herbei¬
geführt, den ich versucht habe, Ihnen zu skizzieren auf Grund der Gesamt-
und der jährlichen Durchschnittszahlen. Doch gewähren diese Zahlen noch
keinen Einblick in die einzelnen Phasen des Kampfes, den wir gegen die
Tollwut führen, sie lassen seine Entwickelung und seine Richtung nicht
erkennen, sie beantworten vor allem nicht die Frage nach dem Verbleib des
noch übrigbleibenden Fünftel in seiner geographischen Verteilung und nach
seiner epidemiologischen Beurteilung. Sehr eingehend und überzeugend hat
Siedamgrotzki in dem Berichte über das Veterinärwesen im Königreich
Sachsen für 1900 bei der Untersuchung dieser Frage nachgewiesen, daß die
Häufigkeit der Wut in den einzelnen Verwaltungsbezirken des Königreichs
im wesentlichen abhängig ist von der geringeren oder größeren Entfernung
derselben von der böhmischen Grenze, daß also eine gesetzmäßige Abnahme
von der Grenze nach dem Innern in zentripetaler Richtung stattfindet. Die¬
selben Verhältnisse finden sich im großen nun sicher bei der Verteilung des
fehlenden Fünftels auf ganz Deutschland. Hauptsächlich handelt es sich um
Verschleppungen von den verseuchten Grenzgebieten in Preußen, Bayern,
Sachsen aus in das Innere des Reiches, begünstigt durch die Fähigkeit toller
Hunde, in wenigen Tagen Wegstrecken bis 100 bis 200km zurückzulegen.
Meistens gelingt die schnelle Unterdrückung dieser Seucheneinbrüche im
Innern. Nur in einigen Gebieten ist es gerade in den letzten Jahren zur
Ausbildung von kleineren Herden gekommen, die noch bestehen, so daß die
Seuche dort anscheinend hier an Boden gewonnen hat 1 ). Dafür
spricht wenigstens auch die alljährliche geringe Zunahme der Zahl der Toll¬
wuterkrankungen unter den Hunden, der gebissenen Personen, und am deut¬
lichsten für die örtliche Ausbreitung der Seuche spricht die langsam zu¬
nehmende Zahl der von der Seuche befallenen Kreise und Ortschaften. Die
naheliegende Frage nach den Ursachen dieser Erscheinung verknüpft sich
l ) Erklärung der auf gehängten Karte, betreffend die geographische Verteilung
der Tollwut im Deutschen Reich.
Vierteljahrsschrift für Gesundheitspflege, 1907. 2
Digitized by tjOOQle
18 XX XI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
mit der Frage, weshalb unsere bisher so wirksamen Maßregeln gerade in
diesen Landesteilen nicht auszureichen scheinen. Zur Erklärung wird in
den amtlichen Berichten beständig auf die andauernde und vielfache Ein¬
schleppung der Wut aus Rußland und den österreichischen Kronländern
Galizien, Böhmen, Mähren usw. hingewiesen, die sehr oft direkt, z. B. durch
die Steuermarke, festgestellt ist. Bei der notorisch ausgedehnten Ver¬
seuchung von Rußland, die als hauptsächliche Ursache auch der österreichischen
Tollwutausbreitung angesehen wird, spielt die Einschleppung natürlich keine
zu unterschätzende Rolle. Andererseits aber zieht sich wie ein roter Faden
durch sämtliche Jahresberichte die Klage über ungenügende oder unter¬
lassene Ausführung der polizeilich angeordneten Sperrmaßregeln, reich
illustriert durch folgenschwere Beispiele, die sich mehr oder minder als Ver¬
stöße gegen das Reichsviehseuchengesetz und auch den § 328 des Reichs¬
strafgesetzbuches qualifizieren. Auch die übergroße Zahl der nutzlosen
Hunde auf dem Lande und das öfter unzureichende Maß der gesetzlich vor¬
geschriebenen 4 km für die Sperrzone, das alles sind die in diesen amtlichen
Berichten immer wiederkehrenden Umstände, die an Stelle der Ausrottung
vielmehr das Weiterschreiten der Hundswut begünstigen. Als wesentliche
Faktoren ergeben sich daher für die Beurteilung dieser Lage: erstens die
Nachbarschaft stark verseuchter Länder, die dem Einflüsse unserer Be¬
kämpfung entzogen sind, zweitens Unverstand oder böser Wille bei der
beteiligten Bevölkerung und gewisse Unzulänglichkeiten der gesetzlichen
Bestimmungen selbst.
„Auf welchem Wege diesen Übelständen entgegengetreten werden muß,
kann nicht zweifelhaft sein. Gegen die Indolenz der Bevölkerung wird
zweckentsprechende Belehrung sich nützlich erweisen können, die ja auch
in zahlreichen ministeriellen Erlassen und Regierungsverfügungen wieder
und wieder zum Ausdrucke kommt. Beachtung verdient der Vorschlag von
Schüder, den Schulunterricht hierfür dienstbar zu machen, weil ungefähr
die Hälfte aller Gebissenen im schulpflichtigen Alter stehende Kinder sind.
Auch Ihr Verein, meine Damen und Herren, der sich ja in den Dienst der
öffentlichen Gesundheitspflege stellt, könnte sich nach der Richtung mit Erfolg
betätigen. Wie Kirchner nachgewiesen hat, ist hauptsächlich die ländliche
Bevölkerung der Hundswut exponiert. Die in Berlin bestehende Zentralstelle
für Arbeiterwohlfahrtspflege enthält eine Abteilung für ländliche Arbeiterwohl¬
fahrt und würde sicherlich einer von diesem Verein ausgehenden Anregung
zur Belehrung der ländlichen Arbeiter gern Folge leisten. Es kommen viel¬
leicht auch andere Wege noch in Betracht. Wo die Belehrung versagt oder
gar an dem bösen Willen scheitert, muß das Gesetz eintreten und zwar un-
nachsichtlich in voller Strenge. Unsere gesetzlichen Maßnahmen haben sich
bisher gut bewährt und namentlich ihre energische Ausführung hat allge¬
meine Anerkennung und selbst das Lob des Auslandes erfahren. Wenn es
gelingt, die Bevölkerung mehr wie bisher für die Idee zu gewinnen, daß ein
ernstliches Mitarbeiten in ihrem eigenen Interesse liegt, so werden wenige
Änderungen, entsprechend den bisherigen Erfahrungen, genügen. In dieser
Beziehung möchte ich mir gestatten, auf einen, wie ich glaube, prinzipiellen
Punkt hinzuweisen. Das Gesetz schreibt den Maulkorbzwang und die Fest¬
legung der Hunde nicht früher vor, als bis die Tollwut ausgebrochen ist.
Digitized by LaOOQle
Die Bekämpfung der Tollwut.
19
Nun besteht kein Zweifel, daß der Maulkorbzwang eins der wirksamsten,
wenn nicht überhaupt das wirksamste Mittel zur Verhütung und zur Ver¬
tilgung der Tollwut ist, schon deshalb, weil die Verbreitung der Tollwut
allermeist nur durch die Hunde erfolgt. In dieser Beurteilung des Maul¬
korbzwanges sind die besten Forscher und die maßgebenden Persönlich¬
keiten aller Länder der Welt von jeher einig gewesen, und es würde Stunden
dauern, wollte ich Ihnen alle Beispiele aus der Gegenwart und Vergangen¬
heit anführen, die den ausgezeichneten Erfolg des Maulkorbzwanges in der
Bekämpfung der Tollwut beweisen. Wir haben also, um es kurz zu sagen,
ein anerkannt starkes Mittel, wenden es aber erst an, wenn die Seuche bereits
eingeschleppt bzw. ausgebrochen ist. Dieses „nachklappende u Verfahren
scheint mir nun absolut nicht mehr vereinbar mit dem Geiste, von dem
unsere moderne Seuchenbekämpfung getragen wird, deren Schwerpunkt ja
gerade in dem Vorbeugen und dem Verhüten liegt. Stellen Sie sich nur
für einen Augenblick vor, wir wollten bei gleicher Seucheneinbruchsgefahr
von Rußland aus, z. B. bei der Cholera, mit unserer Stromüberwachung und
allen anderen Maßnahmen so lange warten, bis bereits eine derartige Ver¬
seuchung unserer Grenzgebiete, derartig zahlreiche Verschleppungen in das
Inland und Bildung kleiner Herde erfolgt wie die Tollwut uns zeigt, dann
haben Sie ein Bild, wie rückständig wir jetzt noch in dieser Beziehung gegen
die Tollwut Vorgehen. Deshalb schließe ich mich meinen zahlreichen Vor¬
gängern an in der Forderung des allgemeinen, gesetzlich vorgeschriebenen
Maulkorbzwanges für ganz Deutschland. Es sind Bedenken gegen den Maul¬
korbzwang vorgebracht, die aber nicht stichhaltig sind. Es ist richtig, daß
schlecht sitzende oder mangelhaft konstruierte Maulkörbe den Hund am Beißen
nicht verhindern. Dem könnte leicht abgeholfen werden, und das neue bel¬
gische Gesetz gegen die Hundswut zeigt den Weg dazu mit seiner Bestimmung
eines von der Regierung vorgeschriebenen Modells. Es muß auch zugegeben
werden, daß ein aus der Wohnung entweichender Hund wahrscheinlich keinen
Maulkorb tragen wird u.a. m., aber alle diese Einwände sind ja durch die Er¬
fahrung widerlegt, die eben zeigt, daß trotz dieser Mängel der Maulkorbzwang
so außerordentlich wirksam ist. Wenn endlich von manchen Seiten in über¬
flüssiger oder, wie ein englischer Hygieniker treffend sagt, in gedankenloser
Weichherzigkeit der Maulkorbzwang als eine Quälerei der Hunde hingestellt
wird, so darf auf die Städte verwiesen werden, in denen dieser Zwang
schon, ohne Schaden für die Hunde, besteht, im übrigen aber darf uns diese
sehr geringe Belästigung und Freiheitsbeschränkung der Hunde nichts
gelten gegen die namenlosen Qualen tollwutkranker Menschen. Überdies
kommt ja den Hunden selbst jede Art von Schutz gegen die Tollwut zu¬
gute, liegt also auch, wenn ich mich so ausdrücken darf, in ihrem aller¬
eigensten Interesse.
„Bewährt hat sich ferner die Anordnung eines festen Halsbandes für
Hunde mit Namen und Wohnort des Eigentümers, die bei uns nicht all¬
gemein, dagegen in Belgien, England und Frankreich gesetzlich vor¬
geschrieben ist. In Verbindung hiermit und schon aus ökonomischen Gründen
zu empfehlen, käme Besteuerung und Listenführung der Hunde in Be¬
tracht. Die Wirksamkeit der Hundesteuer, namentlich zur Verminderung
der großen Hundezahl, auf dem Lande, die vielfach in gar keinem Verhältnis
Digitized by LaOOQle
20 XXXI. Versammlung d. D. Vereine f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
zu ihrem Zweck oder Nutzen steht, wird ebenso warm verteidigt, wie als
dauernde Maßregel angezweifelt. Ich vermute, daß eine genügend hohe
Steuer diese Meinungsverschiedenheit bald beseitigen würde.
„Die Verminderung der Hunde könnte endlich auch bewirkt werden
durch Unterstützung der vom Tierschutzverein angebahnten Bewegung, die
Ziehhunde zu ersetzen durch andere geeignete Tiere (Esel).
„Außerordentlich wichtig, besonders in unseren verseuchten Provinzen,
ist das schonungslose Vorgehen gegen herrenlose Hunde, wie es wiederholt
auch in scharfer Form durch Verfügung der Regierungspräsidenten angeordnet
ist. Hier dürfte sich vielleicht empfehlen die Erweiterung des Begriffes
„herrenlos“ auf alle ohne Maulkorb bzw. Leine betroffenen Hunde, die sofort
zu töten wären. Die Maßregel mag hart sein, aber sie hat Analogien; ich
erinnere an das Recht der Forstbeamten, jeden im Walde frei herumlaufen¬
den Hund auch in Gegenwart des Besitzers sofort ohne alle Präliminarien
zu erschießen und was zum Schutz des Wildes recht ist, sollte doch auch
für den Schutz des Menschen billig sein! Im übrigen rechtfertigt der Aus¬
nahmezustand unserer schwer betroffenen Provinzen sehr wohl eine derartige
Strenge. Sollten alle diese Punkte eine einheitliche Regelung erfahren, so
könnte auch Berücksichtigung finden, daß vielfach die vorgeschriebene Aus¬
dehnung der Sperrzone auf 4 km sich als zu klein erwiesen hat. Das belgische
Gesetz ist auch hierin fortschrittlich, und erweitert dieses Maß auf 15 km.
Endlich käme in Betracht die gegenseitige Benachrichtigung von dem Aus¬
bruche der Tollwut zwischen Ortschaften bzw. Bürgermeistereien, die benach¬
bart liegen, aber politisch verschiedener Staatsangehörigkeit sind. Für die
Bifndesstaaten besteht diese Vorschrift. Für das Ausland ist eine derartige
Vereinbarung mit den Niederlanden getroffen, also nach einer verhältnismäßig
wenig gefährdeten Seite hin. Entsprechende Übereinkommen mit Rußland
und Österreich bestehen noch nicht, sind aber sicherlich wohl in Aussicht
genommen. Sie könnten dann leicht auf eine sehr wirksame Basis wenigstens
nach einer Seite hin gestellt werden. England hat seine Hundswutgesetz¬
gebung, seine Rabies Order, verbunden mit Einfuhrbestimmung, in den letzten
15 bis 20 Jahren schon drei- oder viermal geändert uud verbessert; Frank¬
reich, Italien und Belgien sind diesem Beispiele in den letzten beiden Jahren
gefolgt. Die Notwendigkeit oder die Zweckmäßigkeit eines gleichen Vor¬
gehens dürfte sich auch für Deutschland und Österreich früher oder später
ergeben. Sollte es da nicht nahe liegen, daß die beiden politisch verbündeten
Reiche auch in dem Kampfe gegen die Tollwut als Verbündete auf den Plan
treten zur Schaffung eines einheitlichen und übereinstimmenden Viehseuchen¬
gesetzes ?
„Nun, meine Damen und Herren, ich stehe am Schlüsse meiner Aus¬
führungen und habe an Ihre Nachsicht zu appellieren, wenn ich Ihnen dieses
gewaltige Gebiet bei beschränkter Zeit nur in seinen wichtigsten Teilen
skizzieren konnte. Ich schließe mit dem Wunsche, daß der nächste Referent
dieses Themas Ihnen verkünden kann: «Deutschland ist frei von der Toll¬
wut!« und mit der Hoffnung, daß diese frohe Botschaft nicht lange auf sich
warten lasse!“
Digitized by LaOOQle
Die Bekämpfung der Tollwut. 21
Der Vorsitzende eröffnet hierauf die Diskussion:
Geh. Hofrat Professor Dr. Max Schottelius (Freiburg i. B.):
„Sehr verehrte Anwesende! Mit den Ausführungen des Herrn Vortragenden
kann ich mich im ganzen darohans einverstanden erklären. Nur in einem
Punkte muß ich eine gegensätzliche Ansicht vertreten: Der Maulkorbzwang
ist kein geeignetes Mittel zur Bekämpfung der Hundswut.
„Ich kann mich bei der Beurteilung dieser Sache einigermaßen auf
eigene Erfahrungen berufen, denn ich studierte vor 20 Jahren bei Pasteur
in Paris, als dort die ersten Schutzimpfungsversuche gegen Hundswut ab¬
geschlossen wurden.
„Zn der Zeit kamen auch jene 25 russischen Bauern, welche von einem
tollwütigen Wolf gebissen waren, aus dem Innern Rußlands in Begleitung
ihrer Ärzte im Institut Pasteur zu Paris an. Unter diesen Unglücklichen
befand sich eine Frau, welcher der tolle Wolf ins Gesicht gesprungen und
der schreienden Frau mit seinem Unterkiefer in den Mund gefahren war.
Den Oberkiefer hatte der Wolf in das Gesicht der Frau eingeschlagen und
dabei war ihm ein Eckzahn abgebrochen, der nun in der Highmorshöhle
der schwer verwundeten Frau steckte und nicht wieder entfernt werden
konnte.
„Diese Frau ist, wie das nicht anders zu erwarten war, trotz der Schutz¬
impfung gestorben. In ihren letzten Stunden, als sie in Krämpfen sterbend
dalag, das Gesicht gegen die Wand gekehrt, machte sie Zeichen und wollte
sich offenbar verständlich machen, aber niemand konnte deuten, was sie
sagen wollte, bis einer der russischen Ärzte sie endlich verstand und uns
mitteilte: Die Frau wünscht, daß wir alle aus dem Zimmer gehen möchten,
weil sie fürchtet, daß jemand angesteckt werden könnte.
„Ein Zeichen wahrer Seelengröße bei einer armen russischen Bauersfrau.
„Werdas alles erlebt hat, meine Herren, wer diese furchtbare Menagerie
von tollwütigen Hunden gesehen hat im Pasteurschen Institut: riesige
Metzgerhunde mit blutigem Schaum an den Lefzen, manche in Krämpfen
zuckend daliegend, andere die Zähne abgebissen an den eisernen Stäben
der Käfige, der ergreift gewiß gerne jedes Mittel, welches geeignet ist,
diese furchtbare Krankheit zu bekämpfen und die Menschen davor zu be¬
schützen.
„Aber der Maulkorbzwang ist kein solch geeignetes Mittel.
„Der Herr Vortragende hat auch schon ganz richtig einige Punkte an¬
gedeutet, welche gegen den Maulkorbzwang sprechen, aber er hat gemeint,
daß diese Gründe nicht stichhaltig und nicht maßgebend sein könnten.
„Ich will nur beiläufig erwähnen, daß die Entstehung der Tollwut¬
krankheit höchstwahrscheinlich vielfach von den wilden Hundearten, nament¬
lich den Wölfen, Füchsen ausgeht, welche die zahmen Hunde beißen und
infizieren. Ich will auch nur daran erinnern, daß in manchen Fällen nicht
der Biß eines tollwutkranken Tieres als Ausgang für die Entstehung einer
Wutepidemie nachgewiesen werden kann.
„Das sind wissenschaftlich interessante, noch nicht völlig aufgeklärte
Fragen. Aber praktisch sprechen andere Gründe gegen die allgemeine
Einführung des Maulkorbzwanges.
Digitized by LaOOQle
22 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
„Gewisse Hundearten werden immer vom Maulkorbzwang ausgenommen
bleiben müssen. Das sind die Jagdhunde, die Schäferhunde and die Wach¬
hunde. Man kann diese Hunde nicht entbehren und kann ihnen doch
keinen Maulkorb anlegen, wenn sie ihren Zwecken entsprechen sollen.
„Es ist ferner praktisch nicht möglich, eine Kontrolle über den Maul¬
korbzwang auszuüben. Das geht selbst in Städten, denen eine wohlorgani¬
sierte zahlreiche Polizeimannschaft zur Verfügung steht, nur bedingungs¬
weise, denn auch in den Städten läßt sich die Kontrolle nicht auf das Innere
der Häuser, auf Höfe, Gärten usw. ausdehnen. Völlig undurchführbar aber
ist die Kontrolle auf dem Lande.
„Es muß schließlich auch die Opposition der Hundebesitzer und aller
derer, welche mit den unter dem Maulkorbzwang leidenden Hunden mehr
oder weniger berechtigtes Mitleid haben (Tierschutzverein usw.) in Rück¬
sicht genommen werden. Es wird sich ein Sturm der Entrüstung erheben
gegen die allgemeine zwangsweise Einführung des Maulkorbes! — Und,
meine Herren, wir brauchen den Maulkorbzwang gar nicht zur wirk¬
samen Bekämpfung der Hundswut.
„Wir haben von dem Herrn Referenten auch bereits von anderen Mitteln
gehört, mit denen wir erfolgreich die Hundswut bekämpfen können. Zu
diesen Mitteln gehört erstens die Beschränkung der Zahl der Hunde durch
möglichst hohe Besteuerung, dadurch wird es Personen unmöglich gemacht,
einen Hund zu halten, welche nicht in der Lage sind, das Tier entsprechend
zu verpflegen. Dann werden die halbverhungerten herrenlosen Hunde ver¬
schwinden, welche hauptsächlich die Verbreiter der Hundswut sind und die
übrig bleibenden, besseren, nützlichen Hunde sind leichter zu kontrollieren.
„Die Einführung der Kontrollmarke ist ein weiteres Mittel zur Be¬
kämpfung der Hundswut. Durch die Kontrollmarke ist der Heimatsort des
Hundes zu erkennen, welcher irgendwo als tollwütig gefangen oder getötet
wurde. Da man nun weiß, daß ein tollwütiges Tier immer in derselben
nahezu geradlinigen Richtung weiter läuft, so kann man auf Grund der Kon¬
trollmarke den Weg und die Ortschaften feststellen, welche das Tier passiert
hatte und kann über diese Gegend die Sperre verhängen. In der uner¬
bittlich strengen Durchführung der Sperre besitzen wir ein sicheres Mittel
zur Verhütung der Ausbreitung der Hundswut.
„In meinem Heimatlande Baden war die Hundswut vor 30 Jahren recht
stark verbreitet. Sie ist erfolgreich bekämpft worden durch die Kontroll¬
marke und durch die Hundesperre, so daß jetzt seit bereits 25 Jahren kein
Fall von Hundswut mehr vorgekommen ist. Man wird in Baden niemals
den Maulkorbzwang einführen können, denn die Erfahrung hat uns gelehrt,
daß wir auch ohne denselben auskommen.
„Der verstorbene Professor der Physiologie Funke in Freiburg besaß
seinerzeit einen sehr wertvollen Jagdhund, der auf der Straße gesehen
war, als ein tollwütiger Hund den Weg passierte. Solche Hunde werden
bei uns unnachsichtlich getötet. Alle Versuche des Herrn Professors Funke,
für seinen Jagdhund eine Ausnahme zu erwirken, sind gescheitert. Er hat an
alle Instanzen appelliert, zuletzt sogar eine Immediateingabe an den Gro߬
herzog gerichtet, um seinen Hund zu retten. Alles umsonst, der Hund ist
getötet.
Digitized by LaOOQle
23
Di© Bekämpfung der Tollwut.
„Hunde, welche in Gesellschaft eines tollwutkranken Tieres gesehen
werden, werden getötet, die übrigen für die Dauer der Sperre an die Kette
gelegt. So haben wir in Baden durch die Kontrollmarke und durch strenge
Durchführung der Sperre die Hundswut ausgerottet.
„Meine Herren! Ich beziehe mich in dieser Sache nicht nur auf meine
eigene persönliche Meinung und Erfahrung. Als mir die Tagesordnung der
diesjährigen Versammlung unseres Vereins und die These des allgemeinen
Maulkorbzwanges zu Gesicht kam, habe ich gleich an einen der besten
Kenner unserer Tierseuchen an den mir befreundeten Geh. Oberregierungs¬
rat Dr. Lydtin in Baden-Baden geschrieben und ihn um seine Meinung
gebeten.
„Geheimrat Dr. Lydtin war damals mit mir zusammen in Paris bei
Pasteur und hat dort, so wie ich das eben hier erzählt habe, den Herren
vom Pasteurschen Institut dargelegt, daß man nicht durch den Maulkorb¬
zwang die Hundswut bekämpfen müsse, sondern durch Kontrolle und Sperre.
Pasteur hat sich überzeugen lassen und in Frankreich ist der Maulkorb¬
zwang nicht eingeführt.
„Ly dt in s Meinung stimmt noch jetzt mit dem, was ich ihnen vor¬
getragen, ganz überein. Erlauben Sie, daß ich den Schlußpassus seiner
brieflichen Mitteilung Ihnen wörtlich vorlese:
„Ich halte daher die Sperre, welche schon im badischen Seuchen¬
gesetz von 1863 vorgeschrieben war und in das Reichsseuchengesetz
übergegangen ist, als die einzige dem Wesen und der derzeitigen Er¬
kenntnis der Tollwut in Deutschland angemessene wirksame Maßregel,
die in stark verseuchten Gegenden durch Einführung der Hundemarke
ergänzt werden kann. Dagegen empfiehlt sich der allgemeine, dauernde
Maulkorbzwang nicht, da er nicht durchgeführt werden kann und
ebenso wenig Sicherheit bietet, als seine Unterlassung/
„Das sind also die Gründe, welche auch mir gegen die allgemeine Ein¬
führung des Maulkorbzwange8 zu sprechen scheinen/
Polizeidirektor Senator Dr. Gerland (Hildesheim): „MeineHerren!
Ich kann mich natürlich nur auf dem polizeilichen Teile der Leitsätze
bewegen, und da ist mir ein Teil dessen, was ich sagen wollte, durch meinen
Herrn Vorredner, der eben hier auf diesem Platze gestanden hat, schon vor¬
weggenommen. Er hat sich auch in ausführlicher, zutreffender Weise gegen
den Maulkorbzwang ausgesprochen, und ich wollte mich nur gegen den
Maulkorbzwang von dem polizeilichen Standpunkt aus aussprechen.
„Es wird in den Leitsätzen gesagt: Kampf gegen die herrenlosen Hunde!
Das ist sehr richtig, und da kann ich Ihnen aus der Praxis sagen: Ich bin
seit bald 25 Jahren in der Provinz Hannover tätig. Es gehörte, als ich
da hinkam, zu den berechtigten Eigentümlichkeiten dieser Provinz, daß wir
unaufhörlich Tollwut hatten, ein-, zweimal im Jahre kam die Hundesperre
wenigstens. Das war aber deshalb, es war nirgends eine Hundesteuer,
außer in den Städten; auf dem Dorfe gar nicht, und da war eine Sorte von
Rüden — wenn man durch ein Dorf ging — es war lebensgefährlich. In
den letzten Jahren ist überall die Hundesteuer eingeführt, also der Kampf
Digitized by LaOOQle
24 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
gegen die herrenlosen Hunde geführt worden, und seitdem ist die Tollwut
in Hannover so gut wie verschwunden, ohne Maulkorbzwang.
„Der Kampf gegen die herrenlosen Hunde ist uns etwas erschwert
durch Entscheidungen des Kammergerichts für Preußen. Die Gemeinde
setzte auf Grund der Steuerordnung die Hundesteuer fest, und dann wurde
von der Polizeiverwaltung angeordnet, daß jeder Hundebesitzer bei Strafe
den Hund mit Marke gehen lassen mußte. Da hat das Kammergericht ge¬
sagt : steuerliche Bestimmungen können nicht polizeilich angeordnet werden
— das sollte ja auch nicht sein —, auch die Bestimmungen zur Ausführung
ließen sich nicht polizeilich machen. Wir sind in der unangenehmen Lage,
daß jetzt die armen Leute, die einen Hund halten, doppelt bestraft werden
können. Nun habe ich als Polizeidirektor die Verordnung erlassen: jeder
Hund muß ein Halsband tragen, auf welchem Name und Wohnung des Herrn
steht. Nun geht der Hund spazieren und hat weder Marke noch Halsband.
Mein Hundefänger findet ihn, dann strafe ich den Besitzer, und nun über¬
gebe ich ihn dem Magistrat auf Erkennung der Steuerstrafe. Das ist ein
bißchen zu hart. Die Leute haben einen Schmerzensschrei losgelassen, der
Regierungspräsident hat entschieden, das ginge zu weit, es wäre dasselbe
Delikt, denn gewöhnlich pflegte doch die Marke am Halsband zu sitzen.
Was ist die Folge? Wenn einer seinen Hund ohne Marke herumlaufen ließ,
kriegte er von mir den üblichen Satz von 3 M. und war zufrieden. Dann
hieß es, wir wollen die Strafe in einem abmachen, da kriegt er 5 M., da
ist er unzufrieden. Das ist die große Erschwerung.
„Zweitens hat der Herr Referent eins nicht hervorgehoben: das Reichs¬
seuchengesetz schreibt bei Epidemien nicht bloß den Maulkorbzwang vor,
sondern es schreibt auch vor, daß der Hund an einer festen sicheren Leine
geführt wird. Das ist die Hauptsache; wenn man nicht will, daß ein Hund
Menschen oder andere Tiere angreift, muß man den Leinenzwang durch¬
führen. Das heißt aber einfach, den Hundebesitz unmöglich machen. Man
sehe nur, wenn eine Dame mit einem Hunde an der Leine spazieren geht.
Die Hunde haben gewisse Eigentümlichkeiten. Da muß man dabei ge¬
standen haben, wenn eine Dame mit einer großen Dogge spazieren geht,
und eine andere Dame hat eine Hündin spazieren zu führen. Das sind
traurige Notstände, aber wenn ein Hund bissig wird, wird niemals der
Maulkorb ohne Leinenzwang genügen. Dann wird die Herrschaft dafür
sorgen, daß sie den Hund los wird.
„Im übrigen gibt es eine ganze Menge von Gründen gegen den Maul¬
korbzwang. Daß die Hunde in den Höfen herumlaufen und daß die Kon¬
trolle nicht durchführbar ist, hat schon der Herr Vorredner angegeben. Aber ich
möchte auf eins eingehen: einen wirklich sicheren Maulkorb gibt es nicht,
oder es ist eine furchtbare Quälerei für den Hund. Nun sagte der Referent,
es sollte einmal von der Zentralinstanz ein Modell vorgeschrieben werden.
Da sehe man aber die verschiedenen Sorten Hunde, die es gibt. Wieviel
Modelle von Maulkörben soll denn der Kaufmann halten, damit für jeden Hund
ein passender Maulkorb vorhanden ist? Was heißt das, ein gut sitzender
Maulkorb? Wer ist der Sachverständige? Da muß ich womöglich den Kreis¬
tierarzt kommen lassen oder zu ihm schicken und ihn fragen: sitzt der
Maulkorb? Das ist eine sehr zweifelhafte Sache. Außerdem kann sich ein
Digitized by LaOOQle
25
Die Bekämpfung der Tollwut.
Hand den Maulkorb, wenn er auch gauz schön sitzt, abstreifen, denn
der Hand wird geniert durch den Maulkorb, wenn er einmal fressen oder
saufeu will.
„Ein absolut sicherer Maulkorb ist kaum zu konstruieren, und wenn er
konstruiert ist, hindert er den Hund am Saufen, und gerade die Hunde sind
doch ziemlich durstig. Also ich würde wirklich bitten, daß man den Maul¬
korbzwang nicht als unbedingtes Mittel aufstellt tt
Medizinalrat Dr. Cimbal (Neisse): „Meine Herren! Ich hatte den
traurigen Vorzug, im vergangenen Herbst einen Krankheitsfall der Hunds¬
wut bei einer Bauersfrau auf dem Lande gemeldet zu bekommen und die
Maßregeln dafür treffen zu müssen. Da sind mir im Laufe der wenigen
Tage — die Frau ist in drei Tagen gestorben — verschiedene Schwierig¬
keiten aufgestoßen, und ich meine, daß in einer so ernsten Sache wie dieser
auch jede Kleinigkeit, die vielleicht zur Klärung beitragen könnte, be¬
merkenswert ist.
„Ich gehöre zu einem Bezirk, der zwischen Rußland und Böhmen liegt,
im südlichen Teile von Oberschlesien, und da haben wir im Kreise nicht
weniger als vielleicht 20 nicht tollwutverdächtige, sondern tollwuterwiesene
Hunde in den letzten Jahren gehabt. Es sind ungefähr 10 oder 12 Personen
gebissen worden, und Gott sei Dank nachträglich alle Personen zur Impfung
gelangt. Weitere Erkrankungsfalle sind auch nicht gemeldet. Der vor¬
liegende Fall war im Verlaufe so prägnant, daß er nur als Tollwut auf¬
gefaßt werden konnte. Er ist in der Medizinalbeamtenzeitung veröffentlicht
Da kam denn die eine Frage: Eine Vorschrift ist, die Nachbargemeinden
sollen benachrichtigt werden. Es gäbe wohl eine Methode, die Benach¬
richtigung sehr schnell zu vollziehen. Fast alle Gemeinden haben Tele¬
phonanlagen. Aber natürlich sind die Gemeinden nicht durch Telephon
miteinander verbunden. Wenn eine Vorschrift existierte, daß jede Ge¬
meinde, in der ein tollwutverdächtiger Hund beobachtet wird, sofort an
das betreffende Landratsamt berichtet, und das Landratsamt sofort im
Kreise die Weisung gibt, daß erstens alle Hunde von der Straße ent¬
fernt werden und zweites, daß entweder die aus der Schule zurück¬
kehrenden Kinder unter Beaufsichtigung bleiben oder daß die Kinder von
der Schule oder in der Schule zurückgehalten werden. Wie schnell das
geht, kann ich dadurch beweisen: Die Meldung von dem Erkrankungsfalle
kam mir um 11 Uhr. Ich telephonierte sofort an das Landratsamt, dieses
an die Regierung, und um 12 Uhr hatte ich schon die Weisung der könig¬
lichen Regierung.
„Ein weiteres: Es sind 10 Personen geimpft worden, und in allen
Fällen wurde uns vertraulich die Weisung: Ein Jahr lang sollten die be¬
treffenden Personen beobachtet werden. Darin liegt bis jetzt ein voll¬
ständiger Mangel. Wer soll sie beobachten? Die von dem Herrn Refe¬
renten angegebene Methode, daß sich der betreffende Geimpfte nach einem
Vierteljahr beim Kreisarzt melden sollte, wäre viel praktischer, ist aber
in keinem Falle durchgeführt, sondern uns ist nur vertraulich mitgeteilt
worden: ein Jahr soll beobachtet werden. Wenigstens müßte vielleicht der
Digitized by LaOOQle
26 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
Amts Vorstand angewiesen werden, hin and wieder über den Geimpften zu
berichten.
„Das wären die Maßregeln, die ich wegen der Vorbeugung beifügen
wollte. Ich hätte aber noch eines: Der furchtbare Verlauf der Krankheit
fordert denn doch auch zu energischen Maßregeln bei der Behandlung auf,
und da hat sich denn jedes der Mittel, die die Herren Kollegen anwandten,
Morphium, Chloral usw., vollständig machtlos erwiesen. Ein Mittel aber
hat Ruhe geschaffen, das war Skopolanin mit Morphium. Ich erlaube mir
deswegen, hier diesen Fall und auch das Mittel anzuführen. Fünf, sechs
Stunden hintereinander hat die arme gequälte Frau, die sonst nicht eine
Minute Ruhe hatte, geschlafen und war wenigstens ihre furchtbaren Schmerzen
so lange los. Von dem Moment an, wo dieses Mittel angewandt wurde,
war der Verlauf ein erträglicher.“
Geheimer Sanitätsrat Professor Dr. Lent (Köln): „In jüngster
Zeit bin ich aufgefordert worden, dahin zu wirken, daß für die Rheinprovinz,
meine Heimatprovinz, auch ein Impfinstitut errichtet werden sollte. Es
wurde dies besonders mir gegenüber damit begründet, daß jetzt ja in Breslau
ein Impfinstitut errichtet ist, und man sagte sich, wenn es notwendig ist, schon
so nahe bei Berlin ein Institut zu errichten, ist es dann nicht richtig, daß
entfernter von Berlin, in der Rheinprovinz, wo wir ja leider auch die Hunds¬
wut haben, ein besonderes Institut errichtet würde? Daher wollte ich an
den Herrn Professor zunächst die Frage richten: Wieviel Todesfälle sind an
Geimpften beobachtet worden, wo man sagen konnte, sie sind gestorben,
weil sie zu spät eingeliefert sind? Nun sind diese Zahlen aber so gering,
wie uns vorhin Herr Professor Frosch mitgeteilt hat, daß man daraus
keinen Schluß ziehen kann. Daher möchte ich hören, ob vielleicht durch
die Korrespondenz mit den weitwohnenden Provinzen sich doch heraus¬
gestellt hat, daß wegen der weiten Entfernung die Fälle zu spät eingeliefert
würden. Ist das der Fall, dann kann man der Errichtung weiterer Institute
gewiß näher treten; denn im ganzen ist es ja richtig, es wird die Be¬
völkerung viel leichter in ein nahe gelegenes Institut kommen, als daß die
Leute die weite Reise antreten.
„Nun wurden allerdings auch die großen Kosten eines solchen In¬
stituts hier entgegengehalten. Ich habe mich daher beim Professor Flügge
in Breslau erkundigt, wie hoch diese Kosten wären, und er hat mir mit¬
geteilt, daß die Universität für die Errichtung des Instituts 30000 M. aus-
gegeben hat. Die Kosten würden aber dadurch im Betriebe teurer, weil
das Institut ja fortwährend auf dem Qui vive sein müßte, und da wäre nicht
allein einer seiner Assistenten speziell dafür da und ein Diener, sondern
auch die andern Assistenten wären alle für den Fall der Vertretung hierauf
eingerichtet, und die Betriebskosten würden sich auf etwa 9000 M. im Jahre
belaufen. Das ist ja etwas hoch, wenn ein einzelner Ort, eine einzelne
Stadt es machen will, aber wenn sich vielleicht die Provinz dafür interessiert,
kann der Kostenpunkt gegenüber dieser Misere gar keine Rolle spielen.
„Dann möchte ich aber noch einen anderen Punkt berühren.
„Es ist uns vorher vorgetragen worden, wie wohltätig es wäre, wenn
wir auch den Weg der Belehrung betreten durch ein Flugblatt für Kinder
Digitized by LaOOQle
Die Bekämpfung der Tollwut.
27
und auch für die Leute auf dem Lande. Sollten wir nicht auch wieder den
Versuch machen, durch ein Preisausschreiben von seiten des Vereins gute
Flugblätter zu erhalten? Ich richte diese Frage an den Ausschuß und möchte
bitten, daß er mir recht bald eine Antwort gibt, ob er bereit ist, aus unseren
Mitteln eine derartige Preisaufgabe zu stellen. Wenn das nämlich nicht
der Fall ist, würde ich in unserem niederrheinischen Verein für öffentliche
Gesundheitspflege gegenüber der traurigen Tatsache, daß wir in der Rhein¬
provinz, hauptsächlich im Regierungsbezirk Düsseldorf, viele Tollwutfalle
haben, veranlassen, ein solches Preisausschreiben zu erlassen. u
Geheimer Hofrat Professor Dr. Gärtner (Jena): „Meine Herren!
Zwei Punkte will ich ganz kurz berühren, die bis jetzt in der Diskussion nicht
zur Geltung gekommen sind: Erstens die Wichtigkeit der sogenannten Negri-
schen Körperchen. Bisher war es ungemein schwer gewesen, die Diagnose
der Hundswut auch bei Tieren zu stellen. Es gibt gewiß eine Anzahl
praktischer Tierärzte, die sie mit großer Sicherheit stellen können, und der
Herr Vortragende hat uns gesagt, alle die Diagnosen, die bis jetzt an das
Institut in Berlin von seiten der Tierärzte gekommen seien, hätten gestimmt.
Aber eine große Anzahl von Diagnosen, und vor allem die unsicheren, kommen
nicht hin, und da ist in den Negri sehen Körperchen eine wichtige Quelle für die
gute und sichere Stellung der Diagnose gegeben. Es ist von Wichtigkeit, daß
man weiß, ob die Hunde, die gebissen haben, tollwütig sind oder nicht. Nun
besteht die Bestimmung, daß, wenn jemand von einem Hunde gebissen ist, und
sich die Möglichkeit ergibt, den Hund zu finden und zu töten, dann der Kopf
nach Berlin zu schicken ist. Aber eine ganze Anzahl von Hunden wird zuzeiten
von Epidemien oder bei einzeln vorkommenden Fällen von Tollwut tot¬
geschlagen, die nicht nachweislich gebissen haben, von denen bloß der Tier¬
arzt oder der beamtete Tierarzt etwas hört. Da wäre doch vielleicht von
seiten der Stellen, die dafür maßgebend sind, zu überlegen, ob es nicht
richtig wäre, die Tierärzte in der Untersuchung auf die Negri sehen Körper¬
chen unterweisen zu lassen.
„Zum zweiten möchte ich den Herrn Referenten bitten, uns einmal
einiges zu sagen über Schädigungen, die durch die Wutschutzimpfung
eventuell entstehen könnten. Bei uns in Thüringen waren tollwütige Hunde
vorgekommen, und es wurde auf den preußischen Erlaß hingewiesen. Sofort
kamen von seiten der Naturheil vereine in den Zeitungen Notizen, es ent¬
ständen Schädigungen durch die Impfung, und man warne davor, nach
Berlin zu gehen. Ich möchte deshalb von dieser autoritativen Stelle, von
Herrn Kollegen Frosch, hören, was darüber bekannt ist. Meine Herren!
Ich glaube, ja ich weiß, es werden kaum Schädigungen Vorkommen. Aber
sollte selbst hier und da einmal eine Schädigung eintreten, so darf uns das
nicht hindern, ein Heilmittel von solch hohem Wert wie es die Schutz¬
impfung gegen Tollwut ist, anzuwenden. Wir kennen kein Heilmittel, das
nicht hier und da eine Schädigung macht. Wer von Ihnen würde sich
operieren lassen ohne Chloroform, wer von Ihnen würde nicht, wenn er
intensive Schmerzen hat, Morphium anwenden? Und von beiden Giften sind
ebenfalls Schädigungen bekannt. Ich glaube aber, die Schädigungen durch
diese Mittel sind ganz wesentlich häufiger als die, die durch die Hundswut-
Digitized by LaOOQle
28 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
impfung entstehen. Ich möchte Herrn Professor Frosch bitten, uns nach
dieser Richtung einiges zu sagen. tt
Oberbürgermeister Dr* Lentze (Magdeburg): „Ich möchte den
Vorschlag des Herrn Geheimrat Lent, durch Aufklärung auf die Bevölke¬
rung zu wirken, warm unterstützen. Ich bin selbst verschiedene Jahre mit
dabei tätig gewesen, in dem Orte meiner Wirksamkeit gegen die Tollwut
vorzugehen, und ich habe jedesmal gefunden, daß die gesamten polizeilichen
Maßregeln nutzlos waren, weil man immer mit einem latenten Widerstand
der Bevölkerung zu tun hatte. Bekanntlich ist jeder Hund ein Liebling
der Familie. Die Familie fühlt sich schwer beschränkt und bedrückt, wenn
sie den Hund an die Leine nehmen muß oder den Hund überhaupt nicht
auf die Straße hinaustun darf. Infolgedessen werden die gesamten Ma߬
regeln zur Bekämpfung der Tollwut von der Familie eigentlich mißachtet
und sogar absichtlich durchbrochen, und da nützen alle polizeilichen Straf¬
mandate gar nichts. Wenn man dann die Leute fragt: »Wie kommt es
denn, daß ihr gar nichts in dieser Hinsicht tut?», dann wird einem geant¬
wortet: »Ach was die Tollwut! Wer hat denn je schon einmal einen toll¬
wütigen Menschen gesehen?» Oder: »Man liest nur in den Zeitungen,
daß einmal jemand von Tollwut befallen ist, aber in unserer Gegend kommt
das nicht vor.« Nun sind in der Stadt Barmen, in der ich früher tätig war,
wiederholt Fälle vorgekommen, daß Erwachsene und Kinder von tollen
Hunden gebissen wurden, diese wurden dann auch sofort nach Berlin in
das Institut entsandt. Aber nichtsdestoweniger blieb die Bevölkerung doch
den polizeilichen Sicherungsvorschriften gegenüber widerspenstig. Deshalb
glaube ich, daß ihr einmal klar vor Augen geführt werden muß, eine wie
schwere Krankheit eigentlich die Tollwut ist. Die meisten wissen überhaupt
gar nicht, was die Tollwut bedeutet. Ich selbst habe mich erst durch
Nachlesen davon unterrichten müssen, wie furchtbar eigentlich hiervon der
Patient zu leiden hat, welche entsetzlichen Qualen er erdulden muß und
dabei stets bei Bewußtsein bleibt. Wenn das den Leuten einmal in popu¬
lärer Weise zur Kenntnis kommt, dann werden sie viel williger sein, auch
ihre Hunde abzuschaflen oder auf ihre Hunde besser zu achten. Ich möchte
deshalb den Vorschlag des Herrn Geheimrat Lent aufs allerwärmste befür¬
worten. Gerade die Kinder spielen immer mit den Hunden, und die Kinder
müssen auch unterrichtet werden, was ihnen von den Hunden für Gefahren
drohen. Die Kinder werden dann auch ihren Eltern und Angehörigen zu
Hause das mitteilen, wenn ihnen in der Schule oder sonstwie näher Auf¬
schluß darüber gegeben ist, und das ist nach meiner Ansicht das aller¬
wirksamste Mittel zur Bekämpfung der Tollwut, viel mehr als alle polizei¬
lichen Mahnahmen. tt
Geheimer Medizinalrat Dr. Abel (Berlin): „Ich möchte nur mit
einigen Worten auf die Anregung des Herrn Geheimrat Lent eingehen, ob
nicht auch in der Rheinprovinz eine Impfanstalt eingerichtet werden soll.
„Meine Herren! Die Frage der Tollwut, ihrer Verbreitung und ihrer
Bekämpfung wird von seiten des preußischen Kultusministeriums mit größtem
Interesse verfolgt. Jeder einzelne Fall wird gebucht und in seinen ganzen
Digitized by
Google
29
Die Bekämpfung der Tullwut.
Beziehungen aufgeklärt; alle Jahre erscheint eine ausführliche Statistik über
sämtliche Fälle und den Erfolg der gegen sie eingeleiteten Behandlung.
Es hat sich da nun herausgestellt, daß die Provinz Schlesien in den letzten
Jahren der Hauptherd der Tollwut gewesen ist. In Rücksicht darauf ist
in Breslau im vorigen Jahre eine Tollwut-Impfanstalt eingerichtet worden.
Was den Herd in der Rheinprovinz anbetriift, so ist ebenfalls schon erwogen
worden, ob er so groß und so bedeutungsvoll ist, daß es nötig ist, auch in
der Rheinprovinz eine besondere Impfanstalt einzurichten. Bisher hat sich
jedoch ein dringendes Bedürfnis dafür nicht herausgestellt. Insbesondere
hat sich gezeigt, daß aus dem Umstande, daß die Gebissenen bisweilen erst
mehrere Tage nach dem Bisse zur Impfung kommen, keine üblen Folgen
für den Erfolg der Impfung entstanden sind.
„Selbstverständlich wird die Frage weiter im Auge behalten. Sollte
es wider Erwarten trotz aller Maßnahmen, die zur Unterdrückung der Toll¬
wut in der Rheinprovinz unternommen werden, zu einem weiteren Umsich¬
greifen der Krankheit kommen, so wird auch die Frage ernstlich in
Erwägung gezogen werden, ob nicht dort, etwa im Anschluß an das hygie¬
nische Institut in Bonn oder in sonst geeigneter Weise, eine besondere
Impfanstalt eingerichtet werden soll.“
Hiermit ist die Diskussion geschlossen und es erhält das Schlußwort:
Referent, Professor Dr. FrOSCh (Berlin):
„Meine Damen und Herren! Ich habe bei der großen und allgemeinen
Übereinstimmung in der Frage des Nutzens des Maulkorbzwanges nicht er¬
wartet, daß gerade dieser Punkt Anstoß erregen würde. Ich habe nicht
gesagt, daß der Maulkorbzwang ein unfehlbares Mittel sei, sondern
habe selbst auf gewisse Mängel hingewiesen. Wenn Herr Schottelius
gegen den Maulkorbzwang die badischen Maßnahmen und das Fehlen der
Tollwut in Baden geltend macht, so weise ich auf Württemberg, Mecklen-
burg-Strelitz und Schwerin, Anhalt und andere Bundesstaaten hin, die auch
tollwutfrei sind, dieses Glück aber meiner Ansicht nach nur ihrer geogra¬
phischen Lage verdanken, also dem Umstande, daß für sie die Tollwut eben
an der Grenze abgefangen wird. Das dürfte auch für Baden zutreffen.
Es bliebe sehr abzuwarten, wie es in Baden aussehen würde, wenn es
ohne Maulkorbzwang und nur auf die von Herrn Schottelius gerühmten
Maßregeln angewiesen, etwa unmittelbar an unseren Ostgrenzen gelegen
wäre 1
„Ich kann ferner nicht anerkennen irgend eine Notwendigkeit oder
Veranlassung, Hirten- und Viehtreiberhunde auch während ihrer Tätigkeit
oder Benutzung % von dem Maulkorbzwange zu befreien. Es ist, wie Guts¬
besitzer und Viehhalter versichern, absolut nicht nötig, daß das Vieh von
den Wachhunden gebissen werden muß; das ist ein Mißbrauch des Hundes
und, weil er die Tiere scheu macht, eher schädlich. Zudem haben wir genug
Beispiele, daß gerade Hirten und Herden von den eigenen tollwutinfizierten
Hirtenhunden beim Hüten gebissen sind, daß solche Hunde dann weiter ge¬
laufen sind und andere Herden infiziert haben. Ich halte diese Ausnahmen,
die allerdings von allen europäischen Gesetzen gemacht sind, nicht für
Digitized by LaOOQle
30 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
gerechtfertigt, sondern für inkonsequent und schädlich. Jagdhunde müssen
allerdings, aber auch nicht allgemein und grundsätzlich ausgenommen werden.
Sie sind gut dressiert, meist wertvoll und sorgfältig in ihrem Gesundheits¬
zustände vom Besitzer überwacht, deshalb kann ihre Ausnahme auch eher
konzediert werden.
„Endlich aber treffen die Ein wände des Herrn Schottelius auch den
prinzipiellen Punkt meiner Darlegungen nicht. Die badischen Maßregeln
kommen ihrer Natur nach auch post festum, also wenn bereits Tollwut vor¬
handen ist. Der allgemeine Maulkorbzwang soll aber als vorbeugende
Maßregel wirken.
„Zu den Ausführungen des Herrn Gerl and habe ich zu bemerken:
Die Führung an der Leine ist kein genügender Schutz. Maulkorblose Hunde
können die Leine durchbeißen und haben dies, wie unsere amtlichen Be¬
richte erwähnen, mehrfach getan. Sehr wahrscheinlich wird auch der Be¬
sitzer, wenn er bedroht ist, oder im Schreck über den Anfall (Damen) die
Leine leicht fallen lassen. Die Frage nach einem passenden Maulkorbmodell
halte ich nicht für so schwierig. Ich habe das Vertrauen zu unseren Tier¬
ärzten und Zoologen, daß sie entsprechend den verschiedenen Rassen der
Hunde bessere Modelle finden werden, als gegenwärtig in Gebrauch sind.
Und was die eventuelle hohe Zahl der Modelle anlangt, so wird sie sicher
kleiner werden als die Zahl .der meist „unpassenden“ Modelle, die jetzt in
Städten mit Maulkorbzwang in Gebrauch sind. Ist das Modell für einen
gegebenen Hundetypus festgestellt, so steht nichts im Wege, den Besitzer
zu verpflichten, schon allein aus Rücksicht sowohl auf seinen Hund als auch
zum Schutze seiner Mitmenschen den Maulkorb im einzelnen Falle nach
Maß und auf Bestellung anfertigen zu lassen. Wem das nicht paßt, der
soll eben keinen Hund halten.
„Herrn Lent antworte ich in Ergänzung der Ausführung des Herrn
Geh. Rat Abel, daß mir kein Fall auf unserer Wutschutzabteilung bekannt
ist, der durch die Entfernung zwischen seinem Heimatsorte und Berlin ge¬
nötigt gewesen wäre, zu spät zur Behandlung einzutreffen.
„Endlich auf die Anfrage des Herrn Gärtner habe ich mein Referat
noch dahin zu ergänzen: Es sind wohl gelegentlich anfänglich nach der Ein¬
spritzung entzündliche Abszesse vorgekommen, doch nun schon seit einer
Reihe von Jahren infolge äußerster Peinlichkeit und vollendeter Sterilisation
und Aseptik der Instrumente, Hände usw. nicht wieder beobachtet. Nervöse
Erkrankungen oder Störungen teils im Verlaufe der Impfung, teils nachher
sind anderenorts von Babes, Remlinger u. a. beobachtet, doch allermeist
von vorübergehender Natur. Es ist noch fraglich, ob es sich dabei nicht
um Anfalle von Wutkrankheit, gemildert durch die Behandlung, gehandelt
hat. Die von impfgegnerischer Seite teils ohne jede Spur von Wahrschein¬
lichkeit oder Beweis, teils in ganz einseitiger oder gar tendenziöser Beurtei¬
lung der Tatsachen aufgestellte törichte Behauptung, daß durch die Impfung
erst die Tollwut erzeugt werde, widerlegt sich durch die Differenz in dem
oben angeführten Mortalitätsverhältnis bei behandelten und nichtbehandelten
Gebissenen. Vielfach wird auch auf den Wutschutzabteilungen das Ärzte-
und Dienerpersonal, ohne gebissen zu sein, prophylaktisch der Wutschutz¬
behandlung unterzogen. Unter vielen so geimpften Personen ist kein ein-
Digitized by LaOOQle
Die Bekämpfung der Tollwut.
31
ziger Erkrankungsfall vorgekommen. Wenn geltend gemacht wird, daß
von sechs oder sieben von demselben tollen Hunde gebissenen Personen
nur die eine schutzgeimpfte erkrankt und gestorben sei, die nicht behandelten
aber gesund blieben, so ist das ein rein zufälliges Zusammentreffen und
besagt doch nur, daß eben nicht alle Gebissenen erkranken, und daß bei der
einzig infizierten Person die Schutzimpfung versagte, vielleicht weil sie zu
spät zur Behandlung kam. Derartigen, übrigens ganz vereinzelten Vorkomm¬
nissen, die nur von einer unzureichenden Logik gegen die Schutzimpfung
verwertet werden können, lassen sich umgekehrt viele Beispiele aus der Praxis
der Wutschutzabteilung entgegenstellen, derart, daß von einer Anzahl von dem¬
selben tollen Hunde gebissenen Personen, die sich nicht schutzimpfen ließen,
eine oder zwei diese Unterlassung mit dem Tode büßten, und nun erst die
übrigen voller Schreck zur Schutzimpfung erschienen, regelrecht geimpft
wurden und alle gesund blieben. Es ist kein Fall bekannt, daß durch
die Schutzimpfung die Tollwut erzeugt wurde. “
Vorsitzender, Professor Genzmer (Danzig): „Meine Herren!
Wir stehen wohl alle unter dem Eindruck, daß es sich hier um eine außer¬
ordentlich ernste Krankheit handelt, die die größten Kreise der Bevölkerung
beunruhigen kann. Wir haben zwar gesehen, daß die Meinungen darüber,
wie man der Ausbreitung der Krankheit entgegentreten kann und soll, noch
auseinander gehen, und wir wissen nicht, wie dieser Streit der Meinungen
entschieden werden wird. Wir haben aber andererseits auch gehört, daß
die Behörden, besonders die preußische Staatsregierung, gerade der Be¬
kämpfung der Tollwut sehr sympathisch gegenüber stehen, daß das Kultus¬
ministerium alles tun will, was in seinen Kräften steht. Einmal dieser
Umstand und sodann die Tatsache, die sich aus der Verhandlung ergehen
hat, daß durch die sanitätspolizeilichen Maßregeln eine merkliche Abnahme
der Tollwut schon bewirkt worden ist, könnte uns hier wohl beruhigen und
in uns die Hoffnung erwecken, daß für die Folge durch weitere angestrengte
Bemühungen der zuständigen Behörden eine Einschränkung dieser schreck¬
lichen Krankheit noch mehr als bisher eintreten wird.
„Dem Herrn Berichterstatter aber, der uns diese wichtige Materie in
so lichtvoller, ausgezeichneter Weise vorgeführt hat, und allen den Herren,
die sich an der Besprechung beteiligten und dadurch erst eigentlich auf¬
merksam machten auf die verschiedenen Wege, die man bei der Bekämpfung
der Seuche einschlagen kann, darf ich wohl in Ihrer aller Namen unseren
verbindlichsten Dank aussprechen.“
Pause.
Nach Wiedereröffnung der Sitzung stellt der Vorsitzende den zweiten
Gegenstand der Tagesordnung zur Verhandlung:
Digitized by LaOOQle
82 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
Die Müchversorgung der Städte
mit besonderer Berücksichtigung der Säug-
lingsemährung.
Es lauten die vom Referenten Stadtbezirksarzt Dr. Poetter (Chem¬
nitz) aufgestellten
Leitsätze:
1. Die Milch ist das wichtigste Nahrungsmittel für die Volksernährung. Von
ihrer Güte hängt das Gedeihen und die Gesundheit weiter Bevölkerungs¬
kreise, insbesondere des Bevölkerungsnachwuchses, der Kinder, ab.
2. Die gesundheitliche Bedeutung der Milch als Volksnahrungsmittel, nament¬
lich für die Säuglingsernährung, hat immer mehr zugenommen, seitdem
aus verschiedenen Gründen besonders in den Städten die natürliche Brust¬
ernährung der Kinder zurückgegangen ist. Wenn auch durch geeignete
Maßnahmen eine Besserung in bezug auf das Stillen der Kinder erreicht
werden kann, so wird doch auch in Zukunft die Mehrzahl der Kinder
auf die Kuhmilch als hauptsächliches Nahrungsmittel angewiesen bleiben.
3. Die Milch kann als gesundheitlich einwandfreies Nahrungsmittel nur dann
gelten, wenn sie frei von schädlichen Stoffen ist. Sie muß insbesondere
von gesunden Tieren stammen, in sauberer, möglichst aseptischer W r eise
gewonnen, aufbewahrt und zubereitet werden, mit kranken Personen nicht
in Berührung kommen und ohne schädliche Beimengungen oder Zer¬
setzungen zum Genüsse gelangen.
4. Gegenwärtig sind diese Voraussetzungen nur selten erfüllt und von einer
erheblichen Preiserhöhung der Milch abhängig; einwandfreie Milch ist
daher, abgesehen von den vereinzelten Fällen, wo private und städtische
Fürsorge die Milchversorgung weiterer Kreise in die Hand genommen
haben, gegenwärtig ein Luxusartikel für die bemitteltere Bevölkerung.
5. Es ist zu erstreben, daß alle in Verkehr kommende Milch, und nament¬
lich alle zur Säuglingsernährung dienende Milch einwandfrei sei. Dieses
Ziel kann ohne wesentliche Erhöhung des Milohpreises erreicht werden,
weil alle hierzu nötigen Maßregeln gleichzeitig dazu dienen und schon an
sich notwendig sind, um die Gesundheit und die Ergiebigkeit des Milch¬
viehes, also die Wirtschaftlichkeit des Betriebes zu erhöhen.
6. Zur Erreichung dieses Zieles ist der Erlaß reichsgesetzlicher Bestimmungen
über die Produktions- und Verkehrsverhältnisse der Milch erforderlich,
wobei Einzelbestimmungen, namentlich über den Fettgehalt, der landes-
und ortsgesetzlichen Regelung zu überlassen sind. Die reichsgesetzlichen
Bestimmungen hätten gleichzeitig die Tuberkulosetilgung zu umfassen.
7. Die Produzenten sind seitens der landwirtschaftlichen Vereine fortdauernd
über die Gewinnung und Lieferung einer tadellosen Milch zu belehren;
ihre Betriebe sind regelmäßig zu überwachen.
8. Die Städte haben den Verkehr mit Milch ortsgesetzlich zu regeln und
hierbei nicht so sehr wie früher ihr Augenmerk auf Fettgehalt, spezifisches
Gewicht usw. als vielmehr auf die Ermittelung der sauberen, unzersetzten
und unschädlichen Beschaffenheit der Milch zu richten.
9. Am zweckmäßigsten wäre die Einrichtung von „Milchhöfen“ oder „Milch¬
zentralen“ (entsprechend den der Zentralisation des Fleischverkehrs dienen¬
den Schlachthöfen), welche im Besitze und Betriebe der Stadt sind oder
zum mindesten durch eigens angestellte, entsprechend vorgebildete städ¬
tische Beamte überwacht werden. In diesen Zentralstellen, deren in
größeren Städten mehrere bestehen könnten, soll die gesamte Milch zu-
Digitized by Google
33
Die Milchversorgung der Städte usw.
sammenfließen; hier wird sie nach etwaiger Reinigung, Kühlung und Zu¬
bereitung in Transportgefäße gefüllt und durch entsprechend eingerichtete
Verkaufswagen oder Verkaufsstellen an das Publikum abgegeben.
Der jetzt übliche Kleinhandel mit Milch ist als unhygienisch zu be¬
zeichnen.
10. Mit der Milchzeutrale sind Säuglingsmilchküchen zu verbinden.
11. Die Bevölkerung ist fortlaufend über die richtige Behandlung der Milch
zu belehren und hierin zu unterstützen. Der Bezug einwandfreier Säug¬
lingsmilch, wobei gleichzeitig eine Beratung der Mütter stattfinden kann,
muß auch den Unbemittelten ermöglicht werden, ohne daß jedoch die auf
Verbreitung des Selbststillens hinzielenden Bestrebungen beeinträchtigt
werden.
12. Der allgemeine Genuß guter Milch kann in vorteilhafter und gesundheit¬
lich wünschenswerter Weise gehoben werden durch Errichtung von Milch¬
häuschen, Milchautomaten usw.
Referent, Stadtbezirksarzt Dr. Poetter (Chemnitz):
„Der Deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege hat sich schon
wiederholt mit der Frage der Milchversorgung beschäftigt. Erst vor drei
Jahren auf der Dresdener Versammlung wurde diese Angelegenheit ein¬
gehend erörtert und neben der dringenden Notwendigkeit einer Besserung
der Milchversorgung betont, daß es nach der Entwickelung der Landwirt¬
schaft möglich sei, sogar ohne Preiserhöhung eine einwandfreie Milch zu
liefern. Im selben Jahre 1903 brachte der Verein sein hohes Interesse
noch dadurch zum Ausdrucke, daß er gelegentlich der Hamburger Aus¬
stellung für hygienische Milch Versorgung einen Preis für das beste Ver¬
fahren zur Versorgung der ärmeren Bevölkerungskreise mit einwandfreier
Milch aussetzte. Wenn dieser Preis leider bis jetzt immer noch nicht ver¬
liehen werden konnte, wenn der Verein heute das Thema der Milchversor¬
gung schon wieder auf die Tagesordnung zu setzen für gut befunden hat,
so ist das ein Beweis dafür, daß die Milchfrage noch immer der Lösung
harrt, daß sie aber auch hoffentlich nicht eher zur Ruhe kommt, bis eine
befriedigende Lösung gefunden ist.
„Erfreulicherweise beteiligen sich an der hierzu nötigen Arbeit nicht
nur hygienische Kreise, sondern namentlich auch landwirtschaftliche und
Handelsverbände. Und da in ‘vielen und wichtigen Punkten bereits Über¬
einstimmung erzielt ist, braucht man wegen eines glücklichen Ausganges
nicht zu verzagen.
„Die Kuhmilch, neben der die Milch anderer Tierarten nur eine ganz
verschwindende Bedeutung hat, ist zweifellos eines der wichtigsten Nah¬
rungsmittel, die es gibt, wenn nicht das allerwichtigste. Alle übrigen
Nahrungsmittel lassen sich mehr oder weniger durch andere ersetzen; ein
Zustand aber, wo es keine Milch mehr geben sollte, läßt sich gar nicht
denken. Alle Bevölkerungskreise, ob arm oder reich, sind auf die Milch
angewiesen. Für Gesunde und besonders für Kranke ist die Milch unent¬
behrlich, und für viele Bevölkerungsschichten, nämlich die Kinderwelt,
bildet die Milch längere Zeit das einzige und späterhin das hauptsächlichste
Nahrungsmittel. Biedert rühmt die Milch als »das bevorzugte Nahrungs-
gemisch für delikate Verdauungswerkzeuge: sie enthält die Kohlehydrate
gelöst, zur Resorption fertig, das Fett in Emulsion, der für seine Aufnahme
VierteljahxMchrift für Oecnndheitspflege, 1907. 3
Digitized by LaOOQle
34 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
förderlichsten Form, und einen Eiweißkörper, der konservierendes Erhitzen
vertrage, ohne zu gerinnen, und mit dem emulgierten Fette so verbunden
sei, daß er bei seiner Gerinnung im Magen durch Einschluß der feinsten
Fetttropfen eine lockere, für die Verdauungssäfte vorzugsweise zugängliche
Masse bilde».
„Als Eindernahrung steht die Milch konkurrenzlos da, und selbst bei
den zahlreichen als Milchersatz angepriesenen Surrogaten wird mit be¬
sonderer Wichtigkeit auf einen gewissen Gehalt an Bestandteilen der natür¬
lichen Milch hingewiesen, um den vermeintlichen Wert dieser Präparate zu
erhöhen.
„Im Deutschen Reiche werden jährlich über zwei Millionen lebende
Kinder geboren; ein Fünftel davon, also 400000 Kinder, sterben innerhalb
des ersten Lebensjahres wieder; es verbleiben somit am Schlüsse des Jahres
etwa 1600000 lebende Kinder. Nach den auf meine Anregung im König¬
reiche Sachsen angestellten allgemeinen Erhebungen wurden im Jahre 1904
von den in Sachsen lebend geborenen Kindern 27,4 Proz. überhaupt nicht,
12,6 Proz. nur kurze Zeit (weniger als sechs Wochen) und 60 Proz. über
sechs Wochen an der Mutterbrust ernährt; von den letztgenannten werden
zweifellos viele bald nach Ablauf der sechs Wochen wieder abgesetzt. In
den übrigen deutschen Staaten mögen die Verhältnisse teilweise vielleicht
günstiger liegen, Erhebungen darüber sind nicht bekannt; jedenfalls aber
wird man wohl ohne Übertreibung behaupten dürfen, daß von allen im
Deutschen Reiche lebend geborenen Kindern höchstens die Hälfte, und auch
diese nicht länger als ein halbes Jahr, mit der Muttermiloh ernährt werde.
Die einfache Rechnung ergibt somit, daß nach Abzug der gestillten Kinder
jedes Jahr mindestens 1200000 unter einem Jahre alte Kinder auf die Kuh¬
milch als ausschließliche Nahrung angewiesen sind.
Hierzu kommen die noch weit zahlreicheren jugendlichen Kinder, deren
es im Alter von 2 bis 4 Jahren im Deutschen Reiche gegen 4 1 /* Millionen
gibt, die gleichfalls die Milch als ein wesentliches Nahrungsmittel nicht ent¬
behren können, ferner die Kranken und Schwachen und besonders auch die
stillenden Frauen, die zu ihrer rationellen Ernährung und Kräftigung großer
Milchmengen bedürfen.
„Selbst wenn es, was dringend zu wünschen und nach den bisherigen
Erfahrungen auch wohl zu hoffen ist, gelingt, der natürlichen Brusternährung
der Neugeborenen ein immer größeres Feld zurückzuerobern, so bleiben
immer noch sehr große Bevölkerungskreise übrig, deren Gedeihen von dem
Vorhandensein reichlicher und guter Kuhmilch abhängt, deren Gedeihen
aber auch die Voraussetzung für eine kräftige und glückliche Entwickelung
unseres ganzen Volkes ist.
„So wertvoll und unentbehrlich die Milch als Nahrungsmittel ist, so groß
sind aber andererseits die Gefahren, die ihr durch schädliche Beimengungen
und Zersetzungen drohen. Hierüber ist an dieser Stelle schon so oft und
eingehend gesprochen worden, daß ich nur mit einigen Worten, lediglich
um nicht unvollständig zu sein, darauf einzugehen wage. Schon die frisch
dem Kuheuter entmolkene Milch ist in vielen Fällen hochgradig und gefähr¬
lich verunreinigt. Die Giftstoffe aus gewissen, von den Milchtieren gefressenen
Pflanzen, wie Herbstzeitlose, Dotterblumen, Hahnenfuß, Wolfsmilch, können,
Digitized by LaOOQle
Die Milchversorgung der Städte usw.
35
wie viele meinen, in die Milch übergehen; Löffler hält das zwar noch nicht
für bestimmt erwiesen, ebenso meint Ostertag, die Frage der Schädlichkeit
vieler früher verdächtiger Futtermittel müsse noch erst durch experimentelle
Untersuchungen geprüft werden. Man stimmt jedoch darin überein, daß
unzweckmäßiges und verdorbenes Futter die Milch nachteilig verändert, sei
es, daß stark feuchtes Futter, wie Schlempe, Schnitzel, die Milch wässeriger,
gehaltärmer, sei es, daß verdorbenes, gärendes Futter die Tiere krank, ihre Milch
daher weniger bekömmlich macht; auch plötzliche Übergänge in der Fütterungs¬
weise, namentlich von vorwiegender Trocken- zur Grünfütterung, bewirken
Verdauungsstörungen der Kühe und können zur Milchverschlechterung führen.
Auch manche dem Tiere gereichten Arzneistoffe gehen in die Milch über.
Von besonderer Wichtigkeit ist nun aber der sicher erwiesene Übergang
zahlreicher Krankheitserreger vom erkrankten Tiere in seine Milch, nament¬
lich der Erreger der Maul- und Klauenseuche, septischer Erkrankungen, der
Mastitis, der Enteritis, der Tuberkulose. Wie verbreitet diese Krankheiten
unter den Milchtieren sind, brauche ich kaum weiter auszuführen; ungefähr
ein Drittel aller Milchkühe ist z. B. tuberkulös, etwa 3 Proz. hat Eutertuberku¬
lose; die Mischmilch aus fast jedem Stalle enthält lebende Tuberkelbazillen.
Die Bedeutung der Rindertuberkulose für die menschliche Gesundheit aber
darf trotz entgegenstehender gewichtiger Ansichten keinesfalls unterschätzt
oder gar ganz geleugnet werden; Behring geht bekanntlich sogar so weit,
den Tuberkelbazillus in der Milch als die Hauptursache der menschlichen
Tuberkulose anzusehen. Wesentlich gestützt wird diese Annahme durch
Untersuchungen von Ficker, Heubner und Schloßmann: Heubner
fand in seiner Klinik an Tuberkulose erkrankt Kinder unter drei Monaten
0 Proz., von drei bis sechs Monaten 3,6 Proz., im dritten Vierteljahre 11,8 Proz.,
im vierten sogar 26 Proz., dann sinkt die Zahl der an Tuberkulose Erkrankten
ziemlich regelmäßig bis zu 5 Proz. im siebten bis zehnten Lebensjahre.
Und gegenüber der von anderer Seite ausgesprochenen Ansicht, die mit
der Milch genossenen Tuberkelbazillen führten nicht zur Infektion, denn
sonst müßten die Fälle primärer Darmtuberkulose viel häufiger sein, in
Wirklichkeit seien sie aber äußerst selten, kann man wohl auf die Ver¬
suche Fickers und Schloßmanns hinweisen, die zeigen, daß die
Darmwand jugendlicher Individuen Bazillen, und insbesondere auch Tu¬
berkelbazillen, in die Lymphbahn durchtreten läßt, ohne selbst zu erkranken,
und daß die in den Lymphstrom gelangten Bazillen in den verschiedenen
Körperorganen, mit besonderer Vorliebe in den Lungen, ihre verderbliche
Tätigkeit entfalten können. Die Verbreitung der Kugelbakterien, der Strepto-
und Staphylokokken, die von vielen als die Erreger der Euterentzündung
bei Kühen und schwerer Darmentzündungen bei Kindern angesehen werden,
in der Milch ist fast noch größer als die der Tuberkelbazillen. Brüning
fand bei 28 Leipziger Marktroilchproben in 93 Proz. Streptokokken, und
zwar in Mengen von 100 bis 1000000 im Cubikcentimeter, allerdings konnte
er ihre Pathogenität nicht nachweisen. Trommsdorf fand in München in
sogenannten Kindermilchställen die Milch von 25 bis 30 Proz., sogar in
einem Musterstalle mit ausgesuchtem Schweizervieh von 4 Proz. aller Kühe
streptokokkenhaltig; erwies nach, daß mit der Streptokokkenzahl der Gehalt
der Milch an Leukocyten oder Eiterkörperchen parallel gehe, und ist der
3*
Digitized by LaOOQle
86 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg-
Ansicht, daß die Anwesenheit von Streptokokken ein Zeichen bestehender
Euterentzündung sei. Die Untersuchungsergebniese Behrings sind noch
ungünstiger; wie er in einem am 8.Februar d. J. vor dem Deutschen Land¬
wirtschaftsrat gehaltenen Vortrage mitteilte, waren in seinem Versuchs¬
stalle bei einem Bestände von 30 Melkkühen etwa 90 Proz., die trotz ge¬
sunden Aussehens und reinlichster Haltung große Mengen von Strepto- und
Staphylokokken mit der Milch ausschieden; tröstlicherweise ist es Behring,,
wie er angibt, gelungen, diese »Kokkenkühe« so zu behandeln, daß das Euter
vollständig steril wird.
„Sobald die Milch das Kuheuter verlassen hat, drohen ihr Verunreini¬
gungen durch spezifisch menschliche Krankheitserreger, besonders Typhus-,
Scharlach-, Diphtheriekeime, die durch Vermittelung der Menschen, auch
gelegentlich durch verunreinigtes Wasser, das z. B. zum Spülen der Gerät¬
schaften gedient hat, in die Milch gelangen und hier einen ausgezeichneten
Nährboden finden. Wohl jeder beschäftigte Medizinalbeamte wird Gelegen¬
heit gehabt haben, namentlich Fälle der Verbreitung von Typhus durch
infizierte Milch zu beobachten.
„Eine fast ebenso verhängnisvolle Verunreinigung wie durch die Er¬
reger tierischer und menschlicher Krankheiten aber erfährt die Milch durch
das Eindringen von Schmutzteilchen mit den daran haftenden oft massen¬
haften und gefährlichen Kleinlebewesen; bei mangelhafter Haltung und
Pflege der Tiere, bei unzweckmäßigen Stall Verhältnissen und unsauberem
Melken gelangen Teilchen von Kuhkot, Kuhhaare, Heu- und Futterstaub
in die Milch. Wie häufig solche grobe Verunreinigungen sind, zeigt die
von uns in Chemnitz gemachte Erfahrung: obwohl schon seit Jahren jeder
Milchproduzent bei nachgewiesenem Schmutzgehalte der von ihm gelieferten
Milch vom Stadtrate mittels besonderer Zuschrift verwarnt und auf die Mittel
und Wege sauberer Milchgewinnung hingewiesen wird, enthielten im vorigen
Jahre 1905 von den 5326 untersuchten Milchproben 372 Schmutzbestand¬
teile in größeren, weitere 2117 Proben in geringeren, aber noch deutlich wahr¬
nehmbaren Mengen; zusammen mußten 2489 Milchproben, das sind rund
47 Proz. aller untersuchten Proben, als unsauber angesprochen werden.
Und dabei ist zu bedenken, daß durch die übliche Schmutzbestimmung nur
die groben, ungelösten Teile festgestellt werden, während sich die zweifellos
viel beträchtlicheren Mengen der löslichen Stoffe aus Kuhharn und Kuhkot,
sowie massenhaft losgelöste und in der Milch verteilte Bakterien der Schmutz¬
analyse entziehen. Aus diesem Grunde scheint es auch verfehlt, wenn nach
den meisten Milchverordnungen eine gewisse Grenze des Schmutzgehaltes
nicht überschritten werden darf, mit anderen Worten ein diese Grenze nicht
überschreitender Schmutzgehalt erlaubt ist. Das hygienische Interesse er¬
fordert dringend, daß die Milch überhaupt keinen Schmutz enthalten darf;
das jetzt beliebte Abfiltrieren des Schmutzes, wofür fast täglich neue Apparate
empfohlen werden, ebenso auch die Zentrifugenreinigung sind unter den
gegenwärtigen|Verhältnissen zwar nützlich, aber höchst zweifelhafte Not¬
behelfe. Denn wenn diese Apparate in Tätigkeit treten, hat der Schmutz
seine Schuldigkeit bereits getan und die Milch mit massenhaften Zersetzungs¬
keimen infiziert. Es ist merkwürdig, daß das Publikum den Milchschmutz
so leichthin übersieht und erträgt, dasselbe Publikum, das in lebhafte Auf-
Digitized by LaOOQle
Die Milchversorgung der Städte usw.
37
regung gerät, wenn das ihm Vorgesetzte Bier trübe ist oder einen, vielleicht
ganz harmlosen Bodensatz zeigt, oder wenn in Mehl, Hirse und Graupen
ein Mäuslein seine Spuren hinterlassen hat. Nicht anders verhält es sich
mit der Wertschätzung des Geruchs und Geschmacks der Milch; sie zieht
riechende und schmeckende Stoffe begierig aus ihrer Umgebung an, besonders
haftet ihr bei unzweckmäßiger Behandlung der Stallgeruch fest an. Und
das Publikum ist infolge der bisher stets üblich gewesenen Mißhandlung der
Milch mit Stalldunst und Kuhkot so verwöhnt worden, daß es den Geschmack
reiner Milch nicht mehr kennt und, wie Schloßmann vielleicht etwas
übertrieben behauptet, das gewöhnte, seinem Ursprünge nach doch höchst
unappetitliche Aroma verlangt, wenn ihm eine Milch schmecken soll.
„Es wäre viel gewonnen, wenn das Publikum auf die Beschaffenheit
der ihm gelieferten Milch genau achten und den Wert reiner Milch schätzen
lernen wollte. Der erfolgreiche Kampf gegen den Milchschmutz würde
bereits einen tüchtigen Schritt vorwärts bedeuten, denn um den Schmutz zu
vermeiden, muß eine Reihe von Maßregeln beachtet werden, die vom
hygienischen Standpunkte aus höchst wichtig sind.
„Gegenüber den geschilderten, die Milch bedrohenden Gefahren gibt es
nun glücklicherweise wirksame Hilfsmittel, deren wichtigste sind: Die Aus¬
wahl völlig gesunder Milchtiere, ihre sachgemäße gesundheitliche Über¬
wachung, Durchführung einer vernünftigen Stallhygiene, Beobachtung pein¬
lichster Sauberkeit, Schutz der Milch in jedem Stadium vor Berührung mit
kranken oder krankheits- oder ansteckungsverdächtigen Menschen. Durch
diese Mittel gelingt es, wie zahlreiche Beispiele zeigen, nicht nur, eine von
menschlichen und tierischen Krankheitskeimen freie, sondern auch eine völlig
saubere Milch zu gewinnen, sauber auch im bakteriologischen Sinne, indem
der Gehalt an saprophytischen Keimen, der bei unsauberer Gebarung bis auf
Hunderttausende und Millionen im Gubikcentimeter steigt, bis auf wenige
tausend, ja unter hundert herabgesetzt werden kann. Der Gewinn dieser
bakteriologischen Reinheit liegt in der Erzielung einer längeren Haltbarkeit
der Milch und in der Vermeidung der wirtschaftlich und gesundheitlich be¬
denklichen Milchzersetzung auf eine längere Zeit hinaus.
„Die unter Beobachtung peinlichster Sauberkeit auf dem Rittergute
Ohorn bei Dresden gewonnene rohe Milch machte die Reise von Dresden
nach New York und zurück und war bei ihrer Rückkehr in Dresden noch
unverdorben; v. Behrings Rohmilch hielt sich bei einer Aufbewahrungs¬
temperatur von 20 bis 25° fünf bis acht Tage frisch, Willems Rohmilch
sogar bis zu 93 Tagen. Das sind Erfolge, die man früher nicht für möglich
gehalten hätte. Eine solche reine Milch ist ein einwandfreies Nahrungs¬
mittel, auch für Kinder, sie ließe sich, was das Ideal der künstlichen Säug¬
lingsernährung wäre, im rohen, oder, um mit Seiffert zu sprechen, im na¬
tiven, lebendigen Zustande darreichen.
„Eine gänzliche Keimfreiheit der frisch ermolkenen Milch läßt sich
nicht erzielen; in den Zitzenkanälen sind stets Keime enthalten, die auch
mit den ersten auf den Boden gemolkenen Milchstrahlen nicht ganz beseitigt
werden können, und das Kuheuter läßt sich ebensowenig vollkommen sterili¬
sieren wie die Hand des Melkers. Ob die von Backhaus gerühmte Melk¬
maschine hierin wesentlichen Wandel schaffen wird, dürfte noch abzuwarten
Digitized by
Google
88 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
sein. Die der Milch, namentlich bei unsauberer Handhabung, oft in un¬
glaublichen Massen beigemengten saprophytischen Keime gehören nach den
Flügge sehen Untersuchungen hauptsächlich drei Gruppen an: erstens der
Gruppe der Milchsäureerreger, die den Milchzucker zersetzen, Milchsäure
daraus bilden und dadurch eine Gerinnung des Caseins verursachen; zweitens
handelt es sich um Erreger der Buttersäuregärung, wodurch die Milch einen
widerlichen, ranzigen Geschmack und Geruch annimmt; zur dritten Gruppe
gehören die Heu- und Kartoffelbazillen, die eine tiefgehende, fäulnisartige
Zersetzung des Milcheiweißes herbeizuführen vermögen. Während die an
sich harmlosen Milchsäurebazillen, da eine gesäuerte und geronnene Milch
als Frischmilch unverkäuflich ist, nur wirtschaftlich schaden, auch durch
einfache Mittel leicht beseitigt werden können, sind die Buttersäurebazillen
schon bedeutend widerstandsfähiger, allerdings nach Flügges Ansicht an¬
scheinend nicht gesundheitsschädlich; dagegen besitzen die Keime der
dritten Gruppe neben äußerst großer Widerstandsfähigkeit, halten sie doch
ein sechs- bis siebenstündiges Kochen aus, ohne daß ihre Sporen dadurch
vernichtet werden, eine ausgesprochene Gesundheitsgefährlichkeit. Nament¬
lich in gekochter Milch, deren Säureerreger durch das Kochen abgetötet
sind, entwickeln sie sich bei unzweckmäßiger Aufbewahrung in höheren
Temperaturen über 20° C und wirken nicht nur durch sich selbst giftig,
sondern erzeugen auch durch Zersetzung des Milcheiweißes giftige Stoffe.
„In ähnlicher Weise unterscheidet v. Behring die an sich harmlose
saure Gärung der Milch, die außer der Zersetzung des Milchzuckers,
Bildung von Milchsäure und Gerinnung des Caseins keine erhebliche Schädi¬
gung verursacht, von der gefährlichen alkalischen Gärung oder Fäulnis,
die besonders bei erhitzt gewesener, in geschlossenen Gefäßen aufbewahrter
Milch auftrete, die natürlichen Schutzstoffe der Milch, ihre Fermente, ihre
Salze, besonders Eisen- und Kalkverhindungen, und das Eiweiß zerstöre.
„Bis vor noch nicht langer Zeit glaubte man, allen Schädigungen, die
die Milch betreffen, dadurch begegnen zu können, daß man die Milch sterili¬
sierte. Die Unmöglichkeit eines solchen Verfahrens stellte sich aber, wie
sich aus meinen bisherigen Ausführungen von selbst ergibt, sehr bald
heraus. Eine wirkliche Sterilisierung, Abtötung aller Keime, war nur mit
so hohen und so lange andauernden Hitzegraden zu erreichen, die gleich¬
zeitig die Milch zerstörten und mindestens als Kindernahrung untauglich
machten. Auch kürzeres Kochen vernichtet wichtige Eigenschaften der
Milch, ohne sie vor weiterer Zersetzung durch die am Lehen bleibenden
Keimsporen zu schützen. Ebensowenig vermag dies selbstverständlich das
Pasteurisieren, d. h. die Anwendung niedrigerer Hitzegrade bis etwa 70°C,
wobei zwar die Lebenseigenschaften der Milch, ihre Eiweiß- und Mineral-
stoffe, sowie ihre Fermente im wesentlichen erhalten bleiben. Eine durch
reichliche Bakterienentwickelung bereits eingetretene Zersetzung der Milch
kann keine Sterilisierung und Pasteurisierung wieder rückgängig machen.
Und v. Behring spricht das Wort aus, solche Milch sei zwar ein ausge¬
zeichnetes Medium für Bakterien, für pflanzliche Organismen, nicht aber zur
Erhaltung des tierischen Organismus geeignet, sie gehöre auf den Mist und
den Acker, aber nicht in den Magen des Menschen, am allerwenigsten in
den Magen des menschlichen Säuglings. Leider sei die gewöhnliche Ver-
Digitized by LaOOQle
Die Milchversorgung der Städte usw.
39
kaufsmilch schon in der Zersetzung weit fortgeschritten; wenn er eine Milch,
wie sie den Säuglingen in den Großstädten gegeben zu werden pflege, zur
Ernährung von Kälbern benutzt habe, so sei das das sicherste Mittel ge¬
wesen, um die Mehrzahl der Kälber an erschöpfenden Diarrhöen sterben zu
lassen oder einen Zustand zu erzeugen, welchen wir bei der hohen Säug¬
lingssterblichkeit in den Sommermonaten zu beklagen haben.
„Eine besonders große Gefahr droht nun der Milch, selbst einer ein¬
wandfrei und sauber gelieferten Probe, in den Händen vieler Milchhändler
und namentlich im Hause des Konsumenten. In unsauberen Gefäßen mit
alten, geradezu wie Sauerteig wirkenden Milchresten gehalten, in schmutziger
Umgebung, den Insekten zugänglich, in der warmen Küche oder Stube auf¬
gehoben, verdirbt auch die reinste Milch sehr bald und verschlechtert sich
eine bereits in Zersetzung begriffene Milch rapide. Man braucht nicht viele
Wohnungen zu besichtigen, um eine Milchmißhandlung in verschiedenen
Spielarten kennen zu lernen. Der Dresdener Stadtbezirksarzt konnte bei
einer planmäßigen Erhebung in den Familien der an Brechdurchfall ver¬
storbenen Säuglinge durchweg die gröbsten Fehler in der Milchbehandlung
feststellen und schiebt hierauf wohl mit Recht die Ursache der tödlichen
Verdauungsstörungen.
„Wenn ich zusammenfasse, so müssen wir von der als Nahrungsmittel
und insbesondere für die künstliche Säuglingsernährung dienenden Milch
verlangen, daß sie von gesunden, vernünftig ernährten Kühen stammt, keine
schädlichen Keime enthält, daß sie sauber gewonnen und bis zum Augen¬
blicke des Genusses so aufbewahrt und behandelt wird, daß sie frei bleibt
von gesundheitsgefährlichen Beimengungen und Zersetzungen.
„Die Gewinnung einer von vornherein gänzlich keimfreien Milch wird,
wie schon erwähnt, schwerlich erreichbar sein; es ist daher erforderlich, die
Entwickelung der unvermeidbaren saprophytischen Keime hintanzuhalten.
Das bewährte und in jeder Hinsicht einwandfreie Mittel dazu ist die Kühlung.
Bei Temperaturen über 10 bis 12°C vermehren sich die Keime sehr langsam
und wird die beginnende Zersetzung der Milch, kenntlich an der Säure¬
zunahme, bedeutend hinausgeschoben. Nach Park zeigte eine Milch, welche
frisch gewonnen im Cubikcentiineter 5000 Keime enthielt, nach 24 Stunden
bei 5,6*0 gehalten 2400 Keime, bei 10° C 7000, bei 18° C 280 000, bei
35° C 12 x / 2 Milliarden Keime. Und während nach Versuchen von Plant
in einer frischen Milch, die bei 37° C gehalten wurde, schon nach 5 Stunden
die Zersetzung nachweisbar war, begann sie bei 20° erst nach 12 Stunden,
bei 15° nach 20 Stunden, bei 10° erst nach 48 bis 72 Stunden. Die An¬
wendung der Kälte bei Aufbewahrung der Milch ist daher eine unumgäng¬
liche Forderung: rasche Abkühlung nach dem Melken, Kühlhaltung im
Gehöft, auf dem Transport, im Milchladen, im Haushalt.
„Nach einem von Seiffert ausgedachten interessanten Verfahren
gelingt es, eine Milch auch durch Bestrahlung mit ultravioletten Strahlen
zu entkeimen, ohne ihre nativen Eigenscnaften zu zerstören.
„Wie liegen die Dinge nun heute? Sind die als notwendig erkannten
Forderungen erfüllt, sind sie erfüllbar? Leider bestehen gerade in der
städtischen Milchversorgung, wie die allseitigen Beobachtungen und Unter¬
suchungen beweisen, die ärgsten Mißstände. Wie Dun bar vor drei Jahren
Digitized by LaOOQle
40 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
auf der Dresdener Versammlung so treffend ausführte, haben gerade die¬
jenigen Milohproduzenten, die ihre Milch nach den Städten liefern, in
hygienischer Verbesserung ihrer Einrichtungen nichts geleistet, weil sie ja
ohnedies ihr Produkt jederzeit zu hohen Preisen an die Städter verkaufen
können, die es, ohne weiter zu prüfen, kritiklos hinnehmen. Und die
städtische Milchkontrolle erfüllte bisher hauptsächlich nur den einen Zweck,
das Publikum davor zu schützen, daß es nicht eine durch Wässerung oder
zu geringen Fettgehalt im Verhältnis zum aufgewandten Preise zu minder¬
wertige Milch erhielt; vor der Lieferung einer zersetzten und giftigen Milch
aber schützte sie nicht. Es will viel sagen, wenn Professor Dammann im
Anfänge dieses Jahres vor dem deutschen Landwirtschaftsrat ausrufen
konnte: »Solange die Dinge so liegen wie heute, wo jeder aus dem
schlechtesten und schmutzigsten Stalle bei dem Mangel an jeder gebühr¬
lichen Pflege der Kühe, bei der Verwendung von allerlei Futtermitteln, die
die Milch nachteilig beeinflussen, Milch in den Verkehr bringen darf, wo
gemolken wird mit unsauberen, mit eiterigen Stellen besetzten Händen, aus
einem unsauberen Euter, solange selbst dafür noch nicht gesorgt ist, daß
bei dem Auftreten epidemischer Krankheiten der Besitzer die Abgabe einer
in den Krankenräumen aufbewahrten Milch einzustellen hat — solange
kann unmöglich eine Besserung der Zustände eintreten. Die Kalamität ist
so mörderisch, die Not so groß, daß sie laut nach Abhilfe schreit.«
„In vielen Städten bestehen nun allerdings sogenannte Kindermilch¬
ställe, die sich die Aufgabe gestellt haben, unter Beachtung aller hygienischen
Vorschriften eine tadellose Milch zu produzieren. Diese Anstalten arbeiten
indes so teuer, daß ihr Produkt wegen seines hohen Preises nur ein Luxus¬
artikel für die bemitteltere Bevölkerung ist. Auch wo bisher von privaten
Wohltätigkeitsvereinen mit oder ohne städtische Unterstützung die Kinder¬
milch ärmeren Bevölkerungskreisen zugänglich zu machen gesucht worden
ist, gereichte diese Guttat infolge der hohen Kosten, infolge der beklagens¬
werten Indolenz und Unkenntnis des Publikums oder aus anderen Gründen
nur so verhältnismäßig wenigen zum Vorteil, daß ein Nutzen für die All¬
gemeinheit, so sehr für den einzelnen Fall die wohltätige Wirkung anzu¬
erkennen ist, kaum bemerkt werden kann. Was will es z. B. für die All¬
gemeinheit sagen, wenn nach Auerbachs Mitteilung im Jahre 1900 ein
Kinderschutzverein in Berlin 50 Kinder mit Milch unterstützte, oder wenn
in Halle bei einem städtischerseits angesteilten Versuche im Jahre 1902 bei
einer jährlichen Geburtszahl von über 5500 Kindern an 149 bedürftige
Kinder Milchmarken verabreicht wurden; was will selbst die schon größer
angelegte Tätigkeit der Patriotischen Gesellschaft in Hamburg sagen, die
im vorigen Jahre durchschnittlich täglich 330 Kinder mit Milch versorgte
bei etwa 20 000 Geburten im Jahre, was auch unser in Chemnitz gemachter
Versuch, wo wir aus den Mitteln des Vereins für Gesundheitspflege während
des Jahres 1905 an 493 Kinder pasteurisierte Flaschenmilch verabreichten.
Wenn auch in allen diesen Fällen nach den vorliegenden Berichten die
Erfolge für die versorgten Kinder recht günstig sind, hatten wir doch in
Chemnitz bei ihnen nur 8,61 Proz. Todesfälle gegen die bekannte hohe
Jahressterblichkeit der Säuglinge von etwa 30 Proz. zu beklagen, so ist ein
erheblicher Nutzen für die Allgemeinheit doch nicht zu erweisen und
Digitized by LaOOQle
Die Milchversorgung der Städte usw. 41
höchstens indirekt infolge der Belehrung und zunehmenden Wertschätzung
guter Milch in weiteren Volkskreisen anzuerkennen. Auch aus Halle ist
eine ähnliche resignierte Auffassung bekannt geworden. Trotzdem aber
halte ich gegenwärtig den beschrittenen Weg für zweckmäßig, schon um
durch Mustereinrichtungen den Milchproduzenten ein Beispiel zu geben und
beim breiten Publikum immer wieder anregend und belehrend zu wirken.
Auch ein weiterer Ausbau solcher Kindermilchversorgung ist wünschens¬
wert, wenn man sich auch ihre sehr hohen Kosten nicht verhehlen darf.
Nach einer Berechnung Schloßmanns würden sich die für eine allgemein
darchgeführte Kindermilchversorgung alljährlich* aufzubringenden Un¬
kosten auf 1 M. pro Kopf der Bevölkerung stellen, also auf einen jähr¬
lichen Zuschuß von 100000 M. für eine Stadt von 100000 Einwohnern,
wobei noch vorausgesetzt wird, daß ein Drittel aller Kinder an der Mutter¬
brust genährt, daß für 10 Proz. der künstlich genährten Kinder täglich
je 50 Pf., für 40 Proz. täglich je 30 Pf. und für 50 Proz. täglich im Durch¬
schnitt je 10 Pf. von* den Angehörigen für die Milch gezahlt werden. Es
sind also ganz bedeutende Summen, um die es sich hier handelt. Aus
Mangel an so beträchtlichen Mitteln sind wir in Chemnitz allerdings not¬
gedrungen sparsamer vorgegangen; für die bis Ende 1905 versorgten Kinder
hat der dortige Verein für Gesundheitspflege im ganzen einschließlich Druck¬
kosten nur etwa 1500 M. ansgegeben. Das war aber nur dadurch möglich,
daß gar keine Regiekosten aufliefen, und daß die große Chemnitzer Genossen¬
schaftsmolkerei sich dankenswerterweise zur Verfügung gestellt hatte. Aus
einer großen Anzahl von Ställen wurden von mir nach und nach etwa 10
mit einer Tageslieferung von je etwa 60 bis 400 Litern ausgewählt, deren
hygienische Verhältnisse befriedigend waren oder hergestellt wurden;
sämtliche Kühe wurden tierärztlich untersucht und der Tuberkulinprobe
unterworfen, alle kranken und reagierenden beseitigt; Vorschriften für
Bauberes Melken und saubere Handhabung mit der Milch wurden erteilt;
die Milch wurde durch Wattefilter gereinigt, mittels Rieselungsapparate
gekühlt, in der Molkerei auf V 4’ v«. V. und 1 Liter-Flaschen gefüllt, darin
eine Stunde bei 65° C pasteurisiert, unmittelbar darauf auf etwa 6° ab¬
gekühlt und dann an die Kundschaft abgeliefert. Der Preis belief sich auf
24 Pfg. für 1 Liter. Der Chemnitzer Versuch zeigt zweifellos manche
schwerwiegende Unvollkommenheit: Die Kontrolle der Produzenten wäre
auBZubauen, die Kühlung im Gehöfte wäre mit Eis statt wie bisher mit
Brunnenwasser auszuführen, es wäre namentlich zu empfehlen, anstatt der
gesamten Menge Vollmilch die Säuglingsmilch in trinkfertigen Einzel-
portionsfläschchen zu liefern, obwohl auch bei der geübten Lieferungsweise
zweifellos der eine große Vorteil erreicht war, daß ein Umgießen der Milch
in andere, oft unsaubere Gefäße vermieden wurde. Die Milch hat sich zu
meiner Freude und Genugtuung einer andauernden Beliebtheit beim Publikum
zu erfreuen; selbst in den Wintermonaten, als Milchunterstützungen nicht
mehr gegeben wurden, setzte die Molkerei, ohne daß irgendwelche Reklame
gemacht worden wäre, täglich gegen 1200 Liter in den verschiedenen
Flaschengrößen ab, und zwar erfreulicherweise meist an die weniger be¬
mittelten Bevölkerungskreise. Es ist ohne weiteres anzuerkennen, daß das
in Köln, Hamburg, Berg.-Gladbach eingeführte Verfahren zweckmäßiger und
Digitized by LaOOQle
42 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
nachahmenswert ist — aber die eine und zwar wertvolle Erfahrung glaube
ich in Chemnitz gemacht zu haben, daß wenigstens viele Milchproduzenten
gegen eine nur äußerst geringe Erhöhung des Preises zur Erfüllung der
hygienischen Vorschriften geneigt sind; auch in Hamburg wird den Milch¬
küchen eine einwandfreie Milch zu 16 Pf. pro Liter franko angeliefert.
Diese auch anderwärts gemachten Erfahrungen lassen erhoffen, daß es mit
der Zeit möglich sein wird, überhaupt alle zum Genüsse bestimmte Milch
in einwandfreier Beschaffenheit in den Verkehr zu bringen. Die Milch¬
versorgung erinnert in ihrem jetzigen Stadium lebhaft an die Geschichte
der Wasserversorgung mancher Städte. Ebenso wie man darüber hinaus
ist, sich mit einem Trinkwasser zu begnügen, das vor dem Genüsse ab¬
gekocht werden muß, oder wie man es für unrichtig und bedenklich hält,
zweierlei Wasser zu verzapfen, ein gutes zu Genuß-, ein minderwertiges zu
sonstigen häuslichen Zwecken, ebenso und noch mit viel mehr Recht, so
verlangt auch v. Behring, muß man die allgemeine Lieferung einwandfreier,
auch in rohem Zustande ungefährlicher Milch für erstrebenswert halten.
Wissenschaft und Technik geben die Hilfsmittel an die Hand: Die Tuber¬
kulosetilgung nach dem Ostertagschen Verfahren und nach dem v. Behring-
schen Bovovaccinverfahren verspricht die schönsten Erfolge. Kühlmaschinen
werden z. B. vom Alexanderwerk in Berlin und von Gebrüder Bayer in
Augsburg zu sehr billigen Preisen geliefert, so daß sie jeder Gutsbesitzer
oder doch Genossenschaften sich leisten können, Sauberkeit kostet nicht
mehr als Unsauberkeit. Und alle diese hygienischen Maßnahmen legen den
Produzenten nicht etwa bloß Opfer und Pflichten auf, sie machen sich un¬
mittelbar und nachweislich bezahlt durch die Erhöhung der Gesundheit und
Ergiebigkeit des Viehes; ist es doch bekannt, daß z. B. durch Verbesserung
der Stallhygiene, der Sauberkeit und Ventilation im Stalle ansteckende
Krankheiten unter den Tieren zum Verschwinden gebracht werden und die
Milchmenge pro Kuh und Jahr um 400 bis 500 Liter erhöht werden kann.
„Mit vielen anderen, namentlich auch mit Dun bar, auf dessen aus¬
führliche Begründung verwiesen werden kann, bin ich der Ansicht, daß mit
demselben Rechte wie für die Fleischbeschau auch für den Milchverkehr
vom Reiche oder wenigstens auf Veranlassung des Reiches von den Einzel¬
staaten auf dem Wege der Gesetzgebung oder der Verordnung Bestimmungen
erlassen werden; ihre Notwendigkeit ist mindestens so groß und ihr Nutzen
zweifellos viel größer als der den Fleischverkehr regelnden Bestimmungen.
Der Verband der Milchhändlervereine Deutschlands fordert schon seit Jahren
ein Reichsgesetz, und der im Oktober 1905 in Paris abgehaltene Milchwirt¬
schaftstag stellte dieselbe Forderung auf und schlägt den Erlaß eines dem
französischen ähnlichen Milchgesetzes vor, das namentlich die Tuberkulose¬
tilgung, die Überwachung der Milchgewinnung und des Milchhandels zu
regeln hat. Die Festsetzung eines Mindestfettgehaltes gibt nur zu erbitterten
Kämpfen Anlaß, ist auch bei der Verschiedenheit der Verhältnisse und der
Kuhrassen unzweckmäßig, müßte daher der Ortsgesetzgebung überlassen
bleiben.
„Insbesondere aber werden die ortsgesetzlichen Milch Verordnungen
ihren Zweck, der Bevölkerung den Bezug einwandfreier Milch zu gewähr¬
leisten, zweifellos besser erfüllen, wenn zu der bisher fast allein üblichen Kon-
Digitized by LaOOQle
43
Die Milchversorgung der Städte usw.
trolle auf Fettgehalt und spezifisches Gewicht, die als Wertkontrolle allerdings
keinesfalls entbehrt werden kann, noch die gesundheitliche Kontrolle hinzu¬
tritt, die durch Prüfung der Temperatur, des Säure- und Bakteriengehaltes
eine frische, unverdorbene Beschaffenheit der Milch festzustellen hat.
Biedert, der übrigens das Ideal einer Milchlieferung nur von Gro߬
produktion und Großhandel erwartet, die allein alle Maßregeln zur Veraus¬
gabung einer guten Milch treffen könnten, empfiehlt die gesundheitliche
Kontrolle zunächst für diejenigen Produzenten, die sich ihr freiwillig unter¬
werfen und damit da9 Recht erwerben, ihre Milch mit einer Vorzugs¬
benennung, z. B. Marktmilch erster Klasse, zu bezeichnen; er hofft, daß
dadurch das Publikum die gute Milch immer mehr schätzen lernen und die
Zahl der freiwillig kontrollierten Produzenten allmählich notgedrungen zu¬
nehmen werde. Einen bedeutenden Fortschritt würde es bedeuten, wenn,
wie es in Kopenhagen geschieht, außer der Prüfung der Milch die Ställe
sowohl wie auch die Milchhändler einer geordneten sachverständigen Kon¬
trolle unterstellt würden, die teils von Ärzten, teils von Tierärzten und mit
der Milchproduktion völlig vertrauten Personen auszuführen wäre. Außer
den mit der Entnahme und chemischen Untersuchung von Milchproben an-
gestellten Polizeibeamten und Chemikern müßten daher weitere entsprechend
ausgebildete Personen, wie Ärzte, Tierärzte und Milchinspektoren, von den
Städten zur Beaufsichtigung der Milchgewinnung und des Milchhandels an-
gestellt werden, denen jedoch das Recht zur jederzeitigen Besichtigung der
Produktions- und Verkaufsstellen zustehen muß.
„Da bei der großen Anzahl von Kuhställen und Milchläden, wie sie
gegenwärtig vorhanden sind, eine genügend häufig durchgeführte örtliche
Kontrolle mit einigen Schwierigkeiten verknüpft ist, wurde die Einrichtung
sogenannter städtischer Milchhöfe angeregt, so von Prölss und auch in der
Rostocker Versammlung des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheits¬
pflege von Fränkel. Diese Milchhöfe sollen, ähnlich wie bei dem Fleisch¬
verkehr die Zentralschlachthöfe, die Zentralstelle für den gesamten Milch¬
verkehr bilden; hier soll alle für den städtischen Bedarf bestimmte Milch,
ehe sie in Verkehr kommt, zusammenfließen, untersucht, gereinigt, gekühlt,
in einwandfreie Trausportgefäße, am besten weiße Flaschen, gefüllt und
mittels entsprechend eingerichteter, mit Kühlvorrichtung versehener Wagen
an die Kundschaft oder in die Verkaufsstellen verteilt werden. Die Milch¬
höfe wären ähnlich wie eine Molkerei mit allen Hilfsmaschinen und Ein¬
richtungen herzustellen; sie könnten ebenso, wie wir dies bei den Schlacht¬
höfen kennen, in städtischer Verwaltung oder im Besitze von Produktions¬
oder Handelsgenossenschaften sein, im letzteren Falle aber unter behörd¬
licher Aufsicht.
„Eine besondere Beachtung verdienen die Klein Verkaufsstellen für
Milch. Die jetzt herrschenden Zustände sind unhaltbar, sei es nun, daß die
Milch im Straßenstaube, den Unbilden der Witterung, besonders der Hitze
ausgesetzt, in offenen, fragwürdigen Geschirren und Kannen von oft nichts
weniger als durch Sauberkeit ausgezeichneten Personen umhergeschleppt,
umgeg 08 sen, ausgemessen, sei es, daß sie in unsauberen, oft gemeinsam mit
riechenden oder, was noch gefährlicher ist, staubenden, schmutzigen Gegen¬
ständen ohne alle Vorsichtsmaßregeln zum Verkaufe gestellt wird. Die
Digitized by LaOOQle
44 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
Unzulässigkeit eines derartigen Vertriebes dürfte sofort klar werden, wenn
man sich vorstellt, der Handtol mit Bier sollte sich so vollziehen, wie es für
die Milch jetzt vielfach üblich ist. Wer würde es wohl wagen, im Sonnen¬
brand und Staub der Straße Bier in offenen Kannen umherzufahren oder
in allen möglichen Geschäften in offenen Gefäßen aufzustellen, unzählige
Male umzugießen, mit Schöpfgefäßen hineinzufahren! Freilich würde sich
das Bier für eine solche Mißhandlung empfindlich rächen und unverkäuflich
werden, die Milch aber behält trotz aller Sünden, die an ihr begangen
werden, ihr weißes Unschuldskleid und läßt ihre Verderbnis nicht so augen¬
scheinlich erkennen. Und wenn auch nach ihrem Genüsse schwere und
tödliche Erkrankungen auftreten, dann sind es die bösen „Krämpfe“ oder
die Zähne, die an der Erkrankung schuld sein sollen. Der Straßenhandel
mit Milch dürfte nur mittels entsprechend eingerichteter, im Sommer ge¬
kühlter Wagen aus verschlossenen Zapfkannen oder in verschlossenen
Flaschen statthaft sein, während die Milchläden ebenso wie Schankwirt¬
schaften einer Genehmigung unterworfen werden müßten, die nur beim Vor¬
handensein genügender Beschaffenheit und Einrichtung zu erteilen wäre.
„Als unbedingt notwendige Ergänzung jeder Milch Versorgung ist die
Beschaffung städtischer oder städtisch beaufsichtigter Säuglingsmilchküohen
zu bezeichnen. Bei dem mangelnden Verständnis, man darf sagen der
meisten Mütter für die richtige künstliche Säuglingsernährung und den
unzureichenden Hilfsmitteln, die den breiteren Bevölkerungsschichten zu
Gebote stehen, haben die Säuglingsmilchküchen die bedeutungsvolle Auf¬
gabe, die Säuglingsnahrung in richtigen Mischungen trinkfertig herzuatellen
und der Bevölkerung darzubieten. Sie können zentralen Molkereien oder
den obenerwähnten Milchhöfen angegliedert oder als selbständige Anstalten
geschaffen werden, sind aber stets mit sogenannten Beratungsstellen zu ver¬
knüpfen, wo die Milch je nach Bedarf zu ermäßigten Preisen verabfolgt, der
Gesundheitszustand der Kinder ärztlich kontrolliert wird und eine ständige
Beratung der Mütter stattfindet. Solche Milchküchen und Beratungsstellen
haben überall dort, wo sie bestehen, sich als segensreich und unentbehrlich
erwiesen; sie sind auch die gegebenen Stellen, wo durch eindringliche Be¬
lehrung und Gewährung von Prämien auf das Selbststillen der Mütter, als
die beste Säuglingsversorgung, die es gibt, mit gutem Erfolge hingewirkt
werden kann. Es ist hoch anzuerkennen und wird zweifellos von augen¬
scheinlichem Nutzen sein, daß manche Städte, wie Charlottenburg und
Leipzig, große Summen, die beiden genannten Städte jährlich 15000 M., als
Prämien für selbststillende Frauen der bedürftigen Volkskreise ausgeworfen
haben.
„Sorgen neben den erfreulicherweise immer mehr an Boden gewinnenden
Bestrebungen zur weiteren Ausbreitung des Selbststillens die Säuglings-
milchküchen für die Darbietung einer möglichst einwandfreien Kindermilch,
so kann der allgemeine Genuß von Milch durch verschiedene Maßregeln
gehoben werden; ioh verweise auf die in Schweden eingeführten Milch¬
automaten, besonders aber auf die in Westdeutschland in zahlreichen Städten
— auch in Augsburg — eingerichteten Milchhäuschen, die sich nach den
bisherigen Erfahrungen aufs beste bewährt haben. Derartige Anlagen
bringen für das allgemeine Volks wohl den großen Nutzen, daß sie die Wert-
Digitized by LaOOQle
Die Milchversorgung der Städte usw.
45
Schätzung der Milch als eines billigen und gesunden Nahrungsmittels ausbreiten
und ihrerseits an der Bekämpfung des verheerenden Alkoholismus mitwirken.
Auch die industriellen Anlagen könnten mit großem Vorteil tätig sein,
indem sie in ihren Kantinen Milch, je nach der Jahreszeit heiße oder ge¬
kühlte, ihrer Arbeiterschaft zur Verfügung stellten. Auf der Galbergerhütte
hat ein solcher Versuch sich durchaus bewährt; zuerst fand er allerdings
wenig Anklang; die Arbeiter genierten sich, »der Milchgenuß sei nicht für
Erwachsene, sondern für Kinder«, bald aber war eine zunehmende Beliebt¬
heit zu bemerken. Im Mai d. Js. wurden täglich gegen 300 Liter Milch bei
einer Belegschaft von 3000 Arbeitern verkauft; der so verderbliche Brannt¬
weingenuß am frühen Morgen soll fast ganz aufgehört haben und der Ver¬
kauf geistiger Getränke in der Kantine stark zurückgegangen sein.
„Eine wie große Wohltat zahlreichen Schulkindern durch Gewährung
eines warmen Milchfrühstückes erwiesen werden kann, ist schon in vielen
Städten erprobt worden.
„Meine Damen und Herren! Die Bedeutung der Milch für die Volks¬
ernährung und Volksgesundheit ist schon gegenwärtig sehr groß; sie steigt
von Jahr zu Jahr mit der zunehmenden Erkenntnis ihrer Vorzüge und mit
ihrer Wertschätzung. Das heute Wichtigste aber ist ist eine durchgreifende
Reform der Milchproduktion und des Milchhandels. M
Es lauten die von dem Korreferenten Beigeordneten Bruggor
(Köln) aufgestellten
Leitsätze:
1. Angesichts der Tatsache, daß der Wert der jährlich im Deutschen Reiche
erzeugten Milch rund 1700 Millionen Mark beträgt, und daß ein ganz erheb¬
licher Teil der Milch dem unmittelbaren Genuß durch die Bevölkerung dient,
besteht allgemein ein starkes Interesse an der gesundheitlich einwand¬
freien Beschaffenheit dieses Nahrungsmittels.
2. Die Forderungen, welche für die Gewinnung einer reinen, gesunden und
guten Milch gestellt werden (ständige tierärztliche Überwachung der Milch¬
kühe, Ausscheidung kranker Tiere, einwandfreie Fütterung der Tiere,
gute Beschaffenheit der Ställe und der Melkeinrichtungen, peinliche Sauber¬
keit des Melkpersonals, sofortige Tiefkühlung und zweckentsprechender
Transport der Milch) sind mit solchen Kosten verknüpft, daß sie. eine
Erhöhung des Milchpreises zur Folge haben müssen.
3. Aus diesem Grunde ist der Erlaß eines Reichsgesetzes, durch welches jene
Forderungen festgelegt werden, zurzeit nicht zu empfehlen. Es ist viel¬
mehr der Boden für eine spätere gesetzliche Regelung ganz allgemein
durch VerwaltungsVorschriften für größere Bezirke (Provinzen, Regierungs¬
bezirke) vorzubereiten, die sich den örtlichen Bedürfnissen und vor allem
den Fortschritten von Wissenschaft und Technik leichter anpassen lassen.
OrtBgesetzliche Ergänzungen, besonders für den Milchhandel, sind außerdem
notwendig. Vor allem aber ist es notwendig, erzieherisch einzuwirken und
sowohl in den Kreisen der Produzenten, als auch besonders in denen der
Konsumenten das Verständnis für den Wert einer gesunden, reinlich
gewonnenen und bis zum Verbrauche gut erhaltenen Milch zu wecken und
rege zu halten.
4. Eine ganz wesentliche Förderung der auf die Verbesserung der Milch
gerichteten Bestrebungen ist zu erhoffen, wenn die Staats-, Gemeinde- und
andere Behörden dazu übergehen, den Milchbedarf für die ihnen unter¬
stellten Anstalten nicht schlechthin an den Mindestfordernden zu vergeben,
sondern unter Gewährung eines angemessenen Preises an vertrauenswerte
Digitized by Google
46 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
Personen, die vertraglich die Beobachtung der für die Gewinnung einer
reinen und gesunden Milch auf gestellten Grundsätze sichern.
5. Da die Anfuhr der Milch nach den Städten zum großen Teil mit der
Eisenbahn erfolgt, muß gefordert werden, daß während der warmen Jahres¬
zeit sowohl auf den Stationen wie in den Güterwagen Gelegenheit zur
kühlen, sauberen Aufbewahrung der Milch gegeben wird.
6. Der Vorschlag, in den Städten kommunale oder unter kommunaler Aufsicht
stehende Milchhöfe einzurichten, in denen die Milch gegen Zahlung geringer
Gebühren gereinigt, gekühlt und gut aufbewahrt werden kann, verdient
ernste Beachtung.
7. Die Gemeinden sind verpflichtet, für die unbemittelte Bevölkerung Milch¬
küchen zur trinkfertigen Herstellung von Säuglingsmilch einzurichten.
Eine unerläßliche Ergänzung dieser Milchküchen sind ärztlich geleitete
Mütterberatungsstellen, welche in erster Linie für die natürliche Brust¬
ernährung zu wirken und die Abgabe der Säuglingsmilch zu überwachen
haben.
Korreferent, Beigeordneter Brugger (Köln):
„Das deutsche Volk hat im Laufe der letzten Jahrzehnte unter dem
Einflüsse einer ungeahnten industriellen Entwickelung und einer beispiel¬
losen Ausdehnung des Handels im starken Maße realen Interessen sich
zugewendet und daran gewöhnt, die Dinge nach ihrem wirtschaftlichen
Werte zu messen. Mit Eifer lesen nicht nur die Begüterten, sondern auch
die Besitzlosen in der Tagespresse von den gewaltigen Umsätzen des Handels,
die Ziffern über die Erzeugung an Kohlen, Stahl, Eisen, Getreide und schätzen
hiernach die Bedeutung der einzelnen Zweige unseres Erwerbslebens. Kein
Wunder, daß ein so wichtiges Nahrungsmittel wie die Milch die Rolle eines
Aschenbrödels spielt, daß ihr selbst unter den Gebildeten eine unverdiente
Geringschätzung entgegengebracht wird, denn kaum jemand weiß davon,
daß der Wert unserer jährlichen Milcherzeugung in Deutschland gering
gerechnet 1700 Millionen Mark beträgt und damit dem Werte des gesamten
Körnerbaues und dem unserer so hochangesehenen chemischen Industrie
gleichkommt. Die Zahl ist unschwer festzustellen. Nach der amtlichen
Viehzählung von 1900 gibt es in Deutschland zehn Millionen Milchkühe.
Bringt man die jährliche Milchleistung einer Kuh mit 2100 Liter in Ansatz
und berechnet man den Wert eines Liters Milch am Ursprungsorte mit nur
8 Pf., so ergibt das die mitgeteilte Summe. Es scheint mir vom größten
Werte, diese Tatsache in unserer volkswirtschaftlich so lebhaft interessierten
Zeit stark zu betonen. Von der täglich ermolkenen Milch wird etwa ein
Viertel getrunken und für Koch- und Backzwecke verwendet; ein beträcht¬
licher Teil hiervon dient zur Ernährung der Säuglinge, die in immer größerer
Zahl der Mutterbrust entbehren. Diese Tatsache schon sichert der Milch
da9 starke Interesse aller derjenigen, die es nicht länger mehr mit ansehen
wollen, daß Jahr um Jahr von den in Deutschland geborenen zwei Millionen
Kindern beinahe ein Zehntel an Ernährungsstörungen zugrunde geht. Die
allgemeine volkswirtschaftliche Bedeutung dieses Nahrungsmittels muß aber
gerade in den Tagen ständiger Fleischverteuerung in die Augen springen,
wenn man erwägt, daß dasselbe die zum Aufbau und zur Erhaltung des
menschlichen Körpers nötigen Stoffe, Eiweiß, Fett und Kohlenhydrate, in
besonders glücklicher Mischung enthält und infolge seines geringen Preises
auch für die wenig bemittelte Bevölkerung erschwinglich ist. Ein Volks-
Digitized by LaOOQle
Die Milchversorgung der Städte usw.
47
nahrungsmittel wird die Milch aber erst dann werden, wenn sie ganz all¬
gemein die ihr heute noch vielfach fehlende Eigenschaft besitzen wird,
wohlschmeckend und bekömmlich zu sein. Wir schätzen bei allen Speisen
nicht lediglich ihren Nährwert, sondern vor allem ihren Wohlgeschmack.
Die Milch ist wohlschmeckend und bekömmlich, wenn sie gesund, rein und
frisch ist, wenn also die Forderungen erfüllt werden, die man vom Stand¬
punkte der Gesundheitspflege erhebt. Die Gewinnung einer so beschaffenen
Milch ist aber mit erhöhten Kosten verknüpft und muß daher notwendig
eine Preissteigerung zur Folge haben. Wie diese in mäßigen Grenzen
gehalten werden kann, soll sogleich ausgeführt werden. So viel scheint mir
gewiß zu sein, daß eine reichsgesetzliche Festlegung der in hygienischem
Interesse erhobenen Forderungen nicht das Mittel ist, um an einer Preis¬
erhöhung vorbeizukommen; hierbei wird meinerseits nicht verkannt, daß
die gewünschte bessere Ernährung und Pflege der Tiere deren Milchergiebig¬
keit günstig beeinflußt und damit die Wirtschaftlichkeit des Betriebes
steigert, indes drückt sich dieser Vorteil weder in greifbaren Zahlen aus,
noch reicht er hin, um die erwachsenden geldlichen Aufwendungen voll
zu decken.
„ Hygiene ist ein fortgesetzter Krieg gegen die gesundheitlichen Schädi¬
gungen unseres Daseins, und wie das Kriegführen kostet sie Geld, Geld
und nochmals Geld. Es ist gar nicht einzusehen, weshalb hierin gerade die
hygienische Milchversorgung eine Ausnahme machen sollte.
„Die Erzeugung eines Liters Milch kostet nach zuverlässigen Berichten
Sachverständiger durchschnittlich 13Va Pf. am Ursprungsorte. Dieser
Preis ist auch von Howard, dom Professor für landwirtschaftliche Buch¬
führung an der Universität Leipzig, auf Grund sorgfältigster Berechnung
für 63 größere Güter ermittelt worden. Gezahlt wird im allgemeinen:
1. in Städten von 250000 Einwohnern und mehr.18,4 Pf.
2. „ „ „ mehr als 100000 bis 250000 Einwohnern . . 18,2 „
3. „ „ „ 50000 bis 100000 Einwohnern.16,9 „
4. „ „ unter 50000 Einwohnern.15,4 „
Jn Berlin kostet das Liter Milch 18 Pf. auf der Straße und 20 Pf. ins
Haus. — Zum Vergleiche diene hierbei, daß in Paris für das Liter 35 Pf.,
in London etwa 30, in New York im Winter gleichfalls 30, während des
Sommers 25 Pf. gezahlt werden. — Diese Preise werden gefordert und gewährt,
ohne daß die Milch den Anforderungen entspricht, die heute im hygienischen
Interesse gestellt werden. In welcher Weise die Erzeugungskosten der
Milch durch die Verwirklichung hygienischer Maßnahmen wachsen, kann
ich durch vertrauenswürdige Mitteilungen belegen, die mir von einem
angesehenen Gutsbesitzer aus der Umgebung Kölns gemacht worden sind.
Dieser Landwirt ist seit mehr als Jahresfrist Lieferant der städtischen
Säuglingsmilch-Anstalt und sah sich durch die vertraglichen Bestimmungen
genötigt, verschiedene Betriebs Verbesserungen eintreten zu lassen. Es
handelt sich um einen Stall von 30 Kühen. Die Ausgaben stehen buchmäßig
fest. Das erste war, daß infolge der Mehrarbeit für das Reinigen des Viehes
und Stalles die Löhne der beiden Schweizer von monatlich 120 M. auf
150 M. erhöht werden mußten. Während früher der Dünger nur zweimal
täglich entfernt wurde, geschieht dies jetzt viermal. Das Melken beansprucht
Digitized by LaOOQle
48 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. offentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
längere Zeit durch die vorgängige Reinigung des Euters und sorgsame
Hantierung, das Waschen der Hände, so daß für jeden Schweizer, deren Ver¬
richtungen genau begrenzt sind, täglich eine ein- bis zweistündige Mehrarbeit
erwächst, für die 50 Pf. nicht zu viel gefordert ist. Für die besondere
Reinhaltung des Stalles werden jetzt täglich außerdem zwei Arbeitsfrauen
je 1 Vs Stunden beschäftigt, welche den Stall einmal mit frischem Wasser
ausschrubben und die Fenster, die Tore, die Krippen mindestens einmal
wöchentlich sauber auszuwaschen haben. Das macht bei einem Stundenlohn
von 30 Pf. monatlich 27 M. Die Anzüge der Schweizer (Mützen, Blusen,
lange Schürzen) kosten monatlich pro Kopf 4 M. Darin ist begriffen An¬
schaffung, Abnutzung und Wäsche. Die Handtücher und Seife zum Reinigen
der Hände sind monatlich auf 2,50 M. zu veranschlagen. Während ferner
auf den gut geleiteten Wirtschaften am Rhein die Ställe jährlich zweimal
gekälkt werden, geschieht dies auf dem Gute, von dem hier die Rede ist,
jetzt alle zwei Monate. Das kostet bei einem Stalle von etwa 30 Stück
Vieh jedesmal 28 M. (Der Arbeitslohn beträgt täglich 4 M., Arbeitszeit
4Va bis 5 Tage, dazu Material.) Für vermehrte Anschaffung von Milch¬
geräten werden 150 M. berechnet, eine Ausgabe, die infolge starken Ver¬
schleißes sich jährlich wiederholt. Die Beschaffung der Helm sehen Tief¬
kühlanlage verursachte einen Aufwand von 2200 M. einschließlich eines
Eisschrankes und eines Vorkühlers. Die Amortisation hierfür muß mit
25 Proz. gebucht werden. Die durch die Tiefkühlung vermehrte Arbeit ist
auf 6 bis 9 Stunden täglich zu schätzen bei einem Arbeitslohn von 18 Pf.
die Stunde. Der Eis verbrauch beträgt bei einem Eispreise von 70 Pf. pro
50 kg bei Tiefkühlung und der sich daran anschließenden Aufbewahrung
der Milch bis zum Transporte 0,8 bis 1 Pf. pro Liter. Zu diesen erhöhten
Kosten kommen noch die Aufwendungen zur Erzielung einer gesundheitlich
einwandfreien Milch. In erster Reihe steht hier der Kampf gegen die
Tuberkulose. Leider haben wir es darin noch nicht so weit gebracht wie
Frankreich. Dort werden tuberkulöse Tiere auf Grund des Seuchengesetzes
vom 21. Juni 1898 ausgemerzt und den Tierhaltern nach Maßgabe des
Gesetzes vom 30. Mai 1899 Entschädigungen gewährt. Es wäre ja dringend
zu wünschen, daß die Bekämpfung der tierischen Tuberkulose demnächst
mit in den Bereich unseres Viehseuchengesetzes einbezogen und die Ver¬
nichtung tuberkulöser Tiere entschädigt würde; das scheinen unsere Land¬
wirte aber selbst nicht zu hoffen, denn es mehren sich die Bestrebungen,
um die Tuberkulosetilgung im Wege gegenseitiger Versicherung zu erreichen.
Welche finanzielle Belastung damit verbunden ist, ergibt sich aus den
Grundsätzen, welche der rheinische Bauernverein für seine demnächst ins
Leben tretende Tuberkulose Versicherung aufgestellt hat. Die Versicherung
8oll nach Ostertags System nur diejenigen Tiere umfassen, die an Euter¬
tuberkulose erkrankt sind oder deren Allgemeinbefinden durch die Tuber¬
kulose sichtbar herabgesetzt ist. Für jedes versicherte Tier wird eine
Prämie von 1 Proz. seines Wertes erhoben. Bei einem durchschnittlichen
Werte einer Milchkuh von 550 M. ist also eine Jahresprämie von 5,50 M.
zu bezahlen. Die Entschädigung beträgt 75 Proz. des durch den amtlichen
Tierarzt ermittelten Wertes, im vorliegenden Falle also 412,50 M. Nimmt
man bei einem Bestände von 30 Tieren alljährlich zwei Entschädigungsfälle
Digitized by
Google
Die Milchversorgung der Städte usw.
49
an — so schätzt der Kölner Departementstierarzt —, so verliert der Land¬
wirt jährlich zweimal 137,50 M. (Differenz zwischen dem Beschaffungswert
von 550 M. und der Entschädigung von 412,50 M.). Zu dem Verluste von
275 M. treten hinzu die Prämien für 30 Tiere gleich 165 M. Für einen
Stall von 30 Kühen betragen also die gesamten Aufwendungen für eine
beschränkte Taberkulosetilgung 440 M. Es leuchtet wohl ein, daß bei
solchen Aufwendungen der Milchpreis sich erhöhen muß.
„Ganz im Einklänge hiermit stehen die Erfahrungen, die man in den
Milchländern Dänemark und Schweden gemacht hat. Die im Jahre 1878
begründete Milchversorgungsgesellschaft in Kopenhagen — Kjöbenhavns
M&lkeforsyning —, der die gesundheitliche Reform der städtischen Milch¬
versorgung zu danken ist, hat sich von vornherein freiwillig dazu verstanden,
den Landwirten einen höheren Preis zu zahlen, eben weil sie im hygienischen
Interesse größere Leistungen beanspruchte. In Stockholm hat sich eine im
Jahre 1887 gebildete freiwillige Kommission, bestehend aus vier Ärzten,
einem Tierarzt, einem Chemiker und drei anderen Sachverständigen, um die
Verbesserung der Milchverhältnisse verdient gemacht. Sie übernahm die
Aufgabe, die Ställe der sich freiwillig meldenden Landwirte unter Kontrolle
zu nehmen und auf die Beobachtung der ihnen erteilten Vorschriften über
Gewinnung und Behandlung der Milch zu verpflichten. Trotz Erweiterung
dieser Vorschriften, namentlich für die Kindermilch, hat sich die Zahl der
kontrollierten Tierhaltungen von Jahr zu Jahr vermehrt. Die Erhöhung
der Erzeugungskosten äußerte sich alsbald in einer Steigerung der Milch¬
preise. Zu Beginn der Kontrolle im Jahre 1887 betrug der Milchpreis pro
Liter 18 Pf. in Blechgefäßen und 20 Pf. in Glasflaschen. Im Oktober 1899
erhöhte sich dann der Preis auf 20 bzw. 22 Pf. und im November 1901
auf 22 bzw. 25 Pf. Die Kindermilch kostete von 1887 bis September 1892
22 Pf. und nach dieser Zeit 28 Pf.
„Diese Wirkungen würden bei einer reichsgesetzlichen Festlegung der
hygienisch wünschenswerten Maßnahmen mit einem Schlage eiütreten, was
Verstimmungen auf beiden Seiten, bei den Produzenten wie bei den Kon¬
sumenten, zur Folge hätte. Es muß deshalb schrittweise und unter voller
Berücksichtigung der Örtlichen Verhältnisse vorgegangen werden. Das
kann aber nur im Verwaltungswege geschehen.
„Die Bestrebungen auf Erlaß eines Reichsgesetzes, die hauptsächlich
in den Kreisen der Milchhändler vorhanden sind, entspringen bei näherem
Hinsehen fast ausschließlich dem an sich berechtigten Verlangen, daß die
Kontrolle der Milch nicht erst bei ihrem Vertriebe, sondern gleich am
Produktionsorte einsetze. Der reelle Milchhändler fühlt sich mit Recht
besehwert, daß er unter Umständen für eine Milch verantwortlich gemacht
wird, deren Beschaffenheit durch das Verschulden des Produzenten in Wider¬
spruch steht mit der geltenden Polizeiverordnung. Auch dazu bedarf es
keines Reichsgesetzes. Die Rechtslage ist kurz folgende: Grundlegend für
die meisten heute geltenden Vorschriften über den Verkehr mit Milch sind
die technischen Materialien, die schon im Jahre 1882 vom Kaiserlichen
Gesundheitsamte zusammengestellt worden sind. Diese Materialien wurden
den einzelnen Bundesregierungen zur Verwertung bei etwa zu erlassenden
Vorschriften mitgeteilt. Preußen ging damit voran, indem es im Jahre 1884
Vierteljahrsschrift für Gesundheitspflege, 1907. a
Digitized by LaOOQle
50 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
an alle Behörden einen Erlaß richtete, dem die Grundsätze über die Kontrolle
der Milch anhangsweise beigefflgt waren. In fast allen größeren Städten
Preußens sind dann die Polizeiverordnungen auf den erwähnten Grund¬
sätzen aufgebaut worden. In Bayern und Baden wurden für das ganze
Staatsgebiet gültige ministerielle Vorschriften erlassen, die sich inhaltlich
allerdings große Beschränkung auferlegen. So bestimmt die oberpolizeiliche
Vorschrift für Bayern vom 15. Juli 1887 im wesentlichen nur, daß das Feilhalten
von Biestmilch und der Milch kranker Kühe verboten sei, gibt Anweisungen
über die Beschaffenheit der Milchgefäße und statuiert die Befugnis zur Ent¬
nahme von Stallproben. Im übrigen ist es den Gemeindebehörden Vorbehalten,
die nach den örtlichen Verhältnissen gebotenen Anordnungen polizeilich zu
treffen. Die Ministerialverordnung für das Großherzogtum Baden hat fast
dieselben Bestimmungen wie die bayerische, ist nur etwas ausführlicher und
verfögt überdies, daß gewisse Personen weder mit der Wartung und Pflege
des Viehes, noch mit der Behandlung und dem Vertriebe der Milch sich
befassen dürfen, sowie daß beim Auftreten von ansteckenden Krankheiten in
der Behausung eines Milchhändlers oder Milchproduzenten der Milchverkauf
während der Dauer der Krankheit untersagt werden kann. Die weitere
Regelung des Verkehrs mit Milch wird auch hier den Bezirks- und bzw.
Ortspolizeibehörden überlassen.
„So haben wir das Ergebnis, daß die Regelung des Verkehrs mit Milch
ganz wesentlich auf den polizeilichen Vorschriften in den Städten beruht.
Im allgemeinen herrscht gerade in den hygienischen Anforderungen große
Übereinstimmung, was sich aus dem gemeinsamen Ursprung der technischen
Materialien des Reichsgesundheitsamtes hinreichend erklärt. Ihr Geltungs¬
bereich ist aber auf das Stadtgebiet beschränkt, und da die Milch vorwiegend
vom Lande eingeführt wird, liegt die Sache so, daß der Milchverkehr in
den Städten zum Teil weitgehenden Bestimmungen unterworfen ist, während
die Milcherzeugung auf dem Lande frei ist von einengenden Vorschriften.
Besonders drückend empfindet es der reelle Milchhandel, daß die städtische
Polizeiverwaltung nicht befugt ist, bei dem auf dem Lande wohnenden
Produzenten Stallproben zu entnehmen, d. h. die Kühe zwecks Feststellung
des Fettgehaltes der Milch unter polizeilicher Aufsicht melken zu lassen.
Für den Händler, dem beispielsweise von seinem Verkäufer nur 2,4 Proz.
Fett in der Milch geliefert worden ist, während nach der geltenden Polizei¬
verordnung nur solche mit 2,7 Proz. in den Verkehr gebracht werden darf,
ist die Stallprobe das einzige Mittel, um nachzuweisen, daß die Kühe seines
Lieferanten keine fettreichere Milch geben. Dieser Mangel, der nicht über¬
mäßig hoch angeschlagen werden darf, kann durch Aufnahme einer ent¬
sprechenden Bestimmung in die Verwaltungsvorschriften im wesentlichen
gehoben werden. Jedenfalls gibt er keinen Anlaß zu einem gesetzgeberischen
Vorgehen. Die Befürworter eines solchen sollten sich übrigens vor Augen
halten, daß Dänemark und Schweden, die größten Milchländer, auch ohne
gesetzliche Regelung sich jene hervorragende Stellung auf dem Gebiete der
Milchwirtschaft errungen haben, die sie heute unbestritten einnehmen.
„Zur allmählichen, alle Teile der Bevölkerung — Produzent und Kon¬
sument — gleichmäßig schonenden Verwirklichung der hygienischen Forde¬
rungen bieten VerwaltungsVorschriften für größere Bezirke — je größer die
Digitized by LaOOQle
51
Die Milchversorgung der Städte usw.
Bezirke desto besser — den geeigneten Weg. Sie können am besten den
besonderen Örtlichen Verhältnissen gerecht werden, sie lassen sich ohne
große Schwierigkeiten den Fortschritten der Wissenschaft und Technik an¬
passen. Wie wünschenswert es ist, daß dem Stande wissenschaftlicher
Erkenntnis leicht gefolgt werden kann, zeigt folgender Fall. Die aus dem
Jahre 1887 stammende bayerische oberpolizeiliche Vorschrift verbietet
schlechthin das Feilhalten der Milch kranker, also auch aller tuberkulöser
Tiere. Das ist eine sehr einschneidende Maßregel, wenn man sich die außer¬
ordentliche Verbreitung dieser Krankheit vergegenwärtigt. Die badische
MinisterialVerordnung aus dem Jahre 1902 trägt bereits dem modernen
wissenschaftlichen Standpunkt Rechnung und untersagt lediglich denVertrieb
der Milch solcher Tiere, die an Eutertuberkulose oder an fortgeschrittener,
mit starker Abmagerung und Durchfällen verbundener Tuberkulose leiden,
gibt aber die Milch sonstiger tuberkulöser Tiere unter der Voraussetzung,
daß sie vorher abgekocht wird, frei.
Für den Inhalt der im Verwaltungswege zu erlassenden Verordnungen
kann der neue preußische Entwurf im allgemeinen als Vorbild dienen. Den
Kernpunkt muß aber die allgemeine tierärztliche Überwachung der gegebenen
Vorschriften bilden, die im preußischen Entwürfe nur für die Gewinnung
von Vorzugsmilch vor geschrieben ist. Ohne tierärztliche Kontrolle kommen
wir nicht vorwärts. Die dadurch erwachsende bedeutende Arbeitsleistung
kann von den beamteten Tierärzten kaum geleistet werden, und es wird
deshalb notwendig sein, die von den Gemeinden angestellten Tierärzte mit
heranzuziehen. Soweit landwirtschaftliche Vereinigungen sich einer frei¬
willigen Kontrolle durch eigens hierzu angestellte Tierärzte unterwerfen,
genügt die Ausübung einer Oberaufsicht. Die entstehenden Kosten werden
sich zunächst freilich kaum anders als durch Erhebung von Gebühren
decken lassen.
„Neben den VerwaltungsVorschriften für größere Bezirke werden in
dem Städten besondere Polizeiverordnungen nicht zu umgehen sein. Sie
werden sich hauptsächlich die Regelung des Vertriebes angelegen sein lassen
und dabei in erhöhtem Maße der Reinlichkeit zur Geltung verhelfen
müssen. Bei der Ausübung der Kontrolle sollten die damit beauftragten
Personen sich nicht nur auf die Entnahme von Milchproben beschränken,
sondern ganz besonders der Sauberkeit des Wagens und der Milchgefäße
ihre Aufmerksamkeit zuwenden.
„Alle diese behördlichen Maßnahmen werden nur dann einen Erfolg
haben, wenn sie von dem Verständnis aller beteiligten Kreise getragen
werden. Aus diesem Grunde muß man vor allem für die Aufklärung über
den Wert einer hygienisch einwandfreien Milch sorgen.
„In den größeren landwirtschaftlichen Betrieben ist das nötige Ver¬
ständnis heute schon meist vorhanden, und es hat durch die Hamburger
Ausstellung für hygienische Milchversorgung im Jahre 1903 eine kräftige
Förderung erfahren. Als eine unmittelbare Folge dieser Ausstellung ist
unter anderem die Bildung des Vereins für gesunde Milch, einer Kontroll-
vereinigung von Milchproduzenten im holsteinschen Geestgebiet,anzusprechen,
ebenso die Begründung eines ähnlichen Vereins im hamburgischen Marsch-
Landgebiet. Überall regt sich das Bestreben, durch Bildung von Genossen-
4*
Digitized by LaOOQle
52 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
schäften an der hygienischen Milchversorgung teilzunehmen und zugleich
durch gemeinschaftlichen Bezug von Vieh, Futtermitteln usw. die Erzeugungs¬
kosten herabzumindern. So ist für Rheinland und Westfalen die Gründung
eines Zentralmilchverwertungsverbandes im Gange, der u. a. zur Vermeidung
des l&ngeren Transports der Milch und der damit verknüpften Kosten für
seine Unterverbände bestimmte Konsumtionsgebiete schaffen will. Für die
kleinen Landwirte wird die notwendige Erkenntnis durch Belehrung und
Unterweisung von Wanderlehrern und besonders in den niederen und mitt¬
leren landwirtschaftlichen Schulen zu wecken sein. Auch Melkerkurse
werden von gutem Erfolge sein, weil ja gerade diese Personen das Schicksal
der Milch mit in der Hand haben. Dabei wäre die Bildung von Milch¬
genossenschaften empfehlenswert, welche die zur Reinigung und Kühlung
der Milch nötigen Maschinen anschaffen und den Mitgliedern zur Verfügung
stellen würden. Wenn man auch für die Milchhändler einen Befähigungs¬
nachweis verlangen will, so scheint mir das zu weit zu gehen, obwohl nicht
verkannt werden darf* daß jeder Händler ein gewisses Maß von Kenntnissen
besitzen muß. Die Milchhändlervereine haben sich seit einigen Jahren zu
einem Verbände zusammengeschlossen, dessen Tagungen erkennen lassen,
daß auch diese Kreise mit Ernst bemüht sind, Hand in Hand mit den
Produzenten für eine gute Milch Versorgung einzutreten. Das konsumierende
Publikum dagegen scheint einer hygienischen Milch noch keine besondere
Wertschätzung entgegenzubringen. Dafür spricht u. a. die mir vom Direktor
der Kölner Meierei mitgeteilte Tatsache, daß gerade von den wohlhabenden
Kunden eine größere Zahl den Bezug von Milch einstellte, als für die
Abgabe in Glasflaschen mit hygienischem Verschluß 2 Pf. mehr gefordert
wurde. Für die Aufklärung dieser Kreise wird es noch recht viel zu tun
geben. Sehr empfehlenswert scheint mir die Verbreitung des flott geschrie¬
benen kleinen Buches von Alexander Bernstein »Die Milch».
„Erfreulicherweise kann ich hier mitteilen, daß die in diesem Jahre
begründete Kölner Vereinigung für rechts- und staats wissenschaftliche Fort¬
bildung, an deren Spitze die Oberpräsidenten der Provinzen Rheinland und
Westfalen, sowie hervorragende Vertreter des Handels und der Industrie
stehen, in das Programm des nächsten sechswöchigen Herbstkursus mehrere
Vorträge über die Milchversorgung der Großstädte aufgenommen hat. Der
aus Beamten der Justiz und Verwaltung, aus Kaufleuten, Industriellen,
Offizieren und Geistlichen bestehende Zuhörerkreis wird aus dem Munde
des Professors Dr. Hansen von der landwirtschaftlichen Akademie in Bonn*
Poppelsdorf jedenfalls zum ersten Male von der Wichtigkeit dieser Frage
vernehmen.
„Auf die Arbeiterkreise könnte sehr günstig eingewirkt werden, wenn
die Arbeitgeber, namentlich die großen industriellen Werke, innerhalb ihrer
Betriebe Gelegenheit zum Genüsse einer tadellosen, kühl gehaltenen Milch
geben würden. Der Gedanke ist bereits durch den größten Arbeitgeber
Deutschlands, die Verwaltung der preußischen Staatsbahnen, in die Tat um¬
gesetzt, und zwar namentlich für die Werkstättenbetriebe. Von welcher
wohltätigen Wirkung der Milchgenuß an Stelle von Alkohol gerade für das
beim Fahr- und Streckendienst beschäftigte Personal ist, leuchtet ohne
weiteres ein. Aus der Tagespresse ist kürzlich bekannt geworden, daß in
Digitized by LaOOQle
Die Milchversorgung der Städte usw.
53
Witten a. d. Ruhr mehrere größere Werke durch die Darbietung von guter
Milch recht gute Erfahrungen gemacht haben. Namentlich Magermilch
wurde von den Arbeitern lebhaft begehrt. Auch die Aufstellung von Milch¬
häuschen, in denen eine gute, reine Milch verschenkt wird, ist für die Auf¬
klärung der Bevölkerung ein höchst wirksames Mitte). Die Idee hat in
Köln bekanntlich ihren Ausgang genommen. Dort hat die Meierei ver¬
einigter Landwirte im Jahre 1903 zuerst eine Schankstelle errichtet. In den
schmucken Häuschen deren es jetzt neun gibt, wird Vollmilch, Magermilch
und Schokoladen milch in höchst appetitlicher Weise gegen mäßigen Preis
dargeboten.
„Durch das verdienstliche Wirken des Professors Kamp in Bonn ist
dann im Jahre 1904 eine gemeinnützige Gesellschaft für Milchausschank
begründet worden, die in allen Städten Rheinlands und Westfalens, besonders
in den Industriezentren, Milchhäuschen einrichten will. Der Gesellschaft
ist es nicht bloß darum zu tun, für diese Häuschen einen ständigen Kunden¬
kreis zu gewinnen, sie will vielmehr auch die Haushaltungen der Schank¬
gäste wieder dem Milchgenuß erschließen. Bereits im Juni v. Js. waren in
12 Städten 35 Milchausschankstellen im Betriebe und an acht Orten zwölf
Häuschen im Bau begriffen und für 17 Orte weitere 37 Stellen in Aussicht
genommen. Es spricht für gute Erfahrungen, daß auch in Danzig, Breslau
und Hamburg Milchhäuschen rheinisch-westfälischen Ursprungs entstanden
sind. Bei ihrem Betriebe hat man allgemein die Wahrnehmung gemacht,
daß gerade Männer nach harter Tages- und Nachtarbeit die treuesten, täglich
kommenden Kunden sind.
„Ein voller Erfolg wird der Aufklärungsarbeit aber nur dann beschieden
sein, wenn die Frauenwelt gewonnen werden kann. Den Hausfrauen, den
Müttern muß vor allem die Bedeutung einer hygienischen Milch beigebracht
werden. Das ist nicht leicht. Sie werden zwar gegen eine reine, gute Milch
nichts einzuwenden haben, aber sie werden vermutlich besonders der Bewil¬
ligung eines höheren Preises widerstreben. Vorträge in den Frauen vereinen
und Merkblätter werden Gutes schaffen können, höher einzuschätzen ist
die fortgesetzte Einwirkung der Ärzte, besonderes Gewicht aber wird zu
legen sein auf die bessere hauswirtschaftliche Ausbildung des heranwachsen-
den weiblichen Geschlechts. Die große Bedeutung dieser Sache wird von
allen denen, die im Kampfe gegen die Säuglingssterblichkeit mitwirken,
hoch bewertet. So beschloß auf Empfehlung des französischen Pädiaters
Budin der im Jahre 1903 in Brüssel abgehaltene internationale Kongreß
für Gesundheitspflege, daß auf die Einrichtung von Fortbildungskursen für
schulentlassene Mädchen hingewirkt werden solle, in denen über die Hygiene
des Säuglings, seine Ernährung und Pflege vorgetragen werden soll. Dabei
spielt ja die Milchfrage keine geringe Rolle. Dem gleichen Gedanken hat
Dunbar auf der Dresdener Jahresversammlung Ausdruck gegeben, und der
niederrheinische Verein für öffentliche Gesundheitspflege hat die hauswirt¬
schaftliche Ausbildung der Mädchen durch Einführung eines Pflicht-Fortbil-
dungsschuljahreB auf die Tagesordnung seiner nächsten im Oktober d. Js. statt¬
findenden Jahresversammlung gesetzt. Referentin ist Fräulein von Mumm.
„Einen unmittelbaren und deshalb um so wirksameren Einfluß auf die
Milch Versorgung können die Gemeinden ausüben, wenn sie die für ihre
Digitized by LaOOQle
54 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
Anstalten, Kranken-, Waisenhäuser usw., benötigte Milch nicht schlechthin
an den Mindestfordernden vergeben, sondern unter Gewährung eines ange¬
messenen Preises die Beobachtung bestimmter hygienischer Vorschriften
sich vertraglich znsichern und ihre Erfüllung durch die Gemeinde-Tierärzte
kontrollieren lassen. In Köln haben uns die Vorarbeiten für die Begründung
der Säuglingsmilchanstalt zu diesem Modus geführt. Die Feststellung der
Vorschriften über die Gewinnung und Behandlung des für die Milchkühe
zu liefernden Rohmaterials legte es nahe, in ähnlicherWeise bei Vergebung
der Milchlieferung für die umfangreichen Krankenanstalten vorzugehen.
Während uns bisher von einer Molkerei, die selbst keine Kuhhaltung hatte,
die Sammelmilch einer großen Zahl kleiner Produzenten geliefert wurde,
haben wir jetzt damit den Milchverwertungsverband des Rheinischen Bauern¬
vereins betraut. In dem Vertrage ist ein durchschnittlicher Mindestfettgehalt
von 3 Proz., ein bestimmtes spezifisches Gewicht und ferner bedungen, daß
die Temperatur der Milch bei der Anlieferung nicht mehr als 12° C betragen
darf. Die Milch muß ferner so rein sein, daß sie nach zweistündigem
Stehen keinen sichtbaren Schmutz absetzt, das Wesentlichste aber ist, daß
die Stadt das Recht hat, bei den Landwirten, welche die Lieferung aus-
führen, jederzeit die Stallungen durch Tierärzte revidieren zu lassen. Die
Milch untersteht überdies der regelmäßigen Kontrolle durch das städtische
bakteriologische Laboratorium. Während früher 13,5 bis 14 Pf. gezahlt
wurden, ist der Preis angesichts der erhöhten Forderungen auf 17 Pf. pro Kilo¬
gramm bemessen worden. Hierbei haben wir erprobt, welche wichtige Rolle die
tierärztliche Aufsicht spielt. Anfänglich wurden fortgesetzt Klagen laut
sowohl wegen zu hoher Temperatur, als besonders wegen des Schmutz¬
gehaltes. Der fortgesetzten Einwirkung unserer Tierärzte ist es gelungen,
hierin Wandel zu schaffen. Die Landwirte selber lassen die Kontrolle gern
über sich ergehen, wohl aus dem Grunde, weil sie ihnen gegenüber dem
Personal den Rücken stärkt. Es soll nicht leicht sein, bei den Schweizern
und sonstigen Arbeitsleuten die Beobachtung der nötigen Reinlichkeits-
maßregeln durchzusetzen. Für das Rohmaterial der Säuglingsmilchanstalt
wird ein höherer Preis gezahlt, 20 Pf. für das Liter. Dementsprechend
sind auch die Bedingungen schärfere: u. a. darf die Temperatur der Milch
nicht mehr als 8° C betragen. Gerade diese Bedingung haft die vier liefern¬
den Landwirte in die Notwendigkeit versetzt, sich Tiefkühlanlagen anzu-
schaffen. Wenn ich recht unterrichtet bin, sind das die ersten derartigen
Anlagen auf den Gütern in der Nähe von Köln. Um nicht mißverstanden
zu werden, bemerke ich, daß städtische Molkereibetriebe schon längere Zeit
Tiefkühlvorrichtungen besitzen, aber die Milch wird dort erst nach Zurück¬
legung eines mehrstündigen Eisenbahntransportes gekühlt, während das bei
unseren Lieferanten unmittelbar nach dem Melken geschieht. Dieser Unter¬
schied ist sehr bedeutsam, denn eine Milch, die auf dem Transport durch
die Temperatur einmal gelitten hat, wird durch nachträgliche Kühlung nicht
wieder gut. Die soeben geschilderte gute Einwirkung auf die Milchproduk¬
tion würde natürlich stark an Ausdehnung gewinnen, wenn sich alle Staats¬
und Kreisbehörden entschließen wollten, in ähnlicherWeise für ihre Anstalten
(Erziehungsanstalten, Kranken- und Irrenhäuser, Entbindungsanstalten)
zu sorgen.
Digitized by LaOOQle
Die Milch Versorgung der Städte usw.
55
„Die Anlegung von eigenen Musterställen, die von einigen Seiten den
Städten angesonnen wird, liegt meines Erachtens nicht im Rahmen kom¬
munaler Aufgaben. Kuhhaltungen von größerem Umfange gehören über¬
haupt nicht in die Stadt, sowohl im Interesse der Stadtbewohner wie auch
der Tiere. Sofern Landgüter sich im Eigentum von Städten befinden,
muß man allerdings wünschen, daß die Milcherzeugung in mustergültiger
Weise vor sich geht. Da die Eigenproduktion in den Städten im Verhältnis
zu ihrer Größe stetig abnimmt, spielt die Zufuhr durch die Eisenbahn eine
große Rolle. Die zu überwindenden Entfernungen sind zum Teil sehr groß,
so beziehen Berlin und Dresden von Stationen, die über 200 km entfernt sind.
Die Milch hat danach einen stundenlangen Eisenbahntransport auszuhalten,
der während der warmen Jahreszeit die Temperatur der Milch ungünstig
beeinflußt. Es ist daher begreiflich, wenn Produzenten und Händler den
Wunsch haben, daß für die Beförderung der Milch besondere Kühlwagen
oder Güterwagen mit Kühlvorrichtungen zur Verfügung gestellt werden.
Nicht minder verständlich ist das Verlangen, daß die Milch auf den Statio¬
nen bis zur Abfahrt des Zuges nicht schutzlos den Sonnenstrahlen preis¬
gegeben, sondern an einem geschützten Orte aufbewahrt wird. Abhilfe
wird nach dem Vorgänge anderer Staaten ohne Schwierigkeiten zu schaffen
sein. Die russische Regierung hat z. B., um den sibirischen Butterexport
nach Dänemark zu heben, für Kühlvorrichtungen auf den Stationen und für
besondere Transporte in gekühlten Wagen bis nach den Ostseehäfen gesorgt.
Nicht zuletzt dieser Fürsorge der Eisenbahnverwaltung ist es zuzaschreiben,
daß der Export, der im Jahre 1894 nur etwas über 6600 Kilo betrug, in dem
kurzen Zeitraum von acht Jahren auf 32 Millionen Kilo angewachsen ist.
Auch in Dänemark gibt es besonders eingerichtete Eisenbahnwagen für
Milchtransporte. Man darf wohl annehmen, daß die deutschen Eisenbahn¬
verwaltungen auch hierin das gleiche Entgegenkommen zeigen werden wie
bei den Tarifen! Natürlich werden die Frachtnehmer die Benutzung der
Kühlvorrichtung abgelten müssen. Neuerdings wird übrigens der Gebrauch
der eckigen Helm sehen Kannen empfohlen, die zusammengestellt einen
Kälteblock bilden und die niedrige Temperatur mehrere Stunden erhalten
sollen. Es dürfte hierbei interessieren, daß in Boston eine große Transport¬
gesellschaft den Verkehr zwischen den Landwirten und den Händlern ver
mittelt. Diese Gesellschaft hat besondere Milchzüge eingerichtet, die im
Sommer mit Kühlvorrichtungen versehen sind und in große Empfangs-
gebäude an der Station einlaufen. In letzteren befinden sich Maschinen
für künstliche Kälteerzeugung, ein Laboratorium zur Untersuchung der
Milch und ausgedehnte Anlagen für die Verwertung des unverkauften
Produktes. Diese letzterwähnten Anlagen haben Ähnlichkeit mit den Milch¬
höfen, deren Einrichtung man den Gemeindebehörden unter Hinweis auf
die öffentlichen Schlachthäuser empfiehlt. Man denkt sich darunter große
öffentliche Milchhallen, in denen jeder Milchhändler seinen offenen Stand
hat, wo er seine Milch reinigt, abkühlt, entrahmt und abfüllt. Alle Milch,
die zur Stadt kommt, soll den Milchhof passieren und erst von hier aus in
die Stadt gehen. Dadurch will man die Verbindung des Milchladens mit
der Wohnung des Milchhändlers beseitigen, und man verspricht sich davon
eine gegenseitige Kontrolle der Milchhändler. Es darf aber vor allem nicht
Digitized by LaOOQle
56 XXXI. Versammlung d. D, Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
übersehen werden, daß zwischen Fleisch- und Milchversorgung ein beträcht¬
licher Unterschied besteht, insofern als die Milch möglichst schnell in die
Hand der Konsumenten kommen soll, während beim Fleisch das unmittelbar
gar nicht einmal erwünscht ist. Die Notwendigkeit der Schlachthöfe ergibt
sich zwingend aus den großen hygienischen Vorteilen, die mit ihrem
Betriebe verbunden sind. Von der Reinigung und Kühlung der Milch sind
ähnliche Unzuträglichkeiten nicht zu befürchten. Meines Erachtens können
Milchhöfe für den gesamten Milch verkehr einer Stadt überhaupt nicht in
Frage kommen. Zunächst scheidet die Eigenproduktion wohl ganz aus.
Wird unmittelbar nach dem Melken gekühlt, was doch verlangt wird, so
soll die Milch sofort an den Verbraucher gehen. Ebenso wird es wohl am
besten mit der Milch gehalten, die aus der näheren Umgebung kommt. Es
bleibt also hiernach nur die sogenannte Bahnmilch übrig, für die es bei
mangelhafter Transportgelegenheit ganz gut ist, wenn sie nachgekühlt
werden kann. Jedenfalls soll der Akt des Reinigens und Kühlens damit
nicht vom Produktionsorte in den Milchhof verlegt werden. Um die An¬
lieferung der Milch nicht allzusehr zu verzögern, müßte in den Großstädten
jedenfalls von einer Zentralisation abgesehen und zur Errichtung mehrerer
Höfe in den verschiedensten Teilen der Stadt geschritten werden. Gestalten
sich die Transportverhältnisse auf der Eisenbahn so, wie wir es wünschen,
dann werden Milchhöfe kein besonderes dringendes Bedürfnis sein. Ganz
anders liegt die Sache, wenn es sich darum handelt, den täglichen Über¬
schuß an Milch zu Butter, Käse und anderen Produkten zu verarbeiten, ln
diesem Falle ist das wirtschaftliche Interesse der Produzenten und Händler
das hauptsächlichste Motiv, die Gemeinde hat hier keine Veranlassung, selbst
einzutreten. Eine behördliche Aufsicht wird immerhin zweckmäßig sein.
„Meine Herren! Der auf der ganzen Linie entbrannte Kampf gegen
die Säuglingssterblichkeit hat volle Klarheit darüber gebracht, daß Ernäh¬
rungsstörungen die wesentlichste Todesursache für die Neugeborenen bilden
und daß jene ganz vorwiegend durch verdorbene Milch hervorgerufen werden.
Dieser Erkenntnis verdanken wir das Streben, der unbemittelten Bevölkerung
für ihre Säuglinge gute und billige Kuhmilch darzubieten. Die Erfahrung
hat dabei gelehrt, daß die Frauen mit der Milch meist nicht richtig umzu¬
gehen wissen, daß sie schmutzige Gefäße, unreines Wasser verwenden und
so die Verderbnis der Milch herbeiführen, endlich aber, daß sie dem zarten
kindlichen Organismus durch Darreichung zu großer Mengen schaden. Es
ist bekannt, daß man zuerst in Frankreich Milchküchen gründete, und diesen
Übelständen durch Abgabe einer billigen, in trinkfertigen Einzelportionen
hergestellten Säuglingsmilch abzuhelfen suchte und daß man dem französi¬
schen Beispiel sehr bald in Amerika, Dänemark und England folgte. Während
in Frankreich, Amerika und Dänemark die private Wohltätigkeit sich zur
Trägerin dieser Bestrebungen machte, wurde in England die Errichtung der
Milchküchen von vornherein als eine kommunale Aufgabe aufgefaßt. Diesem
Standpunkt gehört die Zukunft. Der Preis, welcher für tadellose, in trink¬
fertigen Einzelportionen hergestellte Säuglingsmilch gefordert wird, ist so
hoch, daß er für die wenig bemittelte Bevölkerung unerschwinglich ist.
Ohne soziale Fürsorge der Gemeinden ist deshalb eine Besserung nicht zu
erreichen.
Digitized by LaOOQle
Die Milchversorgung der Städte usw.
57
„Nicht mit Unrecht weist Paffenholz darauf hin, wie das ungeheure
Wachstum der Städte zu immer größeren sanitären Maßregeln gedrängt
habe, wie dies zur Errichtung von Krankenhäusern und Schlachthöfen
geführt und wie man nicht gezögert habe, im Interesse der Allgemeinheit
in das Privaterwerbsgebiet hinüberzugreifen durch Monopolisierung von
Gas, Elektrizität, Straßenbahn-Verkehrs wesen; wie aber die Wohlfahrtspflege
auf dem Gebiete der Säuglingsernährung gänzlich zurückgeblieben sei. Es
ist hohe Zeit, daß sich die Gemeinden dieser Pflicht erinnern. Zwei rhei¬
nische Städte haben das Verdienst, bahnbrechend gewirkt zu haben: Bergisch-
Gladbach und München-Gladbach; beide errichteten im Jahre 1904 städtische
Kindermilchanstalten, schon im Jahre darauf folgte Köln. Da diese Anstalt
gegenwärtig wohl die größte in Deutschland ist und sich über Jahresfrist in
Betrieb befindet, dürften einige nähere Mitteilungen über ihre Einrichtung
willkommen sein. Es wurde von vornherein der Gedanke perhorresziert,
damit eine Wohltätigkeitsanstalt zu errichten, sie sollte vielmehr aus¬
gesprochenermaßen den Charakter einer sozialen Wohlfahrtseinrichtung
tragen. Mit der öffentlichen Armenpflege steht sie nur so weit in Verbindung,
als die Armenverwaltung die für ihren Bedarf notwendige Milch unter
Zahlung des Selbstkostenpreises bezieht.
„Da man nicht voraussehen konnte, ob und in welchem Umfange die
Bevölkerung von der Einrichtung Gebrauch machen würde, wurde nach dem
Vorbilde von Liverpool zunächst die Versorgung von 500 Säuglingen ins
Auge gefaßt. Der Zuspruch war aber ein so bedeutender, daß man sich
schon nach den ersten Wochen des Betriebes, noch im Juli 1904, entschloß,
die maschinelle Einrichtung zu verdoppeln und die Räume zu erweitern,
um einem Konsum für 1200 Säuglinge, täglich 8000 Flaschen, gewachsen
zu sein. Der Etat der Anstalt sieht für das Rechnungsjahr 1906 Einnahmen
von 84 600 M. und Ausgaben in Höhe von 111300 M. vor, so daß ein städ¬
tischer Zuschuß von 26700 M. erforderlich ist. Nach den Erfahrungen des
ersten halben Betriebsjahres wird dieser Betrag ausreichen. Der Wunsch,
die Betriebskosten möglichst niedrig zu halten, legte es nahe, die Anstalt
mit einem anderen städtischen Betrieb zu verbinden. Ihre Unterbringung
erfolgte in der großen, gut belichteten Kochküche des Börsengebäudes im
Schlachthofe, die durch einen Erweiterungsbau entbehrlich geworden war.
Das bot den Vorteil, daß Dampf, Elektrizität, Licht und Wasser von dem
Schlachthofe gegen mäßigen Preis bezogen werden können. Dazu kam
weiter, daß die Überwachung des technischen Betriebes in die Hand des
Schlachthofdirektors gelegt werden konnte, der sich dieser Aufgabe mit
Unterstützung von zwei tierärztlichen Assistenten mit großer Hingebung
widmet. Von diesen Herren werden auch die Stallungen der liefernden
Landwirte bis auf weiteres wöchentlich besucht. Die gelieferte Milch wird
in dem bakteriologischen Laboratorium des Schlachtbofs täglich auf Fett
und Schmutzgehalt untersucht.
„Durch die innere Einrichtung der Milchküche an Maschinen, die er¬
forderlichen baulichen Änderungen, sowie das zum Betriebe nötige Material
an Flaschen, Flaschenkörben und anderem Inventar wurde ein Kostenauf¬
wand von rund 35000 M. verursacht. Nebenbei bemerkt, ist die Ausstattung
von Milchküchen bereits ein Spezialfach geworden, auf dem sich der Fabri-
Digitized by
Google
58 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
kant Franz Depenheuer in Köln, namentlich bei der Erweiterung unserer
Anstalt, aufs beste bewährt hat.
Die trinkfertige Herstellung der Einzelportionen geschieht nach den
Angaben des Professors Dr. Siegert, des Vertreters der Kinderheilkunde
an der Kölner Akademie fär praktische Medizin.
„Es werden drei verschiedene Mischungen verabfolgt:
Mischung I. für Kinder im 1. Lebensmonat, besteht aus sieben Fläsch¬
chen zu je 100 g (1,2 Proz. Eiweiß, 1,6 Proz. Fett, 6,5 Proz.
Zucker).
„ II. für Kinder im 2. bis 4. Lebensmonat, umfaßt sechs Fläsch¬
chen zu je 150 g (1,7 Proz. Eiweiß, 2 Proz. Fett, 6,2 Proz.
Zucker).
„ III. für Kinder vom 5. bis 7. Lebensmonat, enthält fünf Fläsch¬
chen zu je 200 g (2,2 Proz. Eiweiß, 2,7 Proz. Fett, 6 Proz.
Zucker).
Überdies wird für Kinder von mehr als sieben Monat reine Vollmilch
abgegeben. Die Sterilisierung der Milch wird in geschlossenen Flaschen
ausgeführt. Der Transport erfolgt in den eigenen Wagen der Anstalt nach
15 Milchausgabestellen, die über das ganze Stadtgebiet zerstreut liegen und
sich meist in städtischen und privaten Hospitälern befinden (Transportkosten
7500 M.). Dort werden sie von den Abnehmern abgeholt. Die Tagesportion,
die, wie erwähnt, je nach dem Alter des Säuglings aus fünf bis sieben
Fläschchen besteht, kostet 22 Pf., während die Selbstkosten sich durch¬
schnittlich auf 32,4 Pf. belaufen. Bezugsberechtigt sind nur Personen,
deren Einkommen nicht mehr als 2000 M. beträgt, in der Hauptsache also
Arbeiter. Für die Säuglinge armenrechtlich hilfsbedürftiger Eltern bezieht
die Armenverwaltung die nötigen Mengen unter Erstattung der Selbstkosten.
Sie hat die Hergabe der Milch nach dem Vorgänge Hamburgs als neue
Form der Naturalunterstützung für nichtstillende Mütter eingeführt. Die
armen Mütter, welche selbst stillen, erhalten zur laufenden Geldunterstützung
eine monatliche Zulage von 6 bis 10 M. Dadurch soll ein Anreiz zur
Brusternährung ausgeübt werden. Zurzeit werden seitens der Milchkücbe
täglich 1600 Säuglinge versorgt. Der Absatz würde sicherlich noch weit
größer sein, wenn die Milch ins Haus geliefert würde. Ganz abgesehen
davon, daß dadurch eine erhebliche Verteuerung eintreten würde, ist zurzeit
aus dem Grunde nicht daran zu denken, weil wir in den vorhandenen Räumen
an der Grenze der Leistungsfähigkeit angelangt sind. Eben deshalb kann
auch der Anregung nicht gefolgt werden, die Säuglingsmilch an die besser
gestellten Kreise gegen Zahlung höherer Sätze abzugeben, was ja eine sehr
willkommene Herabsetzung des städtischen Zuschusses mit sich bringen
würde.
„Der wundeste Punkt unserer Säuglingsfürsorge ist das Fehlen einer
Beratungsstelle, die den Müttern schon vor ihrer Niederkunft zugänglich
wäre, und die Stätte sein sollte, wo für die Brusternährung gewirkt und die
künstliche Ernährung überwacht wird. Es war geplant, deren mehrere
einzurichten. Diese Absicht mußte indes aufgegeben werden, weil in ärzt¬
lichen Kreisen die Befürchtung laut wurde, daß die Beratungsstellen sich
zu Polikliniken auswachsen könnten, die auch vom zahlungsfähigen Publi-
Digitized by LaOOQle
Die Milchversorgung der Städte usw.
59
kam mißbräuchlich benutzt werden würden. Bei dem sozialen Charakter
der Säugling8milchanstalt war es natürlich von vornherein ausgeschlossen,
den Besuch der Beratungsstelle von dem Nachweis armenrechtlicher Hilfs¬
bedürftigkeit abhängig zu machen, und so unterblieb die Errichtung. Er¬
freulicherweise haben sich die Verhältnisse so weit geklärt, daß die Aus¬
führung unseres Planes demnächst erfolgen kann. Eine volle Wirksamkeit
werden die Beratungsstellen nur dann entfalten können, wenn sie zugleich
in die Lage versetzt werden, Müttern, die ihr Kind zwar selbst nähren
wollen, aber dies infolge notwendiger Erwerbstätigkeit nicht können, geld.
liehe Beihilfen zu gewähren.
„Die natürliche Ernährung, die heute so oft unter dem Zwange der
Erwerbstätigkeit leidet, würde eine ganz wesentliche Ausdehnung wieder
gewinnen können, wenn sich allgemein bestätigte, was die neuesten wissen¬
schaftlichen Forschungen in der Berliner Charite und im Kölner Kinder¬
hospital zu versprechen scheinen, daß nämlich drei-, höchstens viermalige
Gaben täglich für die Ernährung des Säuglings nicht nur ausreichen,
sondern sogar mehrfachen Gaben vorzuziehen sind. Dann würde es auch
arbeitenden Frauen möglich sein, innerhalb der ordnungsmäßigen Arbeits¬
pausen ihrer Mutterpflicht zu genügen.
„Die laufenden Aufwendungen für die Milchküchen werden sich in den
Städten verschieden gestalten, je nachdem man die Abgabe der Milch von
dem Besuch der Beratungsstunde abhängig macht oder nicht. Im ersten
Falle werden sich die wohlhabenden Kreise fernhalten, im letzteren Falle
wird eine Herabminderung der Kosten stattfinden, es wird aber die gefähr¬
liche Vorstellung befördert, daß die unter der Autorität der Stadt hergestellte
Säuglingsmilcb ein vollwertiger Ersatz der Muttermilch sei und von der
Erfüllung der heiligsten Mutterpflicht befreie. Ich möchte trotz erhöhter
Aufwendungen dem obligatorischen Besuche der Beratungsstellen das Wort
reden. So viel ist sicher, daß die Städte künftig, wenn sie ernstlich mit-
arbeiten wollen an der Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit, beträchtliche
Opfer bringen müssen. Was Soxhlet vor 15 Jahren auf der Leipziger
Jahresversammlung für die Ernährung der Säuglinge forderte, geht heute
einer schönen Erfüllung entgegen; überall in den deutschen Städten blühen
kommunale Säuglingsmilchanstalten empor, mögen nach weiteren 15 Jahren
— eher dürfte es kaum zu erhoffen sein — alle die Wünsche verwirk¬
licht sein, die wir heute für die Milchversorgung der Städte ausgesprochen
haben.“
Literatur.
Die Verhandlungen des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege.
(IV, XVII, XXVI, XXVII usw.)
Die Milch und ihre Bedeutung für Volkswirtschaft und Volksgesundheit.
Hamburg, Boysen. (Dargestellt im Aufträge der wissenschaftlichen Abteilung
der Allgemeinen Ausstellung für hygienische Milchversorgung Hamburg. Hamburg,
Boysen, 1903.)
Schloßmann, .Über Kindermilch“, in den Verhandlungen der Gesellschaft
für Kinderheilkunde. 76. Versammlung der Gesellschaft deutscher Naturforscher
und Ärzte in Breslau 1904. Wiesbaden, J. F. Bergmann.
Beinsch, Die gesetzliche Regelung des Milchverkehrs in Deutschland. Ham¬
burg, Boysen.
Digitized by LaOOQle
60 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
Reinsch, Entwurf einer Polizei Verordnung betr. den Verkehr mit Milch.
Reich, Grundsätze betr. einheitliche gesetzliche Regelung des Verkehrs mit
Milch. Im Aufträge der deutschen Milchhändlervereine. Berlin 1904, Georg Siemens.
Tiede, Die Milch Versorgung von Paris. Leipzig, Hein sius Nachf.
Ring, Die Versorgung der Großstädte mit Milch. Leipzig, Richard Carl
Schmidt u. Co.
Sieveking, Die Säuglingsmilchküchen der Patriotischen Gesellschaft Ham¬
burg 1906, Boysen.
Manchot, Die Milchküche der St. Gertrudengemeinde.
8uckow, Leitfaden für Einrichtungen von Säuglingsmilchküchen.
Herz, Über städtische Milchversorgung. Druck von Haas u. Gräbherr, Augsburg.
Fuchs, Die Städte Versorgung mit Milch und Säuglingsmilch. Mannheim
1905, J. Bensheimer.
Kjerulf, Milchhygienische Verhältnisse in Schweden. Stockholm 1903,
Norstadt u. Söhne.
Ander egg, Bericht über meiue milch wirtschaftliche Forschungsreise nach
Schleswig-Holstein, Dänemark und Schweden. Bern 1890, K. J. Wyss.
Knoch, Die städtische Mi Ich zentrale. Leipzig 1906, Heinsius Nachf.
Plehe, Die Gewinnung und der Vertrieb hygienisch-einwandfreier Milch.
Leipzig 1905, Heinsius Nachf.
Prausnitz, Sozialbygienische und bakteriologische Studien über die Sterblich¬
keit der Säuglinge, Magen-Darmerkrankungen und ihre Bekämpfung. München 1906,
Oldenbourg.
Extracts from A Report by a Commission of Physicians upon the Walker
Gordon Farms at Phinsboro, New-Jersey.
Biedert, Über Marktmilch I. Klasse und andere Versuche einer guten Milch-
Versorgung der Städte, insbesondere für Säuglinge. Straßburger Medizinische Zeitung.
Bernstein, Die Milch. Berlin 1904, Julius Springer.
Kröhnke, Bemerkenswerte Ergebnisse der allgemeinen Ausstellung für hygie¬
nische Milch Versorgung. Hamburg 1903, Leipzig 1903, F. Leineweber.
Berichte über die Verhandlungen des Verbandes deutscher Milchhändler¬
vereine. 1902, 1903, 1904, 1905.
Brugger, Die Bekämpfuug der Säuglingssterblichkeit (Schriften des Deutschen
Vereins für Armenpflege und Wohltätigkeit).
Bayers dorfer, Milch Versorgung von Karlsruhe.
Mintrop, Untersuchungen über Erzeugung, Einfuhr, Verbrauch und Verkaufs¬
preise frischer Milch.
Seiffert, Die Versorgung großer Städte mit Kindermilch. Leipzig 1904,
Adolf Weigel.
Hierauf wird die Diskussion eröffnet.
Milchhändler Lulay, Vertreter des Verbandes Deutscher Milch¬
händler (Schöneberg): „Meine Herren! Der Milchhandel wird im all¬
gemeinen für die Schäden, die in der Milch Versorgung Vorkommen, immer
und immer wieder verantwortlich gemacht. Dies geschieht aber zum großen
Teil mit unrecht, und vor allen Dingen ist man stets die Beweise schuldig
geblieben, daß dieses wirklich der Fall ist. Demgegenüber konstatiere ich
mit Freuden, daß die beiden Herren Referenten gefordert haben, daß die
Kontrolle an der Produktionsstelle einzusetzen hat. Meine Herren! in dem
Augenblick, wo dieses geschieht, werden wir einen gewaltigen Fortschritt
in hygienischer Beziehung zu verzeichnen haben. Die Kontrolle muß im
Stalle beginnen, aber sie muß sich auch auf die Futtermittel erstrecken.
Denn wenn hier von wissenschaftlicher Seite betont wird, daß die Futter¬
mittel im allgemeinen keine schädliche Einwirkung auf die Milchproduktion
Digitized by LaOOQle
61
Die Milchversorgung der Städte usw.
haben, so hat die Praxis doch schon lange erkannt, daß dies tatsächlich
oftmals der Fall ist. Daß die Knh schon die Herbstzeitlose, wie hier er¬
wähnt wurde, gar nicht frißt, ist zwar in einer Hinsicht recht bezeichnend,
beweist aber doch nur wenig. Es gibt wieder Futtermittel, welche, falsch
verfüttert, ungünstig wirken, z. B. Schlempe, Rapskuchen, Kohlrüben. Ferner
sind normale Futtermittel häufig in schlechter Verfassung, so daß sie einen
schädlichen Einfluß ausüben auf die Güte der Milch hinsichtlich Geschmack
und Geruch oder in gesundheitlicher Beziehung, wenn sie auch von den
Kühen anstandslos verspeist werden.
„Die Frage der Milchküchen will ich njir ganz kurz berühren. Sollte
wirklich eine Verbesserung erzielt werden durch die Einrichtung solcher
Milchküchen, sei es von den Kommunen oder von Vereinen, so ist der
Milchhandel gern bereit, diese Sache auch zu unterstützen. Der Milch¬
handel ist überhaupt stets bereit, in jeder Weise, wo es notwendig ist,
Verbesserungen einzuführen oder zu solchen hilfreich die Hand zu bieten.
„Herr Professor Dr. Dam mann ist hier erwähnt worden. Gerade bei
der Sachverständigen-Konferenz im Jahre 1898 war es Professor Dr. Dam-
mann, der die Forderungen des Milchhändlerstandes eifrigst unterstützt
hat. Unsere Forderungen gingen schon damals dahin, daß die Kontrolle
auf das Land auszudehnen sei; ja jeder, der mit Milch umgeht, soll kon¬
trolliert werden. Vielleicht könnte man auch an eine Konzessionierung des
Milchhandels denken. Aber Sie wissen ja, daß die polizeiliche Überwachung
sich schon heute so weit erstreckt, daß begründete Bedenken vorliegen, diese
Machtbefugnisse noch zu vermehren. Auf alle Fälle müßte die Polizei die
unreellen Elemente aus dem Milchhandel ausschließen. Dies zu erreichen,
möchte ich die verehrten Herren, die diesem so hochwichtigen Verein an¬
gehören, um ihre Unterstützung bitten. Der reelle Milcbbandel kann nur
gedeihen, wenn er vor unlauteren Konkurrenten geschützt wird, und des¬
halb bitte ich Sie nochmals, in diesem Sinne wirken zu wollen.“
Schlachthofdirektor Opel (Metz): „Meine Herren! Nachdem die
Stadt Bergisch-Gladbach vorangegangen war und mit geringen Mitteln und
im kleinen Betriebe den Weg wies, der im Kampfe gegen die Säuglings¬
sterblichkeit durch Errichtung von kommunalen Säuglingsmilchanstalten zu
beschreiten war, hat Köln, wie Sie ja schon gehört haben, die Frage prak¬
tisch gelöst, wie eine Großstadt aus städtischen Mitteln mit einwandfreier
Säuglingsnahrung für die unbemittelte Bevölkerung zu versorgen ist. Zwi¬
schen diesen beiden aber liegt die große Zahl von mittleren Städten, die
sich ebenfalls dafür entschieden haben, diesen Weg zu beschreiten. Ich
möchte mir nur zu erwähnen gestatten, daß die Stadt Metz infolge be¬
sonderer Verhältnisse in diesem Frühjahr eine solche Anstalt errichtet hat,
die im wesentlichen dem Vorbilde der Säuglingsmilchanstalt von Köln nach¬
gebildet ist. Zu meiner Freude sehe ich hier, daß die herrlichen Reproduk¬
tionen der Kölner Anstalt bereits an der Wand hängen, und die Bilder, die
ich lbnen zeigen möchte, dienen lediglich zur Ergänzung.
„Noch einen Punkt möchte ich anführen. Bei uns wird die Milch
nicht nur an Arme und Minderbemittelte abgegeben, sondern gerechter¬
weise auch an Bessersituierte und Wohlhabende, und zwar zum Preise von
Digitized by LaOOQle
62 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
60 Pf., während Personen mit einem Einkommen unter 3000 M. die Milch
zu 30 Pf., Unbemittelte umsonst erhalten. Auf diese Weise wird erreicht,
daß die Anstalt ohne städtischen Zuschuß sich halten kann und die Lasten
der Anstalt auf den tragfähigeren Schultern der begüterten Klassen ruhen.
Dieser Modus empfiehlt sich in der Hauptsache für die mittleren und
kleineren Städte, d. h. überall da, wo nicht Priyatunternehmungen sich mit
der Herstellung und dem Vertriebe von einwandfreier Säuglingsnahrung
befassen, wie wir ja solche in allen Großstädten bereits haben. Die Milch
wird vertrieben durch Depots, d. h. mehrere Apotheken in verschiedenen
Stadtteilen, denen die Milch in einem besonderen Wagen zugeführt wird
und die 15 Proz. des Erlöses erhalten. Der Erfolg, der mit unserer Anstalt
in der kurzen Zeit ihres Bestehens erzielt ist, und das uneingeschränkte
Lob, das alle Ärzte ohne Ausnahme derselben schenken, ermuntert uns,
unsere Anstalt in Metz auch weiteren Kreisen bekannt zu geben und zu
empfehlen.“
Dr. med. et phil. Professor und Universitätsdozent Gries¬
bach (Mülhausen i. E.,— Basel): „Meine verehrten Damen und Herren!
Es gibt Gesetze, die den Tierschutz betreffen, ich sehe nicht ein, warum
es nicht auch Reichsgesetze geben soll, welche der Kindersterblichkeit, über¬
haupt den Erkrankungen des Menschen durch Milchgenuß entgegenwirken.
Es werden gewiß manche Bedenken einer derartigen reichsgesetzlichen
Regelung entgegenstehen. Allein manche Punkte sind auch vorhanden,
die durch ein Reichsgesetz zweifelsohne geklärt und geläutert würden. Der
Milchverkehr liegt in einzelnen Teilen Deutschlands ganz außerordentlich
im argen, nicht nur in einzelnen Städten, sondern auch in ganzen Bezirken,
Distrikten und Provinzen. Ich weiß nicht, wie der Herr Vorredner aus
Metz hierüber denkt, ich kann aber vom Oberelsaß berichten, daß dort
Dinge geschehen, die wirklich aller Hygiene Hohn sprechen. Da ist z. B.
die Stadt Mülhausen mit fast 100000 Einwohnern. Wenn Sie dort den
Milchverkehr betrachten, wird Ihnen geradezu schauderhaft zumute werden.
Die Händler ziehen mit einem Hundekarren, auf dem das Milchgefäß fest¬
geschnallt ist, von Haus zu Haus. Vor jedem Hause wird der Deckel ge¬
öffnet, ja manchmal bleibt das Gefäß eine ganze Weile ungeschlossen. Mit
dem schmutzigen Blusenärmel und der Hand, die eben den Hund angeschirrt
hat, führt der Verkäufer die allerlei Unbill ausgesetzte Schöpfkelle in die
Milchkanne ein und bringt auf diese Weise eine Menge von Keimen, von
Staub und von allen möglichen anderen Dingen in die Milch. Man muß
unbedingt verlangen, daß der Kannendeckel während des Verkaufs geschlossen
bleibt, daß die Milch durch einen Kran abfließt und daß die Meßgefäße
vor Verunreinigung geschützt sind. Auf diese Weise würde der Verunreini¬
gung und Infizierung der Milch während des Straßen vertriebe erfolgreich
vorgebeugt werden.
„Vor allen Dingen müßte aber auch dafür gesorgt werden, daß sowohl
der Produzent als auch der Kleinhändler einer scharfen Kontrolle untersteht.
Ich halte es auch nicht für unangemessen, einen Befähigungsnachweis von
diesen Leuten zu verlangen. Dadurch würde der Milchhandel entschieden
in bessere Bahnen gelenkt werden. Auch pflichte ich der Zentralisierung
Digitized by LaOOQle
Die Milchversorgung der Städte usw.
63
bei, wie sie Biedert vorschlägt. — Noch kurz einen Hinweis auf den Milch¬
verkauf in anderen Ländern: Bei meinem Aufenthalt in Messina war ich
nicht wenig überrascht, als in meinem Hotel eine Kuh zwei Treppen hoch
hinaufgeführt und die Milch aus dem Euter direkt in das Glas geleitet
wurde. Dadurch war wenigstens eine Verunreinigung der Milch durch den
Transport ausgeschlossen. Die Kühe sind natürlich, wie mir gesagt wurde,
untersucht. Es werden nur gesunde Kühe für ein derartiges Einlassen in
die menschlichen Wohnungen zugelassen. Wir finden übrigens in Spanien
und Frankreich ähnliche Verhältnisse. Es werden Kühe und Ziegen durch
die Städte getrieben, um die Milch direkt aus dem Euter zu verkaufen.
„Vor allen Dingen aber, meine verehrten Anwesenden, möchte ich
noch auf einen Punkt hin weisen, der ja auch mehrfach betont worden ist,
und das ist der erzieherische Punkt. Schon in dem ersten Vortrage, den
wir gehört haben, wurde gesagt, wie notwendig es sei, daß die Hygiene
immer mehr in das Volk dringt, und gerade in dieser Hinsicht sollte man
schon bei der Jugend anfangen. Man sollte in den Schulen Hygiene lehren;
Sie selbst, meine Herren, und der Verein könnten dazu beitragen. Es ist
weit besser, die jungen Mädchen für den Haushalt zu erziehen als zu
Blaustrümpfen. u
Direktor des städtischen Gesundheitsamtes Dr. W. Gehrke
(Stettin): „Meine Herren! Auf Grund der Erfahrungen, die in Stettin ge¬
rade mit der Beschaffung und dem Vertriebe der Säuglingsmilch gemacht
worden sind, muß ich den Ausführungen der Herren Referenten entgegen¬
treten.
„Die von dem Herrn Referenten geforderten und von dem Herrn Kor¬
referenten empfohlenen Milchhöfe oder Milchzentralen, in denen die gesamte
Milch zusammenfließen, gereinigt, gekühlt, zubereitet, in Transportgefäße
gefüllt und dann durch entsprechend eingerichtete Verkaufswagen oder
Verkaufsstellen an das Publikum abgegeben werden soll, diese Milchzentralen
halte ich für ungeeignet, wenn es sich um die Beschaffung und den Vertrieb
von Milch zur Säuglingsernährung handelt. Milch und Fleisch sind in der
Art der Gewinnung, Haltbarkeit und Aufbewahrungsmöglichkeit doch zu
sehr verschieden, als daß es angängig wäre, die bei der Zentralisation des
Fleisch Verkehrs gemachten Erfahrungen ohne weiteres auf den Milchverkehr
zu übertragen. Fleisch hält sich immer mehrere Tage lang, die Milch aber
muß möglichst schnell, immer doch innerhalb von Stunden verbraucht
werden.
„Das ist ja gerade ein Nachteil unserer großen städtischen Sammel¬
molkereien, daß sie eine Milch in den Verkehr bringen, die je nach der
Entfernung der Produktionsstätten und der Dauer der Anlieferung in mehr
oder weniger zersetztem Zustande sich befindet. Die Mittags- und Abend¬
milch des vorhergehenden Tages wird am Morgen des nächsten Tages zum
Verkauf gebracht. Die Milchzentralen könnten doch nur wie große Sammel¬
molkereien wirken.
„Die Versorgung gerade der ärmeren Bevölkerung mit guter Milch
(Kindermilch) durch zentrale Sammelmolkereien hat in Stettin durchaus
versagt. In einem räumlich engbegrenzten Stadtteil sollte im Sommer 1905
Digitized by
Google
64 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
sog. Kindermilch — nach Helmschem Verfahren gekühlt und in Flaschen
gefüllt — durch die Milchwagen einer großen Sammelmolkerei morgens ins
Haus geliefert werden. Bis II Uhr Vormittag hatten manche Familien an.
manchen Tagen die Milch nicht erhalten.
„Solche Erfahrungen haben mich dazu geführt, ganz und gar auf die
Versorgung durch zentrale Sammelmolkereien zu verzichten und für die
Ernährung der der städtischen Fürsorge unterstellten Flaschenkinder allein,
eine Milch zu verwenden, die aus den im Stadtgebiet belegenen Kuhställen
bezogen wird. Gerade für die Gewinnung und den Vertrieb der zur Säug¬
lingsernährung dienenden Milch halte ich die Zentralisation für verfehlt und
weitgehende Dezentralisation für geboten. Es ist ein großer Gewinn, wenn
die Milch vom Produzenten bis zum Konsumenten nur einen kurzen und
unmittelbaren Weg zurückzulegen hat, denn alle Fehler der Milchgewinnung
werden zumal während der heißen Jahreszeit in ihrer verderblichen Wirkung
potenziert um so höher, je länger es dauert, ehe die Milch zum Verbrauchs
gelangt. Aus den in unmittelbarer Nähe der Verbraucher gelegenen Kuh¬
ställen kann dreimal am Tage frisch gemolkene Milch bezogen werden. Ich
bin daher im Gegensatz zu dem Herrn Referenten der Meinung, daß die
Milchproduktion durchaus in die Stadt hineingehört und halte es für be¬
sonders angezeigt, gerade diese in der Stadt produzierte Milch in allererster
Linie für die Ernährung derjenigen Kinder zu verwenden, denen die Mutter¬
brust versagt ist.
„Dementsprechend halte ich auch die Abgabe der Säuglingsmilch in sog.
„trinkfertigen“ Portionen keineswegs für das erstrebenswerte Ideal: Zu¬
nächst die Kostenfrage. Wo bisher Milchküchen eingerichtet sind, ver¬
sorgen sie immer nur eine verhältnismäßig geringe Zahl von Kindern. Bei
einem einigermaßen größeren Bedarf — in Stettin befanden sich 1905
dauernd etwa 1500 Kinder in der städtischen Fürsorge — müssen die er¬
forderlichen Einrichtungen derartig umfangreich werden, daß die Kosten
ins Ungemessene wachsen, jedenfalls die von den Gemeinden für diese
Zwecke aufwendbaren Mittel erheblich überschreiten.
„Ja, ich halte es auch nicht einmal für wünschenswert, den Müttern
diese Arbeit, die Zubereitung der Milch, abzunehmen.
„Man stelle der Bevölkerung nur eine reine, möglichst Irische unver¬
fälschte Vollmilch zur Verfügung und belehre die Mütter, wie sie die Milch
zu behandeln und in den trinkfertigen Zustand zu bringen haben. Hier
muß eine beharrliche, unermüdliche Tätigkeit einsetzen. Denn es ist leider
erschreckend, in welcher unverantwortlich leichtfertigen Weise die Behand¬
lung und Aufbewahrung der Milch im Haushalt oft erfolgt. Aber diese
fehlerhafte Behandlung trifft in weit schlimmerem Maße die sog. trink¬
fertige Milch. Diese wird überall in der Menge des Tagesbedarfs, also
für 24 Stunden ausreichend, abgegeben. Keimfrei ist diese Milch keines¬
wegs, und bei der Aufbewahrung in den heißen Wohnungen ohne jede Küh¬
lung gerät diese Milch in einen Zustand der Zersetzung, der um so bedenk¬
licher ist, als er sich nicht durch sinnfällige Veränderungen der Milch
kundgibt. Die im Haushalt selbst zubereitete Milch verrät ihre Verände¬
rung durch Sauerwerden und Gerinnen beim Erhitzen und schließt so ihre
Verwendung als Säuglingsnahrung aus.
Digitized by LaOOQle
Die Milchveraorgung der Städte uaw.
66
„ Keine Zentralisation, sondern weitgehende Dezentralisation der Milch-
yersorgung, soweit sie für die Säuglingsernährung in Betracht kommt.
Möglichst viele gut geleitete und kontrollierte Kuhställe innerhalb der Stadt,
Bereitstellung der in diesen Ställen gewonnenen Milch für die Säuglings-
ernährung halte ich für wünschenswert.
„Daneben muß eine dauernde Belehrung der Mütter erfolgen, sei es
durch einen Arzt selbst, sei es durch angestellte bezahlte Pflegerinnen, die
von einem Arzte unterwiesen werden und ihm unterstehen. u
Professor Dr. Schlossmann (Düsseldorf): „Meine Herren! Ganz
gewiß ist die in Rede stehende Frage eine schwierige, aber sie wird gelöst
werden, denn mit Riesenschritten ist der Fortschritt vor sich gegangen.
Ich erinnere nur an die Verhandlungen in Dresden und an die heutigen in
Augsburg, an die Referate von vor drei Jahren und an die heutigen. Sie
werden ohne weiteres den Unterschied erkennen und bemerkt haben, daß
man sich heute auf einen ganz anderen Standpunkt stellt als dazumal, und
zwar haben sich meiner Ansicht nach beide Referenten auf einen Standpunkt
gestellt, daß wir Kinderärzte uns mit den Worten der Berichterstatter voll
einverstanden erklären können, wir, die dieser Frage praktisch nahestehen,
die, wenn ich so sagen darf, das Verschulden, das durch die schlechte Milch
angerichtet worden ist, wieder auszugleichen haben.
„Wollen wir dem Übel an die Wurzel gehen, so müssen wir wissen:
wo kommt es her? Und da ist gar kein Zweifel: an der Produktionsstätte
ist zunächst anzusetzen, und hier liegt die größte Schwierigkeit, und wir
müssen fragen: Wo ist der Herkules, der den Augiasstall ausräumt?
„Meine hochverehrten Herren, woran liegt es denn, daß die Milch so
schlecht ist? Daran, daß an einer und derselben Produktionsstätte, an
einem und demselben Ort zwei Dinge fabriziert werden, die ganz heterogen
sind, nämlich Milch und Mist. Das Wesentliche dabei für die praktische
Landwirtschaft im Großbetriebe ist der Mist, und die Milch ist ein Abfall¬
produkt, das so gut, wie es eben geht, mit verwertet wird. Meine Herren!
Die Landwirte lassen niemand, der mit ihnen darüber offen spricht, im Un¬
klaren, daß für sie der Mist das Wertvollere ist, denn den Mist gebrauchen
sie, und die Milchprodukte nehmen sie in den Kauf, um sich wenigstens in
gewisser Hinsicht zu entschädigen. In Sachsen haben wir bereits Betriebe,
wo man dazu übergegangen ist, die Milchkühe zu ersetzen durch Ochsen,
wo man die ganze Schererei mit der Milch nicht hat, und in einer Hinsicht
kommen ja die Ochsen den Kühen gleich: Mist liefern sie ebensogut. Nun
ist es aber heute möglich, durch die Fortschritte der Praxis den Mist doch
zu gewinnen, ohne daß die Milch leidet.
„Wir müssen nur eine Reibe von Forderungen aufstellen, deren wich¬
tigste die ist: im Stalle selbst darf nicht gemolken werden. Zum Melken
muß die Kuh herausgeführt werden, und in der Minute, wo man das ein¬
richtet und das tut, kommt man zu einem Produkt, das ganz anders schmeckt)
wie das auch schon ausgeführt ist, das aber auch einen ganz anderen Geld¬
wert hat. Man kommt nämlich zu einem Produkt, dessen Haltbarkeit so
gut wie unbegrenzt ist.
VierteljahrtBchrift für Gesundheitspflege, 1907. 5
Digitized by LaOOQle
66 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
„Ich bin am vorigen Sonnabend früh aus dem Haag weggefahren, habe
mir am Freitag Abend in der Nähe von Utrecht Milch abmelken lassen und
habe diese Milch roh und ohne jeden konservierenden Zusatz mit mir ge¬
schleppt bis hierher, die ganze Fahrt hindurch. Sie war im Eisenbahn-
coupö, des Nachts hat sie irgendwo gestanden, und als wir heute früh die
Milchflaschen aufmachten, stellte sich heraus, daß diese Milch frischer und
besser war als die, die wir heute Vormittag in Augsburg als frische be¬
kommen haben. Es sind also über 100 Stunden, daß diese Milch ohne
jede Maßregel transportiert und auf bewahrt worden ist, und sie ist absolut
frisch, aus dem einfachen Grunde, weil sie nicht im Stalle gemolken worden
ist, weil kein Mist darin ist, weil es Milch im eigentlichen Sinne des
Wortes und kein Gemisch von Milch und Mist ist.
„Wenn Sie solche Milch auf den Markt bringen, können Sie sie natür¬
lich nicht zu demselben Preise liefern wie die Milch, die nur so nebenbei
gewonnen worden ist. Die Schweizer, die die Pflicht haben, diese Milch zu
melken, müssen geistig höher stehen, sie haben sich sauber zu halten und
müssen daher auch besser bezahlt werden.
„Der Herr Vorredner hat darauf hingewiesen, daß man die Milch in
der Stadt produzieren soll. Meine Herren, das halte ich für den aller¬
größten Fehler. Wenn Sie eine gute Amme suchen, werden Sie nicht ins
Zuchthaus gehen und sie sich von dort holen, und ebenso werden Sie eine
gute Kindermilch nur von solchen Kühen bekommen, welche so viel als
möglich Weidegang haben und so viel als möglich im Freien sind, und das
ist natürlich niemals zu erreichen, wenn man die Kühe im Stalle hat.
„Von ganz besonderem Interesse sind für mich aber die Ausführungen
gewesen, die Herr Brugg er gemacht hat. Es ist das erstemal, daß von
einem Verwaltungsbeamten etwas derartiges gesagt worden ist, und damit
ist die Hoffnung gegeben, daß sich viele der Wünsche, die wir Kinderärzte
ja schon lange vertreten, nunmehr bald in die Wirklichkeit umsetzen.“
Dozent Dr. Seiffert (Leipzig): „Ich möchte Ihnen nur ganz kurz
über einen kleinen Versuch berichten — klein insofern, als er von mir in
privaten Verhältnissen ausgeführt werden mußte —, um reine Milch unter
Vermeidung des Mistes zu erzielen mit einem etwas besser dressierten
Schweizer, als sie gewöhnlich sind. Ich hatte mir einen jungen Burschen
angeschafft, der als Schweizer gelernt hat, und der bei mir etwas bakterio¬
logische Reinlichkeit mit ansah, aber nicht etwa gelernt hat — natürlich,
dazu war er überhaupt nicht brauchbar — und den Mist habe ich insofern
ausgeschaltet, als ich mir Tiere nahm, die in der Beziehung nicht so un¬
angenehm wirksam sind, wie die Kühe, nämlich Ziegen. Ich habe drei
Jahre lang Versuche mit einer größeren Herde Ziegen angestellt, von der
ich eine frisch abgemolkene Milch tagtäglich untersuchte, und aus dieser
Reihe von Versuchen, etwa 800, habe ich den Bakteriengehalt dieser Milch
in verschiedenen Zeiträumen festgestellt, und zwar am ersten Tage in vier¬
stündigen und später in 24 ständigen Abständen. Da ergibt sich ganz
regelmäßig wiederkehrend, daß der Keimgehalt einer solchen Milch — ich
habe die Milch ohne jede Vorsichtsmaßregel entnommen, nur mit gewöhn¬
lichem Händewaschen und Abreiben des Euters mit einem trockenen Tuch
Digitized by LaOOQle
67
Die Milohversorgung der Städte usw.
— in den ersten acht Stunden ansteigt, dann tief abfällt. Von 400000
steigt er bei einer Aufbewahrungstemperatur der Milch yon z. B. über
15 Grad C auf über 1 Million, und dann fällt er rasch ab, und nach zwölf
Stunden gebt er bei dieser Temperatur wieder akut in die Höbe, und es
kommt zu Keimzahlen yon etwa 4 bis 40 Millionen im Zeitraum yon
24 Stunden. Halten Sie die Milch kühl, so steigt die Keimzahl nicht so hoch, sie
steigt natürlich auch etwas länger, und der Fall dauert etwas länger an, und
wenn Sie eine solche Milch bei 5 Grad halten, so hört der Fall des Bakterien¬
gehaltes überhaupt erst auf am Ende des zweiten Tages nach über 48 Stunden.
Stellen Sie die Milch aber so her, daß sie keimärmer gemolken ist, melken
Sie aseptisch, so zieht sich die Periode bis zum 5. oder 6. Tage hin.
„Was mir bei der heutigen Diskussion aufgefallen ist, das ist, daß nicht
erwähnt worden ist, daß man die Milch, mag sie gewonnen sein, wie sie
will, sauber oder unsauber, doch in allererster Linie selbst zu kontrollieren
hat. Wir haben heute gehört, daß kontrolliert werden sollen die Gewinnung,
die Zubereitung, die Gefäße zum Transport, aber niemand hat bis jetzt
erwähnt, daß es doch eigentlich am nächsten läge, wenn die Städte eine
Kontrolle des Keimgehaltes ihrer Milch einrichteten. Es sind heute die
Einrichtungen yon Kopenhagen, ich glaube auch von Stockholm, erwähnt
worden; mit keinem Ton ist erwähnt worden, daß in Amerika die Commis-
sioners für Milchkontrolle wenigstens den Gehalt an Keimen der Zahl nach
feststellen. Wozu sollen wir kommen, wenn wir nicht einmal diese Fest¬
stellung machen wollen, und wenn wir yor allen Dingen nicht die Art der
Keime feststellen wollen? Hier müssen die Mittel und Wege vorhanden
sein, den Gehalt an Tuberkelbazillen nicht bloß, sondern auch an Strepto¬
kokken und an Bakterien anderer Art regelmäßig zu kontrollieren. Daß
das natürlich nicht mit jeder einzelnen Milchportion geschehen kann, ist
klar, aber so lange das gar nicht gemacht wird, so lange bleibt der Landwirt
auf dem Standpunkt stehen, daß doch alles getrunken wird, was in die
Stadt geliefert wird, und so lange bleibt auch die bekannte Maßregel be¬
stehen, daß verunreinigte Milch dadurch gereinigt werden kann, daß man
sie vor der Ablieferung in die Stadt abkocht.
Ich sah yor einiger Zeit in einem Dorfe bei Leipzig ein krankes Kind. In
dem Hausflur standen 20 Literkannen Milch, hoch mit Schaum bedeckt, daneben
stand das Kind, gerade so groß wie diese Kannen, „mit dem geschwollenen
Maul", wie der Vater mir erzählt hatte. Das hatte eine Henkeltasse in der
Hand, hatte mit dem Ärmchen Milch ausgeschöpft, der Schaum war bis an
den Ellenbogen heraufgegangen, und der Schaum bedeckte das zu diagnosti¬
zierende Leiden des Mundes. Diese Milch kommt in Kannen mit auf die Bahn,
geht dann mit nach Leipzig und wird am nächsten Tage den Kindern mit
verzapft. — Es handelte sich um eine Stomatitis ulcerosa, die zu einem
sogenannten Wasserkrebs unter Umständen werden kann, und diese kann
zweifellos auf diese Weise verbreitet werden und kein Mensch kann natür¬
lich eine solche Sache verfolgen, weil keiner die Milch untersucht hat. Der
Streptokokken- und der Tuberkelbazillengehalt der Milch muß aber so fest¬
gestellt werden, daß wir die Zahl der lebenden Mikroorganismen feststellen,
nicht, daß wir die Milch kochen und dann beurteilen, oder daß wir nur
verarbeitete Milch geben. u
5*
Digitized by LaOOQle
68 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
Karl Leiter, Milchpächter vom Verein Berliner Milchpächter (Berlin):
„Hochverehrte Damen und Herren! Die Forderungen der Herren Referenten
würden ja in vielen Fällen den Milchhandel verbessern, aber ob da gerade
die Sache beim richtigen Ende angefaßt wird, ist doch noch sehr fraglich.
Durch Einrichtung von Michhöfen und Milchzentralen würde die Milch so
kolossal verteuert werden, daß der armen Bevölkerung der Genuß guter
Vollmilch entzogen würde, denn das könnte sie nicht bezahlen. Forderungen
dürfen wir überhaupt nicht mehr stellen, und wenn diese Forderungen der
Herren Referenten aufgestellt würden, so würde die Milchproduktion soweit
zurückgehen, daß die Milch eben ein Nahrungsmittel wäre, das sich nur
noch der Reichste leisten könnte!
„Man ist hier gegen den Kleinhandel vorgegangen, aber das beste
Zeichen für den Kleinhandel ist wohl, daß zwei Drittel der Milch Versorgung
in seinen Händen liegen. Gerade der Kleinhandel ist fördernd für die
Bevölkerung. Der Großhandel verkauft nur vormittags Milch. Wenn der
Wagen fortgefahren ist, und ein Kunde ihm nicht mehr nachlaufen kann,
dann ist der Kleinhandel, bei dem die frische Morgenmilch um 11 Uhr ein¬
trifft, der Retter in der Not, und den will man jetzt in gewissem Sinne
beseitigen. Es wäre traurig gewesen in diesem Sommer in den heißen
Tagen, wenn von 11 Uhr ab in Berlin kein Liter Milch mehr vorhanden
gewesen wäre. Das Großkapital, welches heute einen Teil des Milchhandels
im Besitz hat, bringt seine Morgenmilch erst den anderen Tag zum Verkauf,
und wir verkaufen sie denselben Tag, wo sie gewonnen wird. Es muß
wohl jeder einräumen, daß das auch etwas Gutes für sich hat.
„Also darum ist es wohl angebracht, daß der Bogen nicht zu straff
gespannt wird. Wenn man mit aller Entschiedenheit die hohe Kinder¬
sterblichkeit beseitigen will — die Milch allein ist nicht schuld daran —
müßten doch andere Vorschläge gemacht werden. Hier kommt auch die
Gesundheit der Eltern in Frage. Verstaatlichen Sie die Kindererzeugung.
Gehen Sie einfach auf das Programm des sozialistischen Zukunftsstaates
ein und lassen Sie den Staat die Kinder ernähren und erziehen; dann haben
Sie so viel, daß sie gar nicht mehr unterzubringen sind.“
Dr. Otto Bommel, leitender Arzt des Säuglingsheims (München):
„Meine Herren! Ich möchte nur meiner Freude Ausdruck geben über den
Wechsel der Anschauungen, der sich seit dem letzten Referat in Dresden in
der Behandlung der Frage der Milchversorgung vollzogen hat. Besonders
hat es mich gefreut, daß ein Nichtarzt, ein Vewaltungsbeamter, der Not¬
wendigkeit der kommunalen Milchversorgung, speziell was die
Versorgung mit Kindermilch anbetrifft, das Wort geredet hat.
„Meine Herren! Der Vorschlag ist nicht neu, sondern vor mehr als
einem Menschenalter wurde schon von dem lange verstorbenen Ober¬
medizinalrat Kerschensteiner in München im Ärztlichen Verein der Vor¬
schlag gemacht, daß die Stadt durch Verträge sich eine gute Milch für ihre
Bevölkerung, speziell für die Kinder, sichern solle. Mit der kommunalen
Milchversorgung steht es aber leider in München, nach den Erfahrungen,
die wir im letzten Winter gemacht haben, vorerst noch schlecht. Der Satz,
den der Herr Referent aufgestellt hat: Der jetzt übliche Kleinhandel mit
Digitized by LaOOQle
Die Milchversorgung der Städte usw.
69
Milch ist als unhygienisch za bezeichnen, trifft ganz besonders auch für die
Stadt München zu. Wir haben in München an die 3000 kleinen Milch*
geschäfte. Wie schlecht diese Milch leider immer noch ist, habe ich im letzten
Jahre festgestellt, indem ich mehrere hundert Milchproben unauffällig in den
Vormittagsstunden entnehmen ließ. Es stellte sich heraus, daß die Milch
in etwa 50 Proz. der Fälle vom hygienischen Standpunkt aus als absolut un¬
brauchbar zu betrachten war: Hoher Eeimgehalt, Fettgehalt heruntergehend
bis 1,2 Proz., stärkere Zersetzung, in über 50 Proz. der Fälle positive Alkohol¬
reaktion und Ähnliches. Auch Verschärfungen in den Milchregulativen
werden meiner Ansicht nach daran nicht viel zu bessern imstande sein.
„Die Gesellschaft für Kinderheilkunde in München hat auf meine Ver¬
anlassung eine Resolution an den Magistrat gelangen lassen, es möge der
Errichtung einer städtischen Milchzentrale für Säuglinge näher getreten
werden. Zu unserem großen Bedauern mußte aus Verwaltungsrücksichten
und wohl aus finanziellen Bedenken damit noch gewartet werden, und
ich freue mich umsomehr, wenn andere Städte hier von günstigen Resultaten
berichten konnten. Ich glaube, daß ein Vorschlag, den Soxhlet andernorts
einmal gemacht hat, wohl Beachtung verdient, daß man in erster Linie
einmal gerade an die Kindermilch herangehen solle, diese 5 bis 10 Proz. aus
dem gesamten Milchkonsum herausgreifen und diese eben einer städtischen
Kindermilchzentrale — als einer Wohlfahrtseinrichtung — zuführen solle.
„Nicht ganz der Ansicht des Herrn Beigeordneten Brugger bin ich,
was die Preisverhältnisse anbetrifit. Nach den Erkundigungen, die ich
speziell in Bayern bei verschiedenen Landwirten eingezogen habe, dürfte
die Preissteigerung bei vernünftigen Mindestbedingungen dooh nicht eine
so beträchtliche sein, wie der Herr Beigeordnete Brugger und andere das
befürchten.“
Stadtverordneter Dr. Albert Beichmann (Malstadt-Burbach):
„Meine Damen und Herren! Ich möchte heute nur noch die Tatsache
registrieren, daß auch die Privatindustrie, wenigstens die leistungsfähigere,
seit Jahren schon angefangen hat, Verständnis für die Beschaffung von
einwandfreier Milch für die Kinder ihrer Arbeiterschaft zu zeigen. Ich
möchte erwähnen, daß die Burbacher Hütte im Saarrevier vor drei Jahren
auf meine Anregung, die ich dem verstorbenen Geheimrat Vierordt in
Heidelberg verdanke, angefangen hat, von Höfen hygienisch-einwandfreie
Milch zu beziehen. Die Erfahrungen waren nicht die allerbesten, und da
hat die Hütte nun angefangen, selbst Tiere anzuschafien. Sie verfügt
augenblicklich über acht Kühe, die tierärztlich überwacht werden. Sie
werden geimpft, sind als tuberkulosefrei festgestellt, sie werden von einem
Schweizer versorgt, der auch nach ganz bestimmten Vorschriften sie be¬
handeln muß, die Milch wird einwandfrei gewonnen und sie wird dann der
Arbeiterschaft zu dem gewöhnlichen Marktpreise abgegeben, roh und in sterilen
Einzelportionen. Dabei ist die Vorschrift, daß diejenigen Kinder, für welche
die sterilen Einzelportionen abgegeben werden, sich einer regelmäßigen Kon¬
trolle seitens der Knappschaftsärzte zu unterwerfen haben.
„Das ist eine Einrichtung, die sich außerordentlich bewährt hat, und
die ich nur zur Nachahmung empfehlen kann.“
Digitized by LaOOQle
70 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
H. Timmann, Vertreter des Zentral vereine der Milchhändlervereine
von Hamburg (Hamburg): „Meine verehrten Herren! Ich bin von seiten
meiner Vereinigung hierher geschickt, um bei diesem Punkt der Tages¬
ordnung in die Debatte einzugreifen. Aber mir ist nichts übrig geblieben,
als nur den Dank an die beiden Herren Referenten abzustatten für die
Ansichten, die sie hier kundgegeben haben. Auch wir stehen auf dom
Standpunkt, daß die Kontrolle an der Produktionsstelle einzusetzen hat.
Dann kann auch dem Händlerstand auferlegt werden, daß er diese Milch
an die Konsumenten so weiter befördert.“
Da sich niemand weiter zum Worte gemeldet hat, erhält das Schlußwort:
Korreferent, Beigeordneter Brugger (Köln): „Meine Herren!
Einer der Herren Diskussionsredner erblickt das Heil der Säuglingsmilch¬
versorgung in einer gesteigerten Milchproduktion in den Städten. Ich habe
das bekanntlich vorhin verworfen. Der Gedanke ist mir keineswegs neu,
er ist bereits durch die Gesellschaft zur Bekämpfung der Säuglingssterblich¬
keit in Berlin mit Nachdruck vertreten worden. Der Geschäftsführer dieser
Gesellschaft, Dr. Engel, hat ja, möchte ich sagen, geradezu einen Feld¬
zugsplan entworfen, wie man in den Städten die Eigenproduktion steigern
könnte und wie diese Eigenproduktion den Säuglingen zugefübrt werden
kann. Meine Herren! Aber allem diesem widersprechen die Tatsachen.
In allen großen Städten werden die Kuhhaltungen verdrängt durch den
Menschen. Das Land wird zu teuer, und die Tiere vertragen den Aufenthalt
nicht in der Stadt. Also ich sage kurz: Die Tatsachen widersprechen.
„Wenn Herr Dr. Rommel meinte, daß ich eine ganz erhebliche Preis¬
steigerung der Milch voraussehe, so befindet er sich in einem Irrtum. Ich
habe zwar gesagt, daß die hygienische Milchversorgung eine Preissteigerung
bedingt. Aber keineswegs habe ich gesagt, in welchem Maße diese Preis¬
steigerung sich vollzieht, ich nehme sogar an, daß sie sich in bestimmten
Grenzen halten wird, und ich habe ja auch angeführt, daß wir in der Stadt
Köln einen Preis von 17 Pf. bewilligen für eine Milch, die den elementarsten
Anforderungen einer hygienischen Milchversorgung entspricht, und ich hoffe,
daß mit einem Preise, der nicht wesentlich über 20 Pf. hinausgehen wird,
alles erreicht werden kann, was heute gefordert wird. u
Mit herzlichem Dank an die Referenten schließt der Vorsitzende die
Sitzung.
Schluß 2«/ 4 Uhr.
Digitized by
Google
Wälderholu ngastätten und Genesungsheime.
71
Zweite Sitzung.
Donnerstag, den 13. September 1906, 9 Uhr vormittags.
Vorsitzender, Professor Gonzmer (Danzig): „Verehrte Anwesende!
Ich eröffne hiermit den zweiten Verhandlungstag und habe Ihnen zu Anfang
leider eine traurige Mitteilung zu machen. Es läuft soeben die Kunde ein,
daß Herr Professor Hermann Cohn zu Breslau, der sich durch seine Hygie¬
nischen Untersuchungen, namentlich seine Augenuntersuchungen, hervor¬
ragende Verdienste um die Öffentliche Gesundheitspflege erworben hat, vor¬
gestern gestorben ist, also unmittelbar vor dem Beginn unserer diesjährigen
Verhandlungen. Ich darf Sie wohl bitten, sich zur Ehrung seines Andenkens
von Ihren Plätzen zu erheben. (Geschieht.)
Hierauf kommt der dritte Gegenstand der Tagesordnung zur Ver¬
handlung :
Walderholungsstätten und Genesungsheime.
„Meine Herren! Ich habe für mein Referat eine Reihe von Leitsätzen
aufgestellt; ich muß gestehen, daß ich das nicht aus freiem Willen getan
habe, sondern weil ich von unserem Herrn Schriftführer dazu gedrängt
worden bin. Ich bin der Ansicht, daß es gerade bei Dingen, wie sie unser
heutiges Thema betreffen, recht mißlich ist, sich auf bestimmte Normalsätze
festzulegen, die schon nach wenigen Jahren von einer nicht vorher über¬
sehbaren Entwickelung überholt werden, oder an denen die Entwickelung
vorbeigeht.
Es lauten die von dem Referent Dr. Rudolf Lennhoff (Berlin) auf¬
gestellten
Leitsätze:
1. Aufgabe der Krankenfürsorge ist es, nicht nur die unmittelbaren Folgen
einer Krankheit zu beseitigen, sondern auch die Arbeitsfähigkeit des Kranken
so weit wie möglich wieder herzustellen und einer Schädigung durch die
Wiederaufnahme der Arbeit vorzubeugen. Daher bedarf es, außer den
Krankenhäusern, Anstalten zur Vollendung der Genesung.
2. In gleicher Weise sind Anstalten notwendig zur Beseitigung der Erschei¬
nungen leichter chronischer Erkrankungen, die in den Krankenhäusern
keine Behandlung Anden können, zur Vorbeugung der Krankheitsverschlimme-
rung und zur Vorbeugung drohender Erwerbsunfähigkeit.
3. Die Verpflegung in Anstalten, in welchen die Kur des Kranken individuell
gestaltet werden kann, ist dem einfachen Landaufenthalt oder dem Auf¬
enthalt in Badeorten vorzuziehen.
4. Als Anstaltsformen * kommen vornehmlich in Betracht Genesungsheime und
Walderholungsstätten. Die Auswahl der Anstalt hängt in jedem Falle von
der Besonderheit der Krankheitsfälle ab.
5. Grundsätzlich ist daran festzuhalten, daß die Genesungsheime für Kranke
Vorbehalten werden, welche für längere Zeit dauernd von ihrer Häuslichkeit
fern bleiben müssen und für welche ein größerer Behandlungsapparat
(Hydrotherapie, Gymnastik usw.) notwendig ist.
Digitized by LaOOQle
72 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. offentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
6. Die Walderholungsstätten sind für die große Masse derer geeignet, die
lediglich der Ruhe, des Aufenthaltes in guter Waldluft und einfacher physi¬
kalischer Behandlungsmethoden bedürfen.
7. Die Einrichtung der Anstalten ist so einfach zu halten, wie es die Er¬
reichung des beabsichtigten Zweckes eben zuläßt.
8. Genesungsheime sollen nicht zu weit von dem Wohnbezirk der für sie in
Betracht kommenden Bevölkerung errichtet werden, mit Ausnahme solcher
in Kurorten, mit besonderen, anderwärts nicht vorhandenen Heilfaktoren.
9. Die Errichtung von Genesungsheimen liegt in erster Reihe den Gemeinden
oder Ortsverbänden ob, in zweiter Reihe den Landesversicherungsanstalten.
Nur in Ausnahmefällen empfiehlt sich die Errichtung durch Krankenkassen,
Betriebsunternehmungen, religiöse oder Wohlfahrtsgenossenschaften.
10. Die Erholungsstätten unterscheiden sich von den Genesungsheimen grund¬
sätzlich dadurch, daß sie nur Tagesbetrieb haben. Dadurch ergibt sich
die Notwendigkeit, daß sie in leicht erreichbarer Nähe der Städte errichtet
werden.
11. Charakteristisch für die Erholungsstätten ist ferner die außerordentliche
Billigkeit des Betriebes, die es ermöglicht, die Erholungsstättenpflege einer
fast unbegrenzten Zahl der dieser Pflege Bedürftigen zuteil werden zu
lassen. Ein Abweichen von der größten Einfachheit bedeutet zugleich eine
numerische Einschränkung der Fürsorge.
12. Weder für Genesungsheime noch für Erholungsstätten empfiehlt sich eine
weitgehende Beschränkung auf bestimmte Krankheiten.
Referent, Dr. Rudolf Leitühoff (Berlin):
„Meine sehr verehrten Herren! Das Thema „Genesungsheime“ ist in
dieser Versammlung nicht neu. In der 15. Jahresversammlung in Straßburg
im Jahre 1889 haben die Herren von Ziemssen und Back über denselben
Gegenstand referiert. Ich kann es mir infolgedessen ersparen, auf die
geschichtliche Entwickelung der Genesungsheime hier näher einzugehen und
ebenso auf die Begründung der Notwendigkeit dieser Anstalten. Ich will
mich darauf beschränken, die Thesen vorzulesen, die damals den Verhand¬
lungen zugrunde lagen. Es hieß:
1. Heimstätten für Genesende sind für größere Gemeinwesen ein dringendes
Bedürfnis.
2. Für dieselben sprechen nicht bloß ärztliche, sondern auch soziale und
administrative Erwägungen.
3. Die Einrichtung und Unterhaltung solcher Anstalten ist nicht Aufgabe
des Staates oder der Gemeinden, sondern ist der Vereinstätigkeit und der Privat¬
wohltätigkeit zu überlassen.
4. Es erscheint zweckmäßig, die Heimstätten den Krankenhäusern anzu¬
gliedern und mit einer möglichst einfachen, aber sachverständigen Verwaltung
zu versehen.
5. Der familiäre Charakter der Heimstätten macht es nicht wünschenswert,
daß den einzelnen Anstalten eine zu große Ausdehnung (über 100 Betten) gegeben
werde.
6. Geeignet zur Aufnahme sind in erster Linie die Rekonvaleszenten von
akuten Krankheiten, von Verletzungen undOperationen, dann auch Wöchnerinnen,
in zweiter Linie an chronischen Krankheiten Leidende, wenn dieselben akute Ver¬
schlimmerungen erfahren haben.
7. Prinzipiell ausgeschlossen sind Geisteskrankheiten, Epilepsie, ekelerregende,
chirurgische und Hautleiden, Lues und Alkoholismus.
8. Als notwendige Vorbedingung für die Aufnahme ist eine gute sittliche
Qualifikation zu fordern.
„Das waren also die Anschauungen aus dem Jahre 1889.
Digitized by LaOOQle
73
Walderholungsstätten und Genesungsheime.
„Wir haben gesehen, daß nicht in allen Teilen die Entwickelung den
Weg gegangen ist, der hier vorgesehen war. Insbesondere hat sich gezeigt,
daß die Errichtung der Genesungsheime durch Vereine und durch die Privat¬
wohltätigkeit nicht das tatsächlich vorhandene Bedürfnis befriedigen kann.
Es hat sich weiter gezeigt, daß gerade die Gemeinden zu einem erheblichen
Teile dem Bedürfnis nachgekommen sind. Es wurde damals nicht in Rück¬
sicht gezogen und konnte es auch nicht, daß ein neuer bedeutsamer Faktor
erscheinen würde, der zu einem großen Teile die Lasten des Genesungsheims¬
wesens auf sich nahm, zum Teil auch die Heime selbst errichtete: die soziale
Versicherung.
„Als die Referate hier gehalten wurden, war die Krankenversicherung
erst wenige Jahre im Gange, und vor allem befand sie sich damals noch in
einem Stadium, in dem die Krankenkassen überwiegend ihre Aufgabe darin
erblickten, rein schematisch nach dem Buchstaben des Gesetzes den minimal¬
sten Anforderungen nachzukommen, als sie noch nicht das Gefühl dafür
hatten, daß es ihre Aufgabe sei, eine weitgehende Fürsorge für die ver¬
sicherte Arbeiterbevölkerung zu treffen. Es gab vor allem damals aber noch
nicht die Invalidenversicherung, die, wie sich in der Folge gezeigt hat,
das vorbeugende Heilverfahren, die Erzielung und Erhaltung der
Arbeite- und Erwerbsfähigkeit des Versicherten, zu einer Hauptaufgabe
machte.
„Ich will Sie nicht damit aufhalten, daß ich Ihnen nun der Reihe nach
alle die Genesungsheime aufzähle, die im Laufe der Jahre entstanden sind x ).
Ich will nur hervorheben, wer sich mit der Errichtung solcher Heime befaßt.
Da sind es immer noch im einzelnen Vereine und die Privatwohltätigkeit.
Vereinzelt sind es religiöse Gemeinschaften. In der Hauptsache aber sind
es Kommunen und die Träger des sozialen Versicherungswesens. Es kommen
dann hinzu in einzelnen Fällen größere Arbeitgeber, die für den Kreis ihrer
Arbeitnehmerschaft solche Anstalten errichtet haben, Großfabrikanten sowohl
wie Staatsbetriebe, in erster Reihe die Eisenbahnverwaltung. Es sind ferner
Genesungsheime errichtet worden von der Heeresverwaltung, für Soldaten
und für Offiziere.
„Noch nach einer anderen Richtung hin haben die Anstalten eine etwas
andere Entwickelung genommen, als man damals als notwendig und zweck¬
mäßig vorsehen zu sollen geglaubt hatte. Die Anstalten waren ursprünglich
auf einem ziemlich primitiven Standpunkt. Sie enthielten höchst einfache
Räume und gewährten eine sehr einfache Verpflegung. Die Patienten sollten
nichts weiter, als, nachdem sie eine schwere Krankheit im Krankenhause oder
in ihrer Wohnung überstanden hatten, sich ausruhen und behaglich ihrer
Genesung entgegensehen. Es hat sich aber gezeigt, daß das Bedürfnis ein
wesentlich größeres ist. Das hängt zusammen mit der Entwickelung, die
unsere Therapie gerade in diesen Jahren genommen hat. Aus der Zeit
der therapeutischen Untätigkeit sind wir in eine Zeit therapeutischer Aktivität
hineingeraten, die auch an den Genesungsheimen nicht vorübergehen konnte.
Infolgedessen sehen wir, daß sich von Jahr zu Jahr auch in den Genesungs-
l ) Bin ziemlich ausführliches Verzeichnis findet man bei Dr. Stefan Ingerle:
Die Anstalten für Rekonvaleszenten, Erholungsbedürftige und Genesende. München
1901, Seitz u. Schauer.
Digitized by LaOOQle
74 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
heimen ein therapeutischer Apparat entwickelte, daß dieser Apparat stets
vervollkommnet wurde; auch hängt das zum Teil mit dem Bestreben zu¬
sammen, einen möglichst hohen Grad von Erwerbsfähigkeit zu erzielen bzw.
zu erhalten.
„Es kommt hinzu, daß die Genesungsheime nicht bloß blieben, was der
Name sagt: Heime zur Erzielung einer Genesung nach überstandener Krank-
keit, sondern daß sie zum großen Teile auch der Behandlung chronisch
Kranker dienten, für die Krankenhäuser nicht in Betracht kommen, für
die Krankenhäuser an sich zu teuer sind, die vor allem einer längeren Be¬
handlung bedürfen, bei denen neben dem Aufenthalt in der frischen Luft
elektrö-, thermo- und hydrotherapeutische Behandlung einen Hauptfaktor
darstellten. Solche Heime sind besonders von den Landesversicherungs¬
anstalten, die das größte finanzielle Interesse an der Erzielung einer erheb¬
lichen Arbeitsfähigkeit haben, errichtet worden. Ich erinnere da nur an die
Anstalt der Berliner Landesversicherungsanstalt in Beelitz — ich meine
nicht die Lungenheilstätte, sondern das sogenannte Sanatorium — und
an die gleichartige Anstalt der Landesversicherungsanstalt Schlesien bei
Schmiedeberg im Riesengebirge.
„Bei den Genesungsheimen ist ein Gesichtspunkt besonders zu beachten;
das ist die soziale Schichtung der Insassen. Ein Genesungsheim kann im
allgemeinen nicht, wie ein Krankenhaus für Schwerkranke, gleichzeitig An¬
gehörige verschiedener sozialer Kreise in sich aufnehmen. Es handelt sich
um Leute, die nicht an das Bett gefesselt sind, die, wenn ich so sagen soll,
in voller Freiheit leben, aber auf einen persönlichen, gesellschaftlichen Ver¬
kehr miteinander angewiesen sind. Da ist es durchaus richtig, daß möglichst
solche Personen innerhalb desselben Genesungsheimes vereinigt sind, die einer
ungefähr gleichen Bildungsstufe angehören, auf einem ungefähr gleichen
sozialen Standpunkte stehen. Es hat sich gezeigt, daß, wo zum Teil die
Patienten durcheinander gewürfelt waren, Mißhelligkeiten, Reibereien kamen,
die einen von den anderen gehänselt, beleidigt wurden usw., was gerade bei
der leichten Reizbarkeit Genesender die Kur erheblich beeinträchtigt.
„Es hat sich bei den Krankenkassen im Laufe der letzten Jahre die
Praxis herausgebildet, sogenannten Landaufenthalt zu bewilligen, um
durch ihn denselben Zweck zu erreichen, den die Genesungsheime verfolgen.
Nach meiner Erfahrung und Beobachtung, sowohl bei Krankenkassen, wo
ich einen direkten Einblick hatte, als auch bei anderen, die mir darüber be¬
richteten, erfüllt die Bewilligung des Landaufenthaltes oft nicht den Zweck,
der erreicht werden soll, und vor allem lohnt er praktisch nicht die Kosten,
die die Krankenkassen für Landaufenthalt verwenden. Die Kranken gehen
gewöhnlich zu ihren Eltern, zu Verwandten aufs Land und kommen dort oft
in Verhältnisse hinein, die durchaus nicht den notwendigen Anforderungen der
Hygiene entsprechen. Da sie, besonders wenn sie Rekonvaleszenten sind,
oft nicht die nötige Selbstbeherrschung, Selbstbeschränkung üben, so ist ihre
ganze Lebensweise sehr häufig nicht derart, daß der Heilzweck in angemessener
Weise erreicht wird.
„Ebenso geht es, wenn die Krankenkassen wahllos Patienten in die
Badeorte hineinschicken. Nur wenn sie in den Badeorten einer be¬
stimmten Fürsorge unterworfen werden, läßt es sich vom Standpunkte
Digitized by LaOOQle
75
Walderholung8stätten und Genesungsheime.
«der sozialen Versicherung aus rechtfertigen, daß Krankenkassen oderLandes-
versicherungsanstalten die entsprechenden Kosten aufwenden.
„Ich sagte schon, daß für Genesungsheime im wesentlichen diejenigen
Kranken in Betracht kommen sollen, bei denen die Anwendung irgend
«eines mehr oder weniger großen therapeutischen Apparates not¬
wendig ist, denn seitdem wir die Erholungsstätten besitzen, brauchen wir
•die teuren Ausgaben der Genesungsheime nicht mehr für die Mehrzahl
<der Kranken aulzuwenden, die früher in die Genesungsheime geschickt
worden sind.
„Ich muß kurz, damit Sie das Wesen der Erholungsstätten erfassen
können, auf die Entstehungsgeschichte der Erholungsstätten ein-
gehen. Mein verstorbener Freund Dr. Wolf Becher und ich machten
Untersuchungen über die Wohnungen tuberkulöser Arbeiter in Berlin. Wir
stellten dabei die Schädigungen fest, die inzwischen ja allgemein bekannt
geworden sind, besonders durch die nach unserem Muster nachher ausge¬
führten wohnungshygienischen Untersuchungen verschiedener Kranken¬
kassen. Wir überlegten uns, was gegen die vorhandenen Schäden zu tun
sei, und kamen zu der Überzeugung, daß für eine absehbare Zeit inner¬
halb dieser Wohnungen nur geringe Verbesserungen möglich sein würden.
Wir formulierten das damals so, daß man innerhalb der bestehenden Woh¬
nungen nur hygienische Kleinarbeit machen könne, daß, bis einmal ein
hygienisch einwandfreies Wohnen durchgeführt werden könne, viele Jahr¬
zehnte vergehen würden. Es mußte also irgend etwas geschehen, um die
Schäden der gegenwärtigen Wohnungen angemessen verbessern zu können,
und da sagte Becher eines Tages: da wir in den Wohnungen vorläufig
nicht viel ausrichten können, sorgen wir dafür, daß diejenigen Arbeiter, die
die Zeit dafür haben, sich möglichst wenig in den Wohnungen, sondern
in der frischen Luft aufhalten.
„Besonders in der Großstadt bestand folgender Notstand. Ein Kassen¬
patient war von seinem Kassenarzt arbeitsunfähig geschrieben worden, war
aber imstande, umherzugehen, er war nicht bettlägerig. Vor allem gehören
hierzu die leicht und mittelschwer Tuberkulösen, die Neurastheniker — neu-
rasthenische Buchdrucker, Schreibmaschinen Schreiber —, die zahlreichen
anämischen Näherinnen, viele Rekonvaleszenten usw. Der Kassenarzt sagt
zu diesen Patienten: Hier haben Sie Ihren Krankenschein, hier haben Sie
Ihre Medizin, und jetzt sorgen Sie dafür, daß Sie so viel wie möglich in die
frische Luft gehen. Es ist aber in der großen Stadt schwer möglich, den
Rat, in die frische Luft zu gehen, in angemessener Weise zu befolgen. Je
größer die Stadt ist, desto mehr ist die frische Luft von der Stadt entfernt;
innerhalb der Stadt gibt es zwar meist eine Reihe von Plätzen , Parks und
dergleichen, doch diese Parks sind zum großen Teil in Anspruch genommen
von den Kindermädchen und den Kinderwagen und den Kindern. Wenn
auch der Kranke hin und wieder einmal eine Viertel-, eine halbe Stunde
dort spazieren gehen kann, von einer eigentlichen Luftkur, einem Luft¬
genuß kann für ihn nicht die Rede sein. Es bleibt ihm also nichts anderes
übrig, als daß er einen weiten Weg nach draußen in den Wald unternimmt.
Dahin kann er nur kommen unter Benutzung der Fahrgelegenheiten, im
Walde kann er sich nur aufhalten, wenn er für den Fall des Regens ein
Digitized by LaOOQle
76 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
Dach hat, unter dem er sich gegen den Regen schützen kann, wenn er
Gelegenheit zum Ruhen und zum Essen hat. Hierfür muß also gesorgt
sein, wenn überhaupt der ausgehfähige Arbeiter der großen Stadt in den
Wald gehen soll. Waren diese Forderungen aber erfüllt, so war es mög¬
lich, den größten Teil der in Frage kommenden Kranken, d. h. alle, die
ohne Schaden täglich den Weg nach und von der Anstalt zurücklegen
können, in den Wald bineinzubringen, und diese Forderungen — das
bitte ich festzuhalten — nur diese Forderungen sollten zunächst
die Erholungsstätten erfüllen.
„Dem Internationalen Tuberkulosekongreß 1899 in Berlin unterbreiteten
wir folgende Thesen, von denen 6 und 7 von Becher verfaßt sind:
1. In den Wohnungen Unserer Arbeiter ist ein Hauptmoment zu erblicken
in bezug auf Verbreitung der Tuberkulose, Behinderung ihrer Heilung und Ver¬
nichtung der Heilstättenerfolge.
2. Es sind daher neue Wohnungsverhältnisse zu schaffen. Da aber die be¬
stehenden Wohnungen nicht mit einem Male entvölkert werden können, vielmehr
noch von einer oder mehreren folgenden Generationen in Anspruch genommen
werden, ist eine gründliche Beseitigung der Mißstände, die sie aufweisen, von¬
nöten.
3. Zur Aufdeckung derselben bedarf es der Schaffung von Gesundheits-Kom¬
missionen.
4. Eine Hauptschädlichkeit der Wohnungen besteht in der Unmöglichkeit
einer gründlichen Reinigung, bedingt durch die Art der Uberfüllung mit Möbeln
und allerlei gar nicht staubfrei zu haltenden Gegenständen (Körbe, Pappbehälter usw.).
5. Es ist daher hygienische Kleinarbeit, die sich auf die scheinbar un¬
wichtigsten Dinge zu erstrecken hat, vonnöten.
6. Von den Tuberkulösen kann nur ein Teil in Lungenheilstätten untergebracht
werden. Der größte Teil der Kranken ist an die Wohnungen gebannt. Dem
Lungenkranken wird geraten, sich möglichst viel im Freien aufzuhalten. Er geht
in den Großstädten in den Straßen spazieren oder setzt sich auf öffentlichen
Plätzen nieder, d. h. er bleibt in der Stadtluft.
7. Um den Tuberkulösen den Genuß der Landluft zu beschaffen, bedarf es
einer neuen Einrichtung. In waldigen Gegenden, nahe den Großstädten (Berlin
Grunewald, Stadtbahn) sind Doeckersehe Baracken (leihbar von dem vater¬
ländischen Frauenverein) als Liegehallen hergerichtet aufzustellen. Dem Tuberku¬
lösen ist die Möglichkeit zu geben (Arbeiterfahrkarten), zu jeder Tageszeit nach
diesen Liegehallen zu fahren. Er soll sich in diesen oder in ihrer Umgebung
über Tag auf halten. Den Kranken sind auf Verlangen Speisen und Milch zu
verabfolgen. Die Unterhaltung der Küche soll Sache der Frauenvereine sein.
Die Überwachung der Tuberkulösen in der Baracke haben Kassenärzte zu über¬
nehmen.
„Schon im folgenden Jahre bildete der Volk sh eil stätten verein vom Roten
Kreuz in Berlin eine besondere Abteilung für Erholungsstätten unter dem
Vorsitz ihrer Exzellenz der Frau Kultusminister von Studt und errichtete
unter der hervorragenden Mitwirkung von Prof. Pannwitz die erste Er¬
holungsstätte für Männer in der Jungfernhaide. Gemäß dem vorgescblage-
nen Plane gab das Rote Kreuz Baracken, die für den Kriegsfall sowieso im
Depot lagen, leihweise; der Forstfiskus überließ uns ein Stück Wald gegen
jährlich 5 M. Anerkennungsgebühr; durch Vermittelung des Vaterländischen
Frauenvereins wurde in den Baracken eine Küche errichtet.
„Als ebenso wichtiger Faktor kam hinzu, daß durch Vermittelung der
Zentralkommission der Krankenkassen sich die Krankenkassen bereit er-
Digitized by LaOOQle
Walderholungsstätten und Genesungsheime. 77
klärten, den Patienten für die Fahrt nach den Erholungsstätten das Fahr¬
geld zu bezahlen, und die Milch, die der Kassenarzt diesen Kranken in der
Stadt verschrieb, jetzt draußen in der Erholungsstätte verabfolgen ließen.
Wir sagten uns so: Der Kranke bekommt sein Krankengeld, damit er Woh¬
nung und Nahrung von diesem Krankengelde bestreiten kann. Infolge¬
dessen kann er auch draußen sein Mittagessen, das er sonst in der Stadt
sich kaufen müßte, in der Anstalt kaufen. Auf diese Weise machen wir es
möglich, daß wir ohne große Kosten die Anstalt errichten und den Betrieb
aufrecht erhalten können. Wir gaben Leuten, die ihr Essen mitbringen
wollten, Gelegenheit, ihr Mittagessen zu wärmen, genau so wie sie es in
ihrer Betriebsstätte tun.
„Nun, die Praxis stellt sich immer etwas anders, wie die Voraus¬
berechnung. Es zeigte sich, daß von der Wärmgelegenheit fast gar kein
Gebrauch gemacht wurde, daß aber auch, obschon wir nur 20 Pf. für das
Mittagessen rechneten, nur sehr, sehr wenige kranke Arbeiter sich auf eigene
Kosten das Mittagessen kauften. Sie brauchten ihr gesamtes Krankengeld
für Miete und Unterhalt der Familie! Infolgedessen wurde es notwendig,
daß die Krankenkassen das Mittagessen bezahlten, und sie erklärten sich
hierzu auch bereit. Auf diese Weise stellten sich nun die Kosten in den
Erholungsstätten auf mindestens 1 Liter Milch pro Tag zu 20 Pf. und eine
Portion Mittagessen, dessen Preis wir im zweiten Jahre auf 30 Pf. setzen
mußten, und den wir im letzten Jahre durch die Fleischteuerung usw. auf
35 Pf. zu erhöhen genötigt waren. Das wären also mindestens 55 Pf. und
dazu kommen noch 10 bis 15 Pf. Fahrgeld, so daß also der jetzige Satz 70
bis 80 Pf. beträgt.
„Die Anstalten, die wir in Berlin in dieser Form errichtet hatten,
fanden recht bald anderwärts Nachahmung, aber da zeigte es sich schon,
daß eine Verallgemeinerung, eine genaue Nachahmung nicht überall mög¬
lich ist. Wir sagten uns seinerzeit in Berlin: wenn der Arbeiter für sich
allein zur Arbeit oder in den Wald geht, so nimmt er sich sein Butterbrot,
seine Stulle, mit, infolgedessen haben wir nicht nötig, den Leuten draußen
Frühstück zu verabreichen, das Frühstück können sie sich mitbringen. Da¬
durch halten wir die Anstaltsgebühren gering und ermöglichen, daß eine
größere Anzahl von Kranken hinauskommen kann. Es zeigte sich ander¬
wärts, daß, wenn man nicht den Patienten für den ganzen Tag die volle Ver¬
pflegung gab, es gar nicht möglich war, Patienten berauszubekommen. In¬
folgedessen mußte sowohl, was die Verpflegung innerhalb der Anstalt, wie
was die für die Verpflegung zu erhebenden Gebühren betrifft, fast überall,
wo solche Erholungsstätten errichtet wurden, eine Anpassung an die ört¬
lichen Verhältnisse stattfinden. Aber ich bin der Ansicht, daß man
trotz alledem an dem einen Grundsatz festhalten soll, den Typus
der Anstalt so einfach wie möglich zu gestalten. Nur dann wird
man in der Lage sein, das Bedürfnis in dem tatsächlich vorhan¬
denen Umfange zu decken. Wir sehen es fast bei den meisten An¬
stalten, daß, je üppiger man sie ausstaffiert und an je mehr man die In¬
sassen gewöhnt, sich der Betrieb auf die Dauer um so teuerer gestaltet, dem¬
entsprechend auch die Verpflegungsgebühren, und daß der Typus der Anstalt
sich also um so weniger verallgemeinern läßt. Die Instanzen, die die
Digitized by LaOOQle
78 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburgs
Träger der Unterhaltungskosten sind, die Landesversicherungsanstalten,
Krankenkassen usw., sind dann auch viel schwerer zu bewegen, die teueren
Verpflegungsgebühren zu bezahlen. Ich glaube, daß man bei einer an¬
gemessenen Belehrung die Kranken davon überzeugen kann, daß sie sich
mit etwas weniger bescheiden müssen, wenn ihnen überhaupt etwas ge¬
boten wird. Wir haben bei den Erholungsstätten nie daran gezweifelt,
daß sehr viel mehr möglich wäre und daß ein Mehr auch angenehmer
wäre; indessen, hier hieß es entweder etwas, was an sich schon recht
viel ist, oder gar nichts, und da haben wir ans lieber mit dem einfachen
Etwas beschieden.
„Und nun überlegen Sie einmal, mit wie wenig Unkosten man solche
Erholungsstätten in der Form, wie ich das geschildert habe, errichten kann.
Das Gelände kostet nichts. Wir haben fast überall, wo wir die Anstalten
errichtet haben, das Wirtschaftsgebäude kostenfrei vom Zentralkomitee zur
Errichtung von Heilstätten für Lungenkranke, jetzt Deutsches Zentral¬
komitee zur Bekämpfung der Tuberkulose, geliefert bekommen in Form einer
Döckerschen Baracke. — Ich will hier gleich einschalten, daß ich auf die
Dauer die Döckerschen Baracken als Wirtschaftsgebäude nicht für sehr
zweckmäßig halte. Sie können im Winter nicht überall stehen bleiben,
müssen im Herbst abgebrochen, im Frühjahr wieder aufgebaut werden,
eventuell so lange irgendwo in der Stadt in einen Speicher gelegt werden.
Das erfordert Abbruchskosten, Fuhrkosten, Aufbaukosten, meist auch Repa¬
raturkosten, also so viel Spesen, daß dabei ungefähr schon die Verzinsung eines
eigenen Fachwerksgebäudes herauskommt. Aber im allgemeinen gibt das
Deutsche Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose neuerdings zur
Errichtung einer Erholungsstätte 5000 M. Zuschuß, der’ ungefähr zur Er¬
richtung einer eigenen Wirtschaftsbaracke aus Fachwerk ausreicht. In der
Wirtschaftsbaracke befindet sich eine Küche von etwa 25 qm Größe, ein
Vorratsraum, Bureauzimmer und Schlafzimmer für Schwester, Köchin und
Aufwartefrau.
„Man braucht dann an manchen Orten eine Umzäunung. Wir z. B.
bei Berlin müssen unbedingt um die Anstalten eine Umzäunung haben,
nicht, damit unsere Patienten nicht herauskommen, sondern damit andere
Leute nicht hineinkommen. Aber es gibt eine Anzahl von Erholungsstätten
bei kleineren Städten, die in größerer Entfernung von bewohnten Orten
gelegen sind, wo eine Umzäunung nicht nötig ist.
„Ferner braucht man eine vorn offene Halle. Sie soll nicht eine soge¬
nannte Liegehalle sein. In demselben Augenblicke, wo man, wie das an
manchen Orten geschieht — aus dekorativen Gründen, aus Eitelkeits¬
gründen — von einer Liegehalle spricht, werden an diese Halle wieder viel
größere Anforderungen gestellt, als notwendig und als berechtigt. Wir
sprechen immer nur von einer Schutzhalle oder einer Unterstandshalle.
Diese ist in der allereinfachsten Form, wenigstens bei uns, gehalten; eia
einfacher Holzschuppen von ungefähr 5 bis 6 m Tiefe, 4 m Höhe und in
der Länge entsprechend der Zahl der Patienten, die untergebracht werden
sollen. Im allgemeinen haben wir eine Frontlänge von 20 bis 25 m. Solch
eine Halle kostet, je nachdem gerade die Holzpreise und die Arbeitslöhne
sind, verschieden viel.
Digitized by LaOOQle
79
W&lderholungsstätten und Genesungsheime.
„An die Wirtscbaftsbaracke schließt sich ein sogenannter Wirtschafts¬
hof, in dem das Abwaschen des Geschirres, Kartoffelschälen und dergleichen
besorgt wird. Dazu sind einige Bretter - Podeste nötig, Schuppen für
Kohlen usw. Ferner haben wir einen Waschraum für die Kranken, in der
denkbar einfachsten Weise ein kleiner Holzschuppen. In ihm ist horizontal
ein Brett mit Löchern angebracht, mit Emaille - Waschschüsseln billigster
Art. Die Patienten holen sich selbst das Wasser von der Pumpe und spülen
sich selbst die Waschgeschirre aus. Im Anfang haben wir daran fest¬
gehalten, daß die Patienten sich ihre eigenen Handtücher mit herausbrachten,
um auf diese Weise wiederum Betriebskosten zu sparen. Das ging auch
ganz schön, bis ein anderer Verein eine Anstalt errichtet hat, die etwas
üppiger ausgebaut war; in demselben Augenblick kam dann die Unzu¬
friedenheit mit unserer Anstalt.
„Man braucht weiter ein Abortgebäude, auch ein ganz einfacher Holz¬
schuppen. Die Anlage muß man ja Jden örtlichen Verhältnissen anpassen.
Wir haben in Berlin das Tönnensystem gut durchführen können, indem
wir jedesmal Torfmull in die Tonne bineinwerfen lassen. Wir haben dadurch
ziemlich geruchfreie Klosetts erzielt; sie befinden sich in der äußersten Ecke
des Geländes. Wir brauchen weiter einen Brunnen mit Pumpe.
„Zu diesen Ausgaben kommen dann die für die Gebrauchsgegenstände,
Eßnäpfe einfachster Art, Küchengescbirr usw., Kochtöpfe, ein paar einfache
eiserne Bettstellen für das Personal, Tische, Bänke, Stühle, Liegestühle
(einfache sogenannte Triumphstühle), Wolldecken. Alles in allem stellen
sich die Ausgaben einschließlich Wirtschaftsbaracke für eine auf 150 Pa¬
tienten berechnete Erholungsstätte auf 12000 bis 15 000 M. Wenn Sie
bedenken, daß in einem modernen Krankenhause oder in einer modernen
Heilstätte das einzelne Bett kaum unter 6000 M. herzustellen ist, so haben
Sie für dasselbe Geld, das in einer Heilstätte kaum drei Betten kosten, hier
für 150 Patienten vorgesorgt.
„Wenn wir uns nun die Erfolge ansehen, die mit den Erholungsstätten
erzielt werden, so lassen sie sich ja nicht unbedingt vergleichen, sollen
auch nicht verglichen werden mit den Erfolgen in den Heilstätten oder in
den großen Genesungsheimen. . Indessen sehen wir — woran wir im Anfang
gar nicht gedacht hatten —, daß ein eigentümlicher Faktor hinzukommt,
der, an sich ein Nachteil, in gewisser Beziehung einen Vorzug der Erholungs¬
stätten darstellt und das ist die unbedingte Nähe bei der Wohnstätte und
die Möglichkeit, die Nacht bei der Familie verbringen zu können. Es gibt
Leute, die es auf die Dauer einfach nicht vertragen, längere Zeit von ihrer
Familie getrennt zu sein. Für viele, die längere Zeit von der Familie ge¬
trennt sind, die längere Zeit genötigt sind, in einem verhältnismäßig kleinen
Bereich mit einer größeren Anzahl von fremden Personen zusammen zu
leben, muß schon in dem Genesungsheim oder in der Heilstätte ein ver¬
hältnismäßig großer Komfort vorhanden sein, es muß eine Reibe erheblicher
persönlicher Annehmlichkeiten geboten werden, um den Aufenthalt in diesen
Anstalten angenehm und nicht gar zu langweilig erscheinen zu lassen.
„Es wird so häufig — ich schweife da etwas von meinem Thema ab,
möchte das aber doch hier einflechten — von dem zu großen Luxus und
dergleichen in den Heilstätten gesprochen, und es wird gesagt, wenn die
Digitized by LaOOQle
80 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
Patienten nachher in ihre einfachen häuslichen Verhältnisse zurückkommen,
so können sie sich gar nicht mehr an diese gewöhnen, weil ihnen viel zu
viel in den großen Anstalten geboten wird. Das ist meiner Ansicht nach
falsch. Die Tatsache, wieder mit der Familie vereinigt zu sein, wirkt so
außerordentlich auf die Patienten ein, daß sie sehr schnell all den sogenannten
Luxus vergessen haben, mit dem sie draußen umgeben waren; die Trennung
von der Familie ist eine so große Beeinträchtigung der Leute, daß sie kaum
durch den sogenannten Luxus kompensiert wird. Aber, wie gesagt, die
Einfachheit in den Erholungsstätten gleicht vielfach durch die Wirkung
auf das Gemüt aus, was in den größeren Heilstätten an einem Mehr geboten
wird. Es kommt hinzu, daß es eine ganze und nicht unerhebliche Anzahl
von Patienten gibt, die gar nicht in der Lage sind, selbst wenn sie das Geld
dazu haben oder wenn ihnen von anderer Seite das Geld dazu gegeben wird,
dauernd oder auf Wochen und Monate sich von Hause entfernen zu können.
Wir haben Arbeiter, deren Frau ein kleines Geschäft betreibt, wo sie sich
mindestens einmal des Tages um die Buchführung kümmern müssen oder
wo sie den Sonntag in den paar Stunden, wo das Geschäft lebhaft ist, mit
hinter dem Ladentisch stehen müssen usw. Wir haben Arbeiter, die nicht
vom Hause Weggehen, weil sie ihre Frau nicht so lange allein lassen wollen,
alle diese Leute gehen recht gern in die Erholungsstätte.
„Jetzt kommt ein zweiter wichtiger Faktor bei den Frauen. Nachdem
wir zunächst die Erholungsstätte bei den Männern eingerichtet und gezeigt
hatten, daß sie gut durchzuführen war, machten wir eine Erholungsstätte
für Frauen auf. Da bekamen wir mit Leichtigkeit hinein unverheiratete
junge Mädchen. Aber jetzt zeigte sich etwas ganz Neues und Unerwartetes:
die Frauen konnten wir fast gar nicht hinausbekommen, und zwar besonders
Frauen, die kleine Kinder zu Hause hatten. Sie können sich von den Kindern
nicht trennen. Wir sehen ja auch bei den Lungenheilstätten, daß eine
ganze Reihe von Frauen, die es nötig hätten, nicht in die Lungenheilstätte
hineingehen, weil sie ihre kleinen unversorgten Kinder nicht allein lassen
können. Diesen Frauen erlauben wir, ihre kleinen Kinder mit in die Er¬
holungsstätte zu bringen. Das geht, weil sie die Kinder morgens und abends
in angemessener Weise versorgen können. . So haben wir durch die Er¬
holungsstätte erreicht, daß wir einem ganz erheblichen Teil von Personen,
die einer entsprechenden Behandlung bedürfen, die auf keine andere Weise
zu irgend einer angemessenen Behandlung überhaupt zu bekommen sind,
eine gesundheitliche Versorgung ermöglichen. Gleichzeitig haben wir mit
derselben Klappe die zweite Fliege geschlagen, daß die Kinder nun auch
nach draußen ins Freie kamen, sowohl die Säuglinge wie die Kinder von
ein, zwei, drei, vier Jahren.
„Es entwickelte sich dann aus dem Mitnehmen der Kinder in die Er¬
holungsstätte für Frauen die dritte Form, die Erholungsstätte nur für
Kinder, und da ist wiederum etwas erreicht worden, was weit über die
bisherige Fürsorge hinausgeht und was auch mit gar keinen anderen
Mitteln in dem Umfange zu erreichen ist. Wir haben jetzt in Berlin zwei
Erholungsstätten für Kinder. Es sind erst in einigen wenigen Städten
solche nachgefolgt. Zunächst hat man in Wien solche Anstalten gemacht,
dann folgte Danzig. Die Danziger Anstalt ist besonders lehrreich, indem
Digitized by LaOOQle
Walderholungsstätten und Genesungsheime. 81
sie zeigt, mit wie unglaublich einfachen Mitteln man eine Erholungsstätte
errichten kann.
„In der Erholungsstätte für Kinder mußte man eine Reihe von neuen
Prinzipien einführen, die bei den Anstalten für Erwachsene nicht notwendig
waren, ln den Anstalten für Erwachsene behandelt der Kassenarzt der
Stadt seine Patienten weiter. Die Kinder sind nicht in kassenärztlicher
Behandlung, bedürfen also innerhalb der Erholungsstätte einer ärztlichen
Behandlung. In der Erholungsstätte für Erwachsene kann man natürlich
auch einen Arzt nicht entbehren, indes braucht der Arzt dort nichts weiter
zu tun, als die Hygiene der Anstalt zu überwachen und so viel Einfluß auf
die Kranken zu gewinnen, daß sie sich innerhalb der Anstalt nach hygie¬
nischen Grundsätzen benehmen. Wenn er dies oder jenes bei seinen Kranken
entdeckt, was vielleicht dem Kassenarzt entgangen ist, setzt er sich in
freundschaftlich kollegialer Weise mit dem Kassenarzt in Verbindung, macht
ihn auf dieses oder jenes aufmerksam, bittet ihn, bei der Krankenkasse zu
beantragen, daß diese oder jene Mehrleistung dem Kranken bewilligt
werde usw. In der Kindererholungsstätte muß eine direkte unmittelbare
Behandlung der Kinder stattfinden. Ferner ließ sich in der Kinder¬
erholungsstätte nicht umgehen, daß wir den Kindern volle Verpflegung, also
erstes, zweites Frühstück usw. gaben. Nun, auch das ließ sich ermöglichen.
Wir geben unseren Kindern in unseren Anstalten in Berlin folgende Verpflegung:
Morgens, wenn sie in die Anstalt hinauskommen, einen Becher Morgensuppe
und dazu eine — wie man in Berlin sagt — Schrippe, ein Stück Weißbrot.
Um 10 Uhr bekommen sie einen Becher Milch, zwischen 12 und 1 Uhr
Mittagessen, bestehend aus einem Gericht aus Gemüse, Kartoffeln und
Fleisch, nachmittags um 3 Uhr einen Becher Milch von */ 4 Liter Inhalt
mit einer Musschrippe, also einem Stück Brot, bestrichen mit Apfelmus oder
dergleichen, abends gegen 6 Uhr wiederum einen Becher Abendsuppe und
eine Butterstulle, d. h. ein Stück Graubrot mit Butter bestrichen. Wir geben
nun nicht genau abgemessene Portionen, sondern halten darauf, daß die
Kinder so oft nachholen, wie sie Hunger haben. Wir haben hierfür eine
Verpflegungsgebühr von 50 Pf. erhoben und kommen mit diesen 50 Pf.
aus. Wir können mit diesen 50 Pf. sogar noch die Verpflegung unseres
Personals und die Gehälter für unser Personal bestreiten. In der von mir
geleiteten Anstalt bei Sadowa, wo wir im vorigen Jahre etwa 500 Kinder
im Laufe des Sommers verpflegten, haben wir sogar noch einen Überschuß
von 250 M. gehabt. Allerdings waren dabei einige freiwillige Zuwen¬
dungen. Es kommt vor, daß gelegentliche Besucher der Anstalt 10 oder
20 M. in die Wohltätigkeitsbüchse legten.
„In der Kindererholungsstätte konnten wir noch die Verabfolgung von
Solbädern an einen beschränkten Kreis von Kindern, skrofulösen und der¬
gleichen, die dieser Bäder besonders bedürfen, durchführen.
„Das Leben in der Kindererholungsstätte spielt sich folgendermaßen ab:
Die Kinder kommen in den frühen Morgenstunden mit der Straßenbahn oder
der Eisenbahn in die Anstalt. Im Anfang machte uns die Iierausbeförde-
rung große Sorgen (es handelt sich meist um Kinder in schulpflichtigem
Alter, also von 6 bis 14 Jahren, die für den Schulbesuch, auch für Ferien¬
kolonien, zu krank sind, aber nicht so krank, daß sie nicht täglich den Weg
Vierteljahrsschrift für Gesundheitspflege, 1907. 0
Digitized by LaOOQle
82 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öfFentl. Gesundheitspflege zu Augsburg«
von Hause zur Erholungsstätte und zurück machen könnten). Sehr bald
zeigte sich, daß die Kinder des großstädtischen Proletariats so früh an
Selbständigkeit gewöhnt werden, daß sie die Fahrt in aller Sicherheit allein
zurücklegen können, nachdem sie das erste Mal von Eltern oder Angehörigen
begleitet wurden. Sofort nach der Ankunft erhalten sie in der Erholungs¬
stätte das erste Frühstück. Dann müssen sie eine Weile ruhen, dann wird
unter Aufsicht der Kindergärtnerinnen gespielt. Um 10 Uhr erhalten sie
das zweite Frühstück. Nun folgen wieder Spiele, einzelne Gruppen gehen
in die Schule. Wir haben nämlich in beschränktem Umfange Schulunter¬
richt eingeführt, mit dem nichts weiter bezweckt werden soll, als daß die
Kinder nicht ganz vom Lernen entwöhnt werden und sich nach der Ent¬
lassung aus der Anstalt ohne Schwierigkeit wieder in der Schule zurecht¬
finden. Im allgemeinen erhält jedes Kind wöchentlich zweimal zwei Stunden
Unterricht. Dieser wird in einem ruhigen Winkel der Anstalt erteilt, ent¬
fernt von dem Lärm der spielenden Kinder. Der Schulraum ist nach allen
Seiten vollkommen frei, nur gegen den Regen überdeckt. Bänke, Schul¬
bücher usw. hat die Stadt kostenfrei zur Verfügung gestellt, ebenso die
Lehrerin, die täglich auf einige Stunden aus der Stadt heraus kommt.
„(Als Abart der Kindererholungsstätten — das sei an dieser Stelle
kurz erwähnt — hat die Stadt Charlotten bürg eine Waldschule errichtet,
die ganz nach dem Muster der Erholungsstätte eingerichtet ist, aber nicht
eine Krankenanstalt, sondern eine Schule darstellt und für Kinder berechnet
ist, die noch nicht krank, aber durch den gewöhnlichen Schulbesuch gesund¬
heitlich gefährdet sind.)
„Mit den Turn- und Reigenspielen werden in geeigneter Weise nach
der Anweisung des Arztes Atmungsübungen verbunden. Zwischen 12 und
1 Uhr gibt es Mittagbrot, dann wird zwei Stunden geschlafen. Es empfiehlt
sich, für die Schlafruhe einen besonderen, möglichst schattigen Teil des
Geländes vorzubehalten, damit die Mittagssonne die kleinen Schläfer nicht
belästigt und sich auf den Spielplätzen der unvermeidliche Staub zu Boden
senken kann. Der Teil, in dem sich die spielenden Kinder aufhalten, soll
nicht zu schattig sein, damit Sonnenbestrahlung und Durchlüftung möglich
sind. Nach dem Schlafen gibt es die Nachmittagsmilch, dann wird bis 6 oder
7 Uhr gespielt. Nun folgt das Vesperbrot, nach welchem die Kinder ent¬
lassen werden.
„Da für die Kindererholungsstätte Krankenkassen als Zahler nicht in
Betracht kommen, werden die Pflegegebühren zum größten Teil von der
Armenverwaltung getragen.
Au» den bisherigen Darlegungen geht hervor, daß die Erholungsstätten für
Kinder aus den Erholungsstätten für Erwachsene entstanden sind und daß diese
ihren Ursprung finden in den Bestrebungen zur Abstellung der durch die Woh¬
nungsverhältnisse bedingten gesundheitlichen Mißstände. Was in den Erholungs¬
stätten den Kranken, Erwachsenen und Kindern geboten wird, ist durchaus nichts
neues, es entspricht alten Forderungen. Was wir Besonderes für die Erholungs¬
stätten in Anspruch nehmen, ist, daß in ihnen eine volkswirtschaftlich zweckmäßige
und durchführbare Form zur Verwirklichung dieser Forderungen gefunden wurde.
Vor einigen Jahren hat der Berliner Kinderarzt Dr. Julius Ritter Becher und
mich gewissermaßen des wissenschaftlichen Diebstahls geziehen (Berl. klin.
Wochenschr. 1903, Nr. 48), da wir seine Idee unter Zuhilfenahme der Kapital-
Digitized by tjOOQle
83
Walderholun gestatten und Genesungsheime.
kraft des Boten Kreuzes verwirklicht hätten. Bitter hatte ein Bögime aus¬
gearbeitet, bestehend darin:
„daß die Kinder die warme Jahreszeit hindurch die ganze zweite Hälfte
des Tages auf einem freien, rasenbedeckten, staublosen Platz zubringen,
auf dem eine Halle Unterkunft gewährt für Abreibungen und die mecha¬
nische Behandlung und Unterschlupf bei ungünstiger Witterung. Die Wider¬
standsfähigkeit gegen Temperatureinflüsse wird durch methodische Ab¬
reibungen angeregt bzw. erhöht. Die Kinder werden möglichst viel dem
strahlenden Sonnenlicht ausgesetzt. Den Kopf tragen sie bedeckt mit einem
schützenden, durchlässigen Strobhute, den Körper, wenn er erst hinreichend
abgehärtet, mit einem Leinenanzuge bekleidet, während Arme, Unter¬
schenkel und Füße freibleiben. Jeder sonnige Tag gibt außerdem Gelegen¬
heit zu einem Sandbade, Turnübungen werden in sorgfältiger Bücksicht
auf Indikation und Locus minoris resistentiae und ebenso Atmungsübungen
alle Tage vorgenommen. Täglich wird die Massage, besonders der ge¬
schwollenen Drüsenorgane, in besprochener Weise ausgeübt. Die Ernährung
der Kinder findet gleichfalls in genau kontrollierter Berücksichtigung der
ausführlich erörterten Prinzipien statt.“
Diese Behandlung ließ Bitter einer Anzahl von Kindern während mehrerer
Jahre auf einem von ihm gepachteten Laubengelände in der Nähe Berlins zuteil
werden. Er mußte sie einstellen, als die ihm zur Verfügung stehenden Geldmittel
zu Ende waren. Daß wir mit den Kindererholungsstätten ein neuartiges Behänd-
lungsr6gime eingefübrt hätten, haben Becher und ich nie behauptet. Schon Huf e-
land stellte mehrfach Forderungen auf, die denen von Kitter entsprechen, z. B.
in folgenden Sätzen:
,Es ist weit eher möglich, durch Diät allein, ohne Arzneien, die Skrofeln
zu kurieren, als durch die schönsten Mittel ohne diätetische Behandlung —
wir finden in dem Genuß gesunder Nahrung und gesunder Luft die herr¬
lichsten Mittel, die Lymphe zu verbessern — die Kost muß leicht, ver¬
daulich, der Säure widerstehend, und nicht schwächend sein. Eine gehörige
Verbindung der animalischen und vegetabilischen Kost ist hierzu am schick¬
lichsten. Alle grünen Gemüse, besonders Wurzelwerk mit Fleischbrühe
gekocht, Kräuterbouillons, magere und leicht verdauliche Fleischspeise_
Beine und trockene Luft ist ganz unentbehrlich — der Patient
muß also, soviel es nur Jahreszeit und Witterung erlauben, den
ganzen Tag in freier Luft zubringen, und zwar an einem Orte, der
den Sonnenstrahlen ausgesetzt, trocken und mit reicher Vegetation begabt
ist; Kinder am besten auf trockenen Grasplätzen — ein Hauptpunkt der
physischen Erziehung und der Verhütung der Skrofeln. Er muß in einem
hohen Stockwerk wohnen, womöglich ganz die animalisierte Stadtluft meiden
und Landluft, besonders von hohen trockenen Gegenden, genießen.“
Das von Bitter angewandte B£gime ist also nicht neu, die Form, in der er
es zur Durchführung bringen wollte, erwies sich volkswirtschaftlich nicht durch¬
führbar — darin liegt der grundsätzliche Unterschied zwischen seinem Plane und
den Erholungsstätten.
„Zum Personal gehört in den Anstalten für Erwachsene zunächst die
leitende Schwester. Diese hat die nötige Buchführung und die Korrespondenz
mit den Krankenkassen zu erledigen und die persönliche Fühlung mit den
Patienten aufrecht zu erhalten. Es hängt von der Persönlichkeit der
Schwester bei allen derartigen Anstalten außerordentlich viel ab. Sie muß
sich das Vertrauen und die Zuneigung der Patienten zu erwerben verstehen.
Es kommen dazu die Köchin und neben der Köchin, je nach der Größe der
Anstalt, ein bis zwei Personen zum Aufwaschen des Geschirrs und zum Auf¬
räumen, und dann, je nachdem, wo so eine Anstalt gelegen ist, ein Nacht¬
wächter. Wir nehmen in Berlin als Nachtwächter möglichst aus den Heil¬
stätten entlassene Tuberkulöse, die bei uns eine Übergangszeit durchmachen.
6 *
Digitized by LaOOQle
84 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
In den Anstalten für Kinder kommen noch hinzu, je nach der Zahl der
Kinder, eine bis zwei bis drei Kindergärtnerinnen, die sich tagsüber in an¬
gemessener Weise mit den Kindern beschäftigen. Jeder Patient hat in der
Anstalt seine Nummer, entsprechend dieser Nummer immer dieselbe Decke,
denselben Liegestuhl, denselben Trinkbecher. Es ist in dem Bureau ein
besonderer Raum für die Decken vorhanden, ebenfalls mit numerierten
Fächern, in welche die Decken abends hinein gelegt werden. Die Trinkbecher
befinden sich auf einem Gestell im Freien mit numerierten Zapfen. Wir
benutzen einfache Emailletrinkbecher, die nicht viel kosten und entsprechend
sauber gehalten werden können. Dann haben wir noch, meistenteils geschenk¬
weise erhalten, einige Bücher und Spiele; bei den Kindern brauchen wir
weiter Spielsachen. Je zwei Kinder bekommen am Rande der Anstalt ein
Stückchen Land von 4 qm Größe zur gärtnerischen Bewirtschaftung. Es
wird keinerlei Einfluß ausgeübt, in welcher Weise sie diesen Garten bewirt¬
schaften Bollen, und es zeigt sich, daß sich hier die Phantasie der Kinder
in wunderschöner Weise entfalten kann. Man sieht selten zwei Gärten ganz
gleichmäßig. Die Kinder haben hier eine sehr schöne Beschäftigung, und es
kommt hinzu: daß die Eltern selbst teilnehmen an der Anstalt. An den
Besuchstagen, besonders am Sonntag Nachmittag, kommen die Eltern, helfen
den Kindern bei ihrem Garten, bringen alle möglichen Sachen mit, Topf¬
gewächse u. dgl. Im märkischen Sande kann man nicht so schnell, be¬
sonders nicht mit Kinderhilfe, die schönsten Blumen ziehen, da wird also
eine ganze Masse Kunst hinzugefügt; aber anstatt, daß die Eltern Sonntag
nachmittags in den Biergärten oder in den Kneipen sitzen, sind sie in der
Erholungsstätte und beschäftigen sich mit den Kindern, und so wird eine
Reihe von erfreulichen Nebenwirkungen erzielt.
„Wie einfach unter Umständen sich solch eine Anstalt errichten läßt,
zeigt das Beispiel von Danzig. Kollege Effler aus Danzig war mehrfach
draußen bei mir in Sadowa und hatte gesehen, wie schön und wie einfach
dort alles geht. Er hatte aber fast gar kein Geld zur Verfügung. Da bot
sich zufällig die Gelegenheit, eine leerstehende Villa in nicht zu weiter Ent¬
fernung von Danzig zu einem sehr billigen Preise, einigen Hundert Mark
für den Sommer, mieten zu können. Es bot sich auch die Gelegenheit, in
der Nähe dieser Villa ein Gelände überwiesen zu bekommen, das General¬
kommando gab leihweise einige Zelte und damit war die Anstalt fertig.
Man richtete in der Villa die Küche ein und einige Eßräume, und setzte in
das Gelände, ohne daß man es zu umzäunen brauchte, die Zelte und eine
Anzahl von Triumphstühlen u. dgl., führte nunmehr die Kinder hinaus und
brachte sie abends wieder zurück, so daß man mit höchst geringen Summen
tatsächlich die Aufnahme einer großen Anzahl von Kindern ermöglicht hat.
„Eins muß ich hier noch hinzufügen, was die Fahrkosten betrifft.
Wir haben es erreicht, daß wir fast überall für die Hin- und Herfahrt Er¬
mäßigungen bekommen haben. Dies war nicht leicht, und es war vielleicht
nur der Zufall, daß wir unsere Anstalten in Berlin damals errichtet haben,
wo man es verhältnismäßig bequem hat, alle Woche einmal aufs Eisenbahn-
ministerium zu gehen und alles Mögliche zu überlegen, daß wir eine Form
für eine angemessene Vergünstigung fanden. Wir haben in Berlin die Ein¬
richtung der verhältnismäßig billigen Arbeiterwochenkarten für Stadtbahn
Digitized by LaOOQle
Walderholungsstätten und Genesungsheime.
85
und Ringbahn und Vorortbahn. Es kosten im Durchschnitt Hin- und Rück¬
fahrt, je nach der Entfernung, zwischen 10 und 15 Pfg., wo gewöhnliche
Fahrkosten 20 bis 40 Pfg. für den Tag betragen. Im Anfang hatten unsere
Patienten einfach solche Arbeiterwochenkarten gelöst. Da auf einmal kam
ein Verbot: die Wochenkarten sind nur bestimmt für Leute, die von und zu
der Arbeit gehen, aber nicht für Leute, die in die Erholungsstätten gehen.
Es hat uns viele Wege ins Ministerium gekostet, bis uns wieder die Benutzung
dieser Arbeiterwochenkarten bewilligt wurde. Diese Karten durften aber
nur in den frühen Morgen- und entsprechenden Abendstunden benutzt
werden, in denen normalerweise Arbeiter zur Arbeit gehen und von der
Arbeit kommen, während wir natürlich den Arbeitern es freistellen mußten,
wenn z. B. morgens Gewitterregen war od. dgl., erst nach dem Regen zu
kommen. W 7 ir haben es erreicht, daß unsere Karten, die mit dem Stempel
unserer Anstalt versehen wurden, den ganzen Tag benutzt werden können.
Ferner müssen diese Arbeiterwochenkarten innerhalb einer Woche abgefahren
werden. Es kommt aber vor, daß einmal an einem sehr schlechten Tage,
wo es regnet oder sehr kalt ist, oder aus irgendwelchem anderen Grunde ein
Patient den Tag über nicht hinauskomint, dann hätte er diesen Tag verloren.
Wir haben es erreicht, daß unsere Wochenkarten 14 Tage Gültigkeit haben,
und in analoger Weise ist auch in fast allen anderen Städten von den Eisen¬
bahnbehörden Entgegenkommen gezeigt worden. Unsere Kinder können
aber nicht auf Arbeiterkarten fahren. Nun gibt es Monatsabonnements.
Diese Monatsabonnements sind aber auch so teuer, daß sie von den Eltern
unserer Kinder einfach nicht hätten bestritten werden können. Wir haben
e9 erreicht, daß unsere Kinder zur Hälfte dieses Monatsabonnements fahren.
Dann gelten diese Karten vom Ersten bis Ersten des Monats. Wir haben es
erreicht, daß sie von Datum zu Datum gelten. Also Sie sehen, der Eisenbahn¬
fiskus zeigt das weitgehendste Entgegenkommen. Wir haben bei der Berliner
Straßenbahn erzielt, daß bei denjenigen Anstalten, die nur mit der Straßen¬
bahn zu erreichen sind, das Monatsabonnement nur 3 M. kostet. Es sind
auch in verschiedenen anderen Städten verschiedene Vergünstigungen gewährt
worden, so daß durch alles dieses sich der Anstaltsbetrieb verhältnismäßig
billig stellt.
„Die Erholungsstätten waren zunächst nur für den Sommerbetrieb da.
Inzwischen haben wir den Versuch gemacht, sie auch für den Winterbetrieb
einzurichten. Wir haben jetzt eine Erholungsstätte bei Berlin, in Eichkamp,
die das ganze Jahr geöffnet ist. Dort mußten natürlich die Anlagen etwas
erweitert werden, insbesondere durch Hinzufügung eines großen heizbaren
Tageraumes, und sind natürlich auch entsprechend teurer. Indessen, es hat
sich gezeigt, daß der Winterbetrieb vollkommen durchführbar ist, daß man
auch nicht gar zu große finanzielle Aufwendungen zu machen hat Auch
hier fahren die Patienten des morgens hinaus und kommen abends zurück.
„Man ist nun noch über diese Dinge hinausgegangen, man hat sich
gesagt: warum soll man die' Erholungsstätten nicht auch zum Schlafen
benutzen? Nun, es ist klar, daß in demselben Augenblick, wo man den
Nachtbetrieb in die Erholungsstätten einführt, der einfache Charakter der
Anstalten verloren geht und sie den Charakter des Sanatoriums bekommen
müssen. Zum ersten Male wurde dieser Nachtbetrieb eingeführt in der Er-
Digitized by LaOOQle
S6 XXXI. Versammlung d. D. Vereine f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
holungsstätte der Allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft bzw. der Betriebs¬
krankenkasse dieses großen industriellen Unternehmens bei Berlin. Diese
hat eine Erholungsstätte gebaut, die für ungefähr 100 Patienten Raum bot,
und stellte dort eine Schlafbaracke auf für 25 Patienten; dann bat jetzt der
Schöneberger Tuberkulosebekämpfungsverein für einige wenige Schlafgäste
eine Baracke aufgestellt; die Stadt Charlotten bürg hat in ihrer Kinder¬
erholungsstätte ebenfalls für eine beschränkte Anzahl von Kindern Betten
eingerichtet. Es ist auch in einigen anderen Städten zum Teil schon Nacht¬
betrieb eingeführt, oder die Einführung ist im Gange.
Ich stehe vorläufig dieser Entwickelung etwas skeptisch gegenüber,
weil ich noch nicht weiß, wohin sie führt. Ich bin der Ansicht, die An¬
stalten hören auf, Erholungsstätten zu sein, und gewinnen den Charakter
irgend einer neuen Anstaltsform, von der wir erst einmal abwarten müssen,
wie sie sich bewähren wird und nach weicher Richtung hin sie sich ent¬
wickelt. Zweifellos besteht für eine ganze Reihe von Patienten der drin¬
gende Wunsch, in oder möglichst nahe bei der Erholungsstätte zu wohnen,
wenn es auch nicht möglich ist, sie in eigentliche Sanatorien zu schicken.
Wir haben uns bei Berlin bisher damit beholfen und haben es vielfach in
sehr angenehmer Weise erreicht, daß die Leute sich in der Nähe der Er¬
holungsstätte Schlafräume gemietet haben.
Über die Erholungsanstalten mit Schlaf baracke hinaus geht eine Form
von Anstalten, über die wir erst in der vorigen Woche im Haag unterrichtet
worden sind von Dr. Klebs aus Chicago, eine Zwischenstufe zwischen einer
Erholungsstätte mit Nachtbetrieb und einem richtigen deutschen Sanatorium.
Dort wird viel mehr Wert auf den Nachtbetrieb gelegt als auf den Tag¬
betrieb. Man geht von dem Grundsatz aus, daß die Hauptsache ist, daß
der Kranke des Nachts im Freien schläft, und so baut man ein einfaches
Gebäude mit vier Wänden, mit Bureanräumen, Küche usw. und den Ankleide¬
zimmern, während zum Schlafen nur eine vorn offene Halle vorhanden ist,
und zwar im Winter wie im Sommer, und, wie berichtet wurde, in einem
ziemlich strengen Klima. Zum Teil sind die Pfleglinge Tag und Nacht
draußen, zum Teil arbeiten sie tagsüber und kommen nur hinaus, um des
Nachts draußen im Freien zu schlafen. Wir haben etwas Ähnliches hier in
Deutschland noch nicht. Es ist nur gelegentlich in Heilstätten, z. B. in der
Sophienheilstätte bei Berka, eingeführt, daß die Patienten in guten, schönen
Sommernächten in Liegehallen schlafen. Es wäre zu wünschen, daß der
Versuch mit der amerikanischen Einrichtung bei uns einmal gemacht würde 1 ).
l ) (Nachtrag bei der Korrektur.) In der vorigen Nummer dieser Vierteljahrs¬
schrift beschreibt Dr. Dosquet-Manasse in „Vorschlägen zur Entlastung der
städtischen Krankenhäuser“ die von ihm verwirklichte Form einer Krankenanstalt,
die er „ländliches Krankenhaus“ nennt. Es handelt sich hier nicht um ein länd¬
liches Krankenhaus im gewöhnlichen Sinne des Wortes, ein Krankenhaus auf dem
Lande im Gegensatz zu einem solchen in der Stadt, sondern um ein auf das ein¬
fachste ausgestattetes Krankenhaus an der Großstadtperipherie, für solche Kranke,
die der kostspieligen Apparate und des umfangreichen Pflegepersonals eines Groß-
stadtkrankenhauses nicht bedürfen. Herr Manasse versucht die Vorzüge seiner
Anstaltsform u. a. dadurch zu erweisen, daß er an einer Reihe anderer Anstalten,
insbesondere Genesungsheime und Erholungsstätten, Kritik übt. Mir ist die
Manassesche Anstalt bekannt und ich halte ihren Typus sehr geeignet und so-
Digitized by tjOOQle
Walderholungsstätten und Genesungsheime. 87
„Am Eingänge meines Referates, bei der Schilderung der Entstehungs¬
geschichte der Erholungstätten, als ich die ungünstigen Wohnungsverhältnisse
streifte, führte ich an, daß wir 1899 zu deren vorläufiger Verbesserung hygie¬
nische Kleinarbeit gefordert hatten. Diese Forderung wird jetzt verwirk¬
licht durch das Fürsorge wesen. Wir haben jetzt in einer großen Reihe von
Städten unsere Fürsorgestellen, für Tuberkulöse, für Säuglinge usw. Die
Fürsorgestellen sind im allgemeinen die Zentralpunkte, wie ein Engländer neu¬
lich sagte, die Clearing-Häuser für individuelle Gesundheitspflege in einer
Stadt, und die Fürsorgestellen, die die Fürsorge für die gesamten Familien
übernehmen und gerade ihr Schwergewicht dabin legen, sich nicht nur um
den zufällig gerade Erkrankten zu kümmern, sondern sofort zu sehen, wie
es der Familie geht, ob Frau und Kinder auch erkrankt sind, und sofort
eine Verbesserung der Wohnungsmißstände betreiben, diese Fürsorgestellen
bedürfen ihrerseits wieder unbedingt Einrichtungen, wie die Erholungsstätten,
um die Fürsorgetätigkeit in angemessener Weise zur Durchführung bringen
zu können. Besonders unter den Franzosen bildet sich immer mehr der
Grundsatz heraus: keine Fürsorgestellen ohne Erholungsstätte. Wir sehen
es bei uns in Berlin, daß sich ein Zusammenarbeiten in sehr schöner Weise
durchführen läßt. Die Fürsorgestellen überweisen unseren Erholungsstätten
eine große Anzahl von Patienten.
„Es bleibt mir noch die eine Frage zu erörtern, «Wie errichtet man
Erholungsstätten?» ln den zu diesem Referat aufgestellten Leitsätzen
gar notwendig für die Kranken, die in sie hineingehören. Das sind aber Kranke,
für die weder Genesungsheime, noch Erholungsstätten bestimmt sind. Nur weil
es an Anstalten, wie die Manassesche, bisher fehlt, werden in Genesungs¬
heime und Erholungsstätten gelegentlich auch Kranke, die in jene hinein¬
gehören, aufgenommen, damit wenigstens etwas für sie geschieht. Selbst wenn
aber die von Manasse vorgeschlagenen Anstalten in umfangreichster Zahl er¬
richtet werden, bleibt das Bedürfnis nach Genesungsheimen und Erholungsstätten
unvermindert. Würde die von Dosquet-Manasse an den Erholungsstätten ge¬
übte Kritik zutreffend sein, so wäre es von mir geradezu unverantwortlich, die Er¬
holungsstätten zu empfehlen. Wie mir der Verfasser mitteilt, hat er aber der
Redaktion dieser Zeitschrift eine Mitteilung überreicht, die irrigen allgemeinen
Schlußfolgerungen aus seiner Kritik Vorbeugen soll. Im besonderen möchte ich an
dieser Stelle nur darauf hinweisen, daß seiner Rechnung bezüglich der Ausgaben
der Krankenkassen für Erholungsstättenpatienten im Vergleioh zu Krankenhaus¬
patienten nur für eine verschwindend kleine Zahl zutrifft. Ein Krankengeld von
2,50 M. zahlen selbst für die erste Klasse der Versicherten nur sehr wenige Kassen,
Verheirateten müssen sie außer den Krankenhausgebühren noch die Hälfte des
Krankengeldes für die Familie zahlen, Unverheiratete erhalten meist noch ein
Taschengeld. Infolgedessen kommt es nur äußerst selten vor, daß die Ausgaben
für Erholungsstättenpffeglinge (Krankengeld, Erholungsstättengebühr, etwaige
Medikamente) die Ausgaben für Krankenhauspfleglinge erreichen oder gar über¬
steigen.
Der Aufsatz zeigt auch die Berechtigung meiner immer wiederholten Mah¬
nung, bei den Erholungsstätten die jeweiligen örtlichen Verhältnisse zu berück¬
sichtigen. Es wird eine Äußerung von Auerbach-Frankfurt a.M. in der von mir
herausgegebenen „Mediz. Reform“ wiedergegeben, daß der Gedanke, sich in aller
Frühe mit einem bestimmten Zuge an Ort und Stelle begeben zu müssen, nervösen
Kranken die Nachtruhe raube. Für Berlin z. B. fällt dieser Mißstand ganz und
gar fort, da nach sämtlichen Erholungsstätten den ganzen Tag über alle 5 bis
15 Minuten Fahrgelegenheit vorhanden ist.
Digitized by tjOOQle
88 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffeutl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
habe ich unter 9 gefordert, daß Genesungsheime in erster Reihe von den
Gemeinden und Ortsverbänden, in zweiter von den Landesversicherungs-
anstalten zu errichten seien. Nur in Ausnahmefällen empfehle sich die
Errichtung durch Krankenkassen, Betriebsunternehmungen, religiöse oder
Wohlfahrtsgenossenschaften. Nach meinen Beobachtungen ist der Bestand
eines Genesungsheimes am besten gesichert, wenn es im Besitz von Ge¬
meinden oder Landes Versicherungsanstalten ist. Diese sind nicht von dem
Eingang freiwilliger Zuwendungen abhängig und haben die Mittel, die
Einrichtung stets auf der Höhe und die Verpflegungskosten in mäßigen
Grenzen zu halten. Die Gemeinden können auch unschwer das Ge¬
nesungsheim Unbemittelten zugänglich machen. Die Anstalten der Landes¬
versicherungsanstalten sind schon einem bestimmten Kreise von Kranken
Vorbehalten. Religiöse und Wohlfahrtsgenossenschaften bringen oft nur
die Mittel zur Errichtung der Anstalt auf, sind dann aber auf Patienten
angewiesen, die selbst zahlungsfähig sind, oder für die andere Instanzen
ein treten. Im Laufe der Jahre treten manchmal finanzielle Schwierig¬
keiten zutage, wenn kostspieligere Reparaturen oder sonstige Neuauf¬
wendungen nötig werden. Bei Anstalten von Betriebsunternehmungen und
Krankenkassen bleibt nicht nur der Kreis der Aufzunehmenden ein be¬
schränkter, es treten auch leicht Schwierigkeiten auf, die den Betrieb oder
gar den Bestand der Anstalt stören. So ist z. B. die Anstalt der Betriebs¬
krankenkasse der Allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft in Berlin seit dem
vorjährigen Streik lahm gelegt, und die mißlichen Vorgänge in der Anstalt
der Münchener Ortskrankenkasse zu Kirchseeon sind noch in frischer Er¬
innerung.
„Zur Errichtung von Erholungstätten hat sich bis jetzt der folgende
Weg im allgemeinen als der zweckmäßigste erwiesen. Es treten in einem
Ort alle interessierten Kreise zusammen: Vertreter des Magistrats (darunter
der Vorsteher der Armenverwaltung), der Krankenkassen, der Ärzte, der
Landesversicherungsanstalt, eines etwa bestehenden Vereins zur Bekämpf ung
der Tuberkulose, des Roten Kreuzes oder des Vaterländischen Frauen Ver¬
eins. Es hat sich durchweg gezeigt, daß es sehr bald zu einem harmo¬
nischen Zusammenarbeiten und zu sozialer Annäherung kommt, wenn viele
der Beteiligten sich vordem auch fremd waren oder gar, besonders aus
politischen Gründen, mehr oder weniger schroff gegenüber standen. Poli¬
tische Gegensätzlichkeiten treten bei dieser sozialhygienischen Arbeit er¬
fahrungsgemäß schnell in den Hintergrund.
„Entweder bildet man nun eine Untergruppe des Vereins zur Be¬
kämpfung der Tuberkulose, oder einen besonderen Verein, mit Anschluß
an das Rote Kreuz oder den Vaterländischen Frauenverein. Das
hat den großen Vorzug, daß sowohl der Staat, als auch private Grundbesitzer
viel leichter geneigt sind, gegen eine mäßige Anerkennungsgebühr Wald¬
gelände herzugeben, und daß es infolge der auf das Rote Kreuz bezüglichen
gesetzlichen Bestimmungen verhältnismäßig leicht wird, von der Eisenbahn
Fahrpreisvergünstigungen zu erhalten. Man tritt an Stadtverwaltung,
Landesversicherungsanstalt, Krankenkassen um Gewährung von Zuschüssen
zur ersten Einrichtung und ev. zu den laufenden Betriebskosten heran.
Die Bewilligung macht gewöhnlich keine großen Schwierigkeiten, weil Ver-
Digitized by LaOOQle
89
Walderholungsstätten und Genesungsheime.
treter aller dieser Körperschaften im Vorstande sind. Dann erbittet man
vom Deutschen Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose (Berlin W. 9,
Eichhornstr. 9) einen Zuschuß, der fast ausnahmslos gewährt wird durch
leihweise Hergabe einer Wirtschaftsbaracke oder einmaligen Zuschuß von
5000 M. Häufig finden sich auch noch private Wohltäter.
„Ein Schatzmeister — Beamter des Magistrats, Kaufmann usw. —
besorgt die Kassengeschäfte, ein Unterausschuß, in dem einige Damen ver¬
treten sind, sorgt für die innere Einrichtung und die Überwachung des
Wirtschaftsbetriebes, der ärztliche oder kassenärztliche Verein übernimmt
die ärztliche Versorgung der Anstalt. Je nach den örtlichen Gewohnheiten,
der Entfernung der Erholungsstätte von der Stadt usw. wird bestimmt,
welche Leistungen den Kranken in der Erholungsstätte geboten werden
sollen — nur Milch und Mittagbrot, oder zahlreichere Mahlzeiten — und
dementsprechend mit den Krankenkassen der Preis für die tägliche Ver¬
pflegung vereinbart*)• —
„Für welche Art von Kranken sind die Erholungsstätten geeignet?
Für alle der Ruhe und der frischen Luft Bedürftigen, die ohne Nachteil den
täglichen Hin- und Herweg zurücklegen können und nicht unter ständiger
ärztlicher Überwachung stehen müssen. Wir haben kein Bedenken, Tuber¬
kulöse und Nichttuberkulöse in einer Anstalt aufzunehmen. Bei dem
dauernden Aufenthalt im Freien ist die Ansteckungsgefahr unbedeutend,
sie kann ganz ausgeschaltet werden, wenn auf eine sorgfältige Behandlung
des Auswurfs, Desinfektion der Decken usw. geachtet wird.
„Ehe ich schließe, muß ich noch meines verstorbenen Freundes
Dr. Wolf Becher gedenken, der ursprünglich für das von mir besprochene
4 ) In den Berliner Erholungsstätten erhalten die Kranken Mittagbrot zu
35 Pf., Milch in der von dem Kassenarzt verordneten und von'der Kasse be¬
willigten Menge, mindestens täglich 1 Liter ä 20 Pf. Morgens beim Betreten der
Anstalt bekommen die Kranken Marken für jedes halbe Liter Milch und für das
Mittagbrot. Auf einer sogenannten Erkennungskarte, die gegenüber den Forst¬
beamten usw. als Ausweis dient, wird täglich die Zeit des An- und Abganges ver¬
merkt, als Kontrolle für die Krankenkasse. (Es ist hier vorwiegend von Kranken¬
kassen die Rede, weil diese erfahrungsgemäß die meisten Kranken entsenden.
Doch werden natürlich auch Privatkranke aufgenommen, als Belbstzahler oder
auf Kosten der Armenverwaltung, Wohltätigkeitsvereine usw.)
Magdeburg: Mittagbrot 40 Pf., 1 Liter Milch 20 Pf., unbelegtes Brot 10 Pf.,
Buttersemmel 5 Pf., belegtes Brot 20 Pf., gekochtes Ei 8 Pf., Kakao und Milch
l / 4 Liter 15 Pf., Selterswasser 10 Pf., ein Becher Kaffee 10 Pf.
München: Tägliche Verpflegungsgebühr 1 M., dafür gibt es: Frühstück:
Milch mit Brot; mittags: Suppe, Fleisch, Gemüse, gelegentlich Mehlspeise; nach¬
mittags: Kakao; abends: Suppe oder Brot mit Wurst. Außerdem nach Belieben
Milch oder selbstbereiteter Kefyr (Selbstkosten 1,13, dazu Fahrt 16 Pf.).
Kassel: Tägliche Verpflegung einschließlich Eisenbahnfahrt M. 1,50: Erstes
Frühstück: Milchkaffee, Brötchen; zweites Frühstück: belegtes Brot, */« Liter Milch;
mittags: Suppe, Fleisch, Gemüse, Kartoffeln, gelegentlich Mehlspeise; nachmittags:
Milchkaffee, Brötchen; abends: belegtes Butterbrot, Eier usw.
Frankfurt a. M.: Die Krankenkasse zahlt die vollen Verpflegungskosten,
zieht aber denVerheirateten 10 bis 50 Pf., den Ledigen 30 bis 70 Pf. vom täglichen
Krankengelde ab. (In der untersten Lohnklasse 10 bzw. 30 Pf., in jeder höheren
je 10 Pf. mehr.)
Digitized by Google
90 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
Thema als Referent bestellt worden war. Er wäre dazu um so berufener
gewesen, als, wie ich Ihnen berichtete, er es war, der während unseres ge¬
meinsamen Arbeitens die Idee der Erholungsstätten erfand. Er war ein
hervorragender Arzt und Gelehrter, einer unserer klarstdenkenden Sozial¬
hygieniker, einer der größten Menschenfreunde, den der Tod gar zu früh
hinweggerafft hat.“
Anhang.
Ausgaben für die Kindererholungsstätte Sadowa bei Berlin.
Die Erholungsstätte wurde zunächst für 150 Kinder eingerichtet.
Während der heißen Monate wurde der Andrang so groß, daß ein Teil der
Einrichtungen für über 2 50 Kinder erweitert werden mußte. Die Döckerscbe
Wirtschaftsbaracke hat das Deutsche Zentralkomitee zur Bekämpfung der
Tuberkulose hergegeben. Nach den Kosten der Kindererholungsstätte lassen
sich leicht die für eine Erholungsstätte für Erwachsene berechnen. Die
nachstehende Aufstellung zeigt auch, mit welchen nachträglichen Ausgaben
unter Umständen zu rechnen ist.
; m.
Pf.
M.
Pf.
i
Umzäunung:
i
i
1
350m Drahtzaun, 1,50m hoch, komplett, mit 1
Stacheldraht oben und unten, 1 Tür, 1 Ein-
fahrtstor.
465
50
223m desgleichen, mit 1 Tor, 2 Türen, für ein
nachträglich hinzugenommenes schattiges Ge¬
lände zum Schlafen und für den Unterricht
335 *
40
800
! 90
Halle, 32 m läng, 5 m tief, hinten 3 l / f , vorn 4 m hoch, i
vorn offen, mit Carbolineum gestrichen . . .
1530
—
Anbau, verschließbar, als Garderobenablage . . .
2 Aktenregale, alt gekauft, in welchen die Patienten
130
24
kleine Gegenstände aufheben.
75
—
Holzfußboden, nachträglich in der Halle angebracht
576
28
2311
52
Tische im Gelände, fest im Erdboden, mit Bänken i
rechts und links für 150 Kinder, 1 festes Beck, 1
1 fester Barren, außerdem Tischlerarbeiten in |
der Küche (Anrichtetisch, Begale).i
I 373
Klosetthaus für 4 Klosetts, 1 Pissoir.|
Waschraum für die Kranken, 3,50m lang, 2m .
250
i
“
breit, 2,50m hoch, ringsum geschlossen, mit 1
1 Tür und durchlochter Bank für die Wasch- ,
geschirre .
1
| 163
1
25
i
786
25
Brunnen, 7 m tief, mit Pumpe.|
Wirtschaftshof: i
119
|
—
Umzäunung.
i 37
—
Abwaschraum für das Eßgeschirr.i
1 75
13
Kohlenschuppen.'
| 50
162
13
II |
4179
80
Digitized by t.ooQle
Walderholungsstätten and Genesungsheime. 91
0 m *
Pf.
M.
1 Pf.
Übertrag:
4179
! 80
Zimmerarbeiten bei der Erweiterung der Anstalt:
3 neue feste Tische und Bänke, ein Schuppen im
!
Wirtschaftshof für einen Kochkessel ....
200
_
Bretterverschlag zum An- und Abschrauben für
die offene Halle (zur Aufbewahrung der
abgebrochenen Döckerschen Baracke imWinter)
1 118
—
i
Überdachung der festen Tische und Bänke (an
1
1
denen die Kinder essen), 2 neue feste Bänke,
Überdachung der von der Stadt geliehenen
1
Schulbänke, Eiskeller im Wirtschaftshof (1 m
b
1
in der Erde, 2 m Aufbau, 3 m lang, 2 m breit,
jl
mit doppelten Holzwänden, dazwischen Torf-
1
l
muH), Anbau eines Klosetts, Anbau für
3 Wannen an den Baderaum.
1 1879
90
2197
90
256 Triumphstühle.
! 479
10
20 Fußbänkchen .
|l 38
_
12 Gartenstühle (alt gekauft).
20
_
3 eiserne Papierkörbe.• . .
3!
—
150 Capes mit Kapuze.
1 600
—
15 Schlaf decken.
1 48
75
1216
85
Küche :
1 Kochmaschine (alt gekauft, fast neu) für 150
Personen ausreichend.
; 208
50
1 Milchkocher mit Feuerung und Einsatzkessel .
85
75
1 Gemüsekocher mit Feuerung, bei der Erweiterung, |
für über 300 Portionen.j
[ 130
_
Kochtöpfe, Eßgeschirre für 300 Personen . . . . 1
306
48
1 Eisschrank.i
| 40
_
2 Bestaurationstische, je 2 m lang, für die Speisen- ]
ausgabe (alt gekauft).|
50
_
820
73
Kleine Wirtschaftsgegenstände und Spielsachen |
|
171
85
Badeeinrichtung:
i
Flügelpumpe in der Küche, eisernes Reservoir
auf Holzgerüst im Wirtschaftshofe, Röhren¬
1
1
leitung bis zum Baderaum in der Baracke,
1
Badeofen, Wanne, Brause.!
350
Frottiertücher.
96
_
446
—
Bureau: |
1 Schreibtisch, 4 Stühle.
34
_
1 Tisch.
10
_
1 Kleiderschrank.
33
_
1 Dezimalwage . . . . *. '
38
25
Gewichte.|
6
85
122
10
5 eiserne Bettstellen mit Stahlfederboden, Kissen usw.,
1
Wolldecken und Bettwäsche (für 1 Schwester,
1 Kindergärtnerin, 1 Köchin, 1 Aufwaschfrau, 1
1
1 Wächter). j
240
56
Zusammen . . P
II
9395 1
79
Digitized by
92 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
In der Diskussion nimmt zunächst das Wort Herr
Rentier Otto Eltrenberg (Kassel): „Meine Herren! Wir haben seit
dem Jahre 1903 in Kassel eine Männer-Erholungsstätte und seit dem
Jahre 1905 eine Frauenerholungsstätte, und sind damit beschäftigt, eine
Kindererholungsstätte jetzt anzuschließen. Da unsere Einrichtungen, die
sich recht bewährt haben, auch bereits für verschiedene andere auswärtige
WalderholungsBtätten vorbildlich geworden sind, möchte ich namentlich
zwei Hauptpunkte, die dabei in Frags kommen, hier berühren.
„Zu These 7 bemerke ich, daß man die Walderholungsstätten anfangs
möglichst billig herstellte, eine Döckersche Wirtschaftsbaracke und eine
Liege- oder vielmehr Schutzhalle mußten genügen. Die Döckersche Wirt¬
schaftsbaracke hat, wie Herr Dr. Lennhoff schon erwähnte, bei uns seit
mehreren Jahren dem festen Wirtschaftsgebäude Platz gemacht, und wir
müssen gestehen, daß wir auch vom pekuniären Standpunkt dabei gut ge¬
fahren sind. Außer der Schutzhalle aber ist es bei unserem Klima not¬
wendig, für die schlechten, kühlen und regnerischen Tage im Frühjahr und
Herbst auch einen Raum zu schaffen, der geschlossen und eventuell auch
heizbar ist. Eine solche geschlossene Halle muß hoch, luftig und gut venti¬
lierbar sein, und unsere auch schon seit mehreren Jahren bestehenden
darauf bezüglichen Einrichtungen haben sich sehr gut bewährt.
„Zu These 11 möchte ich erwähnen, daß wir von Anfang an an dem
Grundsatz festgehalten haben, daß die Walderholungsstätte sich selbst er¬
halten soll, das heißt ohne private Zuschüsse, außer denen, die von der
Landes Versicherungsanstalt gegeben werden. Wir sind davon ausgegangen,
daß die Walderholungsstätten keine Wohltätigkeitsanstalten sind, sondern
Wohlfahrtseinrichtungen, da die meisten Patienten zu den Kurkosten bei¬
tragen. In Kassel tragen die Selbstzahler die vollständigen Kurkosten —
und wir haben eine nicht unbedeutende Anzahl von Selbstzahlern —, wäh¬
rend die meisten Patienten, die Mitglieder der Krankenkassen sind, einen
Teilbetrag an die Krankenkassen zurückzahlen. Wir glauben, daß es auch
vom sozialpolitischen Standpunkt aus recht wünschenswert ist, daß niemand
das Gefühl hat, versteckte Almosen zu empfangen. Wir sind allerdings
auch der Ansicht, entgegen den Ausführungen des Herrn Dr. Lennhoff
für Berlin, daß man nicht auf halbem Wege stehen bleiben, sondern daß
man den Leuten in den Walderholungsstätten volle Verpflegung geben soll.
Das Mitbringen und Kaufen von Nahrungsmitteln oder Getränken in der
Walderholungsstätte, wie es an manchen Stellen gebräuchlich ist, das Ent¬
lassen der Patienten vor dem Abendbrot, die Aufnahme nach dem Frühstück
erscheint uns nicht zweckmäßig. Wir gewähren fünf volle Mahlzeiten mit
einem Liter Milch mindestens täglich, auf ärztliche Vorschrift auch mehr.
„Die Männer-, Frauen- und Kindererholungsstätten sollen räumlich
getrennt sein; das ist unbedingt nötig.
„Aber im Interesse des billigeren und vereinfachteren Betriebes erscheint
es außerordentlich wünschenswert, daß die Walderholungsstätten — ich
spreche immer von den mittleren, nicht von den ganz großen Städten, da
ist es undurchführbar — doch so nahe beieinander liegen, daß sie von
einem gemeinschaftlichen Verwaltungsgebäude aus bewirtschaftet werden
Digitized by LaOOQle
93
Wälderholungsstätten und Genesungsheime.
können. Wir haben seit zwei Jahren diese Einrichtung in Kassel getroffen,
die sich nach jeder Richtung hin tadellos bewährt hat. Die Landesversiche-
rungsanstalt gewährt uns 1200 M. Zuschuß, das sind 600 M. für jede Anstalt.
Damit decken wir ungefähr die Entschädigung an das Rote Kreuz für Stel¬
lung der Schwestern und die Löhnung des Personals. Sonst erhalten Bich
unsere Walderholungsstätten vollkommen selbst, ohne irgendwie nennens¬
werten Zuschuß, und wir wirtschaften auch die Beköstigung für das Personal
und die Schwestern, also im Sommer für fünf Personen, im Hochsommer
sogar für Bechs Personen, vollständig heraus.
„Neuerdings sind wir dazu übergegangen, eine Kindererholungsstätte
anzuschließen. Dieselbe soll im nächsten Jahre — sie ist eben im Bau
begriffen — eröffnet werden. Die Einrichtung ist ähnlich derjenigen für
die Erwachsenen. Wir errichten eine 20 m lange Schutzhalle mit einem
festen Holzfußboden, wie auch in unseren anderen Erholungsstätten, nicht
etwa mit Sand, wie es bei manchen Erholungsstätten der Fall ist. Daneben
ein heizbarer hoher Raum, etwa 80 qm groß, 4 1 / 2 m hoch mit hohen luftigen
Fenstern und YentilationsVorrichtung, dann, da wir doch nicht die volle
Verwaltung von dem großen Verwaltungsgebäude aus vornehmen können,
ein kleines Verwaltungsgebäude mit einer Milchküche, damit die Milch dort
zubereitet werden kann, ein Verwaltungszimmer, Schwesternzimmer und
ein Raum, um Brausebäder und Wannenbäder abgeben zu können. Wir
haben die Absicht — nach ärztlicher Vorschrift natürlich — eventuell auch
Solbäder den Kindern zu verabreichen. Eine geprüfte Lehrerin wird den
Kindern Nachhilfestunden geben, da es doch wünschenswert ist, daß sich
diese kränklichen und zarten Kinder, wenn sie in die Schule zurückkommen,
nicht sofort sehr anstrengen müssen, sondern leichter vorwärts kommen.
Die Preise sind so gestellt, daß sich die Erholungsstätte für Kinder gleich¬
falls vollkommen selbst erhalten wird, trotzdem wir für diese ja natürlich
keinerlei Zuschuß aus der Landesversicherungsanstalt erhalten.
„Der Gründung einer Kindererholungsstätte stellen sich bekannter¬
weise größere Schwierigkeiten entgegen, als der Schaffung einer Männer¬
oder FrauenerholungS8tätte, da, wie bemerkt, die Landesversicherungsanstalt
überhaupt nichts beisteuern kann, und die Krankenkassen eigentlich so gut
wie nichts tun können. Es müssen also nicht allein die Erbauungskosten
aufgebracht, sondern es muß auch eine Basis geschaffen werden, um den
Betrieb dauernd zu sichern. Wir haben diese Schwierigkeiten dadurch
überwunden, daß die Stadtverwaltung von Kassel, die unseren Bestrebungen
stets ein verständnisvolles und warmes Interesse entgegengebracht hat, uns
dauernd und fortlaufend die Kosten mit 1,25 M. einschließlich Eisenbahn¬
fahrt — das ist 1,05 M. ohne Eisenbahnfahrt — für 25 Kinder garantiert.
Wenn also die Stadtverwaltung jedem Kinde einen Monatsaufenthalt in der
Walderholungsstätte gewährt, so kann sie im Laufe des Sommers 125 Kindern
für einen Zuschuß von etwa 5000 bis 6000 M. einen vortrefflichen Waldauf¬
enthalt mit guter kräftiger Ernährung und entsprechenden Nachhilfestunden
verschaffen. Die Auswahl der Kinder beabsichtigt die Stadt durch die
Schulärzte vornehmen zu lassen, und denkt daran, sich einen Teil der
Kurkosten von den Eltern, die dazu in der Lage sind, zurückgeben zu
lassen.
Digitized by LaOOQle
94 XXXI. Versammlung d.D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg»
„Wie Verkehrsmittel, wenn sie wirtschaftlich zurückgebliebene Gegenden
erschließen, den Verkehr nach sich ziehen, so scheinen auch durch Gründung
unserer Kindererholungsstätte ähnliche Verhältnisse geschaffen zu werden»
Vor ganz kurzer Zeit hat nämlich die größte Betriebskrankenkasse am
Platze, die der bekannten Maschinenfabrik Henschel u. Sohn, in sehr nach^
ahmungswerter Fürsorge sich bereit erklärt, im nächsten Jahre die Kinder
der bei ihr versicherten Arbeiter zu denselben Bedingungen wie die Stadt
hinauszuschicken. Das eröffnet sehr erfreuliche Perspektiven für die Zukunft,,
da zu hoffen ist, daß auch andere Krankenkassen sich, soweit ihre MitteL
es gestatten, diesem Vorgehen anschließen werden/
Geheimer Sanitätsrat Dr. Endemann (Kassel): „Meine Herren!
Der Verein zur Bekämpfung der Lungenschwindsucht in der Provinz Hessen-
Nassau brachte auf dem Gut Kragenhof, welches ein hochherziger Mitbürger
der Stadt Kassel geschenkt hat, ein Genesungsheim zur Errichtung. Unter
der Kasseler Einwohnerschaft entstand aber die Befürchtung, daß dort nur
Lungentuberkulöse aufgenommen würden, so daß in den ersten zwei Jahren,
in gewisser Weise ein Anwachsen der Zahl unserer — ich nenne sie nicht
Patienten, sondern Kurgäste — da draußen verhindert wurde. Das hat
sich nun ganz gegeben, nachdem wir mit den Krankenkassen verabredet
hatten, daß in die Walderholungsstätte nur solche Tuberkulöse aufgenommen
werden, bei denen seitens der Ärzte oder unserer Fürsorgestelle für arme
Lungenkranke in Kassel festgestellt ist, daß sie keine Ansteckungsgefahr
für die übrigen mit sich bringen. Das hat sehr rasch die Zahl unserer Kur¬
gäste anwachsen lassen. Es ist ja selbstverständlich, daß die Aufnahme
der Personen mit beginnender Lungentuberkulose als Vorbereitung für die
Überführung in die Lungenheilstätte zu Oberkauffuugen sehr schöne Re¬
sultate geliefert hat, ebenso wie man auch jetzt verlangt, daß, wenn die
Kranken aus der Lungenheilstätte Oberkauffungen entlassen werden, sie
dann zu ihrer weiteren Genesung noch weiter in die Heilstätte Kragenhof
aufgenommen werden. So kommen wir in Kassel den bekannten Vor¬
schlägen für die Behandlung in den Lungenheilstätten in gewisser Weise
entgegen.
Geheimer Regienmgsrat Pütter, Vertreter der Charitödirektion
(Berlin): „Meine Herren! Ich möchte mit wenigen Worten auf die Anregung
zurückkommen, die Herr Dr. Lennhoff Ihnen vorher wegen des Nacht*
betriebes in den Walderholungsstätten, wie er in Amerika üblich ist, ge¬
geben hat. Er unterscheidet sich von dem Betriebe, der heute in den Wald-
erholungBstätten Deutschlands geübt wird, insofern, als abends ein Wechsel
stattfindet, und ich glaube, daß diese Anregung, die wir von Amerika be¬
kommen, durchaus beachtenswert für uns ist. Ich habe wenigstens am
vorigen Montag, als ich in einer meiner Fürsorgestellen war, eine lungen¬
kranke Frau, die die Familie allein ernährt, da ihr Mann tuberkulös und
arbeitsunfähig ist, sofort und gern bereit gefunden, des Nachts draußen in
der Schutzhalle zu schlafen. Die Einrichtung ist ziemlich billig, weil weiter
nichts nötig ist, als im Hintergründe der Liegehalle einen Vorhang zu ziehen,
hinter dem die Leute schlafen können. Hinter dem Vorhang müssen kleine
Digitized by LaOOQle
Walderholungsstätten and Genesungsheime.
95
Kämmerchen abgeteilt und dahinter ein Raum sein, in dem die Leute sich
anziehen und waschen können. Ich empfehle die Einrichtung Ihrer Beachtung.
„Dann möchte ich auf eine Gründungsart von WalderholungsBtätten
hinweiaen, die hier bis jetzt nicht erwähnt ist, nämlich durch Krankenkassen.
Vor mehreren Jahren, als wir in Halle auch daran gingen, eine Erholungs¬
stätte zu gründen, hatten wir eine Versammlung yon Krankenkassenmit¬
gliedern einberufen, und es erhob sich im Hintergründe der Versammlung
ein kräftiger Widerspruch eines „Genossen“ dagegen, daß immer nur die
reichen Leute diese Sache in die Hand nähmen, das könnten die anderen
ja geradesogut. Darauf ging ich ein und bestätigte, daß die Krankenkassen
auch dazu in der Lage wären. Geheimrat C. Fränkel-Halle, unser ver¬
ehrtes Mitglied, Direktor Stieb er und ich stellten uns Bofort zur Verfügung
und wir gründeten nun mit den Krankenkassen eine diesen gehörige Wald¬
erholungsstätte, die beute hoch im Betriebe ist.
„Sodann interessiert es vielleicht, einmal festzustellen, welche Stellung
die Walderholungsstätten bei dem heutigen Stande der Tuberkulosebekämpfung
einnehmen. Man kann sagen, daß in die Walderholungsstätten die Leicht¬
kranken und in die Heilstätten die etwas weiter vorgeschrittenen Tuberku¬
lösen gehören, nachdem in Krankenhäusern beobachtet worden ist, daß das
Leiden der letzteren einen gutartigen Verlauf nimmt. Zweifelhafte Fälle
gehören zunächst ins Krankenhaus. Dann kommen in dritter Linie die
Unheilbaren, die in Siechenhäusern unterzubringen sind. Diese Einteilung
ist für uns deshalb von einer gewissen Wichtigkeit, weil sich dadurch gleich¬
zeitig die Aufgabe der Krankenhäuser reguliert. Die Krankenhäuser sind
bei dem heutigen Ansturm der Tuberkulösen Siechenhäuser geworden, und
das ist falsch. Die Krankenhäuser sollen Beobachtungsstationen für die
Tuberkulösen sein und sich nicht zu Siechenhäusern ausbilden; für Siecben-
häuser müssen besondere Anstalten errichtet werden. Die Folge wird sein,
daß man in den Krankenhäusern den einzelnen Tuberkulösen viel mehr
Interesse zuwendet und ihnen mit mehr Erfolg hilft.
„Von größter Wichtigkeit ist aber folgendes: Alle Kranken, mit denen
wir zu tun haben, müssen sich eventuell mit geringen Unterbrechungen in
ihrer Wohnung aufhalten. Wenn man es daher nicht fertig bringt, die
Wohnung in leidlich sanitären Zustand za bringen, haben weder die Wald-
• erholungsstätten noch die Heilstätten den gewünschten Erfolg, und die
Möglichkeit, die Familien Tuberkulöser vor Ansteckung zu schützen, fehlt.
Die Aufgabe, diese Wohnungsfürsorge zu treiben, fällt den Auskünfte- und
Fürsorgestellen zu. Sie leisten damit eine ganz andere Arbeit als die
belgischen und französischen DispensaireB, die im wesentlichen Polikliniken
sind. Ich würde Ihnen, wenn es Ihnen erwünscht ist, einen kurzen Über¬
blick über die grundlegenden Aufgaben der deutschen Auskünfte- und Für¬
sorgestellen geben, aber es gehört nicht streng zu unserem Thema, und ich
will jetzt nur erwähnen, daß eine ganze Anzahl deutscher Städte zwar Aus¬
künfte- und Fürsorgestellen errichtet hat, aber eine Menge Fehler dabei
macht, wie mir gestern durch verschiedene Rücksprachen mit einzelnen
Herren hier mitgeteilt ist. Ich bin dazu aufgefordert worden, an dieser
Stelle darauf einzugehen, frage aber zuvor die verehrliche Versammlung,
ob sie damit einverstanden ist. (Die Genehmigung wird erteilt.)
Digitized by LaOOQle
96 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
„Also, meine Herren, die Entstehung der deutschen Auskünfte- und Für¬
sorgestellen ist so verlaufen, daß, als die Arbeiterwohnungsbewegung in den
neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts stark in Fluß war, auch in
Halle der Vorschlag gemacht wurde, Arbeiterwohnungen zu bauen. Das
wurde von der Stadtverordnetenversammlung abgelehnt, und nun beschloß
ich meinerseits — ich war Direktor der Halleschen Armenpflege —, für die
Tuberkulösen vorzugehen, um wenigstens in den Wohnungen leidlich sani¬
täre Verhältnisse zu schaffen. Die Unterstützung, die seitens der Armen¬
verwaltung von Halle den Tuberkulösen gewährt wurde, wurde damals von
mir planmäßig schon so gewährt, daß sie den Tuberkulösen möglichst nützte,
also nicht in der schematischen Art, wie sonst irgend welche Unterstützungen
gegeben werden, sondern in einer Form, die wirklich zur Bekämpfung der
Tuberkulose beitragen konnte. Und da ich das Elend in den Wohnungen
gesehen und erkannt hatte, daß die Tuberkulose eine Wohnungskrankheit
sei, so beschloß ich eben mit der Verbesserung dieser Wohnungen vor¬
zugehen.
„Im Jahre 1899 tagte, wie Sie wissen, der Internationale Kongreß zur
Bekämpfung der Tuberkulose in Berlin; infolgedessen bildete sich in Halle
ein Verein zur Bekämpfung der Schwindsucht, zu dessen Vorsitzendem ich
gewählt wurde. Die Stadt stellte mir von vornherein 1000 M. zur Ver¬
fügung, später 3000 M., ein Privatmann gab 15000 M. Aber das meiste
Geld, das ich für diese Zwecke in der Hand hatte, kam von der Armen¬
pflege, und es war eine sehr glückliche Vereinigung, daß ich gleichzeitig
Vorsitzender der Armenverwaltung und des Vereins war. Es geht daraus
hervor, daß für eine zweckmäßige Bekämpfung der Schwindsucht in den
Städten gerade diese Personalunion die gegebene ist, und wo es sich irgend
ermöglichen läßt, und der betreffende Armendezernent die nötige Initiative
besitzt, sollte man ihm diese Stelle übertragen. Natürlich muß nach den
einzelnen Verhältnissen und den einzelnen Persönlichkeiten vorgegangen
werden.
„Uns kam für die Tuberkulosebekämpfung in Halle ein weiterer Um¬
stand zustatten, nämlich der, daß zur Ausübung der Säuglingspflege und
Armenpflege in Halle besoldete Waisenpflegerinnen angestellt waren, die
gleichzeitig für die Bekämpfung der Tuberkulose mit verwendet werden.
Da jede ihren festen Bezirk in der Stadt hatte, so übernahm sie auch in
diesem Bezirk gleichzeitig die Bekämpfung der Tuberkulose.
„Das Wesentliche bei dieser Arbeit ist nicht eine krankenpflegerische,
sondern die armenpflegerische Tätigkeit.
„Während die Waisenpflegerinnen vom Arzt, der die Untersuchung
der Tuberkulösen bei uns vornahm, über die Erkennung der Tuberkulose
instruiert wurden, ließ ich mir die armenpflegerische Ausbildung angelegen
sein, die verzweigter ist, als es dem oberflächlichen Beobachter scheint. Es
kommt nicht nur darauf an, die Verhältnisse der Leute und ihre eigene
Leistungsfähigkeit richtig zu beurteilen, sondern auch die Quellen flüssig
zu machen, aus denen Hilfe, vornehmlich Geld, zufließen kann, und das
sind außer der Armenverwaltung für die Almosenempfänger, die Kranken¬
kassen, die Fabriken, Eisenbahn-, Post- und andere Verwaltungen, sowie
Stiftungen und Vereine. Hier die Hilfen richtig zu kombinieren, nicht
Digitized by LaOOQle
Walderholungsstätten und Genesungsheime.
97
mehr zu verlangen, als nötig ist, und doch so viel heranzuschaffen, daß
wirklich durchgreifend geholfen wird, ist keine leichte Arbeit, und damit,
daß man ein Bureau mietet und einen Arzt und eine Schwester hinein setzt,
die nun losarbeiten sollen, ist es wirklich nicht getan.
„Bei unserer Arbeit ergab sich selbstverständlich ein Zusammentreffen
mit den Krankenkassen; ich verständigte mich dadurch mit ihnen, daß ich
den Ärzten die Befunde, die in der Auskünfte- und Fürsorgestelle gemacht
wurden, zuschicken ließ. Also wenn uns ein Patient in die Sprechstunde
kam und jetzt kommt, so fordern wir ihn zunächst auf, zu seinem Arzt zu
gehen und dessen Einverständnis einzuholen, daß er zu uns kommen darf,
und wenn es geschehen ist, dann geben wir dem Arzt schriftliche Mitteilung
von dem Befunde, der in der Fürsorgestelle gemacht wurde. Das ist ein
außerordentlich wichtiges Moment, meine Herren, denn wenn Sie die Ärzte
nicht auf Ihrer Seite haben bei dieser Tuberkulosebekämpfung, kommen Sie
überhaupt nicht vorwärts damit. Die Ärzte müssen Sie unter allen Um¬
ständen gewinnen. Diese Schonung der ärztlichen Praxis ist durchaus ge¬
boten. Sie hat auch den weiteren großen Vorteil, daß man dem Arzte den
Befund von sachverständiger Seite, den er ja nachprüfen kann, in die Hand
gibt und es ihm nun überläßt, bei Beiner Verwaltung die weiteren Anträge
für seine Patienten zu stellen. Also nicht die Fürsorgestelle stellt den An¬
trag, sondern der betreffende behandelnde Arzt, und er tritt an Beine Ver¬
waltungsbehörde, sei es nun die Krankenkasse, die Armenverwaltung, die
Post, die Eisenbahn oder wer es sonst ist, heran und beantragt die Hilfs¬
maßregeln, meistens dem Vorschläge der Fürsorgestelle gemäß, mit deren
Organen er sich in den meisten Fällen mündlich oder schriftlich verständigt
hat. Die Ärzte tun dies um so lieber, weil sie sehen, daß nicht nur für
ihren Patienten allein, sondern auch für dessen sämtliche Angehörige in
gleicher Weise gesorgt wird.
„Zur historischen Aufklärung möchte ich erwähnen, daß diese Arbeit,
die mit der Fürsorgestelle in Halle a. S. begonnen ist, dort im Jahre 1899
einsetzte und daß die französischen Dispensaires erst im Jahre 1903 auf¬
getaucht sind. Ich hebe das deshalb hervor, weil eine Anzahl deutscher
Städte und Vereine bei uns Dispensaires nach französischem Muster ge¬
gründet haben und damit hereingefallen sind. Kein einziges DiBpensaire
dieser Art hat sich gehalten. Sie gedeihen auf deutschem Boden nicht,
weil ihnen das Geld fehlt, und das Geld fehlt ihnen, weil sie die sozialen
Gesetze, die uns zu Gebote Btehen, das Armengesetz, das Krankenkassen¬
gesetz usw., nicht berücksichtigen.
„Nun bin ich im Februar 1904 zum Direktor der Gharitö ernannt und
gebeten worden, dort die Organisation auch durchzuführen. Ich erklärte
von vornherein, nach dem Muster der Dispensaires nicht arbeiten zu können,
aber nach dem Verfahren, das ich in Halle unter Ausnutzung der deutschen
sozialen Gesetze eingeschlagen hätte, dazu bereit sei, und das wurde mir
gern zugestanden. Hier war schon einige Vorarbeit geleistet. Herr Mini¬
sterialdirektor Althoff gründete ein Zentralkomitee der Auskunfts- und
Fürsorgestellen in Berlin und Vororten, dessen Vorsitzender ich wurde, und
der Vorsitzende der Versicherungsanstalt Berlin, Herr Dr. Freund, stellte
Mittel zur Verfügung. Er war der Sache von vornherein mit großem Ver-
VlerteljahrsBchrilt für Gesundheitspflege, 1907. 7
Digitized by LaOOQle
98 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
ständnie entgegengekommen und hatte eine Anzahl Anträge, die auf Zu¬
schüsse seitens der Landesversicherungsanstalt Berlin an verschiedenen Grün¬
dungen, nämlich zwei Dispensaires, die sich aufgetan hatten, abzielten, ab¬
gelehnt weil er eine einheitliche Organisation für Berlin haben wollte, und die
schuf ich. Er stellte mir 25000 M. im ersten und 40000 M. im zweiten Jahre
zur Verfügung. Nun ist diese Summe ja für Berlin nicht von Belang, wenn
man damit etwa die ganzen Kosten für die Arbeit der Auskünfte- und Für¬
sorgestellen bestreiten will, aber das war ja auch nicht die Absicht; dies
Geld bildet aber das Fundament des Betriebes, weil dadurch die Gehälter
für die Schwestern und Ärzte und die Mieten der Bureaus gesichert sind.
Ich habe dann mit diesen 25000 und 40000 M. viel Geld flüssig gemacht.
Es ist mir gelungen, in den ersten l 1 / 2 Jahren, vom Oktober 1904 bis April
1906, 700000 bis 800000 M. mobil zu machen. Es sind 15600 Menschen
untersucht worden, und über 8000 Wohnungen sanitär hergerichtet. Da
wir unsere Tätigkeit auch auf die Vororte Berlins ausdehnten, leistete auch
die Landesversicherungsanstalt Brandenburg einen Zuschuß. Auch gab die
Plaut sehe Stiftung einige tausend Mark, die wir zur Unterstützung von
Leuten, die nicht der Armenkasse anheimgefallen Bind, verwenden.
„Aus den Ausführungen, die ich eben gemacht habe, ersehen Sie, meine
Herren, ungefähr die Aufgaben, die die deutschen Auskünfte- und Fürsorge¬
stellen zu erfüllen haben. Erstens sind es also AuskunftBstellen, die die
Leute, die nicht wissen, was sie mit ihrer Krankheit anfangen sollen, darüber
aufklären, was sie machen können. Dann sind es Untersuchungsstellen,
aber nicht Polikliniken, nicht Behandlungsstellen, wie die französischen
Dispensaires, und schließlich sind es Familienfürsorgestellen, die die Auf¬
gabe haben, die Wohnungen zu sanieren, die Hausfrauen zu instruieren und
die Besserungsfähigen der geeigneten Behandlung zuzuführen. Sobald
irgend ein Tuberkulöser oder Lungenkranker in Fürsorge genommen ist,
begibt sich die Schwester in die Wohnung und besieht sich auch die übrigen
Mitglieder der Familie, dabei sieht sie sich gleichzeitig die Wohnung an.
Ist diese so beschaffen, daß Ansteckungsgefahr vorhanden ist, so muß sie
in einen anderen Zustand gebracht und die Gefahr beseitigt werden. Das
ist nicht sehr teuer, meine Herren, und eine Arbeit, die überall ohne große
Schwierigkeiten durchgeführt werden kann. Meistens haben die gelernten
Arbeiter recht gute Wohnungen, sie haben vielfach eine sogenannte gute
Stube, die nun auf Zureden der Schwester als Schlafzimmer hergerichtet wird.
Dann ist der Tuberkulöse, der den Ansteckungsstoff um sich verbreitet, zu¬
nächst einmal innerhalb seiner Wohnung isoliert, und das ist von großer
Wichtigkeit
„Aber das Gros, und gerade diejenigen, die Armenunterstützung be¬
kommen, wohnen nicht so weitläufig, sondern entweder in zwei Zimmern
oder in Küche und einem Zimmer oder nur in einem Zimmer, in dem auch
gekocht wird. Da muß man alle möglichen Hilfsmittel anwenden, um über¬
haupt einigermaßen die Infektionsgefahr beseitigen zu können. Das wird
z. B. so gemacht, daß der ansteckende Kranke in ein Zimmer oder in die
Küche allein gelegt wird — ich will einmal annehmen, es ist Küche und
Zimmer da — und dort allein schläft. Ist das nicht möglich, so werden
die Betten so gerückt, daß der betreffende Kranke seine Angehörigen nicht
Digitized by LaOOQle
Walderholungsstatten und Genesungsheime.
99
anhusten, nicht anspucken kann, so daß das Sputum, das er im Schlafe aus¬
hustet, nicht direkt auf die übrigen sich überträgt. Wenn zu wenig Betten
da sind, werden unter allen Umständen so viel Betten gewährt, wie Familien¬
mitglieder da sind. Aber auch das ist nicht immer durchführbar, denn
manche Wohnungen sind so eng, daß nicht alle Betten aufgeschlagen
werden können. Unter solchen Umständen werden Feldbetten gewählt, die
des Tags zusammengeklappt und nur nachts aufgestellt werden, oder es
werden Bettkästen genommen, die unter das Bett geschoben und nachts
hervorgeholt werden, kurz und gut, man hilft sich, wie man kann. Ist die
Wohnung aber so klein, daß absolut nicht zu helfen ist, dann bekommen
die Leute einen Mietszuschuß, um Bich eine andere Wohnung zu mieten.
Wir haben so ungefähr 400 Familien unterstützt, was nur 3000 oder
4000 M. gekostet hat. Diese Art der Unterstützung wird nun nicht in
der Weise geleistet, daß man den Leuten sagt: Mietet euch eine neue
Wohnung, wir wollen sie bezahlen, sondern man sagt ihnen: Geht einmal
hin, seht euch nach einer neuen Wohnung um, wir wollen euch einige,
etwa 5 bis 8 M. pro Monat, zugeben, und zwar zunächst auf ein Viertel¬
jahr, selten gehen wir über 10 M. Zuschuß über die alte WohnungBmiete
hinaus. — Die Selbsthilfe bleibt immer das oberste Ziel —. Die Leute
sind meist in der Lage, wenn sie einen Zuschuß von 5 bis 6 M. auf
3 Monate erhalten, sich eine sanitär gute Wohnung zu verschaffen, und
diese Kosten sind so minimal, daß sie wirklich überall von jedem Schwind¬
suchtsverein und jeder Armenverwaltung aufgebracht werden können.
„Aber, wie gesagt, das Punctum saliens der ganzen Sache ist und bleibt
die verständnisvolle Art, mit der die Pflegerin die Sache anfaßt. Sie muß
ganz genau beurteilen können, wo die Hilfe bei den Familien einsetzen muß,
und wenn die Vereine zur Bekämpfung der Schwindsucht oder die Städte nicht
Pflegerinnen haben, die armenpflegerisch ausgebildet sind, kommen sie nicht
weiter.
„Ich habe mir in Berlin die Mühe gegeben und die 11 Pflegerinnen,
die jetzt in Berlin tätig sind, 7 Monate lang zweimal nachmittags 6 bis
8 Stunden auszubilden, und jede einzelne Sache mit ihnen besprochen; ich habe
sie jetzt so weit, daß sie nicht nur armenpflegerisch arbeiten, sondern auch
alle schriftlichen Eingaben glatt aufsetzen und mir zur Unterschrift vorlegen.
„Also, meine Herren, wenn Sie auf diese Sache eingehen, dann achten
Sie darauf, daß Sie armenpflegerisch gut ausgebildete Pflegerinnen haben.
„Die Arbeitsergebnisse der Auskunfts- und Fürsorgestellen für Lungen¬
kranke in Berlin und Vororten (mit Ausnahme der eine selbständige Für¬
sorgestelle besitzenden Städte Charlottenburg, Schöneberg und Rixdorf) sind
vom 1. Oktober 1904 bis 1. Oktober 1906 folgende:
„25285 Personen sind auf Lungentuberkulose untersucht, 13 334 Woh¬
nungen Lungenkranker in bestmöglichen sanitären Zustand versetzt und
ständig kontrolliert, 465 Betten geliefert, 3923 M. Mietzuschüsse in Be¬
trägen von 5, 6, 7 bia 10 M. aus unserer Kasse geleistet und 11805 M.
für Unterstützungen in dringenden Fällen verausgabt worden.
„An letzteren beiden Summen ist die Armendirektion, die ihrerseits
in vielen Fällen zu ausgiebiger Hilfeleistung mit Erfolg veranlaßt wurdr,
nicht beteiligt.
7*
Digitized by LaOOQle
100 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
„1168 erwachsene lungenkranke Personen, die von der Landes -Ver¬
sicherungsanstalt als zu weit vorgeschritten abgewiesen und den Auskunfts¬
und Fürsorgestellen der Vereinbarung gemäß zugesandt wurden, sind von
uns auf verschiedene Weise eingehender Beobachtung bzw. der Weiter¬
behandlung durch ihre Ärzte oder in Krankenhäusern und Luftkurorten
unterzogen und 534 als erheblich gebessert entlassen worden.
„Diese 534 Leute wären also wohl alle dem Tode verfallen, wenn nicht
für sie von den Auskunfts- und Fürsorgestellen zweckentsprechend weiter
gesorgt wäre.
„984 Kinder wurden in Kinderheilstätten, 1433 in Walderholungs¬
stätten gebracht.
„574 Personen mußte wegen sehr schwerer Erkrankung der Rat erteilt
werden, sofort ein Krankenhaus — besser wäre ein Siechenhaus für Tuber¬
kulöse — aufzusuchen.
„Nun will ich noch ein Wort sagen über die an die Landesversicherungs¬
anstalten zu stellenden Ansprüche. Heute zeigen sich die Landesversicherungs¬
anstalten ziemlich zurückhaltend, und zwar deswegen, weil die Wünsche, die
ihnen vorgetragen werden, vielfach uferlos sind. Man kann es ihnen daher
nicht verdenken, daß sie nicht gleich auf alle Vorschläge eingehen. Aber
die Wünsche, die an sie gestellt werden, lassen sich in folgender Weise
limitieren. Die Auskunfts- und Fürsorgestellen müssen zu ihrem Betriebe
je nach der Größe der Stadt eine oder mehrere Schwestern und einen oder
mehrere Ärzte haben und vielleicht auch die Bureaumiete bezahlen können.
Wenn diese Betriebskosten von der Landes Versicherungsanstalt bezahlt
werden, dann muß der Leiter der Auskunfts- und Fürsorgestelle, der zweck¬
mäßigerweise Verwaltungsbeamter ist, auch in der Lage sein, das sonst
nötige Geld bei den Verwaltungen, um deren Kranke es sich handelt, flüssig
zu machen; die Krankenkassen, die Post, die Eisenbahn, die Armenverwaltung
usw., sie zahlen alle, nicht nur für ihre Angestellten oder sonstigen Zu¬
gehörigen, sondern meist auch für Frauen und Kinder.
„Zum Schlüsse will ich noch folgendes erwähnen: Auskunfts- und Für¬
sorgestellen mit eigenem Personal sind nur in größeren Städten möglich
und nötig, in kleinen und mittleren Städten werden diese Fürsorgestellen
zweckmäßig mit solchen für Säuglinge, für Waisen usw. verbunden. Die
Ansteckungsgefahr ist, wenn sie überhaupt anerkannt wird, bei solcher Ver¬
bindung jedenfalls geringer, als wenn die Armen- oder Säuglingspflegerin,
ohne auf Tuberkulose zu achten, von Familie zu Familie geht, wie jetzt
geschieht. Also wenn Sie, meine Herren, in Ihrer Stadt die eine Einrichtung
haben, können Sie die andere getrost mit ihr vereinigen. Sie sparen dann Zeit
und Geld und können auf billige Art viel Gutes schaffen. Nur gebe ich
Ihnen den Rat, laufen Sie den Tuberkulösen nicht nach, sondern lassen Sie
sie kommen, sonst gewinnen die Schwestern und Ärzte keinen Einfluß auf
die Leute.“
Oberbürgermeister Dr. Ebeling (Dessau): „Als Vertreter einer
f Mittelstadt, die freilich mit ihren 56000 Einwohnern auf der Staffel der
mittleren Städte noch auf der untersten Stufe steht, möchte ich meine
Kollegen dringend auffordern, ihrerseits die Frage der Walderholungsstätten
Digitized by
Google
Walderholungsstätten und Genesungsheime.
101
in die Hand zu nehmen und solche zu gründen. Ich Btimme Herrn Geheim¬
rat Pütt er ohne weiteres zu, daß die Walderholungsstftttenfrage verknüpft
werden muß mit der Wohnfrage. Wir haben ihre Lösung begonnen durch
eine seit lVa Jahren strikt durchgeführte Wohnungsinspektion und Wohnungs¬
pflegschaft und haben die Freude gehabt, daß in 492 Fällen, wo aus sani¬
tären Rücksichten Bedenken erhoben wurden, Bie sich durch verständigen
Rat der Wohnungspfleger mit Leichtigkeit beseitigen ließen.
„In der Frage der Walderholungsstätten möchte ich auf ein Bedenken
hinweisen, das uns sehr stark beschäftigt hat. Wir haben nicht eine Teilung
eintreten lassen nach besonderen Walderholungsstättten für Männer, Frauen
und Kinder, sondern nach der Art der Krankheiten. Als wir vor mehreren
Jahren die erste Walderholungsstätte gegründet hatten, zeigte Bich, daß die
Leute, Nähmädchen usw., die erholungsbedürftig waren, sich scheuten, hin¬
auszugehen, weil da draußen lungenverdächtige Leute husteten, weil sie
glaubten, dort Bazillen aufzufangen. Auch in Kassel hat man ja die gleiche
Erfahrung gemacht. Aus diesem Grunde haben wir eine räumliche Trennung
eintreten lassen und eine halbe Stunde von der ersten entfernt eine zweite
Walderholungsstätte gegründet. In die eine nehmen wir erholungsbedürf¬
tige Leute auf, blutleere Nähmädchen, Angehörige aus dem kleinen Haus¬
gewerbe, aus dem Krankenhaus entlassene Patienten, in die andere Erholungs¬
stätte nehmen wir solche auf, bei denen die Untersuchung des Sputums Bazillen
ergeben hat. Diese Trennung hat sich außerordentlich gut bewährt. Die eine
Walderholungsstätte ist nur geöffnet im Sommer während einer Zeit von etwa
fünf Monaten, die andere Walderholungsstätte, die stabiler errichtet ist,
wird auch im Winter geöffnet, mit Ausnahme der Zeit der großen Kälte,
von Mitte Dezember bis etwa Ende Januar. Die Kosten von Walderholungs-
stätten sind in der Tat nicht zu erheblich; die eine hat in der ersten Anlage
etwa 12000 M. gekostet, die andere etwa 6000 M. Die Erfolge sind
geradezu großartig. Der große Reiz der Walderholungsstätten beruht darin,
daß Familienväter, Familienmütter nicht gänzlich von der Familie ab¬
geschieden werden, sondern abends zurückkommen an den heimischen Herd
und mit der Familie sprechen können; die Kinder haben einen Vater, eine
Mutter, die zehrende Sehnsucht kann nicht aufkommen.
„Notwendig ist für eine Walderholungsstätte in erster Linie, daß sie
nahe an der Stadt liegt. Eb brauchen nicht große Wälder zu sein, es ge¬
nügt schon eine schöne Waldanlage mit einem Durchblick auf das freie Feld,
eine grüne Wiese, man kann etwas Blumenbeete anlegen, in der Ferne
sieht man die Türme der Stadt. Die Familienangehörigen des Leidenden
können ihn morgens hinausbegleiten und des abends zurückholen.
„Der Herr Referent hat mit Recht betont: so einfach wie möglich.
Notwendig ist aber erstens eine Umgrenzung durch Drahtzaun, d&mit das
neugierige Publikum abgehalten wird, dann, wenn man eine gemeinsame
Walderholungsstätte nimmt für Männer und Frauen zusammen — eine
solche läßt sich sehr gut durchführen — eine vollständige Trennung der
Geschlechter. Auch auf einem kleinen Gebiete läßt Bich das mit Leichtigkeit
erreichen. Ein geschickter Landschaftsgärtner wird selbst in einem kleinen
Walde die Plätze so wählen können, daß die Männer und Frauen sich gar
nicht zu sehen bekommen, trotzdem das Verwaltungsgebäude den Mittel-
Digitized by
Google
102 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
punkt bildet. Dann muß natürlich der Platz so gewählt werden, daß man
überall behaglich im Grünen sitzen kann, sowohl bei kaltem, wie auch bei
ganz heißem Wetter. Die Schutzhalle darf nicht zu flach sein, damit bei
schlechten Wittern ngs verhält niesen die Kranken sich auch dort wohl fühlen.
Sie muß nach der Windrichtung gebaut werden, vor allen Dingen muß aber
in der Schutzhalle und überhaupt in der ganzen Walderholungsstätte die
äußerste Bequemlichkeit zum Liegen vorhanden Bein. Und da stehe ich
auf dem Standpunkte, daß hierfür nichts teuer genug ist. Wir haben uns
Korbstühle machen lassen für 24 M. — die werden vom Publikum sehr
gern benutzt — und außerdem eine große Anzahl von Hängematten. Aus
der Lesehalle fallen Zeitschriften ab mit bunten Bildern, aus der Bücherei
manche Bücher, so daß reichlich geistige Lektüre vorhanden ist. Beim Essen
muß ein schmackhaftes Essen geliefert werden, und zwar Vollessen für den
ganzen Tag; die mitgebrachten Stullen taugen nichts. Trotzdem macht
man die Erfahrung, daß gerade die ärmsten Leute die unzufriedensten sind.
Gerade das sind diejenigen, die immer etwas auszusetzen haben. Auf Dank¬
barkeit darf man da nicht rechnen. Dann muß man einen liebenswürdigen
Stadtverordneten, Arzt, Privatmann finden, der alle Tage hinausgeht, sich
mit den Leuten unterhält. Eine tüchtige Schwester muß an der Spitze
stehen, die freundlich zuredet
„Zuerst bei der Gründung einer solchen Walderholungsstätte gibt es
manche Schwierigkeiten. Die Krankenkassen sind zuerst nicht gleich ge¬
neigt, leider auch manchmal die Ärzte nicht. Uns ist zuerst eine große
Interesselosigkeit entgegengetreten; jetzt sind wir aber so weit, daß wir nach
einem Betriebe von drei Jahren auf ganz ausgezeichnete Erfolge zurück¬
blicken können. Die Walderholungsstätten erfreuen sich großer Beliebtheit.
Wir können zu gleicher Zeit im Sommer in der einen 60 bis 70 Personen
aufnehmen, in der anderen ebenfalls, aber es kommen vorläufig nicht soviel.
Ich hoffe, daß die Entwickelung im Winter weiter gehen wird.
„Ich möchte die Kollegen bitten, doch dieser Frage gründlich näher
zu treten. Es ist eine wahre Freude, und man kann recht viel damit
helfen.“
Hofrat und praktischer Arzt Dr. Ferd. May (München): „Meine
Herren! Unsere Walderholungsstätte in Holzapfelkreuth bei München, die
durch den Verein für Krankenfürsorgestellen und Walderholungsstätten, an
dessen Spitze unser verehrter Oberbürgermeister von Borscht steht, vor
zwei Jahren ins Leben gerufen wurde, gehört zu denjenigen Anstalten, die
eigentlich nicht zu den ganz einfachen gerechnet werden können, wie sie
Kollege Lennhoff gewollt hat. Aber, meine Herren, wir können sie eben
nicht so einfach machen bei unseren Verhältnissen, wir müssen bei unserem
Klima unbedingt eine heizbare Halle haben. Wir haben im Monat Juni
dieses Jahres häufig heizen müssen, und auch gestern und vorgestern bei den
kalten Tagen hätten es unsere Kranken ohne einen geheizten Tagesraum nicht
ausgehalten. Dazu kommt noch, daß wir nicht den durchlässigen Sandboden
haben wie in Norddeutschland, sondern einen feuchten Waldboden, in dem
sich bei den starken Niederschlägen, insbesondere des letzten Sommers, die
Feuchtigkeit sehr ansammelt und dadurch die Kälte viel mehr noch empfun-
Digitized by
Google
Walderholungsstätten und Genesungsheime.
103
den wird. Einen heizbaren Tages raum müssen wir also für unsere Er¬
holungsstätten fordern.
„Daß unser Publikum Übrigens anspruchsvoller ist als an anderen
Orten, das, meine Herren, hat mir der Angriff bewiesen, den ich leider von
seiten der Ortskrankenkasse dieses Jahr erfahren mußte. Dieselbe hat
unsere Einrichtungen als äußerst primitiv bezeichnet, und dabei ist unsere
Erholungsstätte, wie Herr Lennhoff gelegentlich eines Besuches meinte,
mit die luxuriöseste.
„Dank einer in Aussicht gestellten Stiftung von 50000 M. bin ich in
der glücklichen Lage, im nächsten Jahre eine Kindererholungsstätte ins
Leben rufen zu können, die ich direkt an die Erholungsstätte für Frauen
in Holzapfelkreuth anzugliedern beabsichtige. Unsere Münchener Kinder
sind aber nicht die Großstadtkinder Berlins, die in der Trambahn ein- und
auszusteigen gewöhnt sind. Ich mußte darum dafür Sorge tragen, daß auch
eine größere Anzahl Gelegenheit zu ständigem Aufenthalt finden wird. Wir
beabsichtigen, einen festen Holzpavillon, der während des Winters stehen
bleiht, zu errichten.
„Unsere Erholungsstätte hat 22 000 M. gekostet. Wenn ich Ihnen
sage, daß vom 1. Mai bis heute 639 Kranke mit etwa 20000 Verpflegungs¬
tagen bei uns Aufnahme gefunden haben, so spricht diese Zahl für sich.
In der Billigkeit und Einfachheit besteht der Wert der Erholungsstätten.
Darauf hingewiesen zu haben, ist ein besonderes Verdiest unseres Vor¬
tragenden Lennhoff und seines leider zu früh verstorbenen Freundes
Wolf Becher.“
Stadtrat Rosenstock (Königsberg i. Pr.): „Meine Herren! Der
Herr Berichterstatter will den Kreis derer, die in Genesungsheime gehören,
also in Anstalten mit dauerndem, festem Nachtbetrieb, grundsätzlich in der
Art begrenzen, daß die Genesungsheime für Kranke Vorbehalten werden,
welche für längere Zeit dauernd von ihrer Häuslichkeit fernbleiben müssen
und für welche ein größerer Behandlungsapparat (Hydrotherapie, Gymna¬
stik usw.) notwendig ist, dagegen diejenigen, die einer physikalischen und
wohl auch diätetischen Behandlung bedürfen, will der Herr Berichterstatter
in reine Walderholungsstätten, also wesentlich in Tagesstätten, verweisen.
„Wir in Königsberg haben ein Genesungsheim, das für den Nacht¬
betrieb eingerichtet ist, ein massives Gebäude, in dem die Rekonvaleszenten
während des Aufenthaltes bleiben, also selbstverständlich auch mit voller
Verpflegung. Nun meine ich, wenn der Herr Berichterstatter sagt: grund¬
sätzlich sollen solche Leute, die nur physikalischer Behandlung bedürfen,
in den Tageserholungsstätten bleiben, daß das als grundsätzlich nicht
ohne weiteres zuzugeben ist. Selbstverständlich ist es insofern praktischer,
als die Tageserholungsstätten billiger sind, und man also mit einem mini¬
malen materiellen Aufwande mehr Menschen Wohltaten zu weisen kann als
bei dem dauernden Nachtbetriebe; aber ich glaube, es hat dieser Tag- und
Nachtbetrieb, der den Erholungsbedürftigen ganz aufnimmt, sehr viele Vor¬
züge, insbesondere bei den großstädtischen Wohnungsverhältnissen. Wenn
Sie jemand den Tag über in guter Luft halten und ihn zur Nacht in über¬
füllte schlechte Wohnungen schicken — haben Sie da nicht bis zu einem
Digitized by LaOOQle
104 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentL Gesundheitspflege zu Augsburg¬
gewissen Grade die Rolle der Penelope gespielt, die in der Nacht das wieder
anftrennte, was sie bei Tage gearbeitet hatte? Wenn der Erholungs¬
bedürftige verhältnismäßig früh wieder aus der Walderholungsstätte nach
Hause muß und auch nicht gar so früh des Morgens wieder eintreffen kann,
eo ist das fast die Hälfte der Zeit, die er zu Hause unter hygienisch nicht
einwandfreien Verhältnissen verbringt. Es kommt ferner hinzu: er muß
täglich zweimal fahren, und so nahe kann im allgemeinen die Erholungs¬
stätte nicht gewählt werden, daß nicht die Fahrt hin und zurück doch für
den Erholungsbedürftigen eine gewisse Strapaze ist. Es ist auch eine ge¬
wisse Aufregung für ihn damit verbunden, daß er pünktlich seinen ersten
Zug bekommt usw. Das alles fällt fort bei dem Dauerbetriebe. Und endlich
das, was der Herr Berichterstatter als einen Vorzug der Walderholungs¬
stätten hervorhob, hat doch auch seine Nachteile, nämlich daß der Familien¬
vater und die Mutter immer wieder täglich in die Familie zurückkehrt. Ja,
wenn sie das tun, kommen sie auch immer wieder in ihren alten Kreis
zurück. Die Mutter hat ihre Arbeit im Haushalt bis zu einem gewissen
Grade doch vorzunehmen, sie bleibt dauernd mit den Sorgen des Haushalts
belastet, und es fragt sich, ob da nicht ein Teil des guten Erfolges wieder
in Frage gestellt wird. Es ist, glaube ich, ganz charakteristisch, daß der
Herr Berichterstatter, obgleich er von den Genesungsheimen spricht, doch
in seiner These 5 sagt: Grundsätzlich ist daran festzuhalten, daß die Ge¬
nesungsheime für Kranke Vorbehalten werden. Es scheint mir wirklich,
daß diese Genesungsheime für Kranke eigentlich nur eine Art von
Krankenanstalten sind, vielleicht in der Art, wie sie Ziemssen sich
gedacht hat und wie es meines Wissens in Harlaching bei München durch¬
geführt ist: es sind dort diejenigen Kranken, die nicht der intensiven Pflege
bedürfen, wie sie unser Durchschnittskrankenhaus gewährt, und es ist ein
Krankenhaus für im allgemeinen leichter Kranke, aber es ist kein Ge¬
nesungsheim. Namentlich haben wir auch das eine als Vorzug bei den
Genesungsheimen mit Nachtbetrieb gefunden: bei schlechtem Wetter wird
derjenige, der jeden Morgen erst wieder hinaus und abends herein muß,
den Morgen dann zu Hause bleiben, und er ist nicht nur des Nachts in
hygienisch nicht einwandfreien Verhältnissen, sondern auch noch bei Tage;
wenn er dagegen dauernd aufgenommen ist, so benutzt er eben die Ein¬
richtungen, die Halle, den Park, der ihm etwas Schutz bietet, auch bei einem
Wetter, bei dem er sonst zu Hause bleiben würde.
„Und schließlich, was die Kosten anbetrifft: ein solches Genesungsheim,
das eben wirklich Genesende aufnimmt, unterscheidet sich in den Kosten
von der Walderholungsstätte meines Erachtens im wesentlichen nur durch
die Errichtung der massiven Gebäude und durch die Kosten der baulichen
Unterhaltung; dagegen die übrigen Einrichtungen, wenn sie den Genesenden
volle Verpflegung auch in der Walderholungsstätte bieten, sind ziemlich
dieselben; also auch die Kosten sind dieselben, und es war mir sehr inter¬
essant, von dem Herrn Berichterstatter und auch von anderer Seite zu hören,
daß unsere allgemeine Entwickelung doch auf diese Genesungsheime hin¬
drängt. Wir haben schon gehört, es wird an Winterbetrieb gedacht, es
wird teilweise auch schon die Tagesheilstätte oder -heimstätte mit Winter¬
betrieb aufrecht erhalten, also man baut massiv oder wenigstens beinahe
Digitized by LaOOQle
Walderholungsstätten und Genesungsheime.
105
massiv. Man denkt auch schon daran, die Genesenden des Nachts da zu
behalten. Nun, dann wird es ja ohnehin nicht lange dauern, daß man ihnen
•auch, wenn man sie nicht nur im Sommer behandeln will, gute, fest ge¬
schlossene, warme Schlafstellen gibt, und ich glaube, dann ist der ent¬
scheidende Schritt getan, dann sind eben die Walderholungsstätten zu
‘Genesungsheimen mit vollem Betrieb für die Nacht geworden.
„Meine Herren! Meine Ausführungen kommen nicht nur aus der
Theorie, sondern auch aus der Praxis, und wenn der Deutsche Verein für
•öffentliche Gesundheitspflege uns die Ehre schenkt, unsere Einladung anzu¬
nehmen, so werden Sie ein Genesungsheim derart sehen, das eine, wenn ich
so sagen darf, Walderholungsstätte mit vollem Nachtbetrieb ist, und ich
hoffe, Sie werden uns zugeben, daß auch das etwas sehr Gutes hat.
„Gestatten Sie mir nur noch eine kurze Bemerkung über eine praktische
Einrichtung, die sich bei uns sehr bewährt hat. Wir haben mit den Kranken¬
kassen und mit der Landesversicherungsanstalt — das Genesungsheim ist
sine städtische Anstalt — ein Abkommen getroffen, daß im Sinne ihrer
Leistungen das Genesungsheim dem Krankenhause vollkommen gleich gilt.
Sie weisen von vornherein Kranke oder Genesende ein, aber sie haben auch
den behandelnden Ärzten unserer Krankenanstalten das Recht eingeräumt,
ohne weiteres, solange die Fürsorgepflicht der Kasse oder der Versiche¬
rungsanstalt noch reicht, den Kranken, nicht Genesenen und nicht voll
EntlasBungsfähigen aus dem Krankenhause in das Genesungsheim über¬
weisen zu können. Auch das ist eine Einrichtung, die sich sehr bewährt
hat, und die ich nur sehr empfehlen kann, da sie sonst meines Wissens in
diesem Umfange noch nicht besteht. u
Städtischer Ziehkinderarzt Dr. Effler (Danzig): „Meine Herren!
Wenn ich Ihre Aufmerksamkeit für wenige Minuten noch in Anspruch nehme,
so geschieht es nur aus dem Grunde, weil ich dazu gewissermaßen provo¬
ziert wurde, und zwar durch den Vortragenden Herrn Dr. Lennhoff, der
wiederholt die Erholungsstätte in Danzig, deren Leiter zu sein ich die Ehre
habe, erwähnt hat. Es geschieht das aber um so lieber, weil dieses Referat
des Herrn Kollegen Lennhoff wohl weniger informatorischen Charakter für
Sie haben sollte, als vielmehr einen agitatorischen, und zu der Agitation
für die Erholungsstätten gehört in allererster Linie, daß man darlegen kann,
mit wie ungeheuer kleinen Mitteln man derartige Erholungsstätten in der
Tat ins Werk setzen kann. Aus diesem Grunde möchte ich Ihnen die vor¬
jährigen Erfahrungen aus Danzig gern mitteilen.
„Es gehört za einer Erholungsstätte ein Wirtschaftshaus und eine
Halle. Das Wirtschaftshaus kann man in der Weise ersetzen, wie wir es
gemacht haben, daß man eine am Waldrande gelegene Villa mietet. Das
hat uns den ganzen Sommer über 300 M. gekostet. Die Halle kann man
dadurch ersetzen, daß man sich von der Militärbehörde womöglich Manöver¬
zelte geben läßt Wir erhielten solche Zelte von unserem kommandierenden
General liebenswürdigerweise zur Verfügung gestellt. Sie hatten einen
Grundraum von 16 qm, und es konnten acht Liegestühle in jedes solche
Zelt hineingesetzt werden. Es kostete uns das weiter nichts als 3 M. für
jeden Liegestuhl. Die Zelte erhielten wir umsonst. Kurz und gut, die
Digitized by LaOOQle
106 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. offentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
ganze Sache ist eingerichtet worden mit einem Kostenaufwand von etwa
500 M.
„Ich möchte Sie darauf nur hin weisen, um die Agitation für diese
Erholungsstätten möglichst zu fördern.“
Damit ist die Diskussion erschöpft und es erhält das Schluffwort:
Referent, Dr. R. Lennhoff (Berlin): „Meine Herren! Nach den
Ausführungen des Herrn Vorvorredners hätte es so scheinen können, als ob
ich an den Genesungsheimen etwas Besonderes auszusetzen hätte. Das ist
keineswegs der Fall. Ich stehe durchaus auf dem Standpunkte, daß die
Erholungsstätten nicht die vollendetste Form der Anstaltspflege darstellen,
daß die Genesungsheime eine vollkommenere Stufe der Anstaltsbehandlung
sind als die Erholungsstätten, und wenn ich eine Reihe von besonderen
Vorzügen hier hervorhob, die die Erholungsstätten vor den Genesungsheimen
voraus haben, so geschah das nicht, um etwa die Genesungsheime herabzu¬
setzen, sondern um zu zeigen, daß trotz ihres einfachen primitiven Charakters
den Erholungsstätten doch ganz besondere Vorzüge innewohnen.
„Es wurde dabei vorhin angeführt, daß es schiene, als ob finanziell
der wesentlichste Vorzug der Erholungsstätte wohl nur in der billigen Er¬
richtung liege und nicht in dem billigen Betriebe. Nun, auch der Betrieb
der Genesungsheime ist denn doch in den verschiedenen Orten ein außer¬
ordentlich verschiedener. Sie kommen an der einen Stelle mit 1,50 M. aus
und an anderen Stellen haben sie über 3 M. Selbstkosten. Es ist auch zu
berücksichtigen, daß nur, wenn ein Genesungsheim voll belegt ist, im all¬
gemeinen der Betrieb ein verhältnismäßig billiger ist, aber gerade in den
Genesungsheimen wird sehr vielfach darüber Klage geführt, daß während
der Wintermonate die Belegungsziffer ziemlich gering ist, und dann kompen¬
sieren die höheren Ausgaben des Winters in erheblichem Maße die billigeren
Ausgaben des Sommers.
„Nun kommt noch ein Zweites hinzu, und das ist das: Wieviel Leute
kommen im Laufe eines Jahres durch das Genesungsheim hindurch, das
heißt also, wie groß ist die Zahl derjenigen Patienten, denen das Genesungs¬
heim zugute kommt? Vor allem: wie groß ist die Zahl dieser Personen im
Verhältnis zu der Zahl derer, denen man mit den Erholungsstätten zwar
nicht ganz dasselbe, aber doch außerordentlich Vieles zugute tun kann?
Darin liegt ein Kernpunkt der Frage. Haben Sie Geld genug, ein Ge¬
nesungsheim zu errichten, und haben Sie wenig Patienten, so daß Sie mit
dem Genesungsheim auskommen, dann errichten Sie ein Genesungsheim.
Haben Sie aber nicht Geld genug zum Genesungsheim, und haben Sie mehr
Patienten, als Sie im Genesungsheim unterbringen können, dann machen
Sie unter allen Umständen zunächst eine Erholungsstätte, denn mit sa
wenig Mitteln und mit so einfachem Betriebe können Sie auf keine andere
Weise so viel leisten wie mit der Erholungsstätte. Das sollte der Kernpunkt
der Ausführungen sein, die ich hier heute gemacht habe.
„Und nun noch eins: Wie lange bleibt im allgemeinen der Kranke in
den Genesungsheimen? Wir verfolgen bei den Erholungsstätten durchaus
den Grundsatz, die Kranken so lange da zu lassen, wie es nötig ist, und
nicht, wie es bei den meisten Genesungsheimen der Fall ist, drei bis vier
Digitized by LaOOQle
Die Bekämpfung des Staubes im Hause und auf der Straße. 107
Wochen, nur, damit möglichst viele Leute durch das Genesungsheim durch¬
gehen. Ich habe erst vor einigen Tagen in dem Bericht eines Genesungs¬
heimes gelesen, daß man genötigt war, die Verpflegungsdauer von vier
Wochen auf drei Wochen herabzusetzen, weil der Andrang zu groß wäre.
Ja, in dem Augenblick erfüllt das Genesungsheim nicht mehr den Zweck,
den es erfüllen soll, denn es kommt nicht darauf an, daß ausgerechnet eine
umschriebene Zahl von Kranken eine umschriebene Zeit dort behandelt
wird, sondern es muß so lange behandelt werden, wie der einzelne Fall es
nötig macht, und auch das läßt sich nur erreichen, wenn man eben An¬
stalten zur Verfügung hat, die sehr viele Patienten aufnehmen können. u
Vorsitzender, Professor Genzmer (Danzig): „Meine geehrten
Damen und Herren! Es ist hier ein Gebiet behandelt worden, das nicht
nur eine große hygienische, sondern auch eine große soziale Bedeutung hat.
Gilt es doch, dem ärmeren Teile der Bevölkerung Gelegenheit zu geben, die
verlorenen Arbeitskräfte wieder zu gewinnen und dadurch der Familie den
Ernährer, dem Staate den tatkräftigen Bürger wieder zurückzugeben.
„Hoffen wir, daß die heutigen Verhandlungen dazu beitragen werden,
daß derartige Wohltätigkeitsanstalten in immer größerer Zahl in unserem
Vaterlande entstehen, und sprechen wir deshalb dem Herrn Berichterstatter
für seine klaren, überzeugenden Ausführungen unseren verbindlichsten Dank
aus; in gleicher Weise aber auch den übrigen Herren, die so freundlich
waren, uns aus ihrer Erfahrung heraus wertvolle Mitteilungen zu machen."
Pause.
Nach Wiedereröffnung der Sitzung stellt der Vorsitzende den vierten
Gegenstand der Tagesordnung zur Beratung:
Die Bekämpfung des Staubes im Hause und
auf der Straße.
Es lauten die von den Referenten Prof. Dr. Holm (Erlangen) und
Stadtbaumeister Nier (Dresden) aufgestellten
Leitsätze:
1. Der im Freien und bei der Tätigkeit der Menschen (abgesehen von der
gewerblichen) entstehende Staub kann durch Massenhaftigkeit lästig werden
und für empfindliche Personen nachteilige Wirkungen auf die Atinungs-
organe und das Allgemeinbefinden haben.
2. Durch Beimengung von Abfall- und Auswurfsstoffen bekommt der Staub
eine ekelerregende Beschaffenheit.
3. Unmittelbar gefährlich ist der vom kranken Menschen oder Tiere besudelte,
also infizierte Staub.
Darum muß Vorsorge getroffen sein, daß die Auswurfsstoffe von Kranken
und Krankheitsverdächtigen in regelrechter Weise abgefangen und unschäd¬
lich beseitigt werden.
4. Die Verhütung der Infizierung des Staubes und die Behandlung etwa infi¬
zierten Staubes liegt in einer geeigneten Wohnungspflege und Wohnungs¬
fürsorge, in der Sauberhaltung von Verkehrs- und Aufenthaltsräumen, sowie
von Straßen und Wegen.
Digitized by LaOOQle
108 XXXI. Versammlung d.D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
5. In jeder Hinsicht ist eine noch eindringlichere und bessere Belehrung der
Bevölkerung anzustreben. Sie ist nur möglich, wenn sie bereits in der
Schule* einsetzt.
6. Die möglichst vollkommene Unterdrückung des Staubes auf den Straßen und
im Hause ist nicht nur aus hygienischen und verkehrstechnischen
Gründen, sondern auch aus Gründen der Wirtschaftlichkeit, Reinlichkeit
und Annehmlichkeit anzustreben und mit allen Mitteln zu fördern.
7. Die Frage der Staubunterdrückung ist bis zu gewissem Grade nur eine
Geldfrage. Ihre Lösung wird erst schwierig durch die Forderung: Aufwand
und Erfolg in einem angemessenen gegenseitigen Verhältnis zu halten.
8. Der Straßenstaub läßt sich seinem Ursprünge nach in zwei Arten trennen, in
Staub, der durch Zermahlung und Abschleifung des Straßendeck¬
materials entsteht: Deckenstaub;
Staub, der durch Zerreibung der Verkehrsverunreinigungen entsteht:
Verkehrsstaub.
9. Eine erfolgreiche Bekämpfung des Staubes auf den Straßen ist zu erzielen
durch Maßnahmen in dreierlei Richtung:
a) durch besondere Sorgfalt bei der Wahl der Straßenbefestigungsart;
ß ) durch peinliche Straßenreinigung;
y) durch ausgiebige Straßenbesprengung
Zu 9«. a) Die Anlegung neuer Schotter- und Kiesbahnen ist möglichst zu ver¬
meiden. Leichte Pflasterung (besonders Kleinsteinpflaster) erscheint
als zweckmäßiger Ersatz;
b) demjenigen Befestigungsmaterial, das sich im Verkehr nur gering und
gleichmäßig abnutzt und enge Fugenbildung zuläßt, ist im allgemeinen
der Vorzug zu geben;
c) die Erzielung einer fugenlosen, ebenen Straßendecke, die sich gut
rein halten und waschen läßt, ist — sofern es die Verhältnisse gestatten
— stets anzustreben;
d) der ordnungsmäßigen Unterhaltung der Verkehrsflächen ist größte
Sorgfalt zu widmen;
e) die vielseitigen Bestrebungen, die Staubbildung der Schotter- und Kies¬
bahnen abzumindern durch oberflächliche Teerung bzw. Behandlung
mit wasserlöslichen ölen, oder mittels Durchtränkung der Schotter¬
oder Kiesdeeke mit Teer, öl oder asphaltähnlichen Stoffen und der¬
gleichen mehr, haben in Deutschland zu einem allseitig befriedigenden
Erfolg noch nicht geführt. W eitere langfristige Versuche in g r o ß e m
Maßstabe (kleine, kurze Versuche sind zwecklos) sind höchst wünschens¬
wert, besonders auch zur einwandfreien Klärung der Frage, ob und
in welchem Maße die genannten Verfahren die Unterhaltung der
Schotter- und Kiesbahnen und den Bestand der Straßenanpflanzungen
beeinflussen, und ob sie etwa gesundheitsschädigend wirken. Für
städtische Schotterstraßen erscheint die Behandlung mit wässerigen
Ölemulsionen aussichtsreich.
Zu 9ß. a) Die Reinhaltung der öffentlichen Verkehrsflächen sollte bei der Be¬
deutung dieser Arbeiten für die Allgemeinheit nur Sache der Ge¬
meinden sein;
b) die gründliche Reinigung der Straßen hat tunlichst oft, am besten
täglich zu erfolgen;
c) alle Reinigungsarbeiten sind so auszuführen, daß Staubaufwirbelung
vermieden wird. Aller Kehricht ist bis zu seiner endgültigen Beseiti¬
gung stets feucht zu halten;
d) die Verunreinigungen sind so schnell als möglich von den Verkehrs¬
flächen zu entfernen. Reinigungsmaschinen, die kehren und gleich¬
zeitig den Kehricht aufladen — sogenannte Sammel-Kehrmaschinen
— sind sehr zu empfehlen. Versuche mit solchen Maschinen, die von
der Industrie in vorläufig genügender Vollkommenheit geboten werden,
sind wünschenswert;
Digitized by LaOOQle
109
Die Bekämpfung des Staubes im Hause und auf der Straße.
e) das Spucken auf die Gangbahnen ist zu verhindern. Dafür sind auf
den Verkehrsflachen geeignete Spucknapfvorrichtungen oder leicht zu
reinigende und desinfizierende Spuckt!ächen einzurichten.
Zu 9 y. a) Die Besprengung der öffentlichen Verkehrsflächen ist Sache der Ge¬
meinden ;
b) die Besprengung hat nicht nur den Zweck, den vorhandenen Staub
zu binden, sie soll bei heißem Wetter auch die Luft reinigen und er¬
frischend wirken;
c) die Besprengung ist nur mit frischem, reinem Wasser zu bewirken
Die Verwendung von ungereinigtem Fluß- oder Seewasser sollte aus
hygienischen Gründen ausgeschlossen bleiben;
d) das Ziel jedes geregelten Sprengbetriebes muß sein, die Staubbildung
schon im Entstehen zu verhindern;
e) die Starke und Form der Besprengung soll so gewählt sein, daß Staub¬
und Schlammbildungen auf den Verkehrsflächen tunlichst vermieden
werden;
f) es ist zweckmäßiger und wirtschaftlich richtiger, öfter mit wenig
Wasser zu sprengen als seltener, aber mit viel Wasser;
g) um die Straßenbesprengung nachhaltiger zu gestalten, dürfen dem
Sprengwasser keinesfalls Stoffe oder Lösungen beigemengt werden, die
gesundheitsschädigend wirken.
10. Eine erfolgreiche Bekämpfung des Staubes im Hause hat von folgenden
Gesichtspunkten auszugehen:
a ) die Unterdrückung des Straßenstaubes vermindert auch den Staub im
Hause;
ß) alle Reinigungsarbeiten sind, soweit angängig, auf nassem Wege zu
bewirken;
y) die Ölung der Fußböden verhindert die Staubbildung in befriedigender
Weise. Sie soll aber nur als Unterstützung, nicht als Ersatz der ge¬
wöhnlichen Reinigungsarbeit betrachtet werden;
d) alle Verfahren, die eine Beseitigung des Staubes aus den Wohnräumen
ermöglichen, ohne daß er erst in die Luft gewirbelt wird und sich
nachträglich wieder setzt, sind zu empfehlen.
Referent, Prof6880r Dr. Heim (Erlangen):
„Staub gilt gemeinhin als etwas Unangenehmes und Lästiges, weil er
die Luft verunreinigt und die Gegenstände unansehnlich, alt, schmutzig er¬
scheinen läßt, ja manchen Menschen ist geradezu eine Staubfurcht eigen,
ähnlich der bekannten Bakterienfurcht. Damit wird oft zu weit gegangen;
beide sind ungerechtfertigt. Denn Staub und Bakterien gehören nun einmal
auf die Welt. Die ersten lebenden Wesen auf unserer Erde müssen die mehr
auf das Wasser angewiesenen Bakterien gewesen sein, und ehe sie da waren,
war der Staub da; nur mit seiner Hilfe konnten sie sich durch die Luft
verbreiten, und wo sie sich auf festeu Dingen niederließen und bei Vor¬
handensein von Feuchtigkeit wuchsen, trugen sie dazu bei, daß das Nähr¬
substrat zerlegt und nach dem Austrocknen in Staub verwandelt wurde. So¬
weit das Leben in und aus dem Staube entstand, vermehrt das Lebende den
Staub.
„Ohne Staub ist unser Dasein nicht denkbar. Was wäre eine Acker¬
krume ohne Staub; ohne ihn gäbe es, wie wir mit dem schottischen Gelehrten
John Aitken annehmen, keine Bläue des Himmels, aber auch weder Wolken,
noch Regen, noch Gewitter, denn die Staubteilchen sind die Kondensations¬
kerne für den Wasser dampf.
Digitized by LaOOQle
110 XXXI. Versammlung d.D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
„Aitken hat einen Apparat zur Zählung der Staubkörperchen zusammen¬
gestellt *), mit dem es ihm und anderen Forschern gelungen ist, den Unter¬
schied im Staubgehalt der Luft zwischen der Höhe, dem platten Lande und
der Stadt einerseits und zu verschiedenen Zeiten andererseits festzustellen.
„In größeren Städten und in Fabrikorten ist der Staub vermehrt. Er
wird hier von viel Rauch und Ruß begleitet; dadurch entstehen die z. B. in
London berüchtigten Nebeltage, wenn unter dem Einflüsse der vielen hohen
Häuser die Bewegung der Luft ungenügend wird und wenn sie gleichzeitig
einen hohen Feuchtigkeitsgehalt besitzt 2 ).
„Die Kohlenlungen der Städter ähneln in ihrem schwarz gesprenkelten
Aussehen den Lungen der in der Nähe offener Feuer oder der mit Ruß und
Kohlen beschäftigten Arbeiter; sie zeugen davon, wieviel rußhaltiger Staub
während des Lebens in die tieferen Atmungsorgane aufgenommen und im
Lungengewebe, sowie in den zugehörigen Lymphdrüsen liegen geblieben
und aufgespeichert worden ist.
„Indessen wenn der Staub nicht besondere chemische und physikalische
Eigentümlichkeiten besitzt, die die Körperzellen und Gewebe mechanisch an¬
greifen oder verätzen oder vergiften, wie es bei gewissen gewerblichen Be¬
schäftigungen vorkommt, von denen wir hier absehen wollen, ist die durch
die Einatmung von Ruß und Staub an sich gesetzte Schädigung nicht er¬
heblich. Indirekte Benachteiligungen bestehen zweifellos, sie sind teilweise
schon in der 12. Versammlung unseres Vereins am 17. September 1885 in
Freiburg i. Br. von Flinzer gewürdigt worden; die Städte und Häuser er¬
halten weniger frische Luft, die rauch- und staubhaltige Atmosphäre beein¬
trächtigt die günstige Wirkung des Sonnenlichtes auf die Bewohner, und
Personen mit empfindlichen oder vollends solche mit erkrankten Atmungs¬
organen werden noch mehr in Mitleidenschaft gezogen.
„Massenbeispiele dagegen für die relative Unschädlichkeit des Staubes
bieten unsere Truppen. In demselben Maße, wie die Kleider, die Waffen
und die Pferde unserer heimkehrenden Soldaten bestäubt sind, hat sich der
Staub auch auf und in die Atmungsorgane gelegt. Wer hat je schon den
Nachweis erbracht, daß dadurch Erkrankungen hervorgerufen sind? Es
müßten sich danach doch Massenleiden der oberen und tieferen Luftwege
insbesondere nach den Sommer- und Herbstübungen einstellen, aber gerade
in dieser Zeit pflegt der Krankenstand am niedrigsten zu sein, und nichts
dergleichen ist bekannt, daß lange gediente Offiziere und Unteroffiziere an
chronischen Staubinhalationskrankheiten leiden.
„Diese Beispiele werden natürlich niemand veranlassen zu sagen, daß
nichts gegen den Staub zu geschehen brauche. Denn jedermann empfindet
die Staubaufwirbelung als unangenehm, in wiederholten Fällen als bedeutende
Plage, mag er selbst der eingefleischteste Kraftwagenliebhaber sein. Jeder
sucht dem Staube so gut er es vermag auszuweichen, weil er ihn als Hindernis
für die freie Atmung empfindet. Ja ekelhaft erscheint der Staub, der mit
*) Die Beschreibung siehe bei A. und H. Wolpert, Die Ventilation, 3. Band
der „Theorie und Praxis der Ventilation und Heizung“, Berlin bei W. & 8. Loewenthal.
*) M. Hübner, Über trübe Wintertage nebst Untersuchungen zur sog. Hauch¬
plage der Großstädte. Archiv für Hygiene, Bd. 57, 8. 323.
Digitized by
Google
Die Bekämpfung des Staubes im Hause und auf der Straße.
111
Auswurfsstoffan von Tieren und Menschen verunreinigt ist, er kann dazu
noch unmittelbar gefährlich sein.
„In tierischen Abfallstoffen sind nur selten Keime enthalten, die, ein¬
geatmet, den Menschen krank machen, desto häufiger ist das ih den vom
Menschen herrührenden der Fall. Unter den Verhütungsmaßregeln des Unter¬
leibstyphus, wie sie nach Robert Kochs Grundsätzen jetzt durchgeführt
werden, spielen die sog. Bazillenträger, das sind die scheinbar gesunden,
aber infizierten Menschen, sowie die noch ansteckungsfähigen Wiedergenesenen
eine wichtige Rolle, denn sie können Gefahr verbreiten, wenn sie, wie es
vielfach auf dem Lande, insbesondere von Kindern geschieht, die Exkre¬
mente und den Urin auf Straßen und Höfen absetzen; englische Autoren
haben schon früher auf die Gefahr aufmerksam gemacht, die der mit dem
Schuhwerk in die Wohnungen verschleppte typhuskeimhaltige Staub bietet;
selbst vom Winde kann solch infizierter Staub in die Wohnungen getragen
werden und die Menschen bedrohen, namentlich wenn er auf Speisen fällt,
auf denen die Typhusbazillen günstige Bedingungen für ihre Vermehrung
finden.
„Noch bedenklicher erscheinen uns die an Krankheiten der Atmungs¬
organe leidenden Personen, wenn sie ihren Auswurf leichtsinnig auf den
Boden entleeren. Doch überschätzen wir die Gefahr auf der Straße nicht:
die Feuchtigkeit des Bodens, die Wegschwemmung durch Regen und Schnee,
die Wegblasung und Verdünnung des Staubes mit weniger verdächtigem
oder nicht gefährlichem Staube, die bakterienfeindliche Wirkung des Sonnen¬
lichtes, alles das trägt zu ihrer Verminderung bei. Sind doch, wie G. Cornet
ermittelt hat, die Straßenkehrer, die den Schädlichkeiten am nächsten stehen,
weniger von Lungenkrankheiten befallen als Arbeiter in anderen staub¬
haltigen Berufen. Im Gegensätze dazu sind unter den in deutschen Kranken¬
häusern verstorbenen Seeleuten nach Nocht ganz erheblich größere Er¬
krankungsziffern an Tuberkulose fest gestellt worden. Es sind unter diesen
scheinbar im staubfreiesten Berufe tätigen Menschen nahezu 40 Proz. gezählt
worden; sie wurden in den engen Mannschaftsräumen der Schiffe infiziert.
„Alles weist eben darauf hin, daß die Krankheiten der Atmungsorgane
in Wohnungen, in den Aufenthalts- und Arbeitsräumen erworben werden.
Unter ihnen steht die Tuberkulose darum am meisten vorn an, weil sie
langsam verläuft, oft mehrere Jahre, ja Jahrzehnte dauert, so daß der In¬
fektionsstoff von den Trägern viel reichlicher und öfter verbreitet wird als
von den mit kürzer dauernden Krankheiten, wie Diphtherie, Influenza,
Pneumonie, Behafteten, und weil der Tuberkelbazillus in trockenem Staube
länger lebensfähig zu bleiben scheint, oder richtiger gesagt, weil er an Staub
haftend die wechselnden Grade der relativen Luftfeuchtigkeit besser ertragen
kann als andere Krankheitserreger; denn nicht die absolute Trockenheit,
sondern die Feuchtigkeitsschwankungen bei relativer Trockenheit*) üben im
Verein mit Sonnenlicht und Temperaturunterschieden einen nachteiligen Ein¬
fluß auf die Lebensfähigkeit vieler Bakterien aus.
l ) L. Heim, Die Widerstandsfähigkeit verschiedener Bakterienarten gegen
Trocknung und die Aufbewahrung bakterienhaltigen Materials insbesondere beim
Seuchendienst und für gerichtlich-medizinische Zwecke. Zeitsclir. f. Hygiene, Bd. 50,
8. 123, 1905.
Digitized by LaOOQle
112 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg..
„Der Staub im Hause ist es, den wir als viel bedenklicher anzusehea
haben; denn er besteht aus dem mit Schuhwerk, Kleidern und vom Wind hin¬
eingetragenen Straßenstaub, dem bei der Tätigkeit in der Wohnung entstehen¬
den und aus Haut und Haaren der Menschen und allenfalls von Haustieren
stammenden Staub. Wer sich unwohl fühlt, pflegt sich zurückzuziehen, und
Kranke halten sich zumeist in der Wohnung, viel weniger im Freien auf.
Alle die Momente, die auf der Straße die Gefährlichkeit des Staubes herab¬
setzen, sind teils in vermindertem Maße vorhanden, teils fehlen sie gänzlich.
Kein reinigender Wind fegt ihn kräftig hinweg, denn selbst kräftiger Zug^
wirkt dem Staube gegenüber nur mangelhaft, das Sonnenlicht gelangt bloß
abgeschwächt oder gar nicht an ihn, und eine Abschwemmung findet viel
seltener und nicht in elementarer Weise, vielfach gar nicht statt.
„Am meisten Staub wird gewöhnlich in dem Raume zusammengetragen
und aufgewirbelt, wo die Speisen bereitet werden. In ihm findet da»
häufigste Kommen und Gehen von Wohnungsinsassen selbst und von zu¬
tragenden Personen statt, dort werden nicht bloß die Eßwaren geputzt,,
sondern auch die Stiefel, nebenbei bemerkt meistens ohne daß danach di»
Hände gewaschen werden; in den Wohnungen der Minderbemittelten spielt
sich in der Küche sowohl der Hauptverkehr, als auch die Hauptreinigung
ab; die Kinder werden hier gewaschen, gekämmt und gehalten, und in vielen*
auch neueren Arbeiterhäusern ist den örtlichen Gepflogenheiten der Bevölke¬
rung entsprechend sogar eine besondere „Wohnküche“ vorgesehen und ein¬
gerichtet.
„Demnächst ist das Schlafzimmer die Hauptablagerungsstätte für Staub.
Hier pflegt man die Straßen- und Unterkleider abzulegen, die viel benutzten
Betten zu schütteln und, wo nicht ein besonderes Badezimmer für den täg¬
lichen Gebrauch vorhanden ist, die Hautreinigungen und das Kämmen zu
vollziehen. Nun sind ja die Hautschuppen und Kleiderteilchen, die man bei
entsprechender Sonnenbeleuchtung während des Wechsels der Kleider massen¬
haft abfliegen sieht, in der Regel unschädliche und harmlose Dinge, unter
gewissen Umständen aber gelten sie für gefährlich, so während und nach
dem Überstehen von exanthematischen Krankheiten, wie Masern, Scharlach,
Röteln; ob sie tatsächlich so gefährlich sind, ist noch nicht über allen
Zweifel erhaben, man kann auch annehmen, daß die Ansteckung bei diesen
Krankheiten durch die Atmungsorgane mit feinsten Tröpfchen geschieht, die
beim Husten, Räuspern, Niesen ausgeschleudert werden.
„Der Fußboden ist in allen Räumlichkeiten selbstverständlich am meisten
verschmutzt. Hier macht der Straßenstaub den vornehmlichsten Teil aus;
er ist aber glücklicherweise nicht so sehr gefährlich, wird auch offenbar
nicht als solcher eingeschätzt, denn sonst würde man nur noch auf Rasen¬
plätzen und nicht in öffentlichen Sälen oder gar in Privatwohnungen dem
Tanzvergnügen huldigen. Und dann die Teppiche und Läufer! Wieviele
Stimmen haben sich schon gegen sie erhoben und mit wie wenig Erfolgt
Die Annehmlichkeiten des weichen, schalldämpfenden Belags sind so groß,,
daß sie alle Bedenken zerstreuen, und füglich kann ein solcher Boden- und
Zimmerschmuck mehr für eine Sammelstätte des Staubes als für gefährlich
angesehen werden. Einen positiven Beweis seiner Gefährlichkeit hat man
in gut gehaltenen Wohnungen bis jetzt noch nicht erbracht. Allerdings
Digitized by
Google
Die Bekämpfung des Staubes im Hause und auf der Straße. 113
vermögen bakteriologische Untersuchungen in dieser Hinsicht nur teil weisen
Aufschluß zu geben, denn die Keime, auf die es ankommt, nämlich die
Krankheitserreger, sind nicht leicht nachzuweisen, quantitativ überhaupt
nicht. Die vielen Millionen Bakterien, die in einem Gramm Staub gefunden
wurden, imponieren zwar durch ihre Zahl, etwas anderes, als was man vor¬
aussetzen konnte, daß nämlich der Staub sehr bakterienreich ist, läßt sich
daraus nicht erkennen. Selbstverständlich müssen im Teppichstaube die
typischen Bodenkeime vorhanden sein, darunter die im gedüngten Boden
vorkommenden Erreger des Wundstarrkrampfes, die Tetanusbazillen; es
kann darum nicht wundernehmen, daß man sie in dem mit dem Vakuum¬
reiniger aufgefangenen Staube ermittelt hat. Je gründlicher diese und
andere Keime beseitigt werden, desto besser; aber eine naheliegende In¬
fektionsgefahr läßt sich aus ihrem Vorhandensein nicht ohne weiteres folgern.
„Etwas anderes ist es, wenn der Boden oder sein Belag mit mensch¬
lichen Auswurfastoffen besudelt wird, wie es in Räumlichkeiten leider immer
noch geschieht, wo Menschen, denen mangelhafte Anschauungen in gesund¬
heitlichen Dingen eigen sind, verkehren. Ich denke dabei in erster Linie
an manche Hotelzimmer und erinnere an viele Eisenbahnwagen, bei uns
namentlich an die der dritten Klasse, sowie an die Wartesäle und Wirt¬
schaften , die vielfach von Personen mit fehlendem Reinlichkeitsgefühl be¬
sucht werden. Gerade diese Räume sollten recht oft und gründlich geputzt,
gefegt und sauber gehalten werden. Auch weniger skrupulöse Menschen
haben vor einem reinen Dinge Achtung; für die Einrichtung von Neubauten
hat man auf Grund dieser Erfahrung den Rat gegeben, bei der Zwischen¬
deckenfüllung recht reines Material zu nehmen, dies wird dann von den
Arbeitern auch gut behandelt; einen unreinen, schmutzig aussehenden Boden
glaubt eben die Bevölkerung nicht besser beurteilen und bewerten zu können,
als daß sie ihn anspuckt. Vielleicht wird zuweilen sogar eine Ermahnung
dazu in den Eisenbahnwagen erblickt, denn es steht an Anschlagzetteln
groß gedruckt „Zur gefälligen Beachtung, Ausspucken!“ daß man aber das
nicht tun soll, steht nur in einer bureaukratisch ausgesponnenen klein ge¬
druckten Anweisung.
„Je mehr ein Boden verunreinigt wird, desto wahrscheinlicher ist von
dem aufgewirbelten Staube eine Infektion zu befürchten. Trockenes Kehren
ist deshalb zu vermeiden; es ist eine längst erhobene und bekannte Forde¬
rung, daß das Aufwischen feucht zu geschehen hat.
„Auch starker Luftzug scheucht den zur Ruhe gekommenen Staub
wieder auf; die Hoffnung, daß der schwebende Zimmerstaub von ihm ent¬
fernt und durch minder verunreinigte Luft aus dem Freien ersetzt werden
könne, findet in den Versuchen Flügges 1 ) wenig Unterstützung, die den
desinfektorischen Einfluß der Ventilation auf die Luft von Wohn- und
Krankenräume immer nur sehr gering erscheinen ließen. Die Lüftung und
auch die Zuglüftung entfaltet ihre richtige Wirkung hauptsächlich gegen¬
über den gasförmigen Verunreinigungen der Luft. Im Interesse der Be¬
seitigung der Luftkeime ist es besser, den Raum zu verlassen und viele
Stunden lang zu warten, bis sich die Stäubchen mit ihren anhaftenden
*) C. Flügge, Über Luftinfektion. Zeitachr. für Hygiene, Bd. 25, S. 212.
Vierteljahrsschrift für Gesundheitspflege, 1907. o
Digitized by LaOOQle
114 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
Keimen zu Boden gesenkt haben, von dem Bie dann mit nassem Verfahren
wieder weggenommen werden können.
„Auch das Gehen im Zimmer bringt den Staub in Aufregung, noch
mehr stärkere Erschütterung. Das Trampeln, wie es in Universitätshörsälen
gebräuchlich ist, erscheint als eine hygienisch sehr unzweckmäßige Ehren¬
bezeugung; ich habe einmal vor und gleich nach Beginn der Vorlesung
Schalen mit Nährgelatine offen aufgestellt und dadurch zeigen können, wie
die Keimzahl der Luft durch diese Art der Begrüßung gesteigert wird.
„Auf dem Boden spielende Kinder werden nicht bloß durch umher¬
gehende Personen, sondern auch durch Beschmutzung ihrer eigenen Kleider
und Hände gefährdet; Dieudonnö hat bei Kindern, die in Zimmern, wo
Tuberkulöse mit ihrem Auswurf unvorsichtig umgingen, auf dem Boden
spielten, im Nagelschmutz virulente Tuberkelbazillen nachgewiesen.
„Musteranstalten für die zweckmäßige Abfangung, Fortschaffung und
Unschädlichmachung der Krankheitsstoffe sind gut angelegte, richtig ge¬
leitete Krankenhäuser mit geschultem Personal. Ernstlich Kranke, unter
anderen die mit gefährlicheren Infektionen behafteten Personen, sind nirgends
besser aufgehoben, und mit ihrer Aufnahme ins Krankenhaus ist der weiteren
Verschleppung von Infektionsstoff durch direkte Berührung oder indirekte
Übertragung mit Gebrauchsgegenständen oder infiziertem Staub auf Familien¬
mitglieder, Hausgenossen und Besucher am wirksamsten vorgebeugt. Selbst
in einer größeren Privatwohnung Bemittelter ist eine regelrechte Absonde¬
rung des Kranken schwer, vielleicht überhaupt nicht durchführbar, denn
auch bei getrennten Zimmern bleiben mangels Schulung der umgebenden
und pflegenden Angehörigen und geeigneter Einrichtungen mit den zur
Krankenpflege nötigen Dingen stets Brücken und Verbindungswege zwischen
Kranken und Gesunden für die Infektionsstoffe offen.
„Nun aber erst in dichter belegten Behausungen! Hier können wahre
Niststellen für eingeschleppte Krankheiten sein. Den unter ärmlichen Ver¬
hältnissen zusammenlebenden Menschen fehlt in der Regel jedes Urteil und
Verständnis über Ansteckungsstoffe und ihre Verbreitung. Bei Ausbruch
gemeinfährlicher und auch anderer ansteckender Krankheiten, wie Typhus,
ist reichsgesetzlich vorgeschrieben, daß der Kranke bei fehlender Absonde¬
rungsmöglichkeit in seiner Behausung in ein mit geeigneten Einrichtungen
versehenes Krankenhaus übergeführt werde, und die Gesundheitskommissionen,
sowie die in den einzelnen Bundesstaaten eingeführte Wohnungsaufsicht sind
weitere Hilfsmittel, mit denen die Besserung der Verhältnisse angebahnt ist.
Immerhin bleibt noch sehr viel zu tun.
„Volkstümliche Vorträge mögen gewiß etwas Gutes erzielen, doch ver¬
spreche ich mir nicht sehr viel davon. Es fehlt, wie Rubner 1 ) treffend
bemerkt hat, den minder bemittelten Klassen nicht sowohl an Belehrung
über die Ansteckungsgefahr, als an Belehrungsfähigkeit. Ich erachte einzig
die Schule als geeignet, dem Volke ein besseres Verständnis für die Sach-
lage, größere Achtsamkeit auf Infektionsstoffe und bessere Vorsicht bezüg¬
lich ihrer Abwehr anzugewöhnen. Wie es im Jahre 1899 im Anschluß an
meinen in diesem Kreise gehaltenen Vortrag über das Bedürfnis größerer
l ) M. Rubner, Die Wohnung und ihre Beziehung zur Tuberkulose. Die
deutsche Klinik 1905, S. 408.
Digitized by
Google
Die Bekämpfung des Staubes im Hause und auf der Straße. 115
Sauberkeit im Kleinverkehr mit Nahrungsmitteln empfohlen wurde, so wäre
es auch in der vorliegenden Frage angezeigt, wenn in den Schullesebüchern
da und dort eine entsprechende Abhandlung aufgenommen würde. Erst
wenn im Unterricht die Gesundheitspflege in ihr Hecht getreten sein wird,
können wir hoffen, daß die nachfolgende Generation, und zwar im ganzen,
dem Kampfe gegen die Seuchen nicht mehr in Unkenntnis gleichgültig ‘oder
gar feindlich gegenübersteht. Unbedingt erforderlich ist dazu natürlich,
daß vorher den Lehrern selbst geeignete Belehrung zuteil geworden ist.
Darum muß hygienischer Unterricht bis zu einem gewissen Grade zuerst in
den Lehrerbildungsschulen, auch an den Universitäten für die Mittelschul¬
lehrer eingeführt werden.
„Der Staub auf der Straße kommt in gesundheitlicher Hinsicht erst
in zweiter Linie. Doch ist seine Bekämpfung nicht minder wichtig. Seiner
Zusammensetzung nach ist er meist anorganisch, nach Wolperts Unter¬
suchungen von Proben, die aus Straßenkleidern gewonnen waren, zu 92,
selbst 95 Proz. Zu seiner Beseitigung tun bereits meteorologische Erschei¬
nungen das ihrige; sie allein reichen aber bekanntermaßen nicht aus, und
wo der Mensch mit seiner Tätigkeit an der Häufung des Staubes beteiligt
ist v muß er auch Auf Mittel und Wege sinnen, dieser vermehrten Staub¬
bildung in wirksamer Weise zu begegnen, sie tunlichst hintanzuhalten oder
den erzeugten Staub bald unschädlich zu beseitigen. So bleibt denn der
Technik die Hauptarbeit namentlich dort, wo der Verkehr den Staub erzeugt
oder vermehrt. Uber die leitenden Gesichtspunkte und die technischen
Fortschritte in der Frage werden wir nachher von dem Herrn Korreferenten
sachgemäße Aufschlüsse erhalten, doch möchte ich zum Schlüsse meiner
Besprechung noch zwei Dinge in Berücksichtigung ziehen, nämlich die Auf¬
stellung von Spucknäpfen auf den Straßen und die Verwendung von Flu߬
wasser zur Straßensprengung.
„Ob sich die erstere allgemein durchführen läßt, erscheint mir noch
fraglich, unter besonderen Verhältnissen, in Kurorten, namentlich wo sich
Lungenleidende aufhalten, müssen solche Gefäße aufgestellt werden, und
zwar in ausgedehnterem Maße, alB es bisher üblich zu sein scheint, ln
jedem Falle müßte Vorsorge getroffen sein, daß sie nicht umgestoßen werden
und daß nicht Hunde oder andere Tiere daraus trinken. Die in den Leit¬
sätzen des Herrn Korreferenten aufgeführten Spuckflächen scheinen mir
hier das Zweckmäßigere zu sein.
„Reichliche Besprengung der Straßen ist in jedem Falle notwendig.
Gutes, reines Wasser dazu zu nehmen, entspricht einer Forderung, die
M. v. Pettenkofer vor mehr als einem Vierteljahrhundert aufgestellt hat;
Bchon Pettenkofer wandte sich eindringlich gegen die Verwendung von
zweierlei Wasser, von Trink- und Brauchwasser. Für die Wohnungen und
Häuser müssen wir an diesem Grundsätze möglichst streng festhalten. Für
Straßen besprengung und ähnliche Zwecke kann aber einmal in einer Stadt,
in der die nötige Menge guten Trinkwassers schwerer zu beschaffen ist, die
Frage herantreten, ob dazu nicht Wasser aus einem Vorfluter genommen
werden darf. Und für diese wohl seltenen Fälle kann man das Zugeständnis
machen. Denn auf die Keime, die durch solches Wasser mehr als durch
reines zugeführt werden, kommt es nicht an; wollte man die Keimzahlen
8 *
Digitized by LaOOQle
116 XXXI. Versammlung d.D. Vereins f. öffentL Gesundheitspflege zu Augsburg.
als maßgebend nehmen, dann dürften Straßen überhaupt nicht gesprengt
werden, denn im gesprengten Staube sind, wie im Freiburger hygienischen
Institut nachgewiesen wurde, immer mehr Keime als im unbesprengten vor¬
handen, weil sich die am trockenen Staube haftenden bei Zutritt von Wasser
und bei geeigneter Temperatur alsbald reichlich vermehren. Als Maßgabe
für die Zulässigkeit eines derartigen Wassers zur Sprengung, allenfalls noch
zur Speisung von Zierspringbrunnen, aus denen kein Wasser zum Trinken
entnommen wird, kann man gelten lassen, ob die Bevölkerung in ihm baden
mag^oder nicht. Denn wenn man das Wasser zum Baden freigibt und dabei
keine Krankheit fürchtet oder entstehen sieht, darf man es auch zu jenem
Zwecke benutzen. Immerhin soll das, wie gesagt, nur für besondere Aus-
nahmefälle gelten.
„Nun aber bin ich an dem Punkte angelangt, wo mein Bereich aufhört.
Ich sollte Ihnen, hochverehrte Anwesende, lediglich die Gesichtspunkte, von
denen aus die gesundheitliche Bedeutung des Staübes betrachtet werden
muß, darlegen. Aber bereits bin ich in das Gebiet des Herrn Korreferenten
eingetreten, der die praktisch bedeutsame Seite der Frage beleuchten wird,
wie man die Staubplage wirksam bekämpfen kann. tt
Korreferent, Stadtb&umeister Nier (Dresden):
„Meine hochgeehrten Damen und Herren!
„Mein verehrter Herr Vorredner hat Ihnen gezeigt, warum der Staub
zu bekämpfen ist. Ich werde über die technischen Maßnahmen sprechen,
die geboten erscheinen, um den hygienischen Forderungen in der Wirklich¬
keit möglichst gerecht zu werden. Dabei wende ich mich zunächst der Be¬
kämpfung des Staubes auf der Straße zu, weil dies die umfangreichere und
die Allgemeinheit besonders berührende Aufgabe ist. Im Anschluß daran
werde ich auf die Bekämpfung des Staubes im Hause eingehen.
„Die Staubfrage ist keine neue Frage, obwohl es vielleicht manchem
so erscheinen mag. Es ist ja auch schließlich nicht anders zu erwarten.
Staub hat es zu allen Zeiten gegeben. Die wie für die Ewigkeit gebauten
Heerstraßen der Römer sind sicher ebensowenig frei davon gewesen, wie es
die engen Gassen und Gäßchen der mittelalterlichen Städte waren und wie
es die meisten Straßen unserer modernen Millionenmetropolen heute noch
sind. Auch ist wohl kaum anzunehmen, daß unsere Vorfahren, wenn sie im
Postwagen auf holprigen unebenen Wegen ihrem Reiseziele zustrebten und
der Wind ihnen zu den mannigfachen Unbequemlichkeiten der Reise noch
den Staub ins Gesicht blies, diese Belästigung weniger unangenehm emp¬
funden haben sollten, als wenn uns — den Menschen der Gegenwart — ein
rasendes Automobil den Staub um den Kopf wirbelt.
„In ganz anderer Beleuchtung erscheint allerdings die Frage, wenn
man den Umfang und das Anwachsen der Staubbelästigungen in erster Linie
ins Auge faßt. In diesem Sinne ist die Frage modern und verdankt ihre
Aufrollung dem in den letzten Jahrzehnten überraschend stark angewach¬
senen Straßenverkehr. Hauptsächlich sind es die schnell fahrenden Verkehrs¬
mittel — Bahnen, Automobile —, die neben dem Winde den Staub in
Massen aufwirbeln und damit für den übrigen Verkehr und die Straßen¬
anwohner Belästigungen schaffen, die vielfach an das Unerträgliche grenzen
Digitized by
Google
Die Bekämpfung des Staubes im Hause und auf der Straße. 117
und Abhilfe dringend erfordern. Besonders die an chaussierten Straßen in
der Nähe der größeren Städte gelegenen Ortschaften und Villenviertel,
kleinere Städte, Badeorte leiden viel unter den von schnell fahrenden Fahr¬
zeugen hervorgerufenen Staubbelästigungen und werden aller Voraussicht
nach in Zukunft noch stärker darunter zu leiden haben, wenn es nicht ge¬
lingen sollte, die Staubbildung auf den Straßen erheblich einzudämmen. Sie
gänzlich zu verhindern, das ist wohl ein Ziel, aufs innigste zu wünschen,
das aber niemals voll erreicht werden wird, solange durch unsere Straßen
noch Verkehr flutet.
„Bei den außerordentlich günstigen Aussichten, die sich in der Jetztzeit
der Ausbreitung des Automobilismus — sei es zu Sport-, sei es zu Nutz¬
zwecken — eröffnen, ist in der nächsten Zukunft mit einem kräftigen An¬
wachsen des Antomobilverkehres, wenn auch zunächst nur in den Städten,
zu rechnen. Vom städtischen Standpunkte aus ist dieses mächtige Auf¬
streben des Automobilismus in gewisser Hinsicht freudig zu begrüßen. Der
unbelebte Motor wird den animalischen Motor: das Pferd, mehr und mehr
verdrängen, und jedes Pferd, das aus dem Weichbilde der Stadt verschwindet,
entlastet die Reinhaltung, vermindert die Staubbildung und verbilligt die
Unterhaltung der Straßen. Es scheint das viel behauptet, ist aber nicht zu
viel gesagt! Ich werde bei meinen weiteren Ausführungen noch zeigen,
welcher Anteil dem Pferde an der Verunreinigung der großstädtischen
Straßen und damit auch an ihrer Verstaubung zukommt.
„Der Automobilverkehr hat — wenn auch unbeabsichtigt — den ersten
Anstoß gegeben, die Frage der Staubbekämpfung auf der Straße aufzurollen.
Durch sein weiteres Anwachsen wird er auch die Frage mehr und mehr in
ein rascheres Fahrwasser drängen. Versuche, die Staubbildung zu unter¬
drücken, die jetzt und in den vergangenen Jahren hier und da wohl weniger
der Not gehorchend, als vielmehr aus allgemeinem Interesse an der Sache
angestellt wurden, werden sich künftig in größerem Maßstabe als nötig er¬
weisen, und wo jetzt die städtischen Verwaltungen in natürlicher Vorsicht
nur tastend und suchend vorwärtskommen, hier und da ansetzend, wieder
zurückgehend und an anderer Stelle neu vordringend, aber immer ohne die
richtige Klarheit über den einzuschlagenden Weg, da muß und wird sich
dann aus der großen Zahl der verschiedenen Versuche, aus der unendlichen
Mühe und Arbeit, die aufgewendet wurde, der Weg bestimmen und fest¬
legen lassen, auf dem ein in jeder Richtung befriedigender Erfolg erzielt
werden kann. Ob das Ziel selbst erreicht werden wird? Es erscheint dies
durchaus nicht so schwierig, ja es gibt sogar eine Brücke — um ein Bild
zu gebrauchen — eine Brücke, über die ein Weg gar schnell und recht
bequem an das erstrebte Ziel leitet. Aber so verlockend auch der Weg
über diese Brücke erscheint, es ist doch ein recht bedenkliches „Aber“ dabei;
das Brückengeld ist nämlich ein sehr hohes, ja ein so hohes, daß man sich
hüten wird, es zu bezahlen, wenn es nicht aus anderen Gründen geboten
ist. Ich will Ihnen an einem recht grellen Beispiel den Weg über diese
Brücke zeigen. Die Staubbildung der chaussierten Straßen läßt sich mit
einem Schlage fast um 100 Proz. eindämmen, wenn man sie in Asphalt¬
straßen umwandelt und auch so unterhält und pflegt, wie wir dies an unseren
verkehrsreichen Asphaltstraßen gewöhnt sind. Der technische Erfolg einer
Digitized by LaOOQle
118 XXXI. Versammlung d.D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
solchen Maßnahme würde sicher ein sehr guter und allseitig befriedigender
sein, und doch wird natürlich niemand einen solchen Weg im Ernste
empfehlen können, aus dem einfachen Grunde, weil die Aufwendungen im
Mißverhältnis zu dem Erzielten stehen würden. Ich bin damit bei der
Hauptschwierigkeit angelangt, die sich der gründlichen und erfolgreichen
Bekämpfung des Straßenstaubes in der Praxis entgegen stellt und bis zum
heutigen Tage eine allseitig befriedigende Lösung noch nicht gefunden hat:
ich meine die Schwierigkeit, die Unterdrückung und Beseitigung des Staubes
mit einem solchen Aufwands zu erreichen, der nach der üblichen An¬
schauung in einem angemessenen Verhältnis zu dem beabsichtigten Zwecke
und erreichbaren Erfolge steht. Ich weiß wohl, diese Schwierigkeit ist
durchaus nicht die einzige in der Frage der Staubbekämpfung, aber sie
ist wohl die größte von allen und muß naturgemäß für viele Gemeinden,
besonders für die weniger kapitalkräftigen unter ihnen, bis zu einem ge¬
wissen Grade von ausschlaggebender Bedeutung sein. Die Staubfrage ist
im wesentlichen nur eine Geldfrage, und ihre Lösung wird erst schwierig
durch die Forderung: Aufwand und Erfolg in angemessenem gegenseitigen
Verhältnis zu halten.
„Die Erkenntnis, daß der Staub ein gar schlimmer Feind der Mensch¬
heit ist, nicht nur in gesundheitlicher, auch in wirtschaftlicher und verkehrs¬
technischer Beziehung, ist glücklicherweise schon in weite Kreise der Be¬
völkerung vorgedrungen. Mehr und mehr kommt es der Allgemeinheit zum
Bewußtsein, welche Mengen von industriellen Erzeugnissen und Nahrungs¬
mitteln alljährlich auf der Straße, in den Läden und in den Wohnungen
unter der Einwirkung des Staubes zu leiden haben, an Wert verlieren und
schließlich vorzeitig zugrunde gehen. Es sind ohne Zweifel ganz erhebliche
Summen, die dadurch jahraus, jahrein dem Volksvermögen entzogen werden.
Wie manches schwere Straßenunglück ist schon geschehen und hat viel Leid
geschaffen, bei dem die Schuld den Staub trifft, weil er aufgewirbelt den
Überblick über die Verkehrsbahn erschwerte oder im entscheidenden Augen¬
blick dem Verunglückten das Augenlicht trübte. Aber es regen sich nunmehr
auch überall die Bestrebungen, dem Staube kräftig auf den Leib zu rüoken.
Überall im Inlande wie im Auslande sind die städtischen und staatlichen
Behörden, sind private Vereine und Gesellschaften und nicht zuletzt auch
die Industrie, wenn auch mehr im eigenen Nutzen, an der Arbeit, um Mittel
und Wege zu erforschen, wie man den Staub möglichst unterdrücken und
unschädlich machen kann.
„Je genauer wir uns mit dem Wesen des Staubes, mit seinen Eigen¬
schaften und Eigenarten vertraut machen, je besser wir die Ursachen seiner
Entstehung, die Gründe seines Auftretens und Bleibens durchschauen, kurz,
je mehr wir über seine Existenzbedingungen im klaren sind, mit um so
größerer Aussicht auf Erfolg können wir an die Aufgabe der Staubbekämp¬
fung herantreten. Leicht ist sie nicht, und ein Allheilmittel gibt es auch
nicht dafür. Sie werden sehen: viele Faktoren müssen Zusammenarbeiten,
müssen Hand in Hand gehen, wenn der Kampf zum Erfolg führen soll. Es
ist kein großer Kampf der Massen, es ist ein Kleinkrieg! Viel Kleinarbeit
muß dabei geleistet werden, Kleinarbeit, die große, sehr große Lust und
Liebe zur Sache erfordert! Aber die Aussichten sind günstig! Die Mensch-
Digitized by LaOOQle
Die Bekämpfung des Staubes im Hause und auf der Straße. 119
heit hat in schwereren Kämpfen das Feld behauptet, weshalb sollte es in
der Staubfrage anders sein? —
„Was ist Staub und wie entsteht Staub?
„Nehmen wir einem Straßenkehrer, der eben im Begriffe ist, eine ver¬
kehrsreiche Großstadtstraße zu säubern, ein wenig von seinem feinkörnigen
Sammelgute hinweg und betrachten es in Muße. Kleine Sandkörnchen,
Spreu, Strohstückchen, Fasern, Papierrestchen können wir mit freiem Auge
unterscheiden. Daneben liegt noch ein pulverförmiges Etwas von unschein¬
barer grauer Farbe. Die Lupe gibt uns weiter Aufschluß. Scharfe Quarz-
bröckelchen, feine Fäserchen, Härchen, Rußstückchen, Lederteilchen und
Ähnliches zeigt uns das Vergrößerungsglas. Aber wir vermuten, daß noch
feinere Teilchen darunter sind, und das Mikroskop bestätigt unsere Ansicht.
Recht unangenehm sieht diese Welt im kleinen aus, die sich da vor uns
auftut und die dem bloßen Auge entzogen ist. Da liegen Steinsplitterchen
mit nadelspitzen Ecken und scharfen Kanten in Menge, hier und da ein
Metallblättchen, ein Holzsplitterchen, kleine Hautschüppchen und sonstige
Körperchen und dazwischen hineingesäet feine und feinste Pünktchen. Bak¬
terien sind in Unzahl darunter, harmlose und weniger harmlose. Eine recht
nette Gesellschaft ist dies doch, die in dem Häufchen Kehricht enthalten ist!
Und das wirbelt alles lustig in der Luft durcheinander, wenn der Wind es
aufrührt, wogt in Wolken hinter jedem Automobil her, das in raschem Laufe
mit seinen breiten Gummireifen den Staub von der Straßenfläche absaugt,
in die Höhe reißt und im nachziehenden Vakuumwirbel durcheinandermengt.
Man darf sich nicht wundern, daß solcher Großstadtstaub, besonders wenn
noch ungünstige Witterungsverhältnisse — scharfe kalte Ostluft — die
Atmungsorgane schon empfindlich gemacht haben, dem menschlichen Orga¬
nismus gar mancherlei Schäden zufügt, Schäden, die noch als verhältnis¬
mäßig gering zu bezeichnen sind, wenn sie nur in vorübergehenden Rei¬
zungen und Entzündungen der Atmungswege bestehen. Aber auch dann
wird der Verlust an menschlicher Arbeitskraft und Arbeitsenergie schon
groß genug sein, denn nur ein gesunder Körper ist voll leistungsfähig. Jede
Störung des gesundheitlichen Gleichgewichtes muß einen Ausfall an Energie
zur Folge haben. Wie groß dieser Ausfall sein wird, vermag ich nicht zu
überblicken, aber ich habe das Gefühl, daß sich eine erschreckend hohe Zahl
ergeben würde, wäre man imstande, den jährlichen Energieverlust in Deutsch¬
land zu ermitteln, eine Zahl, die im Wirtschafstieben des deutschen Volkes
sicher nicht ohne Bedeutung sein kann.
„Seiner Entstehung nach läßt sich der Straßenstaub in zwei große
Hauptarten trennen, zwischen denen bei der Bekämpfung scharf unter¬
schieden werden muß. Die eine Art umfaßt allen denjenigen Staub, der
durch Zertrümmerung, Abschleifung und Zerfall der Straßenbefestigung, der
sogenannten Straßendecke, wie der technische Ausdruck lautet, entsteht, der
also nichts anderes ist als fein zerriebenes Straßen material. Ich will ihn
kurz als „Deckenstaub u bezeichnen. Die zweite Art umfaßt allen Staub,
der durch den Straßenverkehr — Personen, Tiere, Fahrzeuge — auf die
Verkehrsfläche gebracht wird oder aus den Verkehrs Verunreinigungen ent¬
steht. Diesen Staub will ich „Verkehrsstaub" benennen. Es ist hierbei
besonders hervorzuheben, daß fast jede Straßenverunreinigung mittelbar
Digitized by LaOOQle
120 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
oder unmittelbar zur Staubbildung in größerem oder geringerem Maße bei¬
trägt. Der Straßenverkehr zerreibt und zerschleift die Verunreinigungen,
besonders bei günstiger Witterung, in ganz kurzer Zeit, weshalb vom Stand¬
punkte einer energischen Staubbekämpfung sehr großer Wert darauf zu
legen ist, daß die Verkehrsverunreinigungen so bald als möglich von der
Straße entfernt werden, damit der Verkehr nicht Zeit findet, sie zu zerstäuben.
„Der Decken staub besteht zum weitaus größten Teile aus mineralischen
Stoffen, Quarz und allerhand Steinteilchen, Asphaltbröckelchen, und auf Holz-
straßen mischen sich wohl auch noch etwas Holzteilchen darunter. Der
Verkehrsstaub dagegen setzt sich aus den allerverschiedensten Stoffen zu¬
sammen. Besonders vorherrschend sind jedoch die tierischen Exkremente
und davon wieder in allererster Linie diejenigen des Pferdes. Welcher
große, um nicht zu sagen berüchtigte Einfluß in dieser Hinsicht dem Pferde
zukommt, mögen Sie daraus erkennen, daß z. B. in Dresden von der ge¬
samten etwa 50000 cbm betragenden Jahres - Kehrichtmenge mindestens
30 000 cbm nur aus Pferdeexkrementen bestehen. 30 000 cbm klingt nicht
nach viel, daß es aber wirklich viel ist, wird Ihnen sofort einleuchten, wenn
ich sage, daß man damit einen Eisenbahnzug von 30km Länge beladen
kann. Angesichts solcher Massen wird 68 verständlich, daß man die ver¬
kehrsreichen Großstadtstraßen zwar etwas derb, aber mit einem Körnchen
Wahrheit als „Pferdeställe“ bezeichnet hat. Verschwindet das Pferd aus
dem Weichbilde der Städte, wozu freilich zurzeit noch wenig Aussicht vor¬
handen ist, so wird von den Straßen ein sehr großer Teil der jetzigen Ver¬
unreinigungen ferngehalten werden, die Reinhaltung der Straßen wird
erleichtert und verbilligt und die Staubbildung bei sonst ungeänderten Ver¬
hältnissen vermindert werden.
„Als wichtigere sonstige Verkehrsverunreinigungen, die jedoch hin¬
sichtlich ihrer Menge sehr hinter den Pferdeexkrementen zurückstehen,
treten auf: Ruß aus den häuslichen Feuerungsanlagen, Lederstaub von den
Schuhen der Straßenpassanten, abgefahrene Eisenteilchen von den eisernen
Radreifen der Geschirre und von den Straßenbahnschienen, von anderen
Flächen übergewehter und übergeschleppter Schmutz, Streukies, der zum
Abstumpfen glatter und schlüpfriger Flächen aufgebracht wurde, allerhand
Verunreinigungen durch undichte Wagen (Kohlen, Asche, Sand, Steine usw.),
Laub von den Straßenanpflanzungen, Stoffasern, Papier- und Zigarren¬
stückchen, Spuckreste und ähnliches mehr. Glauben Sie ja nicht, daß diese
Stofle von untergeordneter Bedeutung für die Staubbildung sind, sie treten
in ganz merkbaren Mengen auf. Ich will Ihnen dafür nur ein Beispiel
geben, und zwar dafür, was alles im Jahre an den Schuhsohlen abgelaufen
wird. Ein Paar Schuhsohlen wiegen etwa 300 g. Nimmt man an, daß der
Durchschnittsmensch im Jahre seinem Schuhmacher etwa viermal in die
Hände fällt, so beträgt sein Verbrauch an Sohlenleder im Jahre 1200g.
Wird davon nur die Hälfte auf den öffentlichen Verkehrsflächen zu Staub
verschliffen, so erzeugt eine Stadt von 500000 Einwohnern jährlich 300000 kg
oder etwa 30 Eisenbahnwagenladungen voll Lederstaub, also eine ganz an¬
sehnliche Menge. Berlin mit seinen Vororten bringt es nach dieser über¬
schlägigen Schätzung jährlich auf 180 Eisenbahnwagenladungen voll Leder¬
staub.
Digitized by
Google
Die Bekämpfung des Staubes im Hause und auf der Straße. 121
„Wohl die unangenehmste, infolge ihres infektiösen Charakters in ge¬
sundheitlicher Hinsicht sicher aber die gefährlichste Verunreinigung bilden
die Spuckreste auf den Gangbahnen der verkehrsreicheren Straßen. Es ist
wirklich nicht recht zu verstehen, daß man sich in Deutschland, wo doch
die Sauberkeit zu Hause ist, eigentlich noch so wenig gegen diese Art der
Straßen Verschmutzung wehrt. Wenn es erst gelingt, die Spuckreste zum
größten Teil unschädlich zu machen, ehe sie vertrocknen und zu Staub zer¬
rieben werden, dann wird dem Straßenstaube ein ziemlicher Teil seiner Ge¬
fährlichkeit genommen sein. Ich werde weiterhin noch besonders auf diese
Frage zurückkommen.
„Werfen wir jetzt noch einen Blick auf die Art und Form, in der der
Staub auf unseren Verkehrsflächen auftritt, und auf seine Gefährlichkeit im
allgemeinen Sinne.
„Die größten Staubbildner unserer Straßen sind zweifellos die weich
befestigten Straßenteile: nämlich die Schotter- und Kiesbahnen, wie sie für
Überlandstraßen und ruhige Wohnstraßen fast überall üblich sind, aber auch
noch in vielen Städten — meistens aus finanziellen Gründen — für verkehrs¬
reichere Fahr- und Gangbahnen Verwendung finden. Auf ihnen ist der
Deckenstaub in weit überwiegender Menge vorhanden, der Verkehrsstaub
tritt fast ganz zurück. Gerade umgekehrt liegt das Verhältnis bei den hart
befestigten undurchlässigen Straßenflächen, zu denen zu rechnen sind die
fugenlosen Asphalt- und Zementbahnen, sowie alle Befestigungsarten mit
Steinen oder Platten, deren Fugen durch ein Dichtungsmittel (Asphalt,
Zement usw.) geschlossen sind. Hier überwiegt der Verkehrsstaub, und der
Deckenstaub tritt nur in verschwindender Menge auf. Eine Mittelstellung
zwischen den weich und hart befestigten Flächen nehmen die überall viel
verwendeten gewöhnlichen Pflasterungen ein, bei denen Steine und Platten
in Sand versetzt, die Fugen aber nicht gedichtet sind. Diese Fugen sind
streng genommen nichts anderes, als weich befestigte Flächenteile. Je nach
dem größeren oder geringeren Anteil, den die Fugen von der gesamten
Fläche ausmachen, werden sich derartige Befestigungsarten mehr der weichen
oder mehr der harten Befestigung nähern, und etwa entsprechend wird sich
auch das Mengenverhältnis ihres Decken- und Verkehrsstaubes gestalten.
„Bei dem Begriff Staubbelästigung ist man immer gewohnt, an staubige
Landstraßen zu denken, auf denen jeder stärkere Luftzug Staubwolken auf¬
wirbelt und jedes schneller dahinrollende Gefährt lange Staubschwaden nach
sich zieht. Gewiß, solche Straßen sind staubige Straßen erster Ordnung,
und die Unterdrückung ihres Staubes ist als eine der Hauptaufgaben einer
zielbewußten Staubbekämpfung zu betrachten. Aber es gibt auch viele
städtische Straßen, deren Staubbildung zwar erheblich geringer ist, bei
denen aber trotzdem die Unterdrückung der verhältnismäßig geringen Staub¬
menge in gesundheitlicher Hinsicht als nötiger und dringlicher bezeichnet
werden muß als bei den staubreicheren Landstraßen.
„In allererster Linie ist der Staub zu bekämpfen aus hygienischen
Rücksichten, in zweiter Linie kommen erst die verkehrstechnischen, wirt¬
schaftlichen und sonstigen Gesichtspunkte. Wir sagen, der Staub ist um so
gefährlicher, je mehr er Bestandteile und Stoffe enthält, die geeignet sind,
uns Menschen gesundheitlich zu schädigen. Die verschiedenen Staubarten
Digitized by LaOOQle
122 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
werden sich in dieser Hinsicht durchaus nicht gleich verhalten. Es kann
wohl als erwiesen angenommen werden, daß z. B. unter sonst gleichen Ver¬
hältnissen der Verkehrsstaub belebter Großstadtstraßen, besonders infolge
seines Gehaltes an Krankheitskeimen, viel schädlicher wirkt als der wesent¬
lich harmlosere Deckenstaub verkehrsarmer Schotterstraßen. Die der mensch¬
lichen Gesundheit aus dem Staube drohende Gefahr, ich will sie als Staub¬
gefahr bezeichnen, ist daher zunächst abhängig von der Beschaffenheit des
Staubes. Es erscheint möglich, den Straßenstaub nach gewissen Gesichts¬
punkten in einzelne Klassen zu ordnen und jeder Klasse nach ihren beson¬
deren Eigenschaften einen bestimmten Gefahrenwert a beizulegen.
„Es ist ferner wohl ohne weiteres einleuchtend, daß die drohende Gefahr
annähernd wächst mit der Menge des Staubes, der sich auf der Verkehrs¬
fläche ansammelt und gleichfalls wächst mit der Größe des Personenverkehrs,
der über die verstaubte Fläche hinwegflutet. Denn je mehr Menschen der
Möglichkeit ausgesetzt werden, gefährlichen Staub einzuatmen, um so größer
erscheint die Gefahr, daß der — als einheitliches Ganze gedachte — Gesund¬
heitszustand dieser Menschenmenge Schaden leidet. Die wechselnde Größe
der Staubgefahr läßt sich daher in einem Ausdrucke wiedergeben. Sie ist
im wesentlichen ein Produkt aus drei verschiedenen Werten: aus dem Ge¬
fahrenwert der Staubart, der Staubmenge und der Stärke des Personen¬
verkehrs, also: G- = u . x . y.
„Hierin ist:
ol eine Maßzahl für den Gefahrenwert der Staubart,
x eine solche für die Staubmenge,
y eine solche für die Stärke des Personenverkehrs.
Die einwandfreie Ermittelung der Gefahrenwerte ol für die verschiedenen
Staubklassen wird nicht leicht sein. Darauf brauchen wir aber hier nicht
einzugehen.
„Solange die Staubmenge x und die Stärke des Personenverkehrs y
nicht in gegenseitiger Abhängigkeit stehen, was z. B. für den Deckenstaub
gilt, der hauptsächlich vom Geschirrverkehr, weniger vom Personenverkehr
erzeugt wird, so ändert der Ausdruck seine Form nicht. Wenn aber x ab¬
hängig wird von y, sich proportional dem y ändert, wie es bei allem Staub
der Fall ist, der vom Personenverkehr erzeugt wird (mit besonderem Hinweis
auf den Staub aus Spuckresten), dann kann angenähert x — ß.y gesetzt
werden, worin ß ein fester Zahlenwert ist, und es wird dann:
G = u.ß.y2,
d. h. die Gefahr, die der menschlichen Gesundheit aus solchem Staube droht,
wächst mit dem Quadrat der Verkehrsstärke. Wenn daher auf einer Gro߬
stadtstraße unter sonst ungeänderten Verhältnissen der Personenverkehr sich
verzehnfacht, so wächst die Staubgefahr, aber wohlgemerkt nur diejenige,
die durch den menschlichen Verkehrsstaub hervorgerufen wird, etwa auf die
100fache Größe an. Sie wollen daraus entnehmen, daß der Straßenstaub
von städtischen Straßen mit regem Personenverkehr ganz besonderer Auf¬
merksamkeit bedarf, und daß die Bekämpfung und Unterdrückung solchen
Staubes trotz seiner relativ geringen Menge unter gewissen Verhältnissen
wichtiger und dringlicher sein kann, als die Beseitigung von größeren Staub¬
mengen auf verkehrsarmen Schotterflächen und abgelegenen Landstraßen.
Digitized by t^ooQle
Die Bekämpfung des Staubes im Hause und auf der Straße.
123
„Die Staubgefahr liegt nicht draußen auf einsamen Land¬
straßen und stillen Wohnstraßen, nein, drinnen im Zentrum der
Städte, wo der Verkehr flutet, da liegt die Staubgefahr!
„Nach diesen allgemeinen Bemerkungen über die Arten und Eigen¬
schaften des Straßenstaubes wende ich mich nunmehr den Maßnahmen zu,
deren Endziel ist, die Verkehrsflächen nach Möglichkeit staubfrei zu erhalten.
Der Weg, den man hier einzuschlagen hat, ist ein doppelter, ln erster Linie
muß die Staubbildung überhaupt erschwert und soweit als irgend erreichbar
eingeschränkt werden; in zweiter Linie ist dafür Sorge zu tragen, daß bereits
gebildeter Staub, gleichviel ob vermeidlicher oder unvermeidlicher, so weit
unschädlich gemacht wird, daß er Staubbelästigungen nicht mehr bervor-
rufen kann. Was müssen wir tun, um dieses Ziel zu erreichen? Die Beant¬
wortung der Frage greift nahezu gleichmäßig auf drei verschiedene wichtige
Gebiete städtischer Technik über: auf den Straßenbau, die Straßenreini¬
gung und die Straßenbesprengu ng. Auf keinem dieser drei Gebiete
allein können die Bestrebungen zu einem ersprießlichen Ende führen, wenn
sie nicht gleichzeitig durch die gleichen Bestrebungen auf den beiden
anderen Gebieten unterstützt werden. Nur durch geschlossenes Zusammen¬
wirken, durch inniges Handinhandgehen auf allen drei Gebieten läßt sich
ein gutes Ergebnis erzielen. Dazu hat beizutragen:
1. der Straßenbau: durch Verbesserung unserer Straßen¬
befestigungsarten,
2. die Straßenreinigung: durch andauernde sorgfältige Rein¬
haltung aller Verkehrsflächen,
3. die Straßenbesprengung: durch ausgiebige Besprengung
der Verkehrsflächen mit Wasser oder sonst geeig¬
neten Lösungen.
„Gegen den Deckenstaub kämpfe der Straßenbau, gegen den
Verkehrsstaub die Straßenreinigung, und was dann noch übrig
bleibt als zwar unliebsamer, aber unvermeidlicher Rest, das suche
man unschädlich zu machen durch ausgiebige Besprengung! —
„Versucht man die wichtigeren der Straßenbefestigungsarten in einer
Reihe zu ordnen nach dem größeren oder geringeren Maße, in dem sie
Deckenstaub unter sonst gleichen Verhältnissen entwickeln, so erhält man
eine Stufenleiter, an deren unterster Stelle die größten Staubbildner: die
Schotter- und Kiesbahnen, stehen, während die oberste Stufe von den As¬
phaltbahnen eingenommen wird. Dazwischen reihen sich noch in etwa drei
Hanptgruppen die übrigen üblichen Befestigungsarten ein.
Gruppe 1: Schotter- und Kiesbahnen (auch unbefestigte Flächen),
„ 2: Steinpflaster ohne Fugendichtung (Sandfugen),
„ 3: Steinpflaster mit Fugendichtung (Zement-Asphaltfugen¬
verguß),
„ 4: Zementmakadam und ähnliche fugenlose Befestigungs¬
arten,
„ 5: Stampfasphalt (auch Hartholzpflaster).
Durch schrittweisen Übergang von einer Gruppe zur anderen ist die Mög¬
lichkeit gegeben, den Deckenstaub geringer zu halten. Der auffälligste
Sprung findet statt zwischen Gruppe 1 und 2. Man erzielt bei diesem
Digitized by LaOOQle
124 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zn Augsburg.
Übergange eine Deckenstaubverminderung, die zum mindesten 75 Proz.
beträgt.
„Selbstverständlich werden auch in den einzelnen Gruppen noch reich¬
liche Unterschiede in der Deckenstaubbildung zu beobachten sein, je nach
dem größeren oder geringeren Widerstande, mit dem die einzelnen Mate¬
rialien der Schleifwirkung des Verkehrs standhalten. Das härtere, zähere
Material wird dem weicheren, brüchigen überlegen sein. Eine Basalt¬
schotterbahn wird sich weniger leicht abschleifen und daher auch weniger
Schlamm und Staub bilden, als unter sonst gleichen Verhältnissen eine
Granit- oder Syenitschotterbahn, und diese wieder weniger leicht als solche
aus ganz weichem Gestein. Neben der Härte spielt auch die Gleichmäßigkeit
der Abnutzung eine Rolle. Es ist eine im Straßenreinigungsbetrieb ganz be¬
kannte Erscheinung, daß eine Verkehrsfläche sich um so leichter und gründ¬
licher sauber und staubfrei halten läßt, je ebener ihre Oberfläche ist und
sich auch unter der zerstörenden Wirkung des Verkehrs eben erhält. Pflaster-
steinmaterial mit geraden Köpfen, das sich seine geraden Köpfe auch im
Verkehr bewahrt und nicht durch Kantenbrüche allmählich rund wird, ver¬
dient den Vorzug. Nach dieser Richtung ist z. B. der in Sachsen viel ver¬
wendete Grünstein (Diabas) dem härteren Basalt überlegen.
„Für Steinpflaster mit Fugenverguß — Gruppe 3 — ist die Gleich¬
mäßigkeit der Gesteinsabnutzung von etwas geringerer Bedeutung, nament¬
lich, wenn harte Fugendichtung mit Zement gewählt und bei der Ausführung
Wert darauf gelegt wird, daß der Fugenverguß möglichst gleiche Härte und
Schleiffestigkeit besitzt wie das Steinmaterial selbst. Bei weicher Fugen¬
dichtung mit Pech, Asphalt oder dergleichen kann aber die Bildung von
runden Steinköpfen mit ihren die Verschmutzung und Staubbildung be¬
günstigenden weiten Fugentrichtern noch leicht eintreten, wenn dem nicht
durch vorsichtige Auswahl des Gesteins vorgebeugt wird.
„Besondere Aufmerksamkeit ist der Fugenausbildung bei dem gewöhn¬
lichen in Sand gesetzten Steinpflaster — Gruppe 2 — zu widmen. Die
Sandfuge ist streng genommen nichts weiter als eine bekieste Fläche. Je
größer daher der Bruchteil ist, den die Fugen von der gesamten Fläche aus¬
machen, um so mehr nähert sich die Pflasterung der bekiesten Fläche, d. h.
um so größer wird die Staubbildung sein. Das Verhältnis der Fugenfläche
zur Steinfläche ist ziemlich veränderlich. In ungünstigen Fällen kann die
zwischen den Pflastersteinen liegende staubbildende Kiesfläche bis zu Vs der
ganzen Pflasterfläche anwachsen. Die Forderung, die Pflasterfuge recht eng
zu halten, ist hiernach ohne weiteres verständlich. Dem kann aber nur ent¬
sprochen werden mit Material, das sich besonders gleichmäßig und in ebenen
Flächen bearbeiten läßt. Der Kunststein mit seinen ganz gleichmäßigen
Formen und ebenen Flächen ist unter diesem Gesichtspunkte in vielen Fällen
dem natürlichen Gestein weit überlegen.
„Weiter ist bei der Wahl der Befestigungsart noch Wert darauf zu
legen, daß die Straßenfläche recht gut sauber gehalten werden kann. Dieser
Punkt verlangt eine ebene Befestigungsart, die sich auch im Verkehr eben
erhält und die, wenn möglich, von solcher Beschaffenheit sein sollte, daß die
für gründliche Staubunterdrückung beste Reinigungsart, die Waschreinigung,
angewendet werden kann. Ich werde noch später besonders auf diese Reini-
Digitized by LaOOQle
Die Bekämpfung des Staubes im Hause und auf der Straße.
1*25
gungsart zu sprechen kommen. Die Waschreinigung ist nur bei fugenloser
oder gedichteter Oberfläche zu empfehlen, da bei nicht gedichteten Flächen,
z.B. bei gewöhnlichen Steinpflasterungen, die Fuge leicht vom Reinigungs¬
wasser ausgewaschen und die Straßendecke gefährdet wird. Am besten
eignen sich für die Waschreinigung die Asphalt-, Hartholz- und Zement-
makadambahnen, weniger gut die Pflasterungen mit Fugenverguß, diese
letzteren aber nur dann, wenn ihre Oberfläche recht eben und gleichmäßig
ist, damit das Schmutzwasser gut ablaufen kann und nicht in Vertiefungen
stehen bleibt. Im anderen Falle erscheint die Waschreinigung bei diesen
Flächen aus betrieblichen und wirtschaftlichen Gründen unzweckmäßig.
„Daß endlich jeder Verkehrsfläche ihre guten Eigenschaften durch sorg¬
fältige Straßenunterhaltung dauernd gesichert werden, ist so selbstverständ¬
lich, daß sich ein weiteres Eingehen auf diesen Punkt erübrigt.
„Dies sind im großen und ganzen die Hauptgesichtspunkte, die der
Straßenbauer scharf im Auge zu behalten hat, wenn er sich für eine neu
anzulegende oder umzubauende Straße die Grundlage einer künftigen an¬
gemessenen Staubfreiheit nach Möglichkeit sichern will. Ich sage absichtlich
nach Möglichkeit, denn die Staubfrage mit ihren Forderungen kann und
wird natürlich nur in seltenen Fällen allein entscheidend sein für die Wahl
der Befestigungsart. Man müßte ja sonst in folgerichtiger Anwendung der
besprochenen Gesichtspunkte fast nur Asphaltstraßen bauen. Die Staub¬
frage bildet gewöhnlich nur ein Gewicht, das zugunsten der einen oder der
anderen Befestigungsart mit in die Wagschale geworfen werden kann, der
Schwerpunkt der Entscheidung liegt meistens auf anderem Gebiete. Da
sprechen die Lage der Straße, ihr Charakter, ihr Untergrund, ihre Steigungs¬
verhältnisse, ihr Verkehr und zuletzt nicht am wenigsten auch die Geldfrage
ein sehr gewichtiges Wort mit. Die ersteren Punkte sind mehr bau- und
verkehrstechnischer Art und können hier unerörtert bleiben. Der Geldfrage
müssen wir aber etwas näher treten.
„Ich habe schon darauf hingewiesen, daß die Hauptschwierigkeit einer
erfolgreichen Staubbekämpfung darin zu suchen ist, die Aufwendungen in
einem nach den bestehenden Anschauungen angemessenen Verhältnis zum
erreichbaren Erfolg zu halten. Nun, wir haben einen Weg kennen gelernt,
die Deckenstaubentwickelung unserer Verkehrsflächen stufenweise abzu¬
mindern , nämlich durch schrittweisen Übergang von den Schotter- und
Kiesbahnen über verschiedene Pflasterarten hinweg zu den fast staubfreien
Asphalthahnen. Das ist zwar im allgemeinen der Weg, der über die Brücke
mit dem hohen Brückengelde führt, aber vielleicht ist er doch für uns eine
Strecke weit gangbar, ohne daß die befürchtete unverhältnismäßig hohe geld¬
liche Belastung eintritt. Wollen wir darüber Klarheit gewinnen, so müssen
wir die Kosten kennen, die die Herstellung, die sachgemäße Unterhaltung
und Reinhaltung der verschiedenen Straßenbefestigungen verursacht.
„Es ist immer eine mißliche Sache, vergleichende Berechnungen über
den Wert verschiedener Straßenbefestigungen anzustellen, weil die Kosten
zu sehr mit den örtlichen Verhältnissen schwanken und weil sich für die
Dauer der Befestigungen allgemein gültige Formeln nicht entwickeln lassen.
Man muß zu gewissen Annahmen greifen, von denen man nicht genau weiß,
ob sie ganz zutreffend sind, die sogar falsch sein können, wenn man sie ohne
Digitized by LaOOQle
Aufwand für verschiedene Straßenbefestigungen bei gleichgroßem mittelstarkem Verkehr. (Berechnet für 1 qm Fläche.)
126 XXXI. Versammlung d.D. Vereins f. offentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
ca
££ ®
5
’S
0.
CQ
CO
rH
1,00
0,94
0,85
1,12
1,57
1,00
0,67
scfl £
A fl ©
t> .fl ^
^ c6
N
CO
5
*3
c,
CO
»o
1 © CO t> T*
c . H . ^
J T-,
© CO
© ©
r-< H
Jahresaufwand für
8
a
1
ö
M
00
©
s
<
■2«
?■*
1,12 M.
1,06
0,96
1,25
1,77
55
© ©
© ^
© ©
*2
2,1
CO 00
oo
S
oi »—• co © r»
^ »O CO X ^
^ ^ d
sä
© oo
CO t>
© ©
■A ** | 60
ml
««
<M
s
c* 00 00 o ©
CO^ co^
©©©*“©©■“
si
00 00
© ©
©~ ©
i!
a Z
hi «
0,15 M.
0,10
0,05
0,10
0,25
s
wo <M
O ©
©** ©
Erneuerung bei
6 Proz. Verzinsung
.*2
’i
o
0,12 M.
0,04
0,04
0,10
0,10
s
00
©
©“
©
CO
©~
©
■8
©
p
8
H3 _
•8 g
•So
©
si
CO ^ © iO <M
coo^*ooi>
©~ © © © ©~
55
©
CO
©~
Hi
g.-ä
® © ö
00
55
© iO © WO O
OO Tf O- SO b-
o © ©~ © ©
55
© CO
© CO
o~ ©
cs
0)
00
O
M
der Erneuerung j
nach t Jahren für ,
I
sa-g
•S |
0
5
wo wo wo wo wo
cf cf ©f © co"
a
©
iH
55
wo^
cef
©
M
©
©
P
©
3
co
s
© ©_ »o »o ©
of co r-T »o oT
s
00
©~ ,
der erst¬
maligen
Her¬
stellung
\n
6,0 M.
9,0
14,0
11,0
14,0
25
oo »o
< CO
Haltedauer
in Jahren ( t )
für
= 1
■sj
WO © © © ©
n 0O 00 CO 00
©
■ 2
©
•8
©
p
©
•5
CO
CO © CD CC ©
rH h H
<M
1
S
CO
U
fl
fl
Jbp
00
<2
© 1
PQ
<N
Schotter.
Kleinsteinpflaster .
Steinpflaster . . .
Zementmakadam .
Stampfasphalt . .
Kiesbahn.
Klein pflaster . . .
l r-i
]
nqvqiqvj
uqvq
-Suvf)
weiteres auf andere Städte
anwenden wollte. In diesem
Sinne sind die Ergebnisse bei-
stehender Tabelle aufzufassen.
Sie ist auf Dresdener Verhält¬
nissen aufgebaut unter Zu¬
grundelegung möglichst glei¬
cher Verkehrszahlen für die
verglichenen Befestigungsar¬
ten. Der Wert ist bei den
Zahlen weniger auf die Höhe
der einzelnen Kosten, als viel¬
mehr auf ihr gegenseitiges
Verhältnis zu legen (Spalte 15
und 16). Es ist wahrscheinlich
daß in anderen Städten sich
andere Kostenwerte ergeben,
ihr Verhältnis dürfte aber von
den Dresdener Zahlen beson¬
ders erheblich nicht abweichen.
„Vergleicht man den ge¬
samten Jahresaufwand für Ver¬
zinsung des Anlagekapitals,
Erneuerungskosten, Unterhal¬
tung, Reinigung und Bespren-
gung, so stehen diese Werte,
wie Spalte 15 zeigt, für die
verschiedenen Fahrbahnbefe-
stigungBarten im Verhältnis
1:1,06:1,17:1,27:1,74, d. h.
sie sind für Schotter- und Klein¬
steinpflaster nahezu gleich.
Läßt man die Kosten der
erstmaligen Herstellung ganz
außer Betracht, rechnet man
sie gleichsam ä fond perdu, so
lauten die Vergleichszahlen,
wie Spalte 16 zeigt, 1:0,94
: 0,85:1,12:1,57, d. h. Klein¬
steinpflaster und Steinpflaster
sind dem Schotter überlegen.
Ganz ähnlich liegen die Ver¬
hältnisse für Kies- und Klein¬
pflastergangbahnen.
„Es läßt sich aus alledem
zunächst nur der eine Schluß
ziehen: Vom Standpunkte der
Staubfrage und in Berücksich-
Digitized by LaOOQle
Die Bekämpfung des Staubes im Hause und auf der Straße. 127
tignng des Kostenpunktes ist die Herstellung von Schotter- und Kiesbahnen
mit ihrer großen Staubbildung zu vermeiden, und dafür ist lieber auf gute
Pflasterung, besonders auf die einen immer größer werdenden Kreis von
Anhängern gewinnende Kleinsteinpflasterung zuzukommen. Selbst wenn
man für die Schotterbahnen günstigere, für die Pflasterbahnen ungünstigere
Verhältnisse, als wie in der Tabelle angenommen, zugrunde legt, bleibt der
Kostenunterschied zwischen Schotterung und Pflasterung immer noch so
niedrig, daß er meiner Ansicht nach als recht angemessener Preis für die
Staubverminderung gelten kann, die man dafür erkauft. Man darf nicht
vergessen, daß beim Ersatz der Schotterung durch gute Pflasterung die Staub¬
bildung ganz beträchtlich, um mindestens 75 Proz., und bei guter Reinhaltung
und Fugenverguß wohl auch bis 90 Proz. zurückgeht. Ich erblicke
zurzeit einen sicheren und dabei wohlfeilen Weg, die Staub¬
bildung der Schotterstraßen einzudämmen, in der Umwandlung
der Schotterdecke in Kleinsteinpflasterung. Das Kleinsteinpflaster
wird aller Voraussicht nach in der nächsten Zukunft in erfolgreichen Wett¬
bewerb mit der Beschotterung treten und nicht nur auf den städtischen,
sondern auch auf manchen ländlichen und Überlandstraßen.
„Aber, so werden Sie mit Recht fragen, weshalb baut man denn da
noch Schotterstraßen und ersetzt die vorhandenen nicht durch Pflasterung?
Sie wollen dabei bedenken, daß die ganze Staubfrage mit ihren Forderungen,
mit ihren Versuchen und Untersuchungen so recht eigentlich erst in den
letzten zehn Jahren aufgerollt ist, und daß eben erst die jüngste Gegenwart
sieb in der Lage befindet, verläßlichere Schlußfolgerungen daraus zu ziehen.
Auch die günstigen Ergebnisse mit dem Kleinsteinpflaster sind, soweit
städtische Verhältnisse in Frage kommen, erst ein Erfolg der allerletzten
Jahre. Sie wollen weiter bedenken, daß der Schotterstraße gewisse Vorzüge
anderer Art zukommen, die der Pflasterstraße, auch der Kleinsteinpflasterstraße
fehlen. Die Schotterstraße ist eine fast geräuschlose Straße, sie läßt sich
bequem und leicht, im Bedarfsfälle auch von ungelernten Arbeitern aus¬
bessern und ist in der ersten Herstellung die billigste Straßenbefestigung.
Der letztere Grund ist von ausschlaggebender Bedeutung, ln vielen Städten
werden die Kosten der erstmaligen Straßenherstellung nicht von der All¬
gemeinheit, sondern von den anliegenden Grundstücksbesitzern getragen,
während die laufenden Unterhaltungsarbeiten aus dem allgemeinen Stadt¬
säckel bezahlt werden. Es ist daher vielfach ein wohlverständliches, wenn
auch nicht immer ganz berechtigtes Bestreben vorhanden, die Kosten der
ersten Herstellung recht niedrig zu halten, auch auf die Gefahr hin, eine
stark staubbildende Straße zn bekommen. Man ist zudem in Laienkreisen
noch oft der Ansicht, daß die Staubbelästigung der Schotterstraßen durch
starke Wasserbesprengung gänzlich unterdrückt werden kann. Jedenfalls
verlangt man eine recht häufige Besprengung der Schotterstraßen. Die
Kosten stören den einzelnen nicht weiter, sie werden ja von der Allgemein¬
heit ans dem großen Stadtsäckel bezahlt.
„Es erscheint wirtschaftlich nicht richtig, der Schotterstraße bloß um
deswillen den Vorzug zu geben, weil sie am billigsten herzustellen ist. Nicht
die ersten Anlagekosten, sondern der gesamte jährliche Aufwand entscheidet
über die größere oder geringere Billigkeit einer Straßenbefestigung. Werden
Digitized by LaOOQle
128 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
die ersten Anlagekosten einer Befestigung hohe, so soll man trotzdem diese
Befestigung ausführen, wenn sie wirtschaftlich und zweckmäßig ist. Dem
Grundstücksbesitzer erleichtere man aber seine Last durch Einrichtungen,
die es ihm ermöglichen, die Kosten in Form von Renten oder dergleichen
auf lange Jahre hinaus zu verteilen.
„Weiter kommen vereinzelt auch technische Gründe vor, die für die
Anlage von Schotterstraßen sprechen können, und endlich darf nicht außer
acht gelassen werden, daß schon seit langem Bestrebungen vorhanden sind,
die besonders in den letzten Jahren sich stark bemerkbar machen, Bestre¬
bungen, die dahin zielen, die in der ersten Anlage billige Schotterstraße
durch allerlei besondere Maßnahmen in eine Art Asphaltstraße mit sehr ge¬
ringer Staubbildung umzuwandeln.
Sie sehen, es spricht manches für oder wenigstens nicht gerade gegen
die Schotterstraße. Aber es ist andererseits auch sehr viel Aussicht vorhanden,
daß die Bestrebungen, dem Kleinsteinpflaster oder ähnlichen billigen Pflaste¬
rungen Eingang zu verschaffen, mehr und mehr an Boden gewinnen. Die
Zeit dürfte wohl nicht mehr allzu fern sein, wo ein großer Teil der jetzigen
Schotterbefestigungen durch Kleinsteinpflasterungen verdrängt und damit
viele Staubherde aus den Städten verschwunden sein werden. Dresden hat
z. B. mit seinen Kleinsteinpflasterungen auch in belebten Straßen so gute
Erfahrungen gemacht, daß es nur mit Freuden zu begrüßen wäre, wenn
man sich allgemein entschließen würde, für die bisher übliche Beschotterung
als erster Straßenbefestigung nach Bedarf die Kleinsteinpflasterung treten
zu lassen. —
„Die ersten Versuche, die Schotter- und Kiesbahnen durch besondere
Behandlung möglichst staubfrei zu machen, liegen noch nicht so gar weit
zurück. Abgesehen von einigen zeitigen Vorläufern machen sie sich erst
gegen Ende der 90 er Jahre des vergangenen Jahrhunderts allgemeiner be¬
merkbar. Anfänglich behandelte man die Straßen mit rohem Erdöl, besonders
in Amerika, wo das Erdöl niedrig im Preise steht. In Europa wendete man
sich mehr dem billigeren Gasteer zu, und daneben werden in den letzten
Jahren verschiedene bei der Destillation des Erdöls gewonnene öle und
Rückstände, meistens in wasserlöslicher Form, als sogenannte Emulsionen,
verwendet. Die Versuche und Bestrebungen haben schon jetzt eine neue
kleine Industrie hervorgerufen, und es ist viel Aussicht vorhanden, daß die
Entwickelung sich in gleicher Richtung weiterbewegen wird.
„Was mit den Versuchen bezweckt wird, dafür können Sie ein gutes
Bild gewinnen, wenn Sie eine Schotterstraße nach einem Regen etwas ge¬
nauer beobachten. Während des Regens bildet sich unter der knetenden
Wirkung der Wagenräder sehr bald ein Schmutz, der bei schlechter Straßen¬
unterhaltung eine fast ebenso unangenehme Beigabe der Schotterstraßen
bildet, wie hei heißem Wetter ihr Staub. Hat der Regen aufgehört, so be¬
ginnt das auf der Straßenfläche stehende Wasser zu versickern und zu ver¬
dunsten, der erst flüssige Schlamm wird zäher und zäher und bildet zuletzt
nur noch eine erdfeuchte, knetbare Masse. In diesem Zustande wird er von
den Wagenrädern in alle Unebenheiten der Oberfläche hineingedrückt und
glatt gewalzt. Die Oberfläche wird bei regem Geschirrverkehr sehr bald
glatt wie eine Tenne. Sie ist erdfeucht, vollständig staubfrei und die Ge-
Digitized by LaOOQle
Die Bekämpfung des Staubes im Hause und auf der Straße. 129
fährte rollen fast geräuschlos über sie bin. Dieser „Idealzustand“ der
Schotterstraße ist aber gewöhnlich nur von kurzer Dauer. Das Wasser ver¬
dunstet weiter, der vorher feucht-plastische Schmutz wird brüchig-trocken,
die Pferdehufe und Wagenräder zerbröckeln ihn bald zu Pulver, und die
Straße hat wieder ihr alltägliches Gesicht: staubig und trocken. Es
entstand nun die Frage: Läßt sich der Idealzustand der Schotterstraße, der
vom Wasser vorübergehend geschaffen wird, nicht auch durch andere geeig¬
netere Mittel hervorbringen und, wenn möglich, dauernd erhalten ? In dieser
Richtung bewegen sich fast alle Versuche. Dabei läuft aber auch vielfach
noch die Absicht nebenher, das Staub und Schmutz bildende Bindematerial
der Schotterstraße, den Sand und den Straßenschlamm, ganz und gar aus¬
zuschließen und durch ein elastisch zähes, dabei aber doch billiges Material
zu ersetzen, das nicht leicht stäubt und die Straßenfläche derart fest und
wasserundurchlässig macht, daß sie wie eine Asphaltfläche abgewaschen
werden kann.
„Man hat im wesentlichen zwei Wege eingeschlagen. Der eine eignet
sich mehr für die Neuherstellung von Straßen. Man versucht dabei die
ganze Straßendecke mit asphalt- oder teerartigen Stoffen zu durchsetzen
und bezeichnet dementsprechend die fertige bituminöse Masse verschieden als
Teerasphalt, Asphaltbeton, Teermakadam, bituminöse Chaussie¬
rung usw. Im anderen Falle, der mehr für bestehende Straßen berechnet
ist, wird nur die Oberfläche der Straße, die oberste Decke, behandelt und
durch Teeren, ölen, Asphaltinieren usw. imprägniert und staubfrei
gemacht.
„Das Verfahren der bituminösen Chaussierung ist im wesentlichen
etwa das folgende: Auf die fertig vorbereitete Unterbettung aus Steinschlag
oder Beton wird in dünner Schicht ein asphaltartiges Bindemittel aufgebracht,
das den Zusammenhalt zwischen Unterbettung und Fahrdecke herstellen
soll. Die Fahrdecke selbst besteht aus einer Art bituminösen Betons und
wird in etwa 5 cm Stärke auf der Unterbettung ausgebreitet und festgewalzt.
Verbleibende kleine Unregelmäßigkeiten werden mit Asphaltmischung aus¬
geglichen. Der bituminöse Beton der Fahrdecke wird mit ganz besonderer
Sorgfalt aus Steinschlag und Kies oder Sand und einer dünnflüssigen Asphalt¬
mischung auf heißem Wege hergestellt. Das Gemenge besteht aus Stein¬
teilen jeder Größe bis zu 5 cm, damit die mit der verbindenden Asphalt¬
mischung auszufüllenden Hohlräume recht gering ausfallen.
„Die Fahrdecke ist der wichtigste Teil der bituminösen Chaussierung.
Schon die richtige Zusammensetzung des Bindemittels, zu der viel Stein¬
kohlenteer verwendet wird, erfordert große Sorgfalt. Noch größer sind die
Schwierigkeiten, die die richtige Wahl des Gesteins bisher verursacht hat.
Hartes Gestein bindet nicht gut zusammen. Besser hat sich Kalkstein be¬
währt Gute Ergebnisse hat auch die Verwendung der Hochofen-Eisen¬
schlacke geliefert. Ob sich die Rückstände der Müllverbrennung trotz der
bisher wenig günstigen Erfahrungen nicht doch noch zweckmäßig verwenden
lassen, muß der Zukunft überlassen bleiben.
„Solche bituminösen Chaussierungen, in der Literatur meistens als
Teermakadam bezeichnet, sind viel in Amerika und England ausgeführt
worden, in Deutschland hat man sie bisher wohl nur versuchsweise ver-
Vierteljahnschrift für Gesundheitspflege, 1907. g
Digitized by i^ooQle
130 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. offentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
wendet. Sie eignen sich allem Anschein nach nur für leichteren Verkehr.
Die Herstellungskosten werden ohne Zweifel etw&8 höher sein als bei der
gewöhnlichen Chaussierung. Ob die vermehrten Kosten einen Ausgleich in
verminderten Unterhaltungs- und Reinigungsarbeiten finden, das muß noch
abgewartet werden. Recht wünschenswert ist es jedenfalls, daß auch in
Deutschland mehr Versuche mit dieser Befestigungsart, die sich allem An¬
schein nach recht gut für stille, verkehrsarme und nicht zu steile Wohn¬
straßen eignen dürfte, angestellt werden. Nach den englischen Berichten
soll man bei sorgfältiger Beachtung aller gewonnenen Erfahrungen eine
„undurchdringliche, praktisch-staubfreie und nicht schlüpfrige
Fahrbahn 11 erhalten.
„Neben diesem gründlicheren Verfahren hat sich dasjenige der ober¬
flächlichen Deckenimprägnierung viele Freunde erworben und recht befrie¬
digende Erfolge gezeitigt. Es wird bei diesem Verfahren die oberste Deck¬
schicht der Schotter- und Kiesbahnen mit gewissen Stoffen behandelt, durch
welche die Kies- und Staubteilchen zu einer mehr oder weniger plastischen
Masse von asphaltähnlicher Beschaffenheit verkittet werden, die als schützen¬
der Überzug über dem Steingeschläge liegt, die Feuchtigkeit abhält, fast
geräuschlos zu befahren ist und Staub nur in geringen Mengen entwickelt.
„In den kalifornischen Öldistrikten hat man vor einigen Jahren be¬
gonnen, die Landstraßen zu genanntem Zwecke mit dem dort sehr wohlfeilen
Rohpetroleum zu besprengen. Der Erfolg ist nach den Berichten ein guter
und zu weiterem Vorgehen auf dem eingeschlagenen Wege ermutigend.
Auch in einigen europäischen Städten hat man hier und da ähnliche Ver¬
suche angestellt, doch hat sich der in Europa hohe Preis und vor allem
der unangenehme Geruch des Rohöles der weiteren Verbreitung des Verfahrens
hindernd in den Weg gestellt.
„Schon im Jahre 1880 hat der französische Ingenieur Christophe in
Saint -Fay- La Grande der Gironde die Straßenteerung zum Zwecke der
Staubunterdrückung verwendet, allerdings ohne besonderen Erfolg. 20 Jahre
später wurden von dem italienischen Ingenieur Rimini etwas besser ge*
lungene Teerversuche bei Ravenna angestellt. Von dieser Zeit an beginnt
die Epoche der Teerversuche, die besonders in Frankreich und an der
Riviera außerordentlich zahlreich ausgeführt wurden, dank den unermüd¬
lichen und verdienstvollen Bestrebungen des Vorkämpfers auf dem Gebiete
der Staubfrage, des Herrn Dr. Guglielminetti in Monte Carlo. Es würde
mich viel zu weit führen, wollte ich an dieser Stelle auf die zahlreichen und
zum Teil hochinteressanten Versuche eingehen. Ich kann Ihnen nur über
das Gesamtergebnis nach den neuesten Erfahrungen berichten.
„Beim Teerverfahren wird auf der mit der größten Peinlichkeit ge¬
säuberten und vollständig trockenen Straße kochend heißer Teer bei warmem,
trockenem Wetter in dünner Lage möglichst gleichmäßig ausgebreitet und
die geteerte Fläche zuletzt mit feinem Flußsand oder Straßenstaub über¬
streut. Wenn der Teer gehörig in die Schotterdecke eingezogen ist, was je
nach den Witterungsverhältnisseu ein bis mehrere Tage erfordert, kann die
Straße dem Verkehr wieder freigegeben werden.
Die neuesten Teervorschriften heben ganz besonders hervor, daß zum
guten Gelingen der Teer mindestens auf 3 bis 5 cm Tiefe die Straßendecke
Digitized by LaOOQle
Die Bekämpfung des Staubes im Hause und auf der Straße.
131
vollständig durchdringen soll, d.h. mit anderen Worten, die oberste 3 bis
5 cm starke Deckschicht soll in eine Art Teermakadam umgewandelt werden.
Ob es bei dieser Sachlage nicht richtiger ist, überhaupt zum Teermakadam
überzugehen an Stelle des oberflächlichen Teerens, lasse ich dahingestellt.
„Recht zweckmäßig erscheint mir das in Leipzig angewendete Verfahren
der Straßenteerung. Die neubeschotterte Strecke wird einige Tage nach
Beendigung der Schotterarbeiten gründlich geteert, und der Teer dringt
dabei sehr tief in den noch lockeren Straßenkörper ein. Der Teerverbrauch
ist ein entsprechend hoher, etwa 2 bis 3kg pro Quadratmeter, während er
für Teerungen alter, harter Straßen nur 1 bis 2kg pro Quadratmeter be¬
trägt. Leipzig ist mit seinen schon im dritten Versuchsjahre stehenden
Teerungen sehr zufrieden.
„Das Teeren ist durchaus nicht so einfach, wie gewöhnlich angenommen
wird. Es erfordert nicht nur einen ganz besonderen und nicht gerade ein¬
fachen Betriebsapparat, es setzt auch Aufmerksamkeit, Erfahrung und Ge¬
schicklichkeit des Arbeiterpersonals voraus. Ein guter Erfolg hängt von
so vielerlei scheinbar ganz unbedeutenden Nebenumständen ab, daß man sich
gar nicht wundern darf, wenn in zahlreichen, namentlich deutschen Städten
die Versuche öfters zu ausgesprochenen Mißerfolgen geführt haben. Der
Zustand der Straße, die Beschaffenheit des Straßenbaumaterials, die Güte
des Teeres und seine Temperatur, die Ausführungsart, die Witterungs- und
Temperaturverhältnisse usw., alles beeinflußt das gute Gelingen. Ein Ver¬
sagen irgend einer Voraussetzung stellt den ganzen Erfolg in Frage. Ich
selbst habe im Jahre 1904 einen Teerversuch in Dresden ausgeführt. Die
Vorbereitungen waren mit der größten Sorgfalt getroffen. Tagelang vorher
und nachher herrschte heißes, trockenes Wetter. Um ein besseres Einziehen
des Teeres in die Straßendecke zu ermöglichen, war die Oberfläche vorher
mit leichtem Teeröl getränkt worden. Der Verkehr wurde erst nach voll¬
ständiger Trocknung des Teerstriches nach sechs Tagen wieder auf die
Versuchsstrecke geleitet. Ich hatte die Überzeugung, daß der Versuch voll¬
ständig gelungen sei; aber schon nach zwei Monaten war nichts mehr von
dem Teer zu sehen. Der geringe Straßenverkehr hatte ihn vollständig
zerstört.
„Am 30. Juli dieses Jahres ist ein zweiter Teerversuch in Dresden auf
einer etwa 6000 qm großen Basaltschotterstraße von sehr gutem baulichen
Zustande ausgeführt worden. Die Teerung wurde ganz genau nach den
französischen Vorschriften und mit einem von der Societe generale de gou-
dronage des routes aus Paris bezogenen Apparat durch eingerichtetes fran¬
zösisches Personal vorgenommen. Das Wetter war außerordentlich günstig.
Die Strecke wurde erst am 4. August für den Verkehr wieder freigegeben.
Es kann zwar jetzt nach kaum sechs Wochen ein abschließendes Urteil über
den Versuch noch nicht abgegeben werden, aber ich habe wenig Hoffnung,
daß die Teerung den kommenden Winter überstehen wird.
„Die Meinungen über die Straßenteerung gehen besonders in Deutsch¬
land noch recht auseinander. Meiner Ansicht nach eignet sie sich mehr für
Straßen mit geringem und leichtem Verkehr, besonders auch für Gangbabnen
und Promenaden; schwerem Lastverkehr wird sie kaum standhalten. Wenn
die guten Erfolge, die man besonders aus Frankreich berichtet, sich auch
9*
Digitized by LaOOQle
132 XXXI. Versammlung d.D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
unter dem deutschen Klima erzielen lassen werden, dann wird sich das Teer¬
verfahren in der Hand des Straßenbauers sicher zu einer schneidigen Waffe
gegen den Staub ausbilden lassen. Bevor es aber dahin kommt, sind noch
viele Versuche erforderlich.
„Ein eigenartiges, von der Allgemeinen Städtereinigungsgesellschaft in
Berlin zum Patent angemeldetes Verfahren bezweckt, die Straßenteerung
etwas unabhängiger von den Witterungs Verhältnissen zu machen. Die
Straßenfläche soll zu diesem Zwecke vor der Teerung mit Calciumoxyd¬
pulver (CaO) bestreut werden, das der Straßendecke den Wassergehalt ent¬
zieht, sich dabei unter Wärmeentwickelung in Calciumhydroxyd (CaH 2 0 2 )
umwandelt, und als solches sich mit dem Teer zu einer kittartigen, wasser¬
undurchlässigen Masse verbindet. Es wird abzuwarten sein, wie sich das
Verfahren in der Praxis bewährt.
„Die Kosten der gewöhnlichen Teerung sind nicht besonders hohe, ln
Frankreich werden sie etwa zu 10 Pf. pro Quadratmeter berechnet; in
Dresden haben sie ebenfalls 10 bzw. 17 Pf. betragen, in Leipzig im ersten
Jahre 19 Pf., im zweiten 12 Pf. und im dritten 10 Pf., in Stuttgart 25 Pf.
Sie werden sich in Deutschland unter mittleren Verhältnissen zwischen
10 und 20 Pf. bewegen und in den Folgejahren etwas abnehmen. Ob es
allerdings möglich sein wird, jährlich mit nur einer Teerung auszukommen,
erscheint sehr fraglich. Für belebtere Schotterstraßen wird einmalige
Teerung voraussichtlich ungenügend sein. Man erwarte übrigens von dem
Teerverfahren nicht zu viel. Unmögliches kann es nicht leisten. Auf über¬
lasteten Schotterstraßen wird das Teeren nach meinem Dafürhalten niemals
befriedigen können, denn es ist und kann kein Ersatz sein für die auf
solchen Straßen zu fordernde harte Befestigung.
„Gelegentlich der Deutschen Städteausstellung in Dresden im Jahre
1903 wurde die Aufmerksamkeit der beteiligten Kreise auf ein Verfahren
gelenkt, das in eigenartiger Weise die Staub- und Schlammbildung auf den
Schotter- und Kiesbahnen zu verhindern sucht. Das Verfahren — von seinem
Erfinder, Herrn Professor Dr. Büttner in München, Asphaltin verfahren
genannt — besteht in großen Zügen darin, daß die staubtrockene Straßen¬
fläche zunächst mit reinem Petroleum durchtränkt und dann mit einer
flüssigen Asphaltinschicht innig überzogen wird. Das Asphaltin ist eine
Mischung von mineralischem Rohöl mit etwa 20 bis 30 Proz. Asphalt und
wird in heißem Zustande aufgebracht.
„Der Dresdener Versuch hat den gehegten Erwartungen nicht ent¬
sprochen. Wenn auch die Witterungsverhältnisse bei der Ausführung sehr
ungünstige waren und den Erfolg zweifellos beeinträchtigt haben, so ließ
sich doch erkennen, daß das Verfahren weder die Staub-, noch die Schlamm¬
bildung auf längere Zeit verhindern konnte und außerdem mit erheblichen
Geruchsbelästigungen verbunden war. Schon nach Monatsfrist hatte sich
eine dicke Staublage auf der Versuchsstrecke gebildet, die sich bei Regen¬
wetter unter dem Geschirrverkehr in eine ölige Schlammschicht, gleichsam
eine Emulsion von Öl und Wasser mit Staub, verwandelte und zu Verkehrs¬
belästigungen Anlaß gegeben hat. Der Staub war scheinbar schwerer als
gewöhnlicher Straßenstaub, wurde auch von den Geschirren nicht hoch
emporgerissen, was wohl hauptsächlich der klebenden Adhäsion der dem
Digitized by LaOOQle
Einladung zum Abonnement
auf die
B eiträge zur chemischen ^
Physiologie «na Pathologie
Zeitschrift für die gesamte Biochemie
unter
Mitwirkung von Fachgenossen herausgegeben
von
Franz Hofmeister
o. Professor der physiologischen Chemie an der Universität Strassburg.
Druck und Verlag von Friedr. Vieweg & Sohn
Braunschweig
Mit der zunehmenden Ausbildung der chemischen Methodik
hat in den letzten Jahren auch die physiologische Chemie eine
Bedeutung weit über ihre ursprünglichen Grenzen hinaus gewonnen.
Nicht nur die Probleme der Physiologie und Pathologie hat man
mit chemischen Methoden zu bearbeiten unternommen, sondern
auch in der Klinik, in der Bakteriologie, bei den sich daran an¬
schließenden therapeutischen Bestrebungen usw. ist eine erfolgreiche
Behandlung gerade der wichtigsten Probleme nur von chemischen
Gesichtspunkten aus und mit chemischen Methoden möglich.
Dieser Anwendung der Chemie auf alle Fragen der
Biologie, der gesamten Biochemie will die neue Zeitschrift
dienen, indem sie nicht nur den zukunftsreichsten Teil
der Biologie würdig nach außen zu vertreten beabsichtigt,
sondern auch die zwischen den einzelnen Zweigen der
biochemischen Forschung gegebenen Beziehungen enger
zu knüpfen und fruchtbarer zu gestalten sucht.
Crefl. mnwenden!
. Digitized by Cjj oogle
134 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
führen, wollte ich auf all die verschiedenen Versuche eingehen. Ich be¬
schränke mich darauf, Ihnen die Hauptergebnisse mitzuteilen, die sich aus
den in Dresden seit über drei Jahren fortgesetzten von mir persönlich
geleiteten Versuchen ergeben haben.
„Bei den Dresdener Versuchen wurde die Westrumitierung hauptsäch¬
lich in folgender Art vorgenommen. Die erste Grundierung erfolgte mit
200 g öl für den Quadratmeter und wurde kurz hintereinander in mehrmaligen
Besprengungen mit fünf- und zehnprozentigen Lösungen bewirkt. Weiterhin
wurden alle 6 bis 10 Tage 50 g öl pro Quadratmeter in fünfprozentigen Lösun¬
gen aufgebracht, während an den Zwischentagen nach Bedarf mit Wasser
gesprengt wurde. Im zweiten Jahre wurde die Grundierung nur mit 135g/qm
ausgeführt, während alles übrige gleich blieb. Der Jahresaufwand an öl
schwankt zwischen 1 und 1,5 kg für 1 qm behandelte Fläche.
„Aus betrieblichen Gründen erscheint es erwünscht, bis zu ein- oder
einhalbprozentigen Lösungen herabzugehen, die etwa täglich aufzubringen
sein würden. Der Apparat im Betriebe ließe sich dadurch sehr vereinfachen.
Leider ist das Westrumitöl noch nicht von derartiger Beschaffenheit, daß
es die Verwendung von ein- oder gar einhalbprozentigen wässerigen Emul¬
sionen im Betrieb gestattet. Die Emulsionskraft des Öles reicht für solche
schwache Lösungen nicht aus, was aber, wie versichert wird, hauptsächlich
auf nicht ganz vollkommene Fabrikationsmethoden zurückzuführen ist und
bei Großbetrieb nicht auftreten wird.
„Ich betrachte die Westrumitierung in erster Linie nur als ein Hilfs¬
mittel zur Staubbekämpfung, als Unterstützung der Straßenbesprengung,
nicht aber — wie vielfach noch angenommen wird — als ein Ersatzmittel
für die Straßenbesprengung. Die Straßenbesprengung wird immer not¬
wendig und als Erfrischungsmittel auch immer gewünscht bleiben. Aller¬
dings wird sie, wenn der größte Teil des Staubes durch Westrumit oder
ähnliche Stoffe festgelegt ist, nicht mehr in dem Maße erforderlich werden
wie jetzt, wo sie allein den Staub unterdrücken soll, eine Aufgabe, der sie
nicht gewachsen ist, wenn sie nicht ganz erheblich verstärkt wird, was
wieder aus anderen Gründen nicht zweckmäßig erscheinen will. Die wich¬
tigeren Versuchsergebnisse sind folgende (vgl. Abb. 1 u. 2):
1. Es ist möglich, die Staubbildung auf Schotter- und Kiesbahnen durch
regelmäßige Westrumitierung in befriedigender Weise dauernd
zu unterdrücken; bei besonderen Gelegenheiten, Umzügen, Korso¬
fahrten, Automobilrennen, läßt sich Staubfreiheit mit Sicherheit er¬
zielen.
2. Der dem Westrumit auch in schwächeren Lösungen anhaftende
Geruch ist nur gering und dürfte kaum als Belästigung empfunden
werden.
3. Die Menge des zu einem guten Erfolge erforderlichen Westrumitöles
richtet sich in erster Linie nach der Stärke der über dem Stein-
geschläge liegenden Deckschicht, in zweiter Linie ist sie abhängig
von der Stärke des Straßenverkehres, von der Lage der Straße
(sonnige Strecken brauchen mehr Öl als schattige Strecken) Und
ihrem baulichen Zustande (bei schlechten Straßen ist der Ölverbrauch
größer als bei guten Straßen).
Digitized by LaOOQle
Zu Seite 134.
4<m 4< dnv 7. CUvtv -A*t <iu faxnfei+xdiiekt,
nitUt
*>&i «MU1 dlwtcm<*6^ - QxotxfahiXi am iS. 6U*ymt mit *fnwv
ÄWU» Ut^Ci >«A nw&f <lu ^nn|*(< MjmCanf -
>wfc4wy, ^i«Uut ^t^Uvt(4m mit «Cttw
^ tvAi <nM4 4n^t«n<U &£a*v6 -
Dresden.
Fried r. View eg <& Sohn in Braunschweig.
Digitized by
Googl(
Digitized by
Googl
Abbildung 2. Zu Seite 134.
Digitized by
Google
Digitized by
Googl
Die Bekämpfung des Staubes im Hause und auf der Straße.
135
4. Die besten Erfolge werden erzielt, wenn die über den Steinen
befindliche Deckschicht nur eine solche Stärke besitzt, daß sie
gerade das Steinmosaik ausgleicht. Die Straße soll daher vor der
Westrumitierung gründlich gekehrt oder bei Regenwetter ab¬
geschlämmt werden. Während der Westrumitierung ist darauf zu
achten, daß die Deckschicht nicht zu stark wird. Durch gelegent¬
liches Abkehren oder Abschlämmen ist dem vorzubeugen. Der
gewonnene Ölschlamm ist wertvoll und findet nutzbringende Ver¬
wendung bei Ausbesserung schadhafter Stellen, zur Anlegung neuer
Schotter- und Kiesbahnen, die westrumitiert werden sollen, für
Spielplätze usw.
5. Schott erbahnen aus hartem Gestein erfordern weniger Öl als solche
aus weichem, sich leicht abnutzendem Material. Bei letzterem kann
der Ölverbrauch zur Erzielung eines guten Erfolges sehr groß
werden. Basalt hat sich in dieser Hinsicht günstiger erwiesen als
der weichere Syenit.
6. Schlammbildung bei Regenwetter wird durch Westrumitierung
nicht unbedingt verhindert. Sie zeigt sich allerdings nicht so
schnell wie bei gewöhnlichen Schotterstraßen, verschwindet aber
auch nicht so rasch wieder wie bei diesen Straßen. Ihr Auftreten
ist abhängig vom Geschirrverkehr. Nicht der Regen, sondern die
knetende Wirkung der Räder verursacht die Schlammbildung. Die
glatte, feste Westrumitdecke wird vom Regen allein nicht zerstört
oder abgespült.
7. Die Durchtränkung der ganzen Schotterdecke mit Westrumitöl
schon heim Bau hat eine günstige Einwirkung auf das Verhalten
der späteren Westrumitbesprengungen nicht erkennen lassen. Aus¬
sichtsreicher erscheint es, zur Herstellung der obersten Deckschicht
schon beim Bau Westrumitschlamm zu verwenden.
8. Die Ausbesserung westruinitierter Schotterstraßen ist leicht und
bequem auszuführen. Die zunächst in gewöhnlicher Art auszu¬
bessernde Stelle wird zuletzt mit starker Westrumitlösung über¬
gossen und bindet dann gut zusammen.
9. Auf Pflasterstraßen ist die Verwendung von Westrumit aus ästhe¬
tischen Gründen weniger zu empfehlen, da die Pflastersteine durch
das öl eine häßliche braune Farbe annehmen.
10. Auf überlasteten Schotterstraßen, besonders solchen mit schwerem
Güterverkehr, kann die Westrumitierung nicht befriedigen, denn
sie ist und kann kein Ersatz sein für die auf solchen Strecken zu
fordernde harte Befestigung. Für Straßen, die hauptsächlich nur
von Fahrrädern und Automobilen (mit Gummibereifung) befahren
werden, ist sie aber sehr gut geeignet.
11. Einwirkung des Öles auf die Straßenanpflanzungen konnte bis jetzt
nicht festgestellt werden.
12. Die Kosten des Westrumitverfahrens bewegen sich in Dresden, je nach
den besonderen Verhältnissen (Punkt 3 und 5) etwa zwischen 25 und
35 Pf. *) für das Jahr und Quadratmeter, während die Wasserbespren-
*) Bei einem Westrumitpreis von 220 M. für 1000 kg.
Digitized by LaOOQle
136 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
gung nach 10 jährigem Durchschnitt rund 5 72 Pf. 1 ) für das Jahr
und Quadratmeter kostet. Die Westrumitierung ist daher etwa vier-
bis sechsmal teurer. Der jährliche Mehraufwand beträgt 20 bis
30 Pf. für 1 qm.
„Dieser Preis erscheint ziemlich hoch, so daß Bedenken aufsteigen müssen,
ob nicht die Staubfreiheit, die man dafür eintauscht, etwas zu teuer erkauft
ist. Wollte z. B. eine Stadt mit insgesamt 1000000 qm Schotterbahnen
dieselben zur Staub?erminderung regelmäßig westrumitieren, so müßte sie
zu diesem Zweck alljährlich etwa 250 000 M. aufwenden. Ich glaube kaum,
daß man irgendwo, reiche Kurorte vielleicht ausgenommen, geneigt sein
wird, solche Summen für die Staubbeseitigung allein auszugeben, wenn man
nicht die Überzeugung hat, daß ein großer Teil dieser Ausgaben durch
Ersparnisse an anderer Stelle wieder gedeckt wird. Solche Ersparnisse
können bei der Westrumitierung eintreten, wenn dieselbe die Haltedauer, die
Unterhaltung und die Reinigung der Schotterbahnen im günstigen Sinne
beeinflußt. Leider sind die Versuche noch nicht von genügend langer Dauer,
um aus ihnen ein einigermaßen sicheres Urteil über diese sehr bedeut¬
same Frage ableiten zu können. Es wird wohl noch einige Zeit vergehen,
ehe sie sicher beantwortet werden kann. Mancherlei Anzeichen liegen vor,
die einen deutlichen Fingerzeig dafür geben, daß die Westrumitierung wohl
geeignet ist, die Unterhaltung der Schotterbahnen im günstigen Sinne zu
beeinflussen. Als Beispiel will ich folgenden Fall anführen. Am 6. und
7. Juli und 3. August d. Js. gingen in Dresden ganz gewaltige Sturzregen
nieder, wie sie seit Jahren nicht vorgekommen sind. Die gewöhnlichen
Schotterstraßen wurden durch diese wolkenbruchartigen Regen bis auf das
Steingeschläge ausgespült, während sich die westrumitierte Strecke nach dem
Regen in tadelloser Verfassung zeigte. Der Regen hatte ihr nicht geschadet
(vgl. Abb. 1).
„Ich will noch darauf hinweisen, daß der günstige Einfluß der Westrumi¬
tierung gar nicht so besonders groß zu sein braucht, um die Kosten der
Ölung zum größten Teil durch verminderten Unterhaltungsaufwand wieder
einzubringen. Wenn die Schotterdecke, wie in Tabelle Seite 126 angenom¬
men, etwa in dreijährigem Wechsel erneuert wird, und die Westrumitierung
verlängert die Haltezeit nur um ein Jahr, von drei Jahren auf vier Jahre,
so vermindert sich der jährliche Aufwand für Deckenerneuerung (Spalte 9
der Tabelle Seite 126) von 63 auf 46 Pf., also um 17 Pf., d. h. die Westrumi-
tierungskosten würden durch Ersparnisse an den Erneuerungskosten nahezu
gedeckt sein. In Städten, wo aus örtlichen Gründen die Besprengungskosten
recht hohe (höher als in Dresden) sind, können sich die Verhältnisse noch
wesentlich günstiger gestalten.
„Verwirklichen sich diese Hoffnungen — und es sind leider bis jetzt
nur Hoffnungen, wenn auch manches dafür spricht —, dann scheinen sich
für das Westrumitverfahren, sowie überhaupt für alle ähnlichen Verfahren,
die die Staubbindung mit bitumenreichen Ölemulsionen anstreben, sehr
günstige Aussichten für die Zukunft zu eröffnen. Um Klarheit zu gewinnen,
werden aber noch viele langfristige Versuche in großem Maßstabe durch¬
zuführen sein. Kurze und kleine Versuche sind für die Entscheidung der
M Die Wasserkosten machen davon etwa 10 Proz. aus.
Digitized by LaOOQle
Die Bekämpfung des Staubes im Hause und auf der Straße. 137
schwebenden Frage nicht nur ungeeignet, sie können sogar verwirrend statt
klärend wirken, weil in ihren Ergebnissen leicht untergeordnete Neben¬
erscheinungen (z. B. Überschleppen und Überwehen von Schmutz und Staub
von nicht geölten Straßen) sich allzu stark in den Vordergrund schieben
und das wirkliche Ergebnis verschleiern können.
„Neben dem Westrumitöl sind in den letzten Jahren eine ganze Reihe
weiterer Fabrikate auf dem Markt erschienen — und ihre Zahl wächst
noch beständig —, die in gleicher oder ähnlicher Weise die Staublegung zu
erreichen versuchen. Es sind meistens öl- oder bitumenhaltige Stoffe aus
der Erdöl- und Asphaltgewinnung, die auf irgend eine Art wasserlöslich
gemacht sind. Ich führe Ihnen einige der bekannteren Mittel auf:
„Odokreol, Rapedit, Pulveranto, Apulvit, Akonia (hygro¬
skopisches Salz), Pulvivore, Poussierite, Injektolin, Simplizit,
Zibellit, Zylith, 8adolVaseline, Goudrogenit, Bitumit, Betonite,
Duralit, Barnit, Compactarium, Antistof I und II, Standutin usw.
„Mit den letzten beiden Mitteln Antistof und Standutin sind im laufen¬
den Jahre auch in Dresden Versuche angestellt worden.
„Antistof, ein schweres Asphaltnaphtaprodukt von der Firma Spalte¬
holz und Ameschott in Amsterdam, hat sich dabei als recht zweckent¬
sprechendes Staublöschmittel erwiesen, das in Verwendungsart und Wirkung
dem Westrumit sehr nahe kommt. Es scheint jedoch etwas weniger Bitumen¬
gehalt zu besitzen als Westrumit. Antistof II ist hinsichtlich der staublegenden
Kraft dem Antistof I überlegen, hat aber einen unangenehmen Geruch, der
sich zwar ziemlich rasch verflüchtigt, aber immerhin zuerst kräftig genug
ist, um bei einem empfindlichen Publikum etwas Anstoß zu erregen. Der
Geruch von Antistof I erinnert etwas an Teer und ist im übrigen so gering,
daß er als Belästigung kaum empfunden werden dürfte. Die Emulsionskraft
des Antistof ist sehr groß, sie hat bei den Versuchen auch nicht in schwachen
Lösungen von 1 oder Va Proz. versagt, was nach meinen früheren Aus¬
führungen als Vorteil zu gelten hat. Über die Kosten des Antistofverfahrens
lassen sich bestimmte Angaben nicht machen, da das Material für die
Dresdener Versuche in dankenswerter Weise zu einem Ausnahmepreis zur
Verfügung gestellt war. Wenn Antistof billiger als Westrumit zu erlangen
ist, so dürfte es mit dem letzteren wohl in scharfen Wettbewerb treten und
die Westrumit-Gesellschaft veranlassen, den Preis ihres Mittels, der in
Dresden etwa 220 M. für 1000 kg beträgt, herabzusetzen. Eine solche
Wirkung würde im Interesse der Staubbekämpfung nur freudig zu be¬
grüßen sein.
„Die Versuche mit Standutin von der Standut-Öl-Kompanie in Dresden
haben bis jetzt noch nicht recht befriedigt. Ein abschließendes Urteil kann
allerdings nicht gegeben werden, da die Versuche noch nicht beendet sind.
Für die Versuche ist das Mittel unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden,
was dankbar anzuerkennen ist.
„Von all den verschiedenen Verfahren, den Staub der Schotter- und Kies¬
bahnen festzulegen, hat bis zur Zeit kein einziges voll befriedigt,
weder der Teermakadam, noch das Teeren oder Ölen. Teils sind es tech¬
nische, teils finanzielle Gründe, teils beide, die zu Bedenken Anlaß geben.
Es muß der Zukunft überlassen bleiben, zu entscheiden, welches Verfahren
Digitized by LaOOQle
138 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. offentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
noch zu einwandfreien Erfolgen führen wird. Ob vielleicht durch eine
geschickte Kombination der einzelnen Verfahren bessere Erfolge zu erzielen
sein werden, dafür muß auch erst noch durch Versuche der Beweis erbracht
werden. —
„Ich wende mich nunmehr dem zweiten Wege zu, auf dem die Bekämp¬
fung des Straßenstaubes sich betätigen muß: der Reinhaltung der
öffentlichen Verkehrsflächen.
„Es geschieht auf diesem Gebiete schon viel in Deutschland, aber es
bleibt auch noch viel zu tun übrig. Die Zahl der Städte ist nicht gering,
in denen die Straßenreinigung als Überrest aus vergangenen Zeiten den
Haus- und Grundstücksbesitzern überlassen ist. Fein säuberlich kehrt jeder
in der Woche einmal oder zweimal, und wenn es hoch kommt, ist es dreimal,
vor seinem Hause bis zur Straßenmitte, aber ja nicht weiter, der eine früher,
der andere später, unbekümmert, ob Wind und Wetter und Verkehr den
Schmutz von der ungereinigten auf die gereinigte Fläche wieder übertreiben.
Eine gründliche und geregelte Reinigung, die im Nutzen der Allgemeinheit
zu fordern ist, kann man billigerweise von den Hausbesitzern nicht erwarten.
Sie wird im allgemeinen nur zu erreichen sein, wenn alle Reinigungs¬
arbeiten in eine Hand gelegt sind. Glücklicherweise hat sich diese An¬
schauung schon weite Bahn gebrochen, und es steht zu hoffen, daß immer
mehr Städte zu ihrem eigenen Besten diesen Weg beschreiten werden. Ob
man sich dabei für Ausführung durch Unternehmer oder in eigener Ver¬
waltung entscheidet, ist von minderer Bedeutung. Jedenfalls neigt man
sich zurzeit mehr der Selbstverwaltung zu, weil diese die größere Gewähr
gibt, daß die Reinigungsarbeiten in einer Weise zur Ausführung gebracht
werden, die den Forderungen der Gesundheitslehre und den berechtigten
Wünschen der Allgemeinheit am besten gerecht wird.
„Der Reinigungsdienst selbst, so einfach und wenig schwierig er auch
für den ferner Stehenden erscheinen mag, hat sich in den Großstädten zu
einem Betrieb entwickelt, der hohe Anforderungen an die Umsicht und das
technische Verständnis seiner Leiter stellt, wenn der Betrieb technisch und
wirtschaftlich auf der Höhe stehen soll. Nur wer hineinzublicken vermag,
weiß, was für große Summen den Städten verloren gehen können durch
unzweckmäßige Betriebseinrichtungen. Die in der geschichtlichen Ent¬
wickelung begründete, leider aber bis auf den heutigen Tag noch nicht ganz
überwundene Ansicht, daß für die Reinigungsarbeiten die minderwertigen
Arbeiter, die Halblahmen, die Alten und Invaliden, gerade gut genug sind,
daß jeder halbwegs tüchtige Beamte, wenn er auch sonst ohne jede tech¬
nische Vorbildung ist, für befähigt erachtet wird, einen großen Reinigungs¬
betrieb zu leiten und zu überwachen, sie kostet den Städten, die noch auf
diesem Standpunkte stehen, viel Geld. Es ist das Sparsamkeit an falscher
Stelle. Glücklicherweise ist solche Anschauung im Schwinden begriffen.
Die Beispiele mehren sich, daß an die Spitze der Reinigungsbetriebe aka¬
demisch ausgebildete Oberbeamte gestellt werden in richtiger Würdigung
der Aufgaben und der Verantwortung, die den großstädtischen Reinigungs¬
betrieben Zufällen, und zum eigenen Nutzen der Gemeinde.
„Die Staubfrage und die Reinlichkeitsfrage sind in den Städten so
innig miteinander verknüpft, daß sie sich gar nicht auseinanderhalten lassen.
Digitized by LaOOQle
Die Bekämpfung des Staubes im Hause und auf der Straße.
139
Staubbekämpfung und Straßenreinlichkeit sind zwei Begriffe, die sich nahezu
decken. Eine Stadt wird unter sonst gleichen Verhältnissen um so weniger
unter Staubbelästigungen zu leiden haben, je sauberer ihre Verkehrsflächen
gehalten werden.
„Wenn ich einer Reinigungsverwaltung eine Richtschnur zu geben
hätte, nach der sie arbeiten soll, gleichsam ein Geleitwort für ihren arbeits¬
reichen Dienst, so könnte es nach meiner langjährigen Erfahrung nur
dieses sein:
»Laß den Schmutz nicht erst aufkommen, reinige lieber etwas zu
viel als zu wenig, denn verhüten ist leichter und viel billiger als heilen!»
„Die Reinigung der Verkehrsflächen geschieht in Deutschland haupt¬
sächlich auf drei verschiedene Arten:
a) durch Handreinigung, bei welcher die Fläche vom Arbeiter mit
dem Handbesen gesäubert wird,
b) durch Maschinenreinigung, bei welcher die Fläche mit der
Kehrmaschine gekehrt wird,
c) durch Waschreinigung, bei welcher die Fläche mit Wasser ein¬
geschwemmt und der aufgeweichte Schmutz mit Gummischrubber
von Hand oder mit Schrubbermaschinen beseitigt wird.
„Die letzte Reinigungsart beseitigt zweifellos den Staub in der gründ¬
lichsten Weise. Sie ist aber auch die teuerste Reinigung und setzt eine
dichte, ebene Straßenfläche voraus, wie sie meistens nur bei Asphalt, Holz¬
pflaster und Zementmakadam gegeben ist. Als gleichwertiger Ersatz kann
für sie das Abspülen mit dem Schlauch angesehen werden, das sich auch bei
weniger ebenen, aber gedichteten Pflasterflächen anwenden läßt. Dieses
Verfahren ist jedoch noch teurer als die gewöhnliche Waschreinigung und
erscheint zudem für maschinellen Betrieb recht ungeeignet. Unter den
jetzigen Zeitverhältnissen muß aber jede vorausschauende Verwaltung in
stärkerem Maße als früher darauf bedacht sein, die Handarbeit mehr und
mehr aufzugeben und, wo irgend angängig, zum maschinellen und auto¬
mobilen Betriebe überzugehen, nicht nur der Zeit- und Geldersparnisse
wegen, die meistens mit solchem Betriebe verknüpft sind. Die Arbeiter¬
frage, die Unabhängigkeit der Verwaltung von allerhand wirtschaftlichen
und sonstigen Verbänden sprechen dabei ein gewichtiges Wort mit.
„Bei allen Reinigungsarbeiten auf öffentlichen Verkehrsflächen gilt als
Grundregel das »staubfreie Kehren«, das Kehren ohne Staubaufwirbelung.
Die reichliche Anwendung von Wasser zur Staublöschung ist daher den
Mannschaften für alle Arbeiten zur strengen Pflicht zu machen. Leider
sind solche Vorschriften nicht ein Allheilmittel. Unter dem Arbeitskörper
ist stets ein gewisser Prozentsatz minderwertiger Arbeiter vorhanden, die
aus Lässigkeit, Bequemlichkeit, ja sogar Böswilligkeit die gegebenen Vor.
Schriften außer acht lassen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, daß die For¬
derung des staubfreien Kehrens ein ganz scharfes, ja rücksichtsloses Vor¬
gehen gegen die lässigen Arbeiter verlangt, da sonst das natürliche Träg¬
heitsmoment im Arbeiter immer wieder zum Durchbruch kommt und sich
zum Ärger der Straßenpassanten in großen Staubwolken bemerkbar macht,
die unter dem Besen des Kehrers hervorquellen.
Digitized by LaOOQle
140 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
„Beim Reinigen mit der Kehrmaschine ist Staubaufwirbelung bei Auf¬
merksamkeit des Bedienungspersonals mit Sicherheit zu vermeiden. Die
neueren Maschinen sind meistens mit Wasserkessel und Spreng Vorrichtung
ausgerüstet und können die Reinigungsfläche vor dem Kehren in genügender
Weise annässen, um den vorhandenen Staub abzulöschen. Viele Städte
haben noch Kehrmaschinen ohne Sprengvorrichtung und sind infolgedessen
gezwungen, die Arbeitsfläche vor dem Kehren mit dem gewöhnlichen Spreng¬
wagen anzunässen. Es ist viel darüber geschrieben und gesprochen worden,
welche Kehrmaschine die zweckmäßigere sei, die mit, oder die ohne Wasser-
sprengvorrichtung, oder, wie man sie auch genannt hat: die nasse bzw. die
trockene Kehrmaschine. Beide Anschauungen sind berechtigt. Die An¬
forderungen an den Reinigungsdienst sind nicht in allen Städten die gleichen,
und was hier zweckmäßig und wirtschaftlich ist, braucht es dort noch nicht
zu sein. Dresden z. B. verwendet seit etwa 15 Jahren Kehrmaschinen mit
Sprengvorrichtung und fährt gut dabei. Ein Betrieb mit trockenen Maschinen
würde in Dresden die Reinigungskosten erhöhen. Trotzdem ist es mir ganz
einleuchtend, daß unter gewissen Verhältnissen ein Arbeiten mit trockenen
Maschinen, dem das Annässen mittels besonderer Sprengwagen voraus-
zugehen hat, sehr zweckmäßig sein kann. Insbesondere dürfte dies der
Fall sein bei starker Verschmutzung der Straßenfläche, oder wenn die Ver¬
schmutzungen lehmiger oder toniger Natur sind. Das Annässen hat ja nur
den Zweck, den Straßenschmutz so weit anzufeuchten, daß beim Zusammen¬
kehren weder Staub noch Schlamm entsteht. Kann man mit der nassen
Kehrmaschine dieser Forderung nachkommen, gut, so ist diese zu wählen,
iin anderen Falle hat man sich für die trockene Kehrmaschine mit beson¬
derem Sprengwagen zu entscheiden, da man es bei dieser in der Hand hat,
den Zeitpunkt und die Stärke der Straßenannässung dem Bedarf anzupassen.
„Es ist wiederholt angeregt worden, die gewöhnlichen Pflasterflächen
ohne Fugendichtung nicht, wie allgemein üblich, mit Hand oder Kehr¬
maschine zu säubern, sondern sie regelmäßig mit Wasser abzuspülen,
weil damit eine größere Staubfreiheit erzielt werden könne. Ich halte dies
Verfahren nicht für erforderlich, ganz abgesehen davon, daß bei unachtsamem
Arbeiten leicht ein Ausspülen der Fugen — also eine Schädigung der
Straßendecke — eintreten kann. Bei sorgfältiger Reinhaltung und reich¬
licher Besprengung können Pflasterflächen auf billigere Art ebensogut staub*
frei gehalten werden, wie durch Abspülen.
„Die Reinigungsarbeiten spielen sich fast allenthalben in folgender
Weise ab. Die Verkehrsflächen werden wöchentlich mehrere Male einer
gründlichen Hauptreinigung in allen ihren Teilen unterzogen, sei es durch
Hand-, Maschinen- oder Waschreinigung, und zwischen je zwei Hauptreini¬
gungen noch ein oder mehrere Male oberflächlich nachgereinigt (sogenannte
fliegende Reinigung). Je öfter die gründliche Reinigung erfolgt,
um so besser wird der gesamte Reinlichkeitszustand im all¬
gemeinen sein, und je Öfter nachgereinigt wird, um so sauberer
wird sich das Straßenbild zeigen. Gewiß wird die größere Zahl der
Reinigungen auch die Kosten erhöhen, aber man wird sich dem nicht ent¬
ziehen können, wenn man die Straßen rein und nach Möglichkeit staub¬
frei halten will. Daß übrigens eine große Zahl von Reinigungen durch-
Digitized by LaOOQle
Digitized by
Straßenkehrmaschine
mit selbsttätiger Kehrichtaufladevorrichtung, von der Kgl. Sachs. Feuerspritzenfabrik
(i. A. Händel in Dresden.
Digitized by
Google
Abbildung 3.
Die Bekämpfung des Staubes im Hause und auf der Straße.
141
aus nicht auch mit hohen Reinigungskosten verbunden sein muß, dafür kann
Dresden als Beispiel angeführt werden. In Dresden werden alle Straßen
täglich gründlich gereinigt (wöchentlich also siebenmal) und außerdem
wird noch der größte Teil der Flächen (etwa 85 Proz.) täglich 1 bis 12 mal
nachgereinigt. Dabei betragen die jährlichen Reinigungskosten für 1 qm
im Durchschnitt der vier Jahre 1901 bis 1904 nur 22,6 Pf. 1 ), ein Wert, der
in Anbetracht der hohen Arbeiterlöhne in Dresden eher niedrig als hoch zu
bezeichnen ist. Der entsprechende durchschnittliche Kostenwert für
die fünf Städte Berlin, Hamburg, Köln, Frankfurt a. M. und Leipzig zu¬
sammen beträgt 22,50 Pf., obwohl alle diese Städte weniger oft — und zum
Teil wesentlich weniger oft — reinigen als Dresden.
„Von besonderer Bedeutung für die Staubfrage ist es, ob Verunreini¬
gungen lange auf den Verkehrsflächen liegen bleiben, ehe sie von den
Reinigungsmannschaften entfernt werden. Je länger sie liegen bleiben, um
so sicherer werden sie zu Staub zerrieben. Das Streben jeder zielbewußt
arbeitenden Reinigungsverwaltung muß daher dahin gehen, die Verunreini¬
gungen sobald als möglich zu beseitigen. Ja, sie soll sogar noch weiter
gehen und dort, wo es erreichbar ist, dafür sorgen, daß die Verunreinigungen
nur an bestimmten Stellen abgeworfen werden oder noch besser, die Verkehrs¬
fläche gar nicht erreichen. Rußfreie Verbrennung, staubfreie Müllverladung
und Abfuhr sind daher Forderungen, die von jeder Reinigungsverwaltung
schon im eigenen Nutzen kräftig zu unterstützen sind.
„Das Bestreben, den Kehricht so schnell als möglich von der Reinigungs¬
fläche zu entfernen, hat in den letzten Jahren zum Bau von Maschinen Ver¬
anlassung gegeben, die nicht nur kehren, sondern such den Kehricht auf¬
sammeln. Die erste Sammel-Kehrmaschine, wie ich sie nennen will, die in
Deutschland zu praktischer Anwendung gelangte, ist die bekannte Salus-
maschine 2 ) der Kehrmaschinen-Gesellschaft „Salus“ in Rath bei Düsseldorf.
Die Maschine hat während der Deutschen Städteausstellung mehrere Monate
versuchsweise im Dresdener Reinigungsbetriebe gearbeitet. Das Ergebnis
hat aber nicht befriedigt aus Gründen, die anzugeben mich zu weit ab vom
Ziele führen würde. Ich habe aber den Eindruck gewonnen, daß sich mit
der Salusmaschine vielleicht doch noch gute Betriebserfolge erzielen lassen
werden, wenn sie einer Umarbeitung unterzogen würde, die den Betriebs¬
forderungen recht scharf Rechnung trägt.
„Seit fast zwei Jahren arbeitet eine andere Sammel-Kehrmaschine im
Dresdener Reinigungsbetriebe. Sie ist von der Königl. Sachs. Feuerspritzen¬
fabrik Händel in Dresden gebaut und hat sich seither zu guter Zufrieden¬
heit bewährt (vgl. Abb. 3 8 ). Bei der großen Bedeutung, die den Sarnmel-
Kehrmaschinen im Reinigungsbetriebe der Städte zukommt, wäre es sehr
erfreulich, wenn von den städtischen Reinigungsverwaltungen recht zahl¬
reiche Versuche mit ähnlichen Maschinen angestellt würden und die beteiligte
Industrie sich recht eifrig der praktischen Ausbildung von zweckmäßigen
Saromel-Kehrsystemen widmete. An guten Gedanken, die sich in die Praxis
l ) Im Jahre 1905 sind die jährlichen Reinigungskosten für 1 qm auf ‘20,3 Pf.
gesunken.
*) Zu vgl. Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege 1902, S. 135 f.
*) Vgl. auch Technisches Gemeindeblatt 1906, S. 161 f.
Digitized by tjOOQle
142 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
umsetzen lassen, ist, wie die Patentschriften zeigen, kein Mangel. Man
beachte aber, daß man von einer Maschine, die ein neues Kehrsystem ver¬
körpert, anfänglich nicht zu viel verlangen soll, eingedenk der Tatsache,
daß auch die wesentlich einfachere gewöhnliche Kehrmaschine nicht mit
einem Schlage, sondern erst im Laufe langer Jahre und durch die Mitarbeit
Vieler zu ihrer jetzigen Form vervollkommnet worden ist.
„Wo der Staub in ziemlichen Mengen auftritt, wie auf den beschotterten
und bekiesten Flächen, ist seine Beseitigung eine verhältnismäßig einfache
Aufgabe. Wenn auf Schotterstraßen bei trockenem Wetter der vorhandene
Staub oft abgekehrt wird, was allerdings mit Vorsicht, wenn möglich bei
Nacht, zu geschehen hat, und bei nassem Wetter von Zeit zu Zeit ein Ab¬
schlämmen in solchen Grenzen erfolgt, daß der Bestand der Decke nicht
gefährdet wird, daun kann man die Staubbelästigung auf solchen Straßen bei
sonst guter Straßenbesprengung wohl auf ein praktisch geringes Maß ab¬
mindern.
„Schwieriger ist es, den Staub überall dort zu beseitigen, wo er in geringen
Mengen auftritt, wo aber seine möglichst gründliche Beseitigung auch tags¬
über aus Verkehrsrücksichten und in Ansehung seines infektiösen Cha¬
rakters besonders wünschenswert erscheint. Überall, wo starker Verkehr flutet,
in den Zentren der Großstädte, auf den belebten Durcbgangsadern, in großen
öffentlichen Räumen, Bahnhofshallen usw., tritt solcher Staub auf. In feiner
Verteilung liegt er auf den Verkehrsflächen und ist bei trockenem, ruhigem
Wetter fast gar nicht mit dem Auge bemerkbar. Jeder leichte Windhauch
weht ihn aber in dünnen Schwaden über die glatten Gangbahnen und
Asphaltflächen, und jedes schneller fahrende Automobil zieht ihn im Luft¬
wirbel empor. Gegen solchen Staub gibt es jetzt nur ein Mittel: das Wasser.
Ein gründlicher Regen spült alles hinweg. Eine verkehrsreiche Straße läßt
sich aber tagsüber nicht mit Wasser abspülen, ohne daß erhebliche Verkehrs¬
belästigungen entstehen. Man hat daher in Dresden ein anderes Verfahren
eingeschlagen. Die Schnittgerinne der Asphalt- und Holzpflasterstraßen
werden an trockenen Tagen wiederholt mit Wasser ausgegossen, so daß sie
sich auf etwa l / 2 m Breite ständig feucht halten. Diese feuchten Streifen
sind die Fänger für den feinen Staub. Vollständig windstill ist es doch
sehr selten, schon der Verkehr bewirkt Luftströmungen, die den feinen Staub
treiben. In den nassen Schnittgerinnen bleibt er kleben.* Daß gerade die
Schnittgerinne die geeignetsten Stellen sind, um den Staub zu fangen, er¬
kennt man am besten im Winter bei leichtem Schneetreiben. Die Schnitt¬
gerinne werden zuerst zugeweht. Von Zeit zu Zeit werden die Gerinne naß
ausgebürstet, und das Schmutzwasser fließt in die Schleuse ab. Das Ver¬
fahren, das schon mehrere Jahre geübt wird, hat sich bewährt. Anfänglich
befürchtete man eine vorzeitige Zerstörung des Asphaltes in den feuchten
Gerinnen, aber die Befürchtung hat sich bis jetzt als grundlos erwiesen.
„Eine zweite Stelle, an der sich der feine Staub, besonders Wollfasern
und dergleichen, ansammeln, sind die Hauswinkel, das sind die einspringenden
Winkel an den Häuserfluchten. Dieser Staub ist am besten auf trockenem
Wege durch Borstenbesen zu beseitigen. Es hat dies Verfahren, das eben¬
falls in Dresden üblich ist, anfänglich wohl manchen Spott herausgefordert,
wenn die kräftigen Kehrer mit Borstenbesen, ähnlich wie jede Küchenfee,
Digitized by LaOOQle
Die Bekämpfung des Staubes im Hause und auf der Straße.
143
hantierten; aber es erfüllt seinen Zweck, und das ist doch schließlich die
Hauptsache.
„Recht wünschenswert erscheint es, den feinen Staub von den Straßen
durch Absaugemaschinen zu entfernen, wie sie für Innenzwecke schon länger
in Verwendung stehen. Leider ist es bis jetzt unmöglich gewesen, solche
Versuche auszuführen, da Staubsaugemaschinen für die Straßenreinigung
wohl schon auf dem Papiere konstruiert, aber meines Wissens noch nicht
im Handel erschienen sind. Und doch sind solche Maschinen für die
Straßenreinigung, besonders im Winter bei Barfrost, als ein Bedürfnis zu
bezeichnen.
„Schon zu Anfang meiner Worte habe ich darauf hingewiesen, welche
unangenehme und teilweise auch gefährliche Verunreinigung die mensch¬
lichen Spuckreste auf den belebten Großstadtgangbahnen bilden. Besonders
in der kalten Jahreszeit, wenn die Verwendung von Wasser zu den Reini¬
gungsarbeiten der Witterungsverhältnisse wegen notgedrungen auf ein Mini¬
mum eingeschränkt werden muß, wachsen sich diese Verschmutzungen zu
einer ganz häßlichen Begleiterscheinung großstädtischen Verkehrs aus. Es
ist eine verdienstliche Aufgabe, Mittel und Wege ausfindig zu machen, um
diese Verunreinigungen von den Verkehrsflächen fern zu halten oder sie
wenigstens so zu beschränken, daß ihre Unschädlichmachung gelingt, ehe
sie trocknen und vom Verkehr und vom Winde zerstäubt werden. Bei
den herrschenden Anschauungen ist es wohl als ausgeschlossen zu be¬
trachten, durch ein einfaches Verbot, auf die Gangbahnen zu spucken, wie
es in amerikanischen, englischen und französischen Städten bestehen soll,
erhebliche Besserung zu erzielen. Viel richtiger will es mir erscheinen, auf
das Publikum erzieherisch einzuwirken, ihm allmählich die Überzeugung
beizubringen, daß die Fernhaltung der Spuckreste von den Gangbahnen zu
seinem eigenen Wohl und Besten geschieht. Die Schule wird in diesem
Punkte einen sehr segensreichen Einfluß ausüben können. Wenn dann
gleichzeitig Einrichtungen geschaffen werden, die die örtliche Beschränkung
der Spuckreste in einer für den Verkehr recht bequemen, vor allen Dingen
ihn nicht belästigenden Weise ermöglichen, dann ist zu hoffen, daß
die jetzt bisweilen recht argen Verschmutzungen der Gangbahnen allmählich
verschwinden werden.
„Zwei Wege sind es, durch die sich eine örtliche Beschränkung der
Spuckreste erreichen läßt. Der eine Weg besteht darin, daß man die an
den Gangbahnen liegenden Abgesümpfe (Regenrohre, Tagewassereinläufe)
als Spucknäpfe ausbildet, indem man die Abdeckungen in geeigneter Weise
m&schenartig durchbricht 1 )* Solche Spucknäpfe — von der Firma Conrad
Meurer, Cossebande-Dresden — sind in Dresden an verkehrsreichen
Stellen schon seit einigen Monaten in größerer Zahl eingerichtet. Sie haben
den hoch anzuschlagenden Vorzug, daß das Publikum die Bedeutung der
Einrichtung, auch wenn die Bezeichnung Spucknapf nicht mit angebracht
wäre, sofort erkennt. Überall fallen auf Schritt und Tritt die durch¬
brochenen Deckel in die Augen; sie bilden gleichsam einen stillen Mahner
und werden dadurch sicher auf das Straßenpublikum in der gewünschten
Richtung einen erzieherischen Einfluß ausüben.
l ) Vgl. Technisches Gemeindeblatt 1906, S. 172.
Digitized by tjOOQle
144 XXXI. Versammlung d.D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
„In etwas anderer Weise kann man den beabsichtigten Zweck erreichen
durch Einrichtung besonderer Spuckflächen. Hierzu eignen sich recht gut
die Schnittgerinne neben den Gangbahnen. Dieselben sind immer feucht zu
halten, damit die Spuckreste nicht eintrocknen können, und müssen täglich
nach Bedarf einige Male mit Wasser, dem etwas Desinfektionsmittel zu¬
gefügt werden kann, ausgewaschen werden, in ganz ähnlicher Weise, wie
dies z. B. in Dresden mit den Schnittgerinnen an den Asphaltstraßen aus
anderem Grunde schon geschieht. Man wird bei diesem Verfahren, wenn
etwas erreicht werden soll, allerdings nicht darauf verzichten können, einen
leichten Druck auf die Öffentlichkeit auszuüben, sei es es durch ein mehr
förmliches Verbot, auf die Ganghahn zu spucken, sei es durch Schilder und
Aufschriften, die entsprechende Anweisungen geben. Andererseits ist das
Verfahren für den Verkehr nahezu ohne alle Belästigung, und das ist von
nicht zu unterschätzender Bedeutung, denn die Bequemlichkeit der Massen
ist ein großer Feind des Fortschrittes. Auch werden die Spuckreste, wenn
sich das Verfahren erst eingeleht hat, voraussichtlich mit größerer Sicherheit
von den Ganghahnen ferngehalten werden können, als hei den Spucknäpfen,
hei denen doch immer ein Teil der Verunreinigungen unbeabsichtigt nicht
durch die Maschen, sondern daneben auf die Ganghahnen fallen kann.
„Ehe ich das Gebiet der Straßenreinigung verlasse, muß ich noch zweier
Arbeitsleistungen gedenken, die scheinbar in etwas loserem Zusammenhänge
mit der Staubfrage stehen: der Kehrichtahfuhr und der Kehrichtunterbringung.
„Wenn auch jede zielbewußt vorgehende Staubbekämpfung ihre Haupt¬
aufgabe darin erblicken wird, die Verkehrsflächen möglichst frei von Staub
und 8tauberzeugenden Verunreinigungen zu halten, so darf sie es hei der
bloßen Beseitigung dieser Stoffe nicht bewenden lassen, sie muß im Gegen¬
teil auch weiter besorgt sein, daß die gesammelten Mengen nicht wieder auf
dem Wege nach dem Abladeplatz und auf diesem selbst zu erneuten Staub-
helästigungen Anlaß gehen können. Man wird in erster Linie danach zu
streben haben, daß die Kehrichtmassen nur in geschlossenen, staubsicheren
Wagen abgefahren werden, und wenn solche Wagen nicht zur Verfügung
stehen, wird man zum mindesten verlangen müssen, daß der Kehricht auf
den Wagen stets in feuchtem Zustande erhalten und genügend abgedeckt wird.
„Die hygienisch beste Vernichtung der staubhaltigen Kehrichtmengen
ist die Verbrennung; leider ist sie auch gewöhnlich die teuerste. Gegen
die Verwertung des Kehrichts in der Landwirtschaft oder zur Auffüllung
von Brachland sind Bedenken nicht zu erheben, solange Gewähr gegeben
ist, daß damit gesundheitliche Schädigungen nach jeder Richtung hin als
ausgeschlossen gelten können. —
„Das dritte Hauptmittel, das uns im Kampfe gegen den Staub zur Ver¬
fügung steht, und das als das gebräuchlichste allenthalben verwendet wird,
ist die Wasserbesprengung.
„Wohl kein Zweig des städtischen Reinigungswesens — und ich spreche
aus langjähriger Erfahrung — hat sich in solchem Maße der eifrigsten Kritik
des Publikums zu erfreuen, als gerade das Besprengungswesen. Dem einen
wird zu wenig, dem anderen zu viel, dem dritten zn zeitig, dem vierten zu
spät gesprengt, der eine beklagt sich, daß die Straßen von Wasser schwimmen,
der andere nennt die Besprengung nur einen Tropfen auf den heißen Stein,
Digitized by LaOOQle
Die Bekämpfung des Staubes im Hause und auf der Straße. 145
kurz, man kann es machen, wie man will, immer ist es für den oder jenen
nicht richtig gemacht. Wenn alle diejenigen, die sich mit Recht oder Un¬
recht über die Straßenbesprengung beklagen, wüßten, mit welcher Mühe, mit
welchem großen Aufwande an Zeit und Arbeit die Leitung und Überwachung
eines ausgedehnten Sprengbetriebes für die verantwortlichen Beamten ver¬
bunden ist, wie die wohlvorbereiteten Anordnungen oftmals im letzten Augen¬
blicke der Witterung wegen abgeändert und durch andere ersetzt werden
müssen, wenn sie sich überzeugen wollten, daß ein ausgedehnter Spreng-
betrieb, der mit einer großen Schar von ganz gewöhnlichen, einfachen Ar¬
beitern und Kutschern arbeitet, bis zu einem gewissen Grade schematisiert
sein muß, wenn er nicht versagen soll, sie würden dann wohl manches Mal
mit ihrem raschen Urteil, das gewöhnlich wie eine Verurteilung klingt,
zurückhalten.
„Der vornehmste Zweck der Wasserbesprengung ist die Staublöschung,
in zweiter Linie ist sie aber auch erwünscht, um luftreinigend und erfrischend
zu wirken. Schon aus letzterem Grunde wird die Besprengung nie ganz
entbehrt werden können, selbst wenn sich die Staubentwickelung unserer
Straßen aufs äußerste vermindern ließe. Die Asphaltstraßen sind im all¬
gemeinen unsere staubfreiesten Straßen; wollte man aber an heißen Tagen
diese Straßen ohne Besprengung lassen, so würde dies mit Recht einen Sturm
der Entrüstung hervorrufen. Dem Publikum kann gerade an heißen Tagen
gar nicht genug Wasser auf den Asphaltstraßen verspritzt werden.
„Wann und wie stark soll gesprengt werden? Das sind zwei Fragen,
die scheinbar so leicht zu beantworten sind, die aber in der Praxis gewöhn¬
lich die meisten Schwierigkeiten verursachen. Immer ausgehend von dem
Grundgedanken, daß Verhüten besser als Heilen ist, muß es das Ziel jeder
vorwärts strebenden Verwaltung sein, die Staubbildung schon im Entstehen
zu unterdrücken. Wenn der Staub bereits in Mengen vorhanden ist und es
nur des Windes bedarf, um ihn aufzuwirbeln, dann ist der richtige Zeit¬
punkt längst vorüber. Die Besprengung muß viel früher einsetzen, zu einer
Zeit, die vom Laien gar oft als zu früh bezeichnet wird. Wenn die Schotter¬
und Kiesbahnen und die Sandfugen der Pflasterstraßen auszutrocknen beginnen,
dann ist der richtige Zeitpunkt da, denn dann verfließt erfahrungsgemäß
bei gleichbleibender Witterung nur noch eine kurze Spanne Zeit bis zur
beginnenden Staubbelästigung. Nun freilich läßt sich dieser Zeitpunkt in
der Praxis nicht immer scharf einhalten. Die Witterung ändert sich gar
oft plötzlich und unvermittelt. Stets auf solche Möglichkeiten gerüstet zu
sein, hieße aber über das Ziel weit hinausschießen. Der Sprengapparat einer
größeren Stadt läßt sich nicht in steter Gebrauchsbereitschaft halten, etwa
wie der Apparat der Feuerwehr; das würde die Kosten des Sprengbetriebes
in einem Maße erhöhen, daß sie ganz außer allem Verhältnis zu dem erzielten
Erfolge stehen würden. In den meisten Städten ist die Bespannung der
Sprengwagen an Unternehmer vergeben, und es bedarf stets einer gewissen
Zeit, ehe von diesen Unternehmern die Geschirre und Kutscher verfügbar
gemacht sind und der Betrieb beginnen kann. An diesen Verhältnissen
wird auch nichts geändert, wenn die Gemeinde ihre eigenen Pferde ver¬
wendet, ja die Verhältnisse können sich in diesem Falle noch verschärfen.
Besser wird es voraussichtlich erst werden, wenn der automobile Antrieb
VtertaUabraachrift für Gatundbaitapflage, 1907. jq
Digitized by LaOOQle
146 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
der Sprengwagen eingeführt sein wird. Automobile Sprengwagen können
— zweckmäßige gute Bauart vorausgesetzt — stets in Gebrauchsbereitschaft
gehalten werden, ohne daß dadurch ein besonderer Aufwand erwächst. Wie
hoch die Kosten des automobilen Betriebes insgesamt ausfallen werden, das
muß vorläufig abgewartet werden. Ich habe die Überzeugung, daß der auto¬
mobile Sprengwagen bei recht geschickter, zweckmäßiger Verwendung im
Reinigungs- und Sprengdienste schon jetzt mit dem Pferdesprengwagen in
Wettbewerb treten kann. Für den auf Schienen laufenden, elektrisch an¬
getriebenen Motorwagen ist dies schon längst erwiesen.
„Es ist leider noch vielfach die Ansicht verbreitet, daß beim Sprengen
besondere Unterschiede zwischen den verschiedenen Arbeitsflächen nicht zu
machen sind. Das ist eine falsche Anschauung. Wie bei der Reinigung,
so sind auch beim Sprengdienste die Straßen ganz individuell zu behandeln»
sowohl was die Stärke der Annässung, als die Zahl der täglichen Bespren¬
gungen anlangt. Asphalt braucht nicht so viel Wasser zur Staublöschung
wie Steinpflaster und dieses nicht so viel wie Schotter- und Kiesbahnen.
Verkehrsreiche, zugige, sonnige Strecken sind öfter zu sprengen als ruhige,
stille und schattige Lagen. Die Anforderungen wechseln auch mit dem
Wetter und mit der Jahreszeit. In Dresden ist z. B. die Sprengstärke so
geregelt, daß bei einmaliger Besprengung auf 1 qm Sprengfläcbe entfällt:
bei Asphalt etwa % Liter, bei Steinpflaster */$ bis 2 / 3 Liter, bei Schotter
und Kies 2 / 3 bis 1 Liter Wasser, während die Zahl der Besprengungen, ab¬
gesehen von einzelnen Ausnahmen, zwischen 1 und 6 schwankt. Eine derart
individuelle Behandlung der Straßen verlangt aber nicht nur ein sehr gut
geschultes und verständnisvolles Personal, sie setzt auch Sprengwagen voraus,
bei denen der Wasserauslauf in verschiedener Stärke leicht geregelt werden
kann. Die Brausekörper der Sprengwagen sind in den letzten Jahren sehr
vervollkommnet worden, doch sind in vielen Städten noch mancherlei Brause¬
vorrichtungen aus früheren Jahren vorhanden, die man jetzt als veraltet
ansieht. Ein guter, zweckmäßiger Brausekörper soll gestatten, den Wasser¬
auslauf in mindestens drei verschiedenen Stärken einzustellen, ohne daß aber
dabei die geringere Ausflußmenge durch Druckhöhenverlust erzielt wird, der
die Sprengbreite mindert. Aus Verkehrsrücksichten ist außerdem zu ver¬
langen, daß die Absperrung des Wasserzuflusses leicht und bequem handlich
sei. Im allgemeinen ist besonders Wert darauf zu legen, daß die Hand¬
habung des Sprengwagens nicht zu umständlich wird, weil sonst die Gefahr
nahe liegt, daß die schönen Einrichtungen im Betriebe unausgenutzt bleiben.
Bei dem jetzt noch überall üblichen Pferdebetriebe ist der Kutscher schon
sehr beschäftigt, wenn er den Sprengwagen auf verkehrsreicheren Straßen
zu führen hat. Mutet man ihm zu viel zu, besonders unbequeme Hand¬
habung der Sprengvorrichtung, so ist fast mit Sicherheit daraufzu rechnen, daß
er die Vorschriften außer acht läßt und nur das tut, was ihm am bequemsten
liegt. Der automobile Antrieb der Sprengwagen wird auch in dieser Hin¬
sicht zu Verbesserungen des Sprengbetriebes führen. Ich muß mir jedoch
versagen, an dieser Stelle näher darauf einzugehen.
„Die Erkenntnis, daß die Höhe der jährlichen Sprengkosten sich fast
genau ändert mit der Zahl der Besprengungen, bat vielfach aus Ersparnis¬
bestrebungen dazu verleitet, die Zahl der Besprengungen recht niedrig zu
Digitized by LaOOQle
Die Bekämpfung des Staubes im Hause und auf der Straße. 147
halten und znm Ausgleich dafür bei der Besprengung recht viel Wasser zu
verwenden, damit die Straßen sich um so länger feucht halten. Wirtschaft¬
lich kann ein solches Verfahren nicht genannt werden. Wenn auch bei
Asphalt- und Pflasterbahnen ein übermäßig starkes Besprengen nicht gerade
Schaden an der Straße anrichtet, so nützt es andererseits auch fast gar
nichts, da das überschüssige Wasser sehr rasch in die Schleuse abfließt. Bei
Schotterstraßen wirkt aber eine zu starke Besprengung schädigend. Die
Deckschicht wird durch das viele Wasser in eine Schlammasse verwandelt,
der Schlamm bleibt an den Rädern kleben, und die Straße reißt auf, wie
der technische Ausdruck lautet. Der Steinverband wird gelockert, und die
Straße leidet ohne Zweifel. Zur Vermeidung dieser Nachteile ist zu ver¬
langen, die Schotter- und Kiesbahnen nur so viel anzunässen, daß Schlamm¬
bildung vermieden wird. Eine solche leichte Besprengung wird allerdings
nicht so lange Vorhalten als eine Einschwemmung der Straße. Hält man
sie für ungenügend, so muß eben. die Zahl der Besprengungen vermehrt
werden. Dieser Weg ist immer noch der wirtschaftlichere, denn durch über¬
mäßiges Einschwemmen kann eine gute Schotterbahn sehr bald so geschädigt
werden, daß die Kosten der Ausbesserungsarbeiten die gesamten jährlichen
Sprengkosten um ein Vielfaches übersteigen.
„Das übermäßig starke Besprengen ist auch in betrieblicher Hinsicht
als unwirtschaftlich zu bezeichnen. Je öfter der Sprengwagen wieder ge¬
füllt werden muß, um so länger wird er dem eigentlichen Sprengdienst
entzogen, um so geringer ist seine Leistung, um so teurer der Betrieb.
Bei den Asphaltstraßen geschieht das Einschwemmen (aber wohl gemerkt,
das für die Staublöschung, nicht das für die Reinigung) vielfach in der Ab¬
sicht, um den Staub wegzuspülen. Das Verfahren hat eine gewisse Berechti¬
gung, ist aber doch von minderem Wert. Bei stärkerer Verschmutzung wird
nur ein geringer Teil derselben weggespült, und das Wasser ist ziemlich
nutzlos verwendet, wenn nicht sofort nach der Besprengung die Fläche von
der Reinigungskolonne mit dem Gummischrubber abgeschoben wird, was
sich, abgesehen von finanziellen Gründen, tagsüber meistens auch aus Ver¬
kehrsrücksichten verbietet. Ist aber die Asphaltfläche nur gering verschmutzt,
so genügt auch eine leichte Besprengung, um den vorhandenen Staub zu
löschen. Oft mit wenig Wasser sprengen ist daher zweckmäßiger und wirt¬
schaftlicher, als weniger oft, aber mit viel Wasser sprengen.
„Bei heißem Wetter stößt die Forderung, die Schotter- und Kiesbahnen
und die Sandfugen der Pflasterstraßen möglichst andauernd in erdfeuchtem
Zustande zu erhalten, auf grüße praktische Schwierigkeiten. Man muß in
solchem Falle die Zahl der Besprengungen erheblich über das übliche Maß
vermehren, und dies bedingt wieder eine beträchtliche Vergrößerung des
Sprengwagenparkes. Eine solche Vergrößerung ist aber aus betrieblichen
und finanziellen Gründen höchst unerwünscht. Einesteils, um sie zu um¬
gehen, anderenteils in der Absicht, die Besprengungsarbeiten zu verbilligen,
hat man wiederholt versucht, die gewöhnliche Wasserbesprengung nach¬
haltiger zu gestalten durch Vermischung des Sprengwassers mit Chemi¬
kalien, die durch ihre hygroskopischen und sonstigen Eigenschaften die be¬
sprengte Fläche länger im feuchten Zustande erhalten als reines Wasser.
Es sind Versuche angestellt worden mit Kochsalz (NaCl), Chlorcalcium
10 *
Digitized by LaOOQle
148 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
(CaCl 2 ), Glycerin, Abfallaugen, ölen, Ölemulsionen und ähnlichen Stoffen
mehr. Bei derartigen Versuchen ist Vorsicht am Platze. Man muß ver¬
langen, daß alle Stoffe, die beim Austrocknen und Verstäuben gesundheits¬
schädigend auf die Straßenpassanten einwirken können, grundsätzlich von
allgemeiner regelmäßiger Verwendung ausgeschlossen bleiben. Für Koch¬
salz und Chlorcalcium kann man wohl ohne weiteres annehmen — es ist
auch teilweise erwiesen—, daß sie bei fortdauernder Verwendung auf der Straße
den Gesundheitszustand der Menschen ungünstig beeinflussen. Ob Abfall¬
laugen, Glycerin, öl und Ölemulsionen ebenfalls schädigend wirken können,
darüber liegen anscheinend Erfahrungen oder Untersuchungen noch nicht
vor. Bei dem in der Gegenwart immer weiter um sich greifenden Bestreben,
die Staubbildung durch Behandlung der Straßenflächen mit allen möglichen
chemischen Stoffen zu unterdrücken, muß es als höchst wünschenswert und
zeitgemäß bezeichnet werden, Versuche darüber anzustellen, ob derartige
Stoffe, die in ziemlichen Mengen auf die Straße gebracht werden, unsere
Gesundheit zu beeinträchtigen vermögen. Ich habe das Gefühl, daß die
pathogenen Eigenschaften des Straßenstaubes, abgesehen von den in ihm
enthaltenen Bakterien, auch verschieden sind nach der Art und Beschaffenheit
des Staubes selbst, besonders wenn er wasserlösliche Beimengungen enthält.
„Mit Chlorcalcium und Glycerin sind in Dresden Versuche angestellt
worden, haben aber zu einem günstigen Ergebnis nicht führen können, weil
die Verwendung dieser Stoffe zu teuer erscheint. Selbst wenn man bis zu
einprozentigen Lösungen herabgeht, die schon an der Grenze stehen, an der
noch ein Einfluß des Salzgehaltes zu bemerken ist, stellen sich die Kosten
bei Chlorcalcium etwa fünfmal und bei Glycerin sogar 20 mal höher als bei
der gewöhnlichen Wasserbesprengung. Chlorcalcium ist auch in stärkeren
Lösungen versucht worden, und zwar in 10-, 20- und ÖOproz. Lösungen.
Die Wirkung betrug bei diesen außergewöhnlich starken Mischungen etwa
zwei, vier und sieben Tage, sie würde aber wahrscheinlich nicht so groß
gewesen sein, wenn die Versuche nicht — aus Gründen der Vorsicht — auf
einer abgelegenen, nahezu verkehrsfreien, sondern auf einer verkehrsreichen
Straße angestellt worden wären.
„Wesentlich vorteilhafter erweist sich die Verwendung von dünnen Öl¬
emulsionen. Das Westrumitöl hat sich zwar bisher trotz aller Versuche und
Bemühungen im regelmäßigen Betriebe nicht in 1-bzw. l /sproz.Lösungen
verwenden lassen, weil in so schwachen Lösungen seine Emulsionskraft aus
unbekannten Gründen gewöhnlich versagt, aber andere öle, wie z. B. Antistof,
Standutin u. a.m., lassen sich ohne Schwierigkeiten in 7a* und lproz. Mischungen
verwenden. Mit den schwachen Ölemulsionen läßt sich die Wasserbespren¬
gung, besonders der Schotter- und Kiesbahnen, in wertvoller Weise unter¬
stützen und der Sprengbetrieb im Bedarfsfälle entlasten. Die Kosten einer
einmaligen Besprengung mit Wasser bzw. mit einer 1 proz. Lösung von
Westrumit oder Antistof stehen in Dresden etwa im Verhältnis wie 1:12,
d. h. die 1 proz. ölbesprengung ist etwa 12 mal teurer als die Wasserbespren¬
gung. Dabei ist aber zu beachten, daß die ölbesprengung zwei- bis dreimal
so lange vorhält als die Wasserbesprengung, besonders wenn die
Straßenfläche sohon etwas geölt ist. Die lproz. Ölbesprengung er¬
setzt also etwa eine zwei- bis dreimalige Wasserbesprengung. Erfordert
Digitized by LaOOQle
Die Bekämpfung des Staubes im Hause und auf der Straße.
149
beispielsweise eine Straße für gewöhnlich täglich eine viermalige Bespren-
gung, so kann unter günstigen Verhältnissen die Zahl der Besprengungen
um die Hälfte vermindert, also auf zwei herabgesetzt werden, wenn die eine
dieser beiden Besprengungen mit einer lproz. Öllösung ausgeführt wird.
Die Staubunterdrückung wird dabei besser sein als bei der gewöhnlichen
viermaligen W&sserbesprengung. Das Verfahren ist zwar immer noch etwa
vier- bis fünfmal teurer als die gewöhnliche Wasserbesprengung, aber es
entlastet den Sprengbetrieb ganz wesentlich, was besonders in heißen
Sommern mit starkem Wassermangel sehr wertvoll sein kann.
Außerdem wird der Straßenoberfläche allmählich und ganz gleichmäßig eine
ziemlich große ölmenge zugeführt (an 100 Sprengtagen etwa 1 kg öl auf
1 qm), durch welche die früher besprochene Verbesserung der Straßendecke
gleichsam als Nebenleistung erreicht wird.
„Von allem Staub, der im Kreisläufe eines Jahres auf den Straßen auf-
tritt, ist am schwersten • zu bekämpfen der Staub in der kalten Jahreszeit,
wenn trockenes, starkes Frostwetter die Verwendung von gewöhnlichem
Wasser nahezu zur Unmöglichkeit macht. Nicht nur die Schotterstraßen,
auch die gewöhnlichen Pflasterstraßen können zu solchen Zeiten in der
ärgsten Weise verstauben, wenn nicht die Straßenreinigung durch außer¬
gewöhnliche Anstrengung dem entgegenarbeitet. Solche Barfrosttage sind
die schlimmsten Tage im ganzen Jahre für einen geordneten Reinigungs¬
betrieb. Der Sand und Staub quillt förmlich an solchen Tagen aus den
Pflasterfugen in immer neuen Massen hervor, und der Tageskehricht steigt
auf ein Vielfaches der gewöhnlichen Menge. In Dresden ist schon die fünf¬
fache Menge beobachtet worden. An solchen Barfrosttagen muß, um den
Staub wenigstens einigermaßen zu bändigen, zu Mitteln gegriffen werden, die
man im allgemeinen nicht gern verwendet, nämlich zu den Salzlösungen, aber
nicht aus dem Grunde, weil sie länger Vorhalten, sondern weil sie schwerer als
reines Wasser gefrieren. Die Gefrierpunkte solcher Lösungen sinken mehr
und mehr mit der Stärke der Lösungen, wie die nachfolgende Tabelle zeigt.
Gefrierpunkte verschiedener Lösungen. Der Gefrierpunkt liegt:
I unter Verwendung von
Für eine Lösung _- . ____
in Stärke von |
i
I Kochsalz bei
Chlorcalcium *)
bei
Glycerin bei
Proz.
| °C
°C
°C
0,5 '
— 0,3 j
- 0,2 |
L° j
- 0,6
— 0,4 |
zwischen 0°
1,5
— 0,9
- 0,6
* und — 1° C
2,0 1
- 1,2 ,
— 0,9 1
5,0
- 2,9 i
- 2 ’ 4
10,0 |
- 6,1
- 5,8
- i,o
15,0
— 9,7
— 11,0 |
— 1,5
20,0
— 13,6
. “18,5
— 2,5
30,0
ca. —21,0
! 1
— 6,0
40,0
—
' 1
— 17,0
50,0
_
1 I
— 31,0
l ) Wasserfreies geschmolzenes Chlovcalcium.
Digitized by LaOOQle
150 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
„Ob auch wässerige Ölemulsionen sich verwenden lassen und zweck¬
mäßig sind, bedarf erst noch des Nachweises. Unwahrscheinlich erscheint
es nicht.
„Alle diese Mittel Bind jedoch aus den schon angeführten Gründen nur
als ein Notbehelf anzusehen. Das beste bleibt immer, den Staub durch
peinlichste Reinigungstätigkeit so gründlich als möglich zu beseitigen.
Dabei wird man Entstäubungsmaschinen, die den Staub von der Straßen¬
fläche absaugen, gleichviel ob mit Vakuum oder mit Preßluft, nach meiner
Ansicht recht zweckmäßig und nutzbringend verwenden können. Leiderbietet
die Industrie solche Maschinen noch nicht für Straßen zwecke, während sie
für häusliche Innenzwecke sich schon fast eingebürgert haben. Aber es ist
zu hoffen, daß diesem Mangel in absehbarer Zeit abgeholfen werden wird,
und dann wird auch die Möglichkeit gegeben sein, die Staubplage der
kalten Jahreszeit, die besonders gesundheitsschädigend wirkt, mehr und
mehr einzudämmen zum Segen der Allgemeinheit. —
„Ich habe Ihnen hiermit in großen Zügen ein Abbild gezeichnet von
den Bestrebungen und Maßnahmen, die geboten erscheinen, um die Staub¬
bildung auf der Straße mehr als bisher niederzuhalten. Damit sind gleich¬
zeitig die Grundlagen gegeben, auf denen eine zielbewußte und erfolgreiche
Staubbekämpfung im Hause sich aufbanen muß. Ich werde mich daher
bei Besprechung dieser Frage wesentlich kürzer fassen können, nicht, weil sie
unwichtiger ist als die Staubfrage auf der Straße, nein, sondern weil beide
Fragen in ihrem Grundaufbau sich nahezu vollständig decken und erst in
ihrer äußersten Verzweigung etwas voneinander abweichen.
„Der größte Teil des im Hause auftretenden Staubes — von ge¬
werblichen Anlagen spreche ich nicht, da sie nicht in den Rahmen dieses
Vortrages gehören — ist nichts weiter als gewöhnlicher Straßenstaub,
der teils vom Winde durch die Fenster und Türen hereingeweht, teils
vom Verkehr eingeschleppt wird. Wer ein aufmerksames Auge auch
für die kleineren Vorgänge in seiner Wohnung hat, kann sich fast täg¬
lich davon überzeugen, und wer sein Heim an einer recht staubreichen
Schotterstraße atifgeschlagen hat, dem wird die Wirklichkeit in eindring¬
licher, aber auch recht unliebsamer Weise den Beweis dafür liefern.
Welche Plage der Straßenstaub für die Wohnungen ist, das brauche ich
nicht besonders hervorzuheben, jede Hausfrau weiß das nur zu gut aus
eigener Erfahrung.
„Mit dem Tage, an dem die Staubfrage auf der Straße gelöst ist, wird
sie in der Hauptsache auch im Hause als gelöst gelten können. Zwar wird
selbst dann noch, wenn die Straßen gänzlich staubfrei gehalten werden
könnten, was praktisch unmöglich ist, in den Wohnungen, in den Schulen,
in öffentlichen Versammlungs- und Aufenthaltsräumen, in den Eisenbahn¬
wagen usw. ein Rest von Staub zu bekämpfen sein, der nicht von der Straße
stammt, der in den Räumen selbst durch den Verkehr entsteht, aber dieser
Rest ist seiner Menge nach gering, und zu seiner Beseitigung reichen die
jetzt bekannten Mittel und Verfahren aus, wenn man nicht übertriebene
Anforderungen stellt und wenn nicht, wie in Krankenhäusern und Heil¬
anstalten, in Zeiten schwerer Epidemien usw. die allerhöchsten Forderungen
berechtigt sind.
Digitized by LaOOQle
Die Bekämpfung des Staubes im Hause und auf der Straße. 151
„Auf den Straßen war es die Straßendecke, in den bewohnten nnd
öffentlichen Räumen ist es die Fußbodenbefestigung, der die erste Aufmerk¬
samkeit zuzuwenden ist. Die Wahl der geeignetsten Fußbodenbefestigung
je für den besonderen Zweck ist gewöhnlich keine ganz leichte Aufgabe
für den Architekten. Nur zu oft wird eine Wahl getroffen, die in hygie¬
nischer und reinigungstechnischer Hinsicht nicht glücklich zu nennen ist,
wenn sie auch vielfach aus anderen zwingenden Gründen, gewöhnlich solchen
finanzieller Art, nicht zu umgehen war.
„Soll eine gute Staubbeseitigung erreicht werden, so ist in erster Linie
zu verlangen, daß der Fußboden möglichst fugenlos ist, sich gering abnutzt
und gründliche Reinhaltung durch Abwaschen in bequemer Weise zuläßt.
Er soll außerdem wasserundurchlässig sein, damit nicht das Schmutzwasser
bei der Reinigung eindringen kann. Für abgeschlossene Räume, wie Bureaus,
Schulräume, Wohnräume, sind das Linoleum und ähnliche nahezu fugenlose
undurchlässige Stoffe als vorzüglicher Fußbodenbelag anzusehen, während
sich für Verkehrsräume mit halboffenem Charakter, wie Hallen, Durchgänge,
Treppen und Fluren, harte, dichte Befestigung aus Fliesen, Platten,
Asphalt und ähnlichen Stoffen besser eignet. Besonders unzweckmäßig für
Räume mit stärkerem Verkehr ist die Dielung aus weichem Holz, und doch
ist gerade diese Fußbodenbefestigung ihrer Billigkeit halber sehr viel ver¬
wendet. Es ist im Verkehr gar nicht zu vermeiden, daß die Dielung all¬
mählich rauh und splitterig wird und dann dem Staub und Schmutz beste
Gelegenheit gibt, sich in ihren Unebenheiten, Rissen und Spalten festzusetzen.
Eine gründliche Reinigung des gewöhnlichen Dielenbelags ist umständlich,
zeitraubend und nicht besonders billig. Hierin dürfte auch wohl die Er¬
klärung zu suchen sein, daß öffentliche Verkehrsräume mit Holzdielung
gewöhnlich so selten naß gereinigt werden. Man begnügt sich meistens mit
einem wöchentlich ein- oder mehrmaligen trockenen Auskehren und reinigt
im übrigen gründlich mit Seife, Bürste und Wasser nur in größeren Zeit¬
abschnitten, vielleicht im Jahre vier- oder sechsmal. Eine solche Reinigungs-
weise, wie sie leider noch vielfach in Verkehrsräumen und auch in Schulen
geübt wird, erscheint nicht geeignet, der Staubbildung erfolgreich entgegen¬
zuarbeiten. Wenn man schon auf der Straße von der Straßenreinigung
staubfreies Kehren verlangt, so sollte erst recht in geschlossenen Verkehrs¬
räumen das trockene, staubaufwirbelnde Kehren unbedingt verpönt sein.
Mit dem trockenen Kehren beseitigt man nur die festeren schweren Ver¬
unreinigungen, der feine leichte Staub, und das ist gerade der gefährliche
Staub, wirbelt beim Kehren lustig in die Höhe, um sich erst später wieder
auf den Fußboden und die Möbel niederzusenken. Nur ein nasses oder
wenigstens feuchtes Aufwischen beseitigt den feinen Staub in genügender Weise.
Solange nicht bessere Verfahren zur Staubbeseitigung erfunden sind, solange
ist anzustreben, daß die Fußböden in Verkehrsräumen mindestens einmal
täglich auf nassem Wege gereinigt werden. Gewiß wird ein solches Verfahren
höhere Kosten verursachen, die z. B. für Schulen eine ziemliche Höhe er¬
reichen mögen, aber dem wird man sich auf die Dauer nicht entziehen
können. Es ist ein Irrtum, wenn man glaubt, daß den hygienischen Forde¬
rungen entsprochen werden kann, ohne daß vermehrte Unkosten entstehen.
In jeder, auch der einfachsten Familie, wenn sie nur einigermaßen Sinn für
Digitized by LaOOQle
162 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
Reinlichkeit hat, wird es als ganz selbstverständlich betrachtet, daß die be¬
nutzten Räume täglich naß aufgewischt werden, und es ist recht gut, daß
solche Anschauungen in den breitesten Schichten des Volkes herrschen. Um
so weniger ist es zu verstehen, daß solche in der Häuslichkeit ganz selbst¬
verständliche Reinlichkeit in Verkehrsräumen meistens nicht geübt wird.
„Ähnlich wie auf den Straßen, versucht man schon seit längeren Jahren
auch die Fußböden, besonders Holzfußböden in Schulzimmern, Läden,
Bureaus usw. durch Behandlung mit sogenannten Staubölen möglichst staub¬
frei zu halten. Man verwendet verschiedene öle, z.B. Dustlessöl, Floricin,
deutsches Fußbodenöl, Westrumit, Standutin u. a.m. Wenn das ölen
in angemessenen Zwischenräumen wiederholt wird, so ist die Staubbindung
eine befriedigende. Aller auf dem Boden sich absetzende Staub klebt an dem
öligen Überzug fest und wird ebenso wie der am Boden liegende Schmutz
vom öl durchtränkt. Ein Wiederverstäuben des Schmutzes ist fast aus¬
geschlossen, und zudem stäubt öliger Staub infolge der klebenden Adhäsion
seiner Teilchen bei weitem nicht so leicht wie gewöhnlicher Staub.
„Die Ansichten über das Ölen der Fußböden sind immer noch sehr
geteilt. Manche halten die Nachteile der öle, die hauptsächlich darin be¬
stehen, daß sie den Fußboden verschmieren und unschön färben, Kleider
und auf den Boden fallende Gegenstände beschmutzen und mitunter auch
etwas unangenehmen Geruch entwickeln, für so beachtlich, daß sie der
ganzen Frage ablehnend gegenüberstehen. Andere wieder sind außerordent¬
lich für das Ölen eingenommen. Das ölen verbessert jedenfalls die Reini¬
gungsmöglichkeit alter, schlechter Holzfußböden und ist in diesem Sinne als
ein Fortschritt auf dem Wege der Staubbekämpfung zu bezeichnen. Leider
ist noch vielfach die irrtümliche Ansicht verbreitet, daß das Ölen der Fu߬
böden nicht nur staubverhindernd wirkt, sondern auch die Reinigungs¬
arbeiten verringert und verbilligt. Es ist dies eine ganz ähnliche Erschei¬
nung, wie sie sich auch bei der ölbesprengung auf der Straße gezeigt hat*
Auch da hieß es anfänglich — und besonders viel trug die beteiligte In¬
dustrie dazu bei —, die ölbesprengung verbilligt und ersetzt die Wasser-
besprengung, während dies doch in Wirklichkeit ganz und gar nicht der
Fall ist. Ebenso soll die Fußbodenölung die Reinigungsarbeiten nur unter¬
stützen und verbessern, sie soll sie aber nicht verringern. Trotz Ölung ist
das Verlangen aufrecht zu erhalten, die Räume täglich naß zu wischen, sonst
bedeutet das Ölen keinen Fortschritt, eher einen Rückschritt.
„Man hat das öl auch verwendet, um einen besseren Ersatz för die früher
zur Staubunterdrückung beim Kehren viel benutzten feuchten Sägespäne zu
erhalten, indem man Sand, Sägespäne oder Holzmehl mit öl tränkte. Alle diese
Mittel, Kehrsand, Kehrspäne, Ibis, Verrin, Lignolstreu usw., wie
sie im Handel heißen, sind zwar ganz zweckmäßig, um das Staubaufwirbeln
beim Kehren möglichst zu vermeiden, sie können aber ebensowenig als ein
Ersatz der nassen Reinigung angesehen werden, wie das früher übliche
Kehren mit feuchten Sägespänen. —
„Kurzer Erwähnung bedarf auch die Müllfrage im Hause. Die Asche¬
entnahme aus den häuslichen Feuerungen und die Müllentfernung aus den
Wohnräumen geschehen meistens noch in so ursprünglicher Art, daß dabei
Verstäubung der feinen Flugasche nur bei Anwendung großer Sorgfalt, die
Digitized by
Google
Die Bekämpfung des Staubes im Hause und auf der Straße. 153
man aber bei den heutigen Dienstboten immer seltener findet, vermieden
werden kann. Durch Zentralheiznngsanlagen and Gasöfen kann zwar in
gründlicher Weise für Abhilfe gesorgt werden, aber es wird wohl noch eine
Zeit vergehen, ehe sich diese Einrichtungen allgemeiner einbürgern werden.
Vorrichtungen, die bei möglichster Einfachheit eine staubfreie Entleerung
der Asche aus den gebräuchlichen Feuerungsanlagen der Zimmer- und
Kuchenöfen am besten in staubdicht abgeschlossene Gefäße gewährleisten,
sind daher wünschenswert. Die Industrie wird solche Einrichtungen un¬
schwer schaffen können.
„Für die Beseitigung des Mülls aus den Wohnräumen ist zu verlangen,
daß sie in gut verschlossenen Gefäßen erfolgt und daß das Einschütten in
die meistens auf den Höfen befindlichen Sammelkästen oder Müllgruben in
staubfreier Weise möglich ist. Wo man besonders hohe Anforderungen
stellt, da wird man sich wohl auch für den Einbau besonderer Müllschlote
entscheiden können, die nach der Art der Essen in den Mauern angeordnet
werden und am besten von den Küchen aus ein staubfreies Einschütten der
Asche und des Hauskehrichts gestatten. Die Müllschlote endigen unten in
Behältern, aus denen das Müll von Zeit zu Zeit ebenfalls staubfrei in die
Abfuhrgefäße entleert werden kann.
„In den Wohnräumen selbst spielt sich die Staubbeseitigung bis auf
den heutigen Tag fast allgemein in der üblichen althergebrachten Weise ab.
Durch Klopfen und Bürsten der Polster und Vorhänge, durch Fegen der
Teppiche und Abwischen der Möbel, Abkehren der Decken und Wände usw.
ist man wohl imstande, den Schmutz und Staub in hinreichender Weise zu
entfernen, besonders wenn dafür Sorge getragen wird, daß die Reinigung
der Möbel tunlichst im Freien vorgenommen und in der Wohnung selbst
durch Öffnung aller Fenster und Türen recht viel Gegenzug erzeugt wird,
der den in Wolken aufgewirbelten Staub ins Freie abführen kann. Auch
die Staubaufwirbelung selbst läßt sich durch mancherlei kleine Maßregeln
etwas einschränken, z. B. durch Abdecken der zu klopfenden Polster usw.
mit feuchten Tüchern, die als Staubfilter wirken, durch besondere Teppich¬
klopfapparate u. a. m. Aber im allgemeinen gibt doch die nie erwünschte
und stets gefürchtete Prozedur des häuslichen „großen Reinemachens“ in
hygienischer und wirtschaftlicher Hinsicht zu großen Bedenken Anlaß. Für
die Beteiligten ist das „Reinemachen“ jedenfalls nichts weniger als eine
staubfreie gesunde Beschäftigung, und die Nichtbeteiligten, meistens sind es
die Herren Ehemänner, verstehen es schon, sich rechtzeitig aus dem Staube
za machen. Es scheint, daß auch auf diesem Gebiete der häuslichen Reini¬
gungspflege die Neuzeit mit althergebrachten Gebräuchen brechen will.
Schon seit längerer Zeit sind in vielen Städten des In- und Auslandes Ent¬
stäubungsapparate mit gutem Erfolge im Betrieb, die in ganz neuartiger,
dabei aber hygienisch vollkommener und bequemer Weise den Staub aus
den Wohnungen, aus Theatern, Museen, Hotels, Eisenbahnwagen usw. ent¬
fernen und unschädlich machen. Die Wirkung dieser Entstäubungsapparate
wird dadurch erreicht, daß die Luft aus den zu reinigenden Geweben und
Gegenständen durch besondere Saugrohre mit großer Geschwindigkeit ab¬
gesaugt wird und dabei allen Staub mit sich fortreißt. Die Staubluft wird
durch Stoff- und Wasserfilter geleitet, in denen sich der Staub niederschlagt.
Digitized by LaOOQle
154 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
Die Entstäubung selbst wird auf zweierlei Art erzielt. Die Apparate der
Vakuumreiniger-Gesellschaft arbeiten nur mit sogenannter Vakuumluft,
die dadurch erzeugt wird, daß eine Luftpumpe die Luft aus einer Rohr¬
leitung absaugt, an welche die zur Reinigung verwendeten Mundstücke an¬
geschlossen sind. Bei den Entstäubungsapparaten von A. Borsig, Berlin-
Tegel, wird Preßluft und Vakuumluft verwendet. Die Preßluft von etwa
fünf bis sieben Atmosphären Überdruck strömt zum Teil durch feine Öff¬
nungen des Reinigungsmundstückes mit großer Gewalt aus und lockert den
Staub in den Geweben, während gleichzeitig der übrige Teil der Preßluft
durch eine Exhaustordüse eine Luftleere am Mundstück erzeugt, wodurch
der aufgewirbelte Staub sofort abgesaugt wird.
„Die Entstaubungsanlagen stellen einen großen Fortschritt auf dem
Gebiete der Wohnungshygiene dar. Es ist zu hoffen und zu wünschen, daß
das Verfahren recht bald zu allgemeiner Anwendung kommt. Ob dabei
stationäre Anlagen in die Wohnhäuser eingebaut werden mit festen Luft¬
leitungen durch sämtliche Stockwerke und Zapfstellen in allen Wohnungen
zum Anlegen der Schläuche und Apparate, ob die Entstäubung gewerbsmäßig
von Unternehmern mit fahrbaren Anlagen von der Straße aus erfolgt oder
in den Wohnungen selbst durch leichte transportable Apparate mit Hand¬
betrieb, ist in hygienischer Hinsicht ohne Bedeutung und beeinflußt nur die
Kosten. Eine einwandfreie Beseitigung und Unschädlichmachung des Woh¬
nungsstaubes bleibt die Hauptsache, und diese ist in allen drei Fällen zu
erreichen. —
„Meine hochgeehrten Damen und Herren! Ich bin am Schlüsse meiner
Ausführungen. Ich habe Sie durch ein ausgedehntes Gebiet geführt, das
zwar in manchem seiner Teile zurzeit noch wenig beachtet wird, auf dem
aber den städtischen Gemeinwesen und insbesondere ihren Tiefbauverwal¬
tungen in Gegenwart und Zukunft noch Aufgaben erwachsen, deren Lösung
nicht gerade leicht erscheint, wenn sie mit angemessenen Mitteln erzielt
werden soll. Manches auf dem Gebiete der Staubfrage ist erreicht, vieles
bleibt noch zu schaffen. Im Kampfe ums Dasein bat die Menschheit schon
viele mächtige Gegner niedergerungen. Aber den schwersten Kampf kämpft
sie jetzt gegen die feindlichen Kleinlebewesen. Auch die Staubfrage mit all
ihren Forderungen ist in letzter Linie nur ein kleines Gebiet dieses großen
Kampfes. Hoffen wir, daß wie bisher, so auch in kommenden Zeiten uner¬
müdliche rastlose Arbeit, nie versagende Lust und Liebe zur Sache Schritt
für Schritt den Boden weiter erkämpfen wird, auf dem künftige Geschlechter
sich immer festere Grundlagen für ihre Gesundheit schaffen können, zum
Wohle und Segen des menschlichen Geschlechtes!“
Hierauf eröffnet der Vorsitzende die Diskussion.
Stadtbaumeister Max Buhle (Freiburg i. B.): „Hochverehrte An¬
wesende! Gestatten Sie, daß ich an die technischen Ausführungen des
verehrten Herrn Vorredners kurz anknüpfe. Im Leitsatz 9 heißt es in
Übereinstimmung mit dem, was der verehrte Herr Vorredner ausgeführt
hat: »Für städtische Schotterstraßen erscheint die Behandlung mit wässerigen
Ölemulsionen aussichtsreich.« Sie haben auch gehört, welche Kosten mit
Digitized by LaOOQle
Die Bekämpfung des Staubes im Hause und auf der Straße. 155
diesem Verfahren verbunden sind. Es ist verhältnismäßig wenig in die
Öffentlichkeit gedrungen über die Erfolge, die mit derartigen Mitteln erzielt
worden sind, die technischen Blätter haben wenig darüber gebracht, und
das, was sie brachten, das, was ich auch sonst darüber habe erfahren können,
hat eigentlich nicht in dem Sinne gelautet, wie es hier heißt; es hat eher
den Anschein gehabt, als wenn es gegen die Verwendung spräche. Ich
habe gehört, die Kosten sind sehr groß, die Kosten sind so groß, daß eine
deutsche Mittelstadt oder eine kleinere Stadt mit 30000 bis 35000 Ein¬
wohnern die ausreichende Verwendung der wässerigen Ölemulsionen nicht
durchführen kann; das wäre vollständig ausgeschlossen. Die mittleren, die
kleineren Städte müssen mit weitaus billigeren Mitteln auskommen. Die
Versuche, die mir besonders aus der Nähe des Ortes bekannt geworden
sind, wo ich ansässig bin, nämlich jenseits der Grenze, in Basel, einer Stadt
von mittlerer Ausdehnung, haben auch dazu geführt, alle diese im Wasser
löslichen Mittel aus der Verwendung auszuschalten. Es scheint gewisser¬
maßen als selbstverständlich, möchte ich sagen, daß sie nicht gerade das
Richtige sind, denn das im Wasser lösliche Mittel, das nachher doch der
Besprengung durch die Gießwagen ausgesetzt wird, das durch den Regen,
<ier auf die Straße fällt, benetzt wird, wird eben auch durch diese Flüssig-
keitep wieder aus dem Boden herausgeschwemmt werden. Es wird meiner
Ansicht nach besser sein, ein unlösliches Mittel zur Anwendung zu bringen,
und dieses ist der Teer, der ja vielfach bereits angewendet wird, und gegen¬
über den anscheinend etwas ungünstig verlaufenen Teerversuchen, die uns
hier bekannt gegeben sind von seiten des Dresdener Redners, scheint es
mir doch nicht unerwünscht, darauf hinzuweisen, daß derartige Versuche
mit anscheinend recht günstigem Erfolge seit mehreren Jahren in der Stadt
Basel gemacht worden sind, seit drei Jahren, anfänglich in einem kleineren
Umfange, dann in größerem, dieses Jahr in bedeutend vergrößertem Um¬
fang. Ich kann aussprechen, daß man sich dort mit der Hoffnung trägt,
<iarin ein Mittel gefunden zu haben, um mit verhältnismäßig geringen
Kosten einen guten Erfolg zu erzielen. Die Teerungen, die dort vor-
genommen sind, haben jeweils ausgehalten bis zum Winter. Im Winter,
wenn feuchte Witterung und Frost eintrat, wenn die Pferde mit scharfen
Stollen beschlagen wurden, dann erst hat sich die Beschädigung der Teer¬
decke eingestellt« die das eine Mal mit einer einmaligen Teerung, meistens
aber doppelt hergestellt war.
„Es ist ja für uns Straßenbautechniker eine etwas unangenehme Sache«
damit rechnen zu sollen, daß bei dem Teerverfahren so manche günstigen
Umstände Zusammentreffen müssen. Wir sollen eine Straße haben, die in
tadellosem Zustande ist, wir sollen die Straße in vollständig reinem,
trockenem Zustande haben, wir sollen außerdem eine Witterung abwarten,
die möglichst warm, möglichst heiß ist, damit die Straßenoberfläche durch-
hitzt ist von der Sonne und den Teer möglichst gut aufnimmt. Nun, meine
Herren, diese Umstände kommen nicht immer so recht günstig zusammen.
Es mag das etwas sein, das manchen Techniker abschreckt, in derartige
Versuche einzutreten. Er wird häufig die Erfahrung machen, daß er die
Arbeit abbrechen muß, und die Verhältnisse mögen auch an verschiedenen
Stellen unseres deutschen Vaterlandes verschieden sein, je nachdem wir in
Digitized by LaOOQle
156 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
einem mehr regenreichen oder in einem weniger regenreichen Gebiete liegen.
Das ist ja sehr verschieden. Ich möchte daran erinnern, daß z. B. in der
Rheinebene Städte wie Kolmar, Mannheim, Basel eine Regenhöhe von 700
bis 800 mm jährlich haben nach der Niederschlagskarte des Rheingebiets,
während andererseits Freiburg, das noch nicht 20 km vom Rhein entfernt
am Fuße des Schwarzwaldes liegt, 1300 mm jährliche Regenhöhe hat. Es
wird also in den verschiedenen Städten die Zahl der Tage, welche günstige
Witterung für Vornahme von Teerungen haben, sehr voneinander abweichen.
Andererseits scheint es mir aber doch nach den Erfahrungen, die in Basel
gemacht sind, als wenn es nicht gerade notwendig ist, daß alle diese
günstigen Faktoren auch wirklich Zusammentreffen. Notwendig scheint
absolut zu sein ein guter Zustand der Straße; notwendig ist zweifellos ein
vollkommen trockener Zustand der Straße; dagegen scheint nicht in dem¬
selben Maße notwendig zu sein, daß auch wirklich heiße Witterung vor¬
handen ist. Die Erfahrungen, die in dieser Beziehung dort gemacht sind,
lassen als zulässig erscheinen, daß man auch bei kühlerer Zeit teert, wenn
nur die anderen Bedingungen erfüllt sind, und es hat auch den Anschein,
als wenn man mit den neueren Apparaten, die gestatten, den Teer auf eine
größere Temperatur zu bringen, auf 100°C, die gestatten, den Teer un¬
mittelbar aus dem Apparat, also ohne Umfüllung, ohne Abkühlung direkt
auf die Straße zu bringen, weniger von der Sonne abhängig ist, weil die
höhere Temperatur, mit welcher der Teer auf die Straße gebracht wird, die
erwünschte Erwärmung der Straße teilweise wohl wird ersetzen können.
„Ich glaube deshalb, daß man dem Teerverfahren nicht so pessimistisch
gegen überstehen sollte, wie es anscheinend vielfach in deutschen Techniker¬
kreisen der Fall ist, und ich möchte wünschen, daß Versuche in recht aus¬
gedehntem Maße stattfinden möchten, und daß das Resultat dieser Versuche
auch mehr als bisher in die Öffentlichkeit gebracht werden möchte, damit
der eine vom anderen lernt, und damit nicht jeder für sich einzeln immer
wieder darauf angewiesen ist, die Versuche zu machen.
„Was die Kosten des Teerverfahrens anlangt, so möchte ich hier zu¬
nächst gegenüber den hohen Kosten des Westrumitierens erwähnen, daß
bei doppelter Teerung in Basel die Kosten etwa 10 Pf. betragen haben,
und daß man hofft, mit den Apparaten, die man in diesem Jahre verwendet
hat, die Kosten noch zu ermäßigen, so daß also die Aufwendungen jedenfalls
gegenüber dem Westrumitieren ganz erheblich geringer sind, ungefähr so
hoch sind, wie die Kosten der Wasserbesprengung sonst in Basel zu sein
pflegen.
„Die Straße soll immer in gutem Zustande sein! Das ist ein Punkt,
über den ich bisher nicht gut hinübergekommen bin. Auch in dem Artikel
der Zeitschrift für Straßenbau und Transportwesen heißt es: »Wie läßt
sich eine geteerte Straße ausbessern? Es hat den Anschein, als ob sich
geteerte Straßen nur durch völlige Neubeschotterung restaurieren lassen.
Jedenfalls lassen sich stellenweise Ausbesserungen schwer ausführen.» Es
wäre angenehm gewesen, wenn in dem hiesigen Kreise, wo so viele städtische
Techniker anwesend sind, eine Äußerung darüber erfolgt wäre, ob sich in
dieser Beziehung Schwierigkeiten herausgestellt haben. Zweifellos ist, daß
sich die Teerungen über den Winter nicht gut erhalten, daß sich aber im
Digitized by LaOOQle
Die Bekämpfung des Staubes im Hause und auf der Straße. 157
Winter der Schmutz in geringerem Maße zeigt als bei ungeteerten Straßen.
Im Frühjahr werden die Straßen infolge der winterlichen Einflüsse und infolge
des Verkehrs nicht mehr in tadellosem Zustande sein; die Vorbedingung
für die Vornahme neuer Teerungen: »tadelloser Zustand der Straßen» ist
also nicht mehr vorhanden. Soll man dann alles neu schottern? Es er¬
scheint ausgeschlossen, daß eine Stadt jedes Jahr ihr ganzes Straßennetz
neu schottert. Repariert man mit feinem Material, dann liegt .die Gefahr
wieder vor, daß dieses feine Material verhältnismäßig leicht zugrunde geht.
Es wäre sehr erwünscht, wenn von seiten der Herren Techniker hier zu
diesem Punkte Stellung genommen würde, wenn Auskunft gegeben würde,
welche Erfahrungen in dieser Beziehung etwa gemacht worden sind, also
nicht allein bezüglich der Wirkung der Teerung im ersten Jahre, sondern
auch darüber, wie sich die Verhältnisse im zweiten, dritten und vierten
Jahre gestaltet haben.
„Ich glaube hiermit meine Ausführungen schließen zu können.“
Oberbürgermeister Dr. Contag (Nordhausen): „Meine verehrten
Damen und Herren! Der Herr Mitberichterstatter hat in seinem Vortrage
erwähnt, daß es kein Allheilmittel gegen die Staubbelästigung gebe, und
hat gemeint, man müsse es mit kleinen Mitteln versuchen. Als ein solches
kleines Mittel möchte ich Ihnen auch das behördliche Eingreifen gegen die
Staubbelästigung ausnahmsweise empfehlen. Gewiß werden Sie mit mir
darin einig sein, daß man sehr zurückhaltend sein muß mit dem Erlaß von
Polizeiverordnungen. Aber wo ein Mißbrauch zu beseitigen ist, wo man
die gesundheitlichen Verhältnisse bessern will, da ist auch einmal eine
Polizeiverordnung am Platze.
„In der Stadt Nordhausen am Harz besteht seit zwei Jahren eine
Polizei Verordnung, welche sich gegen das Schleppenlassen der Kleider der
Damen auf den verkehrsreichsten Promenaden richtet. Meine Herren! Diese
Verordnung hat selbst sehr viel Staub aufgewirbelt. Es ging uns eine Un¬
masse von Zuschriften, faicht nur aus Deutschland, sondern auch darüber
hinaus zu. In einer amerikanischen Zeitung war das Phantasiebild eines
Rathauses, und darunter war zu lesen: Dies ist das Rathaus zu Nord¬
hausen, in dem die denkwürdige Verordnung beschlossen worden ist. In
deutschen Zeitschriften wurde die Frage vom ästhetischen und juristischen
Standpunkte aus beleuchtet. In einer französischen Zeitung wurde die
Verordnung angegriffen mit dem Bemerken, es wäre zweckmäßiger, wenn
der Magistrat in Nordhausen den Damen eine Toilette vorschriebe, wie sie
die Negerinnen zu tragen pflegen. Es wurde dem Bürgermeister zum Vorwurf
gemacht, daß er gegen die Mode ankämpfe, was doch schon zu allen Zeiten
vergeblich versucht worden sei; höchstens könnte er einen Erfolg erzielen,
wenn er die Vorschrift erließe, die Damen sollten nur lange Kleider tragen, aus
angeborener Opposition würden sie dann erst recht kurze Kleider tragen.
„Nun, meine Herren, ioh kann aber berichten, daß diese Polizeiverord-
nung sich im großen und ganzen bewährt hat. Die Damen tragen kurze
Kleider oder sie schürzen die Kleider schon zu Hause, weil sie riskieren
müssen, daß sie von den Polizeibeamten oder den Parkwächtern auf die
Vorschrift aufmerksam gemacht werden.
Digitized by LaOOQle
158 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
„Ich kann aber verraten, daß bisher eine Bestrafung noch nicht ein¬
getreten ist So unhöflich sind wir nicht. Ich möchte meinen Herren
Kollegen empfehlen, doch auch diesen Boden zu betreten und den Kampf
mit der unglückseligen Schleppe aufzunehmen. Jedenfalls aber rate ich,,
bei der Durchführung der Verordnung darauf zu achten, daß jedem Polizei¬
beamten »Knigges Umgang mit Menschen» eingehändigt wird.“
Hiermit ist die Diskussion geschlossen, und es erhält das Schlußwort:
Korreferent, Stadtbaumeister Nier (Dresden): „Meine hoch¬
geehrten Damen und Herren! In erster Linie verlangt es mich, Ihnen
meinen Dank auszusprechen für die wohlwollende Aufnahme, die Sie meinen
einfachen Ausführungen haben zuteil werden lassen. Ich danke Ihnen
herzlich!
„Ich kann mich im allgemeinen kurz fassen. Herr Stadtbaumeister
Buhle scheint der Ansicht zu sein — ich glaube ihn wenigstens so ver¬
standen zu haben —, als ob die wasserlöslichen öle auch auf der Straßen¬
fläche nach der Versprengung wasserlöslich bleiben. Dem ist aber nicht
so. Die öle verlieren auf der Straße namentlich bei warmem Wetter ihr
Emulsionsvermögen gewöhnlich sehr bald, sie werden unlöslich und können
dann vom Regen nicht mehr oder nur in unbedeutendem Maße abgespült
werden.
„Hinsichtlich der Straßenteerung stehe ich ganz auf dem Standpunkte
des Herrn Stadtbaumeisters Buhle. Ich habe es ja schon in meinem Vor¬
trage gesagt, daß das Teeren, wenn es die guten Eigenschaften, die es in
Frankreich gezeigt hat, auch in Deutschland erkennen läßt, eine schneidig»
Waffe gegen den Straßenstaub sein wird. Leider läßt sich aus den bis¬
herigen Versuchen in Deutschland ein solcher Schluß noch nicht ziehen.
Einzelnen glücklichen Versuchen — z. B. in Leipzig — steht eine große
Anzahl mißlungener Versuche gegenüber, und dementsprechend habe ich
vorgeschlagen, recht, recht viele Versuche in Deutschland mit der Straßen¬
teerung anzustellen, denn nur dadurch können wir schnell zu einem sickeren
Ergebnis kommen."
Mit herzlichem Dank an die Referenten schließt der Vorsitzende di»
Sitzung.
Digitized by LaOOQle
Über die Erfolge der öffentlichen Gesundheitspflege in Augsburg. 159
Dritte Sitzung.
Freitag, den 14. September 1906, vormittags 9 Uhr.
Vorsitzender, Professor Gonzmer (Danzig): „Verehrte An¬
wesende! Ich eröffne hiermit die heutigen Verhandlungen und erteile
zunächst Herrn Dr. Möller, Oberarzt der inneren Abteilung des hiesigen
städtischen Krankenhauses, das Wort zu einer kurzen Mitteilung:
Über die Erfolge der öffentlichen Gesundheitspflege
in Augsburg.
„Meine Herren! Bei der Tagung eines Vereines für öffentliche Gesund¬
heitspflege mag es nicht unangebracht sein, auch einen Blick rückwärts zu
werfen und zu fragen: Was wurde denn bisher mit der Städtehygiene er¬
reicht, inwieweit ist es gelungen, die Krankheiten zurückzudämmen und
den Gesundheitszustand der Städte zu beben?
„Die amtliche Morbiditäts- und Mortalitätsstatistik versagt bei der
Beantwortung dieser Fragen, da sie erst mit dem Jahre 1889 einsetzt, also
zu einer Zeit, da infolge von hygienischen Maßnahmen längst ein Rückgang
in der Zahl der Infektionskrankheiten festzustellen war.
„Da sich nun in den öffentlichen Krankenhäusern der Krankenstand
einer Stadt widerspiegelt, so bekommen wir ein ziemlich genaues Bild von
den Krankheitsbewegungen, wenn wir deren Jahresberichte ausziehen.
„Im städtischen Krankenhause zu Augsburg sind nun die Journal¬
bücher bis zum Jahre 1815 auf bewahrt. Ich will Sie nicht mit dem Bericht
über eine so lange Zeit belästigen, aber vielleicht interessiert es doch, zu
erfahren, welche große Änderungen die Hygiene im Stande der Krank¬
heiten seit einem Menschenalter, also seit einer Zeit, die ältere Kollegen
unter uns noch erlebt haben, bedingte.
„Augsburg war in den 50er und 60 er Jahren des vergangenen Jahr¬
hunderts das schlimmste Typhusnest unter den bayerischen Städten. Von
den Aufnahmen im Krankenhause betrugen die Typhuspatienten über 10 Proz.,
während sie in München, das ja in Beziehung auf Typhus wahrlich auch
keinen guten Ruf hatte, in den genannten beiden Jahrzehnten 6,9 Proz.
nur ausmachten. Im Jahre 1861 stieg die Zahl der Typhuskranken im
hiesigen Krankenhause auf 310, das waren 17,7 Proz. der Gesamtaufnahme.
Da diese Art von Kranken nun bis zu ihrer Wiederherstellung vieler, vieler
Wochen bedürfen, so können Sie sich vorstellen, daß das Krankenhaus zum
größten Teil mit Typhuskranken belegt war.
„Aus Fig. 1 ist zu entnehmen, daß die große Frequenz der Typhus-
fälle mit den Jahren 1879 und 1880 plötzlich abfallt. Es ist sicher kein
Zufall, daß gerade um diese Zeit, d. h. im Herbst 1879, die Pumpbrunnen
und die kleinen Wasserwerke in der Stadt außer Tätigkeit gesetzt wurden
Digitized by LaOOQle
Typhus.
160 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
ti
K
l ■ i ■ i ■ l. i ■ i. i ■ i ■ i. i ■ i. i. i ■ .... ... i ■ i ■ 111 ■ i. i ■ 111. i ■ i i i ■ i
Digitized by LaOOQle
über die Erfolge der öffentlichen Gesundheitspflege in Augsburg. 161
und daß damals die Quellwasserleitung vom Hochablaß eingeführt wurde.
Wie aus derselben Tabelle entnommen werden kann, ist in den letzten
Jahren der Typhus, der noch vor drei Jahrzehnten alle Säle füllte, im
hiesigen Krankenhause eine seltene Erkrankungsform. Kommt einmal ein
solcher Kranker zur Beobachtung, so können wir sicher sein, daß er von
auswärts, und zwar meist von einem der Vororte, die in Beziehung auf
Wasserleitung schlecht versorgt sind, zugezogen ist.
Vierteljahr$>?clirift für Gesundheitspflege, 1907. j j
Digitized by LaOOQle
Pneumonia erouposa. Fi «- 3 -
162 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. GesundheitspHege zu Augsburg.
Digitized by
Google
99 1900 01 02 03 04 1905
über die Erfolge der öffentlichen Gesundheitspflege in Augsburg. 163
' §§§§§§
LZ“
04 1905
164 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
„Seit über Jahresfrist kam im hiesigen Krankenhause überhaupt kein
Typhusfall mehr in Behandlung. Im Gegensatz zu München, in dessen
Krankenhäusern stets noch aus der Stadt aufgenommene Typhusfälle zu Anden
sind, können wir von Augsburg sagen, daß es durchaus typhusfrei ist.
„Die Fig. 2 zeigt uns den Rückgang in den Cholera- und Pocken-
Erkrankungen. Diese Infektionskrankheiten haben noch vor einigen Jahr¬
zehnten die Einwohner unserer Stadt zu Hunderten hingemäht.
„Im Jahre 1854 war das Krankenhaus mit 562 Cholerakranken belegt,
von denen mehr als die Hälfte (308) mit Tod abgingen. In der ganzen
Stadt Augsburg, die damals 39 000 Einwohner zählte, erkrankten innerhalb
zweier Monate 3600. Personen, also fast 10 Proz. der Bevölkerung, und von
diesen erlagen 1239 dem mörderischen Brechdurchfall. Noch im Jahre 1871
waren im Krankenhause hier 953 Pockenkranke zu verpflegen.
„Jetzt sind Pocken und Cholera so seltene Erkrankungen, daß wir
jüngeren Ärzte ihr Krankheitsbild nur aus den Lehrbüchern kennen.
„Waren es beim Typhus Maßnahmen der Stadt (Einrichtung einer
Quellwasserleitung), die ihm erfolgreich entgegentraten, so sind es bei der
Niederkämpfung der Cholera die im ganzen Reiche, ja in allen europäischen
Ländern durchgeführten Vorkehrungen, die diesem asiatischen Feinde schon
den Einbruch nach Europa verwehren. Und wenn wir die Pocken in
Deutschland nicht mehr zu fürchten haben, so ist dafür bekanntlich einzig
und allein der staatlich auferlegte Zwang, sich mehrmals im Leben der
Jenner sehen Schutzimpfung zu unterziehen, verantwortlich zu machen.
„Aus den hier vorgelegten Morbiditätsverhältnissen des Augsburger
Krankenhauses können Sie mit Stolz entnehmen, welche großen Erfolge die
von Ihnen vertretene Disziplin, die öffentliche Gesundheitspflege, hat, ja daß
sie im Begriffe ist, gewisse und zwar besonders gefürchtete Infektionskrank¬
heiten ganz aus der Liste der Feinde des Menschengeschlechtes zu streichen.
„Aber es bleibt noch genug zu tun und zu wirken. Aus den Fig. 3
und 4 können Sie entnehmen, daß andere schwere Krankheitsbilder in ihrer
Frequenz und Mortalität noch gar nicht beeinflußt sind, ja zum Teil ge¬
stiegen sind; so hatte die Influenza, die früher unter dem Namen Grippe
geführt wurde, in den mittleren Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts
viel geringere Zahlen als in dem letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts.
In den Morbiditätsziffern der croupösen Lungenentzündung ist gar keine
wesentliche Veränderung gegenüber früher festzustellen, und auch in der
Frequenz der Tuberkulose ist trotz der großen Anstrengungen und der be¬
trächtlichen Geldopfer, die bei der Bekämpfung dieser Krankheit auch in
•unseren Landen aufgewendet werden, noch nicht die geringste Abnahme
festzustellen.
„Es ist aber gar nicht daran zu zweifeln, daß die öffentliche Gesund¬
heitspflege schließlich auch diesen Krankheiten gegenüber noch Erfolge
erzielen wird, und zwar wird dies um so eher geschehen, wenn sie, wie das
ja auch in Ihrem heurigen Programm ausgedrückt ist, bestrebt ist, das
Einzelindividuum möglichst zu kräftigen und gesund zu erhalten, und
dies geschieht, wenn für gesunde und staubfreie Luft, ja unter Umständen
für Waldluft gesorgt ist, und wenn jedermann in gesunden Wohnungen
leben und unverdorbene Nahrung zu sich nehmen kann.
Digitized by
Google
Mindestanforderungen an die Beschaffenheit der Wohnungen usw. 165
„Haben Sie dies erkämpft, ist den Anregungen, die hier in diesen
Tagen gegeben wurden, Folge geleistet, so werden, das ist mit Sicherheit
vorherzusagen, die Krankheiten noch .weiter zurückgedrängt. Und Ihren
Bestrebungen wird es zu danken sein, wenn die Menschheit widerstands¬
fähiger und gesünder und damit glücklicher wird. u
Nachdem der Vorsitzende dem Vortragenden für seine interessanten
Mitteilungen gedankt hat, erfolgt gemäß § 7 der Satzungen die
Neuwahl des Ausschusses.
Auf Antrag des Herrn Oberbürgermeisters Fuss (Kiel) werden folgende
Herren durch Zuruf gewählt:
Oberbürgermeister Dr. Ebel in g (Dessau),
Stadtbaurat Koelle (Frankfurt a. M.),
Geheimer Sanitätsrat Professor Dr. Le nt (Köln),
Oberbürgermeister Dr. Lentze (Magdeburg),
Oberbaurat Schmick (Darmstadt),
Geh. Hofrat Professor Dr. Schottelius (Freiburg i. B.),
welche in Gemeinschaft mit dem ständigen Sekretär
Dr. Pröbsting (Köln)
den Ausschuß für das Geschäftsjahr 1906/1907 bilden.
Nach Schluß der Versammlung wählte der Ausschuß gemäß § 7, Ab¬
satz 3 der Satzungen Herrn Oberbürgermeister Dr. Lentze zum Vor¬
sitzenden für das nächste Jahr.
Der Vorsitzende stellt hierauf den letzten Gegenstand der Tagesordnung
zur Verhandlung:
Welche Mindestanforderungen sind an die
Beschaffenheit der Wohnungen, insbesondere
der Kleinwohnungen zu stellen?
Es lauten die von dem Referenten Regierungsbaumeister a. D. Bei¬
geordneten Schilling (Trier) aufgestellten
Leitsätze:
Die in der behördlichen Wohnungsbeaufsichtigung gesammelten Erfahrungen
zeigen, daß die vom Deutschen Verein für öffentliche Gesundheitspflege bisher
aufgestellten Forderungen gerechtfertigt und durchführbar sind. Jedoch sind
die zurzeit bestehenden Verordnungen über Beschaffenheit und Benutzung der
Wohnungen noch vielfach lückenhaft und unzureichend. Der vornehmlich der
Festsetzung bedürfende Inhalt solcher Verordnungen ist in nachstehenden Mindest¬
anforderungen zusammengestellt, die weitergehende Ansprüche, wo solche nach
Lage der örtlichen Verhältnisse erreichbar sind, nicht ausschließen sollen.
1. Zugang. Jede Wohnung muß einen eigenen, durch keine fremden Wohn-,
Küchen- oder Schlafräume führenden Zugang haben.
2. Umschließung. Alle Wohn- und Schlafräume müssen trockene, gegen
Witterungseinflüsse vollkommen schützende, dichte Wände, Decken und Fußböden
haben und von innen verschließbar sein.
3. Umfang und Größe. Jede Wohnung maß ihre eigene Kochstelle haben
und so geräumig sein, daß die ledigen, über 14 Jahre alten Personen nach dem
Digitized by tjOOQle
166 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
Geschlecht getrennt in besonderen Raumen schlafen können, und daß jedes
Ehepaar für sich und seine noch nicht 14jährigen Kinder einen besonderen
Schlafraum besitzt. Die Schlafräume müssen für jede über 10 Jahr alte Person
mindestens 10 cbm und für jedes Kind unter 10 Jahren mindestens 5 chm Luft¬
raum enthalten, wobei Kinder im ersten Lebensjahr außer Anrechnung bleiben.
Schlafräume, die gleichzeitig als Küche benutzt werden, müssen 15 cbm Luftraum
mehr enthalten.
Nicht zur Familie gehörige Schlaf-, Kost- und Quartiergänger dürfen nur
in solchen Räumen untergebracht werden, die einen eigenen, nicht durch die
Schlaf räume des Quartiergebers und seiner Familie führenden Eingang haben,
von innen verschließbar und gegen anstoßende Schlafräume des Quartiergebers
und seiner Familie dauernd abgeschlossen sind. Quartiergänger verschiedenen
Geschlechts dürfen nur mit besonderer polizeilicher Genehmigung und nur dann
aufgenommen werden, wenn ihre Schlafräume keine direkte Verbindung mit¬
einander haben. Die Scblafräume der Schlaf-, Kost- und Quartiergänger müssen
für jeden Insassen wenigstens 10 cbm Luftraum haben.
4. Fenster. Alle Wohn- und Schlafräume sowie auch Küchen und Aborte
müssen mindestens ein unmittelbar ins Freie gehendes, zum Öffnen eingerichtetes,
dioht schließendes Fenster haben. Die gesamte Fensterfläche eines Raumes muß
wenigstens so groß sein, daß auf je 30 cbm Rauminhalt 1 qm zum öffnen ein¬
gerichtete Fensterfläche entfällt, wobei in der schrägen Dachfläche liegende
Fenster außer Anrechnung bleiben.
5. Lage. Wohn- und Schlafräume dürfen nicht über oder mit ihren Fenstern
unmittelbar neben Abort und Düngergruben liegen, auch nicht mit Ställen und
Aborten in offener Verbindung stehen. Aborte, die nicht mit Wasserspülung
versehen sind, dürfen nicht unmittelbar von Küchen-, Wohn- oder Schlafräumen
aus zugänglich sein; ein gleiches gilt im Innenbezirk der Städte für Ställe.
Räume, deren Fußboden tiefer als das umgebende Erdreich liegt, dürfen nur
dann zum Schlafen benutzt werden, wenn genügende bauliche Vorkehrungen
gegen die Erdfeuchtigkeit getroffen, und wenn sie so belegen sind, daß die Sonne
hineinscheinen kann. Dachwohnungen sind nur unmittelbar über dem obersten
Stockwerk, nicht aber übereinander im Dachraum zulässig.
6. Aborte. Bei jedem Hausgrundstück muß wenigstens ein direkt zugäng¬
licher, verschließbarer und mit Sitzbrille versehener Abort vorhanden sein.
Jedem Hausbewohner muß die Benutzung eines solchen Abortes freistehen; die
Zahl der Aborte muß so bemessen sein, daß höchstens je 15 Bewohner auf die
Benutzung eines Abortes angewiesen sind. Abortgruben müssen undurchlässige
Umwandungen und Böden haben und dicht abgedeckt sein.
7. Wasserversorgung und Entwässerung. Eine ausreichende Versorgung
mit einwandfreiem Trinkwasser muß gesichert sein. Wo zentrale Wasserver¬
sorgung und Kanalisation besteht, ist Zwangsansohluß, und für jedes Geschoß,
in dem sich eine selbständige Wohnung befindet, eine Zapfstelle mit Ausguß zu
fordern. Alle Leitungsröhren müssen dicht sein.
8. Bauliche Instandhaltung. (Pflichten des Hausbesitzers.) Die Wohnungen,
einschließlich deren Nebenräume, insbesondere auch Aborte, sind dauernd in
ordnungsmäßigem baulichen Zustande zu erhalten. Dies gilt auch von den
Feuerungs-, Wasserversorgungs- und Entwässerungsanlagen, sowie von Höfen
und Lichtschächten.
9. Benutzungsart. (Pflichten der Bewohner.) Jede mißbräuchliche Be¬
nutzung einer Wohnung, woduroh dieselbe gesundheitsschädlich, insbesondere
auch feucht wird, ist verboten. Hierher rechnet auch ungenügende Lüftung
und Reinigung. Werkstätten und solche Räume, in denen Nahrungs- und Genu߬
mittel gewerbsmäßig hergestellt, verkauft, verpaokt oder gelagert werden, dürfen
nicht als Schlafräume benutzt werden. Die Aufbewahrung übelriechender Knochen,
Lumpen oder faulender Gegenstände, sowie die Vornahme stark riechender ge¬
werblicher Verrichtungen in Schlafräumen und Küchen ist verboten.
Digitized by LaOOQle
Mindestanforderungen an die Beschaffenheit der Wohnungen usw. 167
Referent, Reg.-Baumeister a. D. Beigeordneter Schilling (Trier):
„Meine Herren! Als ich die Aufforderung des Ausschusses, zu vor¬
stehendem Thema ein Referat zu erstatten, empfing, war mein erster Gedanke:
Ist es denn überhaupt nötig, diese Frage noch einmal zu stellen? Ist sie
nicht schon so oft und so gründlich erörtert, namentlich im Deutschen Ver¬
ein für öffentliche Gesundheitspflege, daß es zwecklos ist, dieses Thema noch
einmal zu erörtern?
„In der Tat, blicken wir nur einmal in die Geschichte unseres Vereins,
so stoßen wir allenthalben auf fruchtbare Anregungen, die er der Behandlung
des Wohnungswesens gegeben. Bereits aus der dritten Vereins Versammlung
1875 zu Münnhen besitzen wir die „Thesen über die hygienischen Anfor¬
derungen an Neubauten* 1 . 1884 finden Sie in Hannover die „Vorteile und
Nachteile der Durchlässigkeit von Mauern und Zwischenböden der Wohn-
räume** erörtert. Das folgende Jahr 1885 brachte in Freiburg i. B. das
Referat der Herren Stübben, Becker Und Lent „Über Städteerweiterung
insbesondere in hygienischer Beziehung**. 1888 wurde in Frankfurt a. M.
über „Maßregeln zur Erreichung gesunden Wohnens** von Miquel und
Baumeister referiert und von letzterem wohlerwogene „Technische Einzel¬
vorschläge** unterbreitet. Im folgenden Jahre, 1889, beschloß die Straßburger
Versammlung die bekannten „Reichsgesetzlichen Vorschriften zum Schutze
des gesunden Wohnens**. 1890 gab in Braunschweig Fritz Kalle sein
Referat „Das Wohnhaus der Arbeiter“.
„War bis dahin die Aufmerksamkeit vorwiegend auf die Beeinflussung
der Neubautätigkeit gerichtet, so beginnt mit dem 1891 in Leipzig von
Stübben und Zweigert erstatteten Bericht über „Handhabung der
gesundheitlichen Wohnungspolizei“ der Hinweis auf die Notwendigkeit
regelmäßiger Beaufsichtigung der vorhandenen Wohnungen an Nachdruck.
Es folgte dann weiter 1893 in Würzburg „Die unterschiedliche Behandlung
der Bauordnungen für das Innere, die Außenbezirke und die Umgebung von
Städten“. 1894 behandelte man in Magdeburg „Die Notwendigkeit weit¬
räumiger Bebauung bei Stadterweiterungen und die rechtlichen und tech¬
nischen Mittel zu ihrer Ausführung“. 1895 in Stuttgart über „Maßnahmen
zur Herbeiführung eines gesundheitlich zweckmäßigen Ausbaues der Städte“.
„1898 vernahmen wir dann in Köln wieder ein Referat „Über die
regelmäßige Wohnungs-Beaufsichtigung und die behördliche Organisation
derselben“. 1900 in Trier über „Die kleinen Wohnungen in Städten, ihre
Beschaffung und Verbesserung“. 1902 in München einen „Bericht über
die von den Städten eingegangenen Fragebogen betreffend die Fürsorge für
bestehende und die Beschaffung neuer kleiner Wohnungen“ und über
„Feuchte Wohnungen, Ursache, Einfluß auf die Gesundheit und Mittel zur
Abhilfe“. Schließlich 1903 in Dresden über die „Bauordnung im Dienste
der öffentlichen Gesundheitspflege“.
„Halten Sie hiermit zusammen die Aufklärungen, welche die wieder¬
holten Untersuchungen des Vereins für Sozialpolitik brachten, die praktisch¬
wissenschaftliche Arbeit, die im Rheinischen Verein zur Förderung des Arbeiter¬
wohnungswesens und in den nach seinem Muster gebildeten Schwestervereinen,
in den Referaten zum VI. Internationalen Wohnungskongreß 1902 in Düssel¬
dorf und zum I. Allgemeinen Deutschen Wohnungskongreß 1904 in Frank-
Digitized by LaOOQle
168 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
furt a. M., in den Veröffentlichungen der Zentralstelle für Arbeiter-Wohl¬
fahrtseinrichtungen und des Deutschen Vereins für Wohnungsreform, in
Organen, wie der Albrecht sehen Zeitschrift für Wohnungswesen und vielen
sonstigen technischen und sozialen Fachschriften niedergelegt ist, so muff
man in der Tat gestehen: Das gestellte Thema ist ausgiebig bis in alle
Einzelheiten erörtert und über Alles, was man darüber ausführen mag,
könnte man sagen: „Schon dagewesen* 4 .
„Wenn ich gleichwohl der Aufforderung des Ausschusses gefolgt bin,
so geschah es im Hinblick auf § 1 der Vereinssatzungen, der sagt: „Zweck
des Vereins ist die praktische Förderung der Aufgaben der öffentlichen
Gesundheitspflege**. Gerade die Fülle der Literatur gibt Anlaß zu einer
gewissen Ratlosigkeit für den, der als Verwaltungsbeamter die vielfach ver¬
streuten Forderungen in die Form fest umgrenzter Verordnungen bringen
soll. Und so entsteht naturgemäß die Anlehnung der einen Verordnung an
die andere, ein aufmerksamer Vergleich vermag geradezu Familien und
Stammbäume einzelner Gruppen von Verordnungen festzustellen, nachgerade
sogar können wir schon die Folgen der Inzucht beobachten, wie Sie nachher
nicht ohne Heiterkeit an Beispielen sehen werden.
„Meine Aufgabe habe ich daher zugespitzt auf die Untersuchung der
Fragen: Welchen Niederschlag haben all jene theoretischen Erörterungen
in den zur Regelung des Wohnungswesens erlassenen behördlichen Verord¬
nungen gefunden; sind sie in genügendem Maße in der gesetzgeberischen
und polizeilichen Regelung berücksichtigt? Was können wir aus den bis¬
herigen Erörterungen und behördlichen Bestimmungen als hauptsächlichsten,
notwendigen Inhalt polizeilicher Verordnungen zur Regelung des Wohnungs¬
wesens herausschälen? Welche Fassung erscheint bei den einzelnen Bestim¬
mungen die beste? Zum Schluß: Haben die bisherigen Forderungen, wie
sie namentlich im Deutschen Verein f. öffentl. Gesundheitspflege gestellt worden
sind, die Probe auf ihre praktische Durchführbarkeit bestanden?
„Zu dem Behufe habe ich — mit dankenswerter Unterstützung des
Rheinischen Vereins zur Förderung des Arbeiterwohnungswesens — eine
möglichst vollständige Sammlung aller bisher zur Regelung des. Wohnungs¬
wesens erlassenen Gesetze und Polizeiverordnungen veranstaltet und den
Inhalt derselben einem kritischen Vergleich unterzogen. Wir können im
wesentlichen drei große Gruppen solcher Verordnungen unterscheiden:
I. Eigentliche Wohnungsordnungen, Verordnungen über die Beschaffen¬
heit und Benutzung der Wohnungen;
II. Verordnungen zur Regelung des Schlaf-, Kost- und Quartiergänger¬
wesens;
III. Verordnungen über die Unterbringung besonderer Gattungen von
Saison- und Wanderarbeitern, wie Ziegelarbeiter, in der Landwirt¬
schaft und in der Zuckerindustrie, bei größeren Bauarbeiten usw.
vorübergehend beschäftigter Arbeiter.
„Die letztere Gruppe von Verordnungen habe ich bei meinen Unter¬
suchungen ausgeschieden, da sie vorübergehende und besonders geartete
Verhältnisse im Auge haben. Ebenso ausgeschieden habe ich eine Betrach¬
tung der auf die Neubautätigkeit gerichteten eigentlichen baupolizeilichen
Digitized by LaOOQle
Mindestanforderungen an die Beschaffenheit der Wohnungen usw. 169
Bestimmungen, und beschränke mich auf die eigentlichen Wohnungsord¬
nungen und die Verordnungen über das Kost- und Schlafgängerwesen, bei
den letzteren natürlich wieder auf die eigentlich wohnungspolizeilichen
Gesichtspunkte.
„Ich bemerke, daß der Untersuchung im ganzen 37 Wohnungsordnungen,
darunter 30 preußische, und 107 Schlafgängerordnungen, darunter 95 preu¬
ßische, zugrunde lagen. Wenn dabei der Löwenanteil auf Preußen entfällt,
so bitte ich hieraus nicht auf besonderes Fortgeschrittensein des größten
Bundeßstaates auf diesem Gebiete zu schließen. Es ist vielmehr einmal dem
rein äußerlichen Umstande zuzuschreiben, daß die vollständige Aufzählung
aller bis dahin in Preußen erlassenen Verordnungen in der Denkschrift des
Reichsamtes des Innern „Die Wohnungsfürsorge im Reiche und in den
Bundesstaaten 11 es erleichterte, diese preußischen Verordnungen aufzufinden.
Sodann bestehen in mehreren Bundesstaaten, so auch in unserem gastlichen
Bayern, Anordnungen für das ganze Staatsgebiet, wodurch die Zahl der
Einzelverordnungen selbstverständlich geringer wird.
„Was nun zunächst die geographische Verbreitung einer polizeilichen
Behandlung des Wohnungswesens angeht, so berichtete hierüber Oberbürger¬
meister Ebeling 1902 auf der Münchener Versammlung und teilte u. a.
mit, daß von den 36 preußischen Regierungspräsidenten neun, also bloß
ein Viertel, von der Befugnis, Polizei Verordnungen zu erlassen, Gebrauch
gemacht haben, und daß von 254 deutschen Städten mit 16246452 Ein¬
wohnern nur für 77 Städte mit 6 364715 Einwohnern, also nur für 39,17
Proz., Polizeiverordnungen beständen. Seitdem sind zu jenen Preußischen
Regierungspräsidenten noch diejenigen von Trier und Koblenz hinzugekom¬
men und haben noch einige Einzelgemeinden Wohnungsordnungen erlassen,
so Goslar 18. Februar 1903, Peine 15. April 1903, Herford 21. April 1903,
Stolp i. P. 30. April 1904 und Allenstein 27. August 1904. Alles in allem
dürfte sonach das Bild sich kaum wesentlich verschoben haben und es auch
heute noch zutreffen, daß nur für etwa 40 Proz. der Bevölkerung das
Wohnungswesen gesetzlich oder polizeilich geregelt ist.
„Dürftiger noch ist das Ergebnis, wenn wir nach dem Inhalte jener
Verordnungen fragen. Nur einige wenige nähern sich einer gewissen Voll¬
ständigkeit, viele beschränken sich auf nur einige wenige Punkte, so ver¬
schiedene lediglich auf die Festsetzung eines Mindestluftraumes. Bei den
einzelnen Bestimmungen werden wir sehen, in welchem Umfange sie in den
bisherigen Verordnungen berücksichtigt sind.
„Betrachten wir nunmehr die einzelnen Anforderungen, die an eine
Wohnung zu stellen sind. — Die Wohnung soll ihren Insassen Obdach und
Schutz gewähren vor den Unbilden der Witterung, und das Familienleben
abgrenzen gegen die Außenwelt. Daß dieser Abschluß genügend sei, ist
eines der ersten Erfordernisse einer menschenwürdigen Wohnung. Aus den
Schilderungen englischer Slums kennen wir den berühmten Kreidestrich,
der auf dem Fußboden die Grenzlinie angibt zwischen den einzelnen ein
gemeinsames Zimmer bewohnenden Parteien. Gewiß ein menschenunwürdiger
Zustand, der in Deutschland gewiß zu den Seltenheiten gehört, leider jedoch
keineswegs nur der Phantasie angehört. Professor Schmoller teilt in
seinem „Mahnruf in der Wohnungsfrage“ aus den Schilderungen eines
Digitized by LaOOQle
170 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
Berliner Stadtmissionars mit: Mitunter wohnen zwei Familien, ich weiß
eogar einen Fall, wo drei Familien in einem Zimmer zusammen wohnen.
„Etwas besser, aber noch keineswegs genügend ist es, wenn ein gemein¬
sam bewohntes Zimmer durch Bretterverschläge abgeteilt ist. Eine solche
Trennung habe ich noch kürzlich gesehen, wo ein mittelgroßes Zimmer zwei
junge Ehepaare beherbergte, die durch eine notdürftige mit Spalten durch¬
zogene Bretterwand getrennt waren, ein Zustand, der von den Beteiligten
auf das bitterste empfunden und der vollends unhaltbar wurde, als bei der
einen Familie eine Vermehrung eintrat.
„Zu einem gehörigen Abschluß der Wohnung gehört es auch, daß die¬
selbe unmittelbar zugänglich sei, ohne fremde Wohnräume berühren zu
müssen oder Nachbarn als Durchgang zu dienen, eine Forderung, die neben
der sittlichen Seite auch ihre große hygienische Bedeutung hat. In diesem
Punkte sind die deutschen Wohnungsordnungen noch ungemein dürftig.
Nur drei, die sich direkt hiermit, zwei weitere, die sich indirekt damit be¬
schäftigen. So fordert die Polizeiverordnung für den Regierungsbezirk
Lüneburg, daß jede Wohnung einen eigenen, durch keine fremden Wohn¬
räume führenden verschließbaren Zugang haben muß, und die Polizeiverord¬
nung für den Regierungsbezirk Trier setzt noch etwas erweiternd an Stelle
des „keine fremden Wohnräume“: „keine fremden Wohn- oder Schlafräume,
auch Küchen .. Die Wohnungsordnung für die Stadt Crimmitschau (Kgr.
Sachsen) fordert: „Jede Familienwohnung soll einen eigenen Zugang haben
und muß von innen verschließbar und mit einer Klingel versehen sein u .
Indirekt läßt sich die Forderung eines eigenen Zuganges folgern aus den
Bestimmungen des Wohnungspflegegesetzes der Hansastädte Hamburg und
Lübeck, die übereinstimmend festsetzen, daß die Behörde für Wohnungs¬
pflege befugt sei, eine zweckentsprechende Veränderung der Wohnung an¬
zuordnen, wenn sich aus dem Zusammenwohnen mehrerer Familien in einer
nur für eine Familie errichteten Wohnung sanitäre oder sittliche Mißstände
ergeben. Alle übrigen Wohnungsordnungen entbehren der Bestimmungen
über einen gesonderten Zugang.
„Etwas mehr beschäftigen sich die Wohnungsordnungen mit der Art
der Umschließung der Wohnung, mit den Wänden, Decken und Fußböden,
insbesondere soweit es sich um Räume im Dachgeschoß handelt. So lassen
die Wohnungspolizeiverordnungen für die Regierungsbezirke Köln und Trier,
sowie diejenige für die Stadt Köln die Benutzung von Speicherräumen zu
Schlafräumen nur zu, wenn dieselben vollständig verputzte Wände haben.
Die Verordnungen für die Regierungsbezirke Aachen und Arnsberg, für den
Landkreis Aachen sowie für die Städte Göttingen, Goslar, Osterode a. H.
und Peine fordern für Dachwohnungen völlig verputzte „oder mit Holz
verkleidete“ Wände, Herford verlangt derartig hergestellte Wände „und
Decken“, desgleichen die Polizeiverordnung für den Regierungsbezirk
Münster mit dem Zusatze, daß etwaige Holzverkleidung aus „ineinander-
gefügtem Holz“ bestehen müsse, und die Verfügung des Kgl. Württem-
bergischen Ministeriums des Innern über die Wohnungsaufsicht fordert, daß
Räume, insbesondere auch Dachräume, welche als Wohn- oder Schlafräume
benutzt werden, verputzte oder mit Holz verkleidete „dichtschließende“
Decken und Wände besitzen müssen. Weiter gehen die gesundheitlichen
Digitized by LaOOQle
Mindestanforderungen an die Beschaffenheit der Wohnungen usw. 171
Mindestanforderungen der Straßburger Wohnungskommission, die festsetzen:
Die Umfassungs- und Trennungsw&nde aller Wohn- und Schlafzimmer, ins¬
besondere auch Küchen, müssen in der Regel mindestens aus ausgemauerten
Riegelwänden mit beiderseitigem Gipsputz bestehen. Vorhandene Bretter¬
verschläge können ausnahmsweise belassen werden, wenn sie einen beider«
zeitigen mindestens 1,5 cm starken Gipsputz erhalten. Weniger eingehend
ist die Crimmitschauer Verordnung, die sich damit begnügt, Schlafstellen
in „offenen Dachböden“ zu verbieten, während die Bayerische Instruktion
für die Wohnungskommissionen Bodenräume als Schlafräume nur dann un¬
beanstandet läßt, wenn sie vollständig verputzte Decken und Wände „und
entsprechende, vom offenen Bodenraum abschließende Zugänge" haben.
„Auch in den Verordnungen über das Kostgänger- und Schlafstellen-
wesen finden sich vielfach Bestimmungen über die Art der Raumumschließung
und hier kann ich Sie auf ein erheiterndes Ergebnis des Abschreibens der
einen Verordnung von der anderen aufmerksam machen. Eine Reihe von
brandenburgischen Schlafstellenordnungen, so die von Spremberg, Senften-
berg, Frankfurt a. 0., Landsberg a. W., Fürstenwalde, Reppen, Vetschau,
Guben, Züllichau, Schwiebus, Drossen haben in wörtlicher Übereinstimmung
die etwas auffällig klingende Bestimmung: „Jeder Schlafraum muß trockene,
gegen Witterungseinflüsse vollkommen schützende „dicke" Fußböden und
Wände haben." Noch auffälliger erschien es mir, daß mehrere hiervon über¬
einstimmend sagen „dicke Fußboden und Wände", ein anscheinender Druck¬
fehler, dessen mehrfache Wiederkehr in verschiedenen Verordnungen stutzig
machen mußte. Des Rätsels Lösung fand sich, als ich noch einige ältere
gleichlautende Polizeiverordnungen auffand, in denen es, ganz verständig,
hieß: „Jeder Schlafraum muß trockene gegen Witterungseinflüsse vollkom¬
men schützende „Decke", Fußboden und Wände haben." In eine der hier¬
von beeinflußten Verordnungen hat sich dann der Schreib- oder Druckfehler
„dicke" statt „Decke" eingeschlichen und gedankenlos wurde dann dieser
Druckfehler in nahezu ein Dutzend späterer Verordnungen übernommen.
Sie sehen also, auch für Polizeiverordnungen gibt es ein Gesetz der Ver¬
erbung und eine Gefahr der Inzucht. Daß es aber auch denkende Abschreiber
gibt, zeigt die Polizei Verordnung von Forst i. L., der das „dicke" wohl etwas
aonderbar vorkam, und die statt dessen, nicht ohne Sinn, schrieb „dichte".
„Hinsichtlich der Fußböden im besonderen schreiben manche Verord¬
nungen, so die Schlafstellenordnungen des Herzogtums Sachsen-Altenburg,
sowie des Regierungsbezirks Aachen und der Städte Koblenz, Mayen, Neuwied,
Geestemünde, Elmshorn, Apenrade, Hanau, Frankfurt a. M., Eitorf, Stolberg,
Dessau, Eisenach, Minden, Düsseldorf und Münster schlechthin vor, daß sie
„gedielt" oder „von Holz" (Biebrich) sein müssen, eine Forderung, die an¬
gesichts anderer einwandfreier Fußbodenausführungen zu einengend erscheint.
Die Düsseldorfer Regierung hat denn auch in einer Ausführungsanweisung
bestimmt: „Der Dielung der Schlafräume, welche der § 1 sub b fordert, ist
gleichwertig jede anderweite zweckmäßige Vorrichtung (z. B. Estrich,
Plattenbelag), durch welche der Fußboden der Schlafräume vom Erdboden
getrennt wird.“
„Zweckmäßiger scheinen demnach solche Anordnungen, welche wie die der
Regierungsbezirke Arnsberg und Koblenz, der Städte Aachen und Herford, des
Digitized by LaOOQle
172 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
Landkreises Aachen, der Gemeinde Kirn usw., welche Holzdielang oder einen
„anderweiten zweckmäßigen Belag w fordern, von dem der Regierungspräsident
zu Lüneburg, sowie Göttingen, Peine und Osterode a. H. im weiteren fordern,
daß er „aus festem, undurchlässigem Material a bestehen müsse und „keine
erheblichen Unebenheiten und keine offenen Fugen haben darf a , und daß
„Lehmschlag oder ähnliches Material“ nicht verwendet werden dürfe. Auch
die Bayerische Instruktion verlangt „einen dichten Fußboden aus Holz,
Stein, Zement oder aus einem anderen zweckmäßigen Material“ und fordert
„namentlich auf Beseitigung der in Küchen noch vorkommenden, schlecht
zu reinigenden Lehmböden hinzuwirken“.
„Doch genug hiervon. Aus den vielgestaltigen, mehr oder weniger
eingehenden Bestimmungen, von denen ich Ihnen einen großen Teil vor¬
geführt, leite ich die beiden ersten Schlußsätze zu meinem Referate ab:
„Jede Wohnung muß einen eigenen, durch keine fremden Küchen, Wohn-
oder Schlafräume führenden Zugang haben“ und „Alle Wohn- und Schlaf¬
räume müssen trockene, gegen Witterungseinflüsse vollkommen schützende,
dichte Wände, Decken und Fußböden haben und von innen verschließbar sein.“
„ Als den Kardinalpunkt der ganzen Wohnungsfrage bezeichnete Professor
Dr. Neisser auf dem Frankfurter Wohnungskongreß die „Geräumigkeit“
der Wohnung. Dieselbe kommt zum Ausdruck in der Zahl und der Größe
der Zimmer. Letztere findet einen zahlenmäßigen Ausdruck in dem Luft¬
raum, der für jeden Bewohner vorhanden ist. Hinsichtlich des Luftraumes
besagen die 1889 in Straßburg beschlossenen Vorschläge für „Reichsgesetz¬
liche Vorschriften zum Schutze des gesunden Wohnens“: „Vermietete, als
Schlafräume benutzte Gelasse müssen für jedes Kind unter 10 Jahren min¬
destens 5 cbm, für jede ältere Person mindestens 10 cbm Luftraum enthalten.
Kinder unter einem Jahre werden nicht mitgerechnet.“
„Die Bestimmung eines Minimalluftraumes ist in der überwiegenden
Mehrzahl aller Wohnungs- und Schlafstellenordnungen getroffen.
„Aus den nachstehenden beiden Tabellen ist zu entnehmen, wie bunt
und vielgestaltig selbst in diesem Punkte die einschlägigen Bestimmungen
sind. Viele der Verordnungen setzen bloß einen Minimal-Luftraum fest,
viele fordern daneben auch eine Minimal-Bodenfläche. Viele fordern den
festgesetzten Luftraum schlechthin pro Kopf, viele lassen für Kinder eine
Ermäßigung zu, teils auf die Hälfte, teils auf Vs hei Kindern unter 6 Jahren
und auf 2 /s hei Kindern von 6 bis 14 Jahren. Die Altersgrenzen, wo für
Kinder überhaupt Ermäßigungen eintreten, sind teils 10 Jahre, teils 12,
teils 14, in einem Falle, Hamburg, gar 15 Jahre, während Lübeck das Ende
der Schulpflicht als Grenze setzt.
Bestimmungen über den Mindestluftraum.
(Es bedeutet E = Erwachsene, K = Kinder, P = jede Person ohne Altersunterschied.)
a) Wohnungsordnungen.
E 7 cbm, K unter 14 Jahren 5 cbm. Stadt Königsberg i. Pr.
P 9 cbm. Stadt Rogasen i. Posen.
P 9 bis 10 cbm. Städte Grätz und Neustadt b. Pinsel i. Pos.
P 10 cbm. Städte Fraustadt und Schildberg i. Pos., Braunsberg i. Ostpr.
E 10 cbm, K unter 15 Jahren 5 cbm. Hamburg.
E 10 cbm, K unter 14 Jahren 5 cbm, K unter 1 Jahr 0. Pfalz, Städte Allen-
burg, Tapiau und Wehlau i. Ostpr., Stolp i. Pom.
Digitized by Google
Mindestanforderungen an die Beschaffenheit der Wohnungen usw. 173
E 10 cbm, K unter 14 Jahren 5 cbm. Königr. Württemberg.
E 10 cbm, K unter 10 Jahren 6 cbm. Stadt Allenstein i. Ostpr.
E 10 cbm, K unter 10 Jahren 6 cbm, K unter 1 Jahr 0. Verschiedene Kreise
des Regierungsbezirks Arnsberg i. W., Regierungsbezirke Koblenz, Köln
und Düsseldorf, Stadt und Landkreis Aachen, Stadt Herford i. W.
E 3 qm 10 cbm, K unter 12 Jahren 2 qm 5 cbm, für jeden Kochherd 15 cbm
mehr. Städte Goslar und Osterode a. H., Peine (Han.), Koschmin i. Pos.
E 3 qm 10 cbm, K unter 10 Jahren 1,5 qm 5 cbm. Regierungsbezirk Münster.
E 4 qm 10 cbm, K unter 10 Jahren 5 cbm, unter 1 Jahr 0. Regierungsbezirk
Trier.
Für die Scblafräume: E 10 cbm, schulpfl. K 5 cbm, K unter 1 Jahr 0. Ge¬
samter Wohnraum: E 15 cbm, schulpfl. K 7,5 cbm, K unter 1 Jahr 0.
Lübeck.
E 6 qm 15 cbm, K unter 14 Jahren 3 qm 8 cbm, für jeden Kochherd 15 cbm
mehr. Verschiedene Städte des Regierungsbezirks Lüneburg.
E 14 bis 16 cbm, im Keller 20 cbm. Stadt Obornik i. Pos.
Im Erdgeschoß oder Keller: E 20cbm, K unter 14 Jahren 10cbm, K unter
1 Jahr 0. In höheren Stockwerken: E 0 cbm, K unter 14 Jahren
4,5 cbm, K unter 1 Jahr 0. Stadt Kempen i. Pos.
Für Schlafräume: E 10cbm, K unter 10 Jahren 5cbm; für Schlafräume, die
gleichzeitig als Wohnräume dienen, jede P 5 cbm mehr; für Scblaf¬
räume, die gleichzeitig als Wohnräume sowie zu gewerbl. Benutzung
dienen, jede P weitere 5 cbm mehr. Im Erdgeschoß an schmalen Gassen
und Höfen jede P 5 cbm mehr. Straßburg i. E.
b) Schlafstellenordnungen.
E 2,7 qm 6 cbm, K 6 bis 14 Jahren, 2 qm 4 cbm, K unter 6 Jahren 1 qm
2,25 cbm. Eitorf a. Sieg.
P 2 qm 7,5 cbm. Stadt Culmsee i. Westpr.
E 2 qm 8 cbm, K 6 bis 14 Jahren 4 / 8 qm 5,33 cbm, K unter 6 Jahren Vs qm
2,66 cbm. Städte Apenrade und Neumünster in Sohleswig-Holstein.
P 8 cbm. Geestemünde i. Hann.
P 9 cbm. Aschersleben, Prov. Sachsen.
P 3qm 9 cbm. Brandenburgische Städte: Finsterwalde, Forst i. L., Frankfurt
a. 0., Gassen, Landsberg a. W. und Spremberg.
P 3 qm 9 obm „excl. des Raumes für die Effekten“. Brandenburgische Städte:
Drossen, Fürstenwalde, Guben, Reppen, Schwiebus, Sommerfeld, Vetschau
und Züllichau.
E 10 cbm, K 6 bis 14 Jahren 6,66 cbm, K unter 6 Jahren 3,33 cbm. Halle,
Prov. Sachsen und Schönebeck a. Elbe.
E 10 cbm, K unter 14 Jahren 6,66 cbm. Stadt- und Landbürgermeisterei
Merzig a. Saar.
E 10 cbm, K unter 10 Jahren 5 cbm. Herzogtum Sachsen-Alten bürg, Kreis
Weißenfels i. Sachs., Städte Gera (Reuß j. L.), Osnabrück (Han.), Stolp
(Pommern).
P 10cbm. Großherzogtum Hessen, Regierungsbezirke Aachen, Aurioh,
Bromberg, Düsseldorf und Münster, verschiedene Städte und Landkreise
des Kreises Jerichow i. Sachs., Landkreis Gera (Reuß j. L.), Städte
Koblenz, Delmenhorst (Oldenburg), Mayen und Neuwied i. Rhld.
E 3 qm 10 cbm, K 6 bis 14 Jahren 2 qm 6,66 cbm, K unter 6 Jahren 3,33 cbm.
Kreis Bitterfeld, Landkreis Frankfurt a. M., Mansfelder Seekreis, Land¬
kreise Köln und Mülheim a. Rhein, Städte Altona, Berlin, Bonn, Breslau,
Köln, Charlottenburg, Kottbus, Dessau, Frankfurt a. M., Graudenz,
Hildesheim, Ketzin (Brandenb.), Kiel, Deutsch-Krone, Magdeburg, Nauen
(Brandenb.), Schönsee (Westpr.), Stolberg (Rhld.), Thorn, Wandsbeck,
Wittenberge.
E 3 qm lOcbm, K unter 14 Jahren 2 qm 6,66 cbm. Regierungsbezirk Minden,
Städte Kalau und Drebkau i. Brandenb.
Digitized by LaOOQle
174 XXXI. Versammlung d.D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
P 3 qm 10 cbm. Herzogtum Braunschweig, Kreise Höchst a. Main u. Neurod»
i. Schles., Stadt und verschiedene Gemeinden des Landkreises Kassel,
Städte Goslar und Peine i. Han., Senftenberg und Sorau i. Brandenb^
Trier.
E 3 qm 10 cbm, K unter 10 Jahren 1,5 qm 5 cbm. Biebrich a. Rh.
E 4 qm 10 cbm, K 6 bis 14 Jahren 2,66 qm 6,66 cbm, K unter 6 Jahren 2 qm
5 cbm. Oldesloe i. Schlesw.-Holst.
E 4 qm 10 cbm, K unter 10 Jahren 2 qm 5 cbm. Städte Eisenach, Gotha^
Quedlinburg, Gemeinde Kirn a. d. Nahe.
P 4qm 10cbm. Regierungsbezirk Liegnitz, verschiedene Städte und Ge¬
meinden des Regierungsbezirk Lüneburg, verschiedene Kreise des Re¬
gierungsbezirk Oppeln, Kreise Reichenbach und Schweidnitz L Schles.,
Kreis Simmem i. Rhld., Städte Hanau (Kassel), Lübeck, Münsterberg"
und Striegau i. Schles., Amtsbezirk Sande.
E 3 qm 12 cbm, K 6 bis 14 Jahren 2 qm 8 cbm, K unter 6 Jahren 1 qm
4 cbm. Elmshorn i. Schlesw.-Holst.
„Die geringste Bodenfl&che (2 qm für Erwachsene!) wird verlangt in
den Schlafstellenordnungen für Gulmsee, Neumünster und Apenrade, wobei
in letzteren beiden Städten bei Kindern noch eine Ermäßigung auf s /s bzw.
Va stattfindet, so daß für Kinder unter 6 Jahren dort nur 9 /s (!) Boden¬
fläche verlangt wird. Den geringsten Luftraum fordert die Schlafstellen¬
ordnung für Eitorf a. Sieg, nämlich 6 cbm für Erwachsene, 4 cbm für Kinder
von 6 bis 14 Jahren und 2 cbm für Kinder unter 6 Jahren. Bei solch
minimalen Anforderungen muß man sich allerdings fragen, ob es da über¬
haupt Zweck hat, daß die Polizei sich um die Belegung kümmert, die denn
doch hart an die Grenze reicht, wo eine noch weitere Überfüllung ihre
natürliche Grenze findet und von der Wahrung hygienischer Gesichtspunkte
nicht mehr die Rede sein kann. Nur 7 cbm für Erwachsene und 5 cbm für
Kinder fordert die Wohnungsordnung für Königsberg, 7,5 cbm für Erwach¬
sene die Schlafstellenordnung für Culmsee, 8 cbm Geestemünde, Apenrade
und Neumünster, in beiden letzteren Städten wieder Ermäßigung für Kinder
auf Vs bzw. V 3 .
„ln den Schlafstellenordnungen geht die geforderte Bodenfläche nirgends
über 4 qm hinaus, in der größten Mehrzahl beträgt sie 3 qm, der Luftraum
geht nur in einem Falle (Elmshorn i. Schlesw.-Holst. 12 cbm) über 10 cbm
hinaus und beträgt in einer großen Zahl von Verordnungen 9 cbm« Dagegen geht
in den Wohnungsordnungen die geforderte Bodenfläche bis auf 6 qm in Lüne¬
burg, der geforderte Luftraum bis auf 20 cbm für Erwachsene in Crimmitschau
und Obornik (für Kellerwohnungen) sowie Kempen i. Pos. hinauf. Auch haben
mehrere Verordnungen, so Lüneburg, Koschmin, Goslar, Peine, Osterode a. H.,
die zweckmäßige Bestimmung, daß für jeden Kochherd 15 cbm mehr zu
dem nach der Kopfzahl zu berechnenden Luftraum hinzukommen müsse.
Einige Verordnungen haben die praktisch nicht verwertbare Bestimmung,
daß der durch Möbel, Öfen und Effekten verstellte Raum nicht mitrechne.
Auch kommt in vielen Verordnungen nicht genügend klar zum Ausdruck,
ob der geforderte Luftraum für die „Schlafräume“ allein oder für den ge¬
samten „Wohnraum“ der Wohnung gilt.
„Hinsichtlich der Zimmer zahl fordert die starke Hälfte aller Wohnungs¬
ordnungen — die übrigen enthalten darüber nichts — eine Trennung der
Geschlechter in den Schlafräumen derart, daß die Wohnung so viel Räume
haben muß, daß die über 14 Jahre alten Personen nach dem Geschlecht
Digitized by LaOOQle
Mindestanforderungen an die Beschaffenheit der Wohnungen usw. 175
getrennt schlafen und für jedes Ehepaar mit seinen noch nicht 14 Jahre
alten Kindern ein besonderer Schlafraum oder doch wenigstens Abschlag
im Schlaf raume verbleibt. Von solchen Abschlägen fordert die Polizei-
verordnung für den Regierungsbezirk Münster, daß sie „genügend hoch 4 ,,
die Polizeiverordnung für den Regierungsbezirk Trier, daß sie „mindesten*
von 2 m Höhe“ sein müssen. Die Altersgrenze für die Oeschlechtertrennung
ist in den WobnungsVerordnungen für den Stadt- und den Landkreis Aachen
sowie die Stadt Herford i. W. auf 12 Jahre herabgesetzt.
„In den Verordnungen über das Schlaf-, Kost- und Quartiergängerwesen
ist fast durchweg die Geschlechtertrennung für die Schlafräume gefordert,,
eine Forderung, die wir hier nicht nur aus sittlichen, sondern auch aus
hygienischen Rücksichten vollauf billigen werden. Viele Schlafstellen¬
ordnungen gestatten überhaupt nur die Aufnahme von Scblafgängern männ¬
lichen oder weiblichen Geschlechts, nicht aber beiden gleichzeitig, viel*
auch stellen weitgehende Anforderungen für den Abschluß der von Schlaf¬
gängern benutzten Räume gegen diejenigen des Quartiergebers und seiner
Familie und fordern, daß etwaige Verbindungstüren durch Bretterverschläge,.
Vernagelung oder dergl. unbenutzbar gemacht werden müssen. Wichtig
erscheint mir die Bestimmung, daß familienfremde Schlafgänger nur dann
aufgenommen werden dürfen, wenn dem Quartiergeber Räume in dem vor¬
hin erörterten Umfange zur ausschließlichen Benutzung verbleiben.
„Im übrigen kann hier auf einige weitere Bestimmungen der meisten
Schlafstellenordnungen hinsichtlich der Bettenzahl, des Wechsels des Bett¬
strohs, der Stellung von Waschgeschirren und Handtüchern usw. nicht näher
eingegangen werden. Ich möchte indes nicht verschweigen, daß verschiedene
Schlafstellenverordnungen sich damit begnügen, für je zwei (!) Schlafgänger
eine Bettstelle zu fordern.
„Von einer gesunden Wohnung muß man verlangen, daß sie genügende
Luft- und Lichtzufuhr von außen erhalte. Da „genügend“, „hinreichend“ usw.
sehr dehnbare Begriffe, sind für die praktische Handhabung einer
Polizeiverordnung nur festbestimmte Maßangaben für die erforderlich*
Größe der Fenster verwertbar. Von im ganzen 139 Verordnungen setzen
aber nur 29, nämlich 16 Wohnungs- und 13 Schlafstellenordnungen, be¬
stimmte Anforderungen an die Fenstergröße fest, 28, darunter 6 Wohnungs¬
und 22 Schlafstellenordnungen, sagen über Fenster überhaupt nichts, darunter
die Schlafstellenordnungen für Berlin und Charlottenburg. Endlich 82 Ver¬
ordnungen, darunter 8 Wohnungs- und 74 Schlafstellenordnungen, fordern
das Vorhandensein von Fenstern, ohne jedoch bestimmte Maße dafür vor¬
zuschreiben. So schreibt die Schlafstellenordnung für Merseburg vor: di*
Schlafräume müssen mit mindestens einem Fenster versehen sein; die Schlaf¬
stellenordnungen für den Landkreis Aachen, Bromberg, Graudenz, Ketzin,.
Nauen und die Stadt Trier: die Schlafräume müssen mindestens mit einem
„zum öffnen eingerichteten“ Fenster versehen sein; 33 Schlafstellenordnungen
sowie die Wohnungsordnung der Arnsberger Regierung und die Ministerial-
instruktion für Württemberg schreiben vor, daß sie mindestens ein zum
Öffnen eingerichtetes Fenster „in der Außenwand“ oder „unmittelbar ins
Freie gehend“ haben müssen, und einige fügen hinzu, daß solche Fenster
„von genügender Größe“ sein müssen; 20 andere Schlafstellenordnungen
Digitized by LaOOQle
176 XXXI. Versammlung d.I). Vereins 1. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
verlangen ein Fenster „in der Außenwand“ oder „unmittelbar ins Freie“,
schreiben jedoch nicht ausdrücklich vor, daß es „zum öffnen eingerichtet“
sein muß, eine Voraussetzung, die nach meinen Erfahrungen keineswegs
überall selbstverständlich ist. Noch weniger ist anzufangen mit Bestim¬
mungen wie: „die Schlafräume müssen gehörig ventiliert werden“ (Schlaf¬
stellenordnung für Altona und Magdeburg Stadt); „jeder Schlafraum muß
hinlänglich Licht und Luft haben“ (Schlafstellenordnung Halle a. S.); „die
Schlafräume müssen genügend durch Tageslicht erleuchtet und gut lüftbar
sein“ (Schlafstellenordnung Regierungsbezirk Minden); „alle Wohnungen
sollen hinlänglich hell und luftig sein“ (Wohnungsordnungfür Crimmitschau).
Nicht ganz unbedenklich dürfte die Bestimmung der Wohnungsordnungen
für Bromberg und Königsberg sein: „die Wohnräume müssen Fenster haben,
welche zu jeder Jahreszeit geöffnet werden können. Die Schlafräume müssen
gleichfalls derartige Fenster haben, oder mindestens durch geräumigfe
Türöffnungen mit vorschriftsmäßigen Wohnräumen in unmittelbarer Ver¬
bindung stehen.“ Wie schließlich die nachstehenden Bestimmungen in der
Praxis auf ihre Durchführbarkeit kontrolliert werden sollen, weiß ich nicht,
wenn in Kalau und Drebkau vorgeschrieben ist: „die Fenster der Schlaf¬
räume müssen täglich mindestens zwei Stunden offen gehalten werden“*
oder in Sommerfeld, Gassen, Frankfurt a. 0., Landsberg a. W., Drossen und
Reppen: „die Fenster der Schlafräume müssen täglich durch zwei Vormittags¬
und zwei Nachmittagsstunden offen gehalten werden“. Noch komplizierter
wird es für die Polizisten von Fürstenwalde, die acht geben müssen, ob die
Fenster der Schlafräume im Sommer täglich zwei Vormittags- und zwei
Nachmittagsstunden und im Winter durch zwei Vormittagsstunden offen
gehalten werden.
„Was nun die Verordnungen mit festen Maßangaben für die Fenster¬
größe angeht, so gibt es deren, wie bereits bemerkt, 29, darunter 16 Woh¬
nungsordnungen, und diese 29 Verordnungen enthalten zwölferlei vonein¬
ander abweichende Forderungen.
„Vis der Bodenfläche als Fenstergröße fordert die Schlafstellenordnung
für Quedlinburg für die Schlafräume, die Wohnungsordnung für Herford i. W.
für Wohn- und Schlafräume; Vis verlangt die Wohnungsordnung des Re¬
gierungsbezirks Trier, begnügt sich aber bei den zurzeit des Erlasses der
Verordnung bereits vorhandenen Wohnungen mit Vis- Das gleiche tun die
Wohnungsordnungen für die Stadt Köln und den Regierungsbezirk Düsseldorf,
lassen aber im weiteren bei schrägen Speicherräumen V20 zu - Schlechthin Vh
fordert für alle Schlafränme die Wohnungsverordnung des Regierungspräsi¬
denten zu Münster, und die Schlafstellenordnungen für Braunsberg und
Sachsen-Altenburg V12 für Wohn- und Schlafräume, und V20 bei schrägen
Dachräuraen die Wohnungs- und die Schlafstellenordnungen von Göttingen,
Goslar, Lüneburg, Osterode a. H. und Peine. Via au °b fordert für Wohn-
und Schlafräume die Wohnungsordnung von Stolp i. P., begnügt sich aber
mit V20 »bei Räumen, die für nur eine einzige Person bestimmt sind“. V10
der Bodenfläche und V15 bei Speicherräumen verlangen die Wohnungs¬
ordnungen für die Stadt Aachen und den Landkreis Aachen, sowie den
Regierungsbezirk Koblenz, ermäßigen diese Anforderungen aber bei bereits
vorhandenen Wohnungen auf Viö bzw. auf V20 bei Speicherräumen. Die
Digitized by LaOOQle
Mindestanforderungen an die Beschaffenheit der Wohnungen usw. 177
Schlafstellenordnung für Apenrade fordert für jede Person V 4 qm zu öffnende
Fensterfläche, die Schlafstellenordnung für Hanau und Kassel 1 qm Fenster¬
fläche auf 15 cbm bei V 4 fl m Mindestfläche. Die Instruktion für Straßburg
i. E. verlangt für Wohn- und Schlafräume 1 qm Fensterfläche auf je 25 cbm
Rauminhalt. Schließlich 1 qm auf 30 cbm fordern die Wohnungsordnung
des Regierungspräsidenten zu Köln und die Schlafstellenordnungen für
Biebrich und Geestemünde, letztere mit dem Zusatz, daß jedes Fenster
mindestens Yafl 111 zum öffnen eingerichtete Fläche haben muß.
„Ob man nun die Fensterfläche zu der Bodenfläche oder zum Raum¬
inhalte in Beziehung setzen will, kommt mehr oder weniger auf Eins heraus.
Die reichsgesetzlichen Vorschriften zum Schutze des gesunden Wohnens
fordern Vis der Bodenfläche. Ich habe in den Schlußsätzen 1 qm auf 30 chm
empfohlen, weil das einer besonderen Behandlung der Schrägkammern ent¬
hebt, für die auch jene reichsgesetzlichen Vorschriften Erleichterungen
vorsehen. Bezüglich der in der schrägen Dachfläche liegenden Fenster
habe ich jedoch den Zusatz in Vorschlag gebracht, daß sie außer Anrechnung
bleiben sollen, veranlaßt durch den letzten Jahresbericht der Essener
Wohnungsinspektion. Auf Grund ihrer Beobachtungen haben die Essener
Wohnungsinspektoren in Anregung gebracht, bei einer Revidierung der
Düsseldorfer Regierungspolizeiordnung den § 2 Nr. 1 dahin abändern zu
wollen, daß Dachfensterklappen nicht mehr als ein genügendes Fenster
angesehen werden sollen. Bei Regenwetter können derartige Dachfenster¬
klappen nicht geöffnet werden; nach einem größeren Schneefall ist dies
überhaupt unmöglich, so daß während dieser Zeit der betreffende Raum
weder Licht noch Luft erhält* Die in eisernen Rahmen liegenden Fenster¬
klappen lassen im Winter die Kälte, im Sommer die Hitze nur wenig ge¬
hindert in die Zimmer eindringen. Auf den meist schräg liegenden Fenstern
sammelt sich der Schmutz und bleibt monatelang liegen, weil derartige
Dachfenster, zumal wenn sie (wie meistens) sehr hoch über dem Fußboden
angebracht sind, ungemein schwer zu reinigen sind.
„Hinsichtlich der Lage der Wohn- und Schlafräume zu Aborten, Ställen,
Düngergruben usw. fordern die Wohnungsordnungen für die Regierungs¬
bezirke Düsseldorf und Trier, daß „Schlafräume“ nicht mit Aborten in
„offener“ Verbindung stehen dürfen, während Stolp i. P., Lüneburg, Goslar,
Peine, Osterode a. H. und Königsberg diese offene Verbindung auch für
Wohn- und Küchenräume ausschließen. Weitergehend fordern die Verord¬
nungen für die Stadt Aachen, Stadt Köln, Herford, Regierungsbezirk Koblenz,
Straßburg i. E., daß die Küchen-, Wohn- und Schlafräume nicht in „un¬
mittelbarer“ Verbindung mit Aborten stehen dürfen, sie fordern also, wenn
ich recht verstehe und nicht unmittelbar == offen setze, die Einschaltung eines
ZwischenvoiTaumes, Flurs oder dergl. zwischen Abort und Wohnraum. Die
Grimmitschauer Wohnungsordnung verbietet Schlafstellen in Vorräumen
von Aborten, und schließlich besagt die Allensteiner Wohnungsordnung,
daß das Einrichten von Wohnungen „in unmittelbarer Nähe von Stall¬
räumen“ fernerhin nicht gestattet werde. Die übrigen, also die Mehrzahl
der Wohnungsordnungen, besagen zu diesen Punkten nichts. Dagegen
treffen die Schlafstellenordnungen bis auf wenige Ausnahmen — soweit ich
feststellen konnte nur Apenrade, Lehe, Blumental und Delmenhorst — über
Vierteljahrsschrift für Gesundheitspflege, 1907. J2
Digitized by LaOOQle
178 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. offentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
die Lage der Schlafräume zu den Aborten und größtenteils auch zu Ställen
und Düngergruben Bestimmungen. Breslau und Dessau verbieten auch
Schlafräume über Backöfen.
„Über die Zulässigkeit von Wohn- und Schlafräumen in Kellerräumen
schweigen sich 23 Wohnungs- und 71 Schlafstellenordnungen völlig aus,
während 13 Wohnungs- und 34 Schlafstellenordnungen diese Frage regeln.
Schlankweg verboten sind Sehlafräume in Kellern durch die Wohnungs¬
ordnungen des Regierungsbezirks Münster, des Landkreises Aachen und
der Städte Aachen und Herford, sowie durch die Schlafstellenordnungen
des Regierungsbezirks Minden, der Kreise Reichenbach u. Schweidnitz i. Schles.
und Simmern i. Rhld., und der Städte Hanau, Höchst a. M., Münsterberg,
Striegau, Burg und der Gemeinde Kirn a. d. Nahe. 20 Schlafstellenordnungen
lassen Schlafstätten in Kellerräumen zu, nachdem sie von der Ortspolizei¬
behörde „für geeignet tt erachtet sind, wobei meist vorgeschrieben, daß
hierüber der zuständige Medizinalbeamte vorher zu hören ist. Lüneburg
gestattet keine Wohnungen und keine Schlafstellen in Räumen, die mehr
als 50 cm unter Terrain liegen, läßt aber Ausnahmen zu „so lange nach
Lage der örtlichen Verhältnisse die Benutzung derartiger Wohnungen noch
nicht zu entbehren ist und sofern in dem betreffenden Falle solcher Be¬
nutzung »erhebliche« gesundheitliche Bedenken nicht entgegenstehen“. Ich
fürchte, daß das in der Praxis soviel heißt wie: „Kellerwohnungen sind
erlaubt“. Sehr weitgehend sind die Anforderungen im Landkreise Aachen,
in den Städten Aachen und Herford, sowie in der Schlafstellenordnung der
Gemeinde Kirn, wonach Kellergeschosse und nicht unterkellerte Gelasse,
deren Fußboden nicht mindestens 0,25 m über der Erde liegt, als Schlaf¬
räume nicht benutzt werden dürfen. Im Regierungsbezirk Arnsberg sind
Kellerwohnungen dann zulässig, wenn die Höhenlage des Baugeländes die
Anlage von mindestens 1 m hohen vollständig über dem Erdboden belegenen
Fenstern gestattet. Nach den gesundheitlichen Mindestanforderungen der
Straßburger Wohnungskommission ist bei Wohnungen, deren Fußboden
unter dem Erdboden liegt, die Außenmauer durch eine offene, mindestens
20 cm breite Luftschicht vom Erdreiche zu trennen. Die Wandungen des
Zwischenraumes sind undurchlässig herzustellen; das sich im Zwischenraum
ansammelnde Regenwasser ist unterirdisch abzuleiten. Ist die Anlage einer
solchen äußeren Luftschicht nicht möglich, so muß der Gipsputz von der
Innenseite losgeschlagen, die Wand mit Teer gestrichen, neu verputzt und
mit Asphaltpapier bekleidet werden. Ferner ist der Fußboden bei Keller¬
wohnungen sowie bei nicht unterkellerten Erdgeschoßwohnungen hohl zu
legen und die entstehende Luftschicht durch Kanäle mit der Außenluft in
Verbindung zu bringen.
„Über das Vorhandensein und die Zahl der Aborte besagen 17 Woh¬
nungsordnungen gar nichts. 12 Wohnungsordnungen verlangen, daß jedem
Bewohner die Mitbenutzung eines auf dem Hausgrundstück befindlichen
Abortes gestattet sein muß, wobei die Ausführungsanweisungen zu den
Wohnungsordnungen der Regierungsbezirke Köln und Düsseldorf bemerken,
daß bei größeren Wohnungen der Regel nach für je 10 Personen ein Abort
vorhanden sein müsse, und die Wohnungsordnung des Regierungsbezirks
Trier, daß bei größeren Wohnungen die Zahl der Aborte der Zahl der Be-
Digitized by LaOOQle
Mindestanforderungen an die Beschaffenheit der Wohnungen usw. 179
wohner „entsprechend" sein müsse. Wenigstens ein Abort in jedem Geschoß
wird in mehrstöckigen Gebäuden in Stolp i. P. gefordert, ein Abort anf je
zwei Wohnungen in Lüneburg, ein Arbort für je 15 Personen in Straßburg
i. E. und in der Pfalz. Göttingen, Goslar, Osterode und Peine fordern
schließlich, daß die Mitbenutzung eines Abortes gestattet sein muß, ohne
dabei ausdrücklich zu verlangen, daß dieser Abort auf dem Hausgrundstück
belegen sein muß. Von den Schlafstellenordnungen befassen sich nur drei
mit den Abort Verhältnissen: Crimmitschau besagt, daß hinsichtlich der
Aborte die Bestimmungen des Allgemeinen Baugesetzes gelten, Delmenhorst,
daß beim Hause des Quartierwirts ein Abort vorhanden sein müsse, der
außerhalb des Hauses belegen und mit ins Freie gehendem Fenster versehen
sein muß; doch können bei bereits vorhandenen Häusern in betreff der
Belegenheit der Aborte vom Stadtmagistrat Ausnahmen gestattet werden.
Nur der Regierungsbezirk Minden stellt bestimmte Anforderungen an die
Zahl und fordert, daß auf je 20 Personen ein Abort vorhanden sein müsse.
„Meine Herren! Gerade die Abortverhältnisse erheischen vom Stand¬
punkt der Volksgesundheitspflege aus eine erhöhte Aufmerksamkeit. „Ein
besonders großer Mißstand tt — sagt der letzte Jahresbericht über die Essener
Wohnungsinspektion — „ist die zu geringe Zahl und die Mangelhaftigkeit
der Abortanlagen. Es ist mehrfach festgestellt worden, daß z. B. die drei
für ein größeres Haus vorhandenen Aborte von 70 und mehr Personen
benutzt werden mußten. Daß in solchen Fällen, wo selbstverständlich die
zwölf und mehr Familien nicht in dauerndem Einvernehmen miteinander
leben, die Abortreinigung viel, ja alles, zu wünschen übrig läßt, begreift
sich von selbst." — Und die am 1. Dezember 1905 stattgehabte Wohnungs¬
aufnahme in Barmen — einer Stadt, die meines Wissens keineswegs unter
besonders ungünstigen Wohnungsverhältnissen leidet — hat ergeben, daß
von insgesamt 27 806 Wohnungen, über die genauere Angaben vorliegen,
17,4 Proz. ihren eigenen Abort besaßen, während in 38,2 Proz. der Woh¬
nungen zwei, in 20,7 Proz. drei und in 23,7 Proz. der Wohnungen vier und
mehr Familien sich jn die Benutzung eines Abortes teilen mußten. Noch
ungünstiger stellen sich diese Zahlen, wenn nur die kleineren Wohnungen
für sich betrachtet werden. Von den Zweizimmerwohnungen verfügen noch
nicht 6 Proz. über einen eigenen Abort, 32 Proz. müssen ihn mit vier und
mehr Parteien teilen. Bei den Dreizimmerwohnungen haben 15 Proz. einen
eigenen Abort, auch hier müssen ihn noch 21 Proz. mit vier und mehr
Parteien teilen. Selbst bei den Fünfzimmerwohnungen hat nur die Hälfte
einen eigenen Abort.
„Die Wasserversorgung und Entwässerung bildet ein Kapitel für sich,
das dort, wo ein öffentliches Wasserwerk und öffentliche Kanalisation be¬
stehen, meist durch Sonderverordnungen geregelt ist. Die Wohnungs¬
ordnungen sind daher in dieser Beziehung meist dürftig. Die Regierungs¬
polizeiverordnungen von Cöln, Münster, Düsseldorf, Arnsberg und Koblenz,
sowie die Wohnungsordnungen des Landkreises Aachen und der Städte
Aachen und Cöln schreiben vor, daß eine genügende Versorgung der Be¬
wohner mit gesundem Wasser vorgesehen sein müsse. Lüneburg, Herford,
Goslar, Göttingen und Osterode fordern daneben auch eine unschädliche
Entfernung der Schmutz Wässer. Die Wohnungspolizei-Verordnung des
12 *
Digitized by LaOOQle
180 XXXI. Versammlung d. I). Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
Trierer Regierungspräsidenten schreibt vor, daß Wohnungen für eine gemein¬
schaftliche Haushaltung von zwei oder mehr Personen (FamilienWohnungen),
soweit in dem Gebäude Kanalisation oder Wasserleitung eingerichtet ist,
einen eigenen Ausguß bzw. einen eigenen Wasserhahn besitzen müssen.
„Die bauliche Instandhaltung seitens des Hauswirts und die pflegliche
Behandlung der Wohnung seitens des Mieters sind Erfordernisse, durch
deren Verabsänmung auch manche an sich einwandfreie Wohnung zu hygie¬
nischen Bedenken Anlaß gibt. In manchen WohnungsVerordnungen ist
bestimmt, daß die Wohnung nicht baulich verwahrlost sein dürfe (Regierungs¬
bezirk Trier) und daß im weiteren nicht tapezierte Wände mit einem
Anstrich zu versehen seien, der in Stolp i. P. bei jedem Wechsel der Mieter,
in Wehlau jährlich einmal, in Braunsberg ebenfalls jährlich mindestens ein¬
mal und außerdem, sobald die Polizeiverwaltung es zur Verhütung oder
Beseitigung einer Ansteckungsgefahr anordnet, in Lüneburg, Goslar, Peine,
Göttingen, Osterode und Herford „nach Bedürfnis“ zu erneuern ist. In
Crimmitschau ist der Hauswirt verpflichtet, bei allen zum dauernden Auf¬
enthalt von Menschen bestimmten Gebäuden die durch ungenügende Unter¬
haltung verursachten, für die Bewohner gesundheitsschädlichen Zustände zu
beseitigen, insbesondere Vorkehrungen zum Schutze gegen eindringende
Feuchtigkeit zu treffen und die Heiz- und Beleuchtungseinrichtungen,, die
Wasserversorgungs- und Entwässerungsanlagen, sowie die Aborte in ord¬
nungsmäßigem baulichen Zustande zu erhalten. Der Hausbesitzer hat auch
dafür zu sorgen, daß die zu seinem Grundstücke gehörenden, nicht mit
einer einzelnen Wohnung vermieteten Höfe, Lichthöfe und Lichtschächte
regelmäßig gereinigt werden. Aber auch dem Mieter sind — mit Recht
— Verpflichtungen auferlegt. Ihm ist die mißbräuchliche Benutzung einer
Wohnung in solcher Weise, daß sie dadurch gesundheitsschädlich wird,
verboten. Insbesondere richtet sich das Verbot gegen die dauernde Ver¬
unreinigung einzelner Teile, sowie der Höfe, Treppen, Gänge, Aborte und
anderer Räume, gegen die Aufbewahrung gewisser Gegenstände, gegen
zweckwidrige und übermäßige Feuchtigkeit verursachende Benutzung im
allgemeinen, insbesondere der Wasserleitungs-, Entwässerungs-, Heiz- und
Kochanlagen sowie gegen die Vernachlässigung der Lüftung und Reinhaltung
der Abortanlagen. Ähnliche Bestimmungen enthält auch das Lübecker
Gesetz betr. die Wohnungspflege.
„Hinsichtlich der Vornahme gewerblicher Verrichtungen und der Auf¬
bewahrung gewisser Gegenstände verbieten die Wohnungsordnungen von
Graudenz, Deutsch-Krone und Culmsee Werkstätten und Räume, in denen
Nahrung8- und Genußmittel hergestellt oder gelagert werden, als Schlaf¬
räume zu benutzen. Die Benutzung solcher Räume, die dem Verkauf oder
der Lagerung von Nahrungsmitteln dienen, ist auch durch die Schlafstellen-
ordnungen von Hanau, Kassel, Höchst a. M., sowie nach der Württera-
bergischen Ministerialinstruktion verboten. In Crimmitschau und Straßburg
i. E., sowie nach der Instruktion der Kgl. Regierung der Pfalz ist die Auf¬
bewahrung übelriechender Knochen, Lumpen oder sonstiger faulender Gegen¬
stände, sowie die Vornahme übelriechender gewerblicher Verrichtungen
innerhalb der Wohnungen verboten. Nach den Schlafstellenordnungen von
Fürstenwalde und Drossen, sowie der Kreise Beuthen und Simmern, dürfen
Digitized by
Google
Mindestanforderungen an die Beschaffenheit der Wohnungen usw. 181
die Schlafräume nicht zur Unterbringung von Vieh oder zur Aufbewahrung
von Dingen« welche leicht der Fäulnis anheimfallen« benutzt werden. 2s ach
der Geestemünder Schlafstellenordnung ist die Benutzung der Schlafräume
zur Aufbewahrung von Nahrungsmitteln oder von stark riechenden Gegen¬
ständen untersagt. Die Schlafstellenordnung für den Regierungsbezirk
Bromberg besagt schließlich: In keinem Zimmer, in welchem „mehrere“
Menschen die Nacht hindurch schlafen, darf Nutzvieh (namentlich Schweine,
Ziegen, Federvieh usw.), Krautfässer und Gegenstände, welche faulige Stoffe
•enthalten, geduldet werden.
„Meine Herren! Ich bin am Schluß meiner Wanderung durch das
trockene, manchmal auch nicht ganz wohlriechende Gebiet der deutschen
Wohnungs- und Schlafstellenordnungen. Es erübrigt mir noch kurz die
Frage der Durchführbarkeit der Bestimmungen, die Ihnen vorgeführt worden,
zu streifen.
„Hinsichtlich der Düsseldorfer Wohnungsordnung, die ja für viele
andere vorbildlich gewesen ist, konnte auf der Kölner Versammlung 1898
der derzeitige Beigeordnete, jetzige Oberbürgermeister Marr, mitteilen: Die
wesentlichste Mitteilung für Sie erscheint mir die, daß alle Bestimmungen
jener Verordnung sich in Düsseldorf als durchaus durchführbar erwiesen
haben; ich erwähne dies besonders auch bezüglich der Bestimmung über
den Minimalluftraum.
„Und die 1904 im ReichBamte des Innern bearbeitete Denkschrift:
„Die Wohnungsfürsorge im Reiche und in den Bundesstaaten“ fällt das
Gesamturteil: „Die Wohnungsordnungen haben sich bei allmählichem, der
Zahl und der Beschaffenheit der zur Verfügung stehenden Kleinwohnungen
angepaßtem Vorgehen als durchführbar und als besonders erfolgreich für
die Verbesserung der Wohnungs Verhältnisse erwiesen.“
„Möge die vergleichende Zusammenstellung des Inhaltes jener Ver¬
ordnungen, die ich Ihnen gegeben, in manchen Punkten weitere Klärung
bringen und sich bei dem Neuerlaß oder der Revidierung von Wohnungs¬
verordnungen nutzbringend erweisen.“
Hierauf eröffnet der Vorsitzende die Diskussion.
Professor Dr. Prausnitz (Graz): „Meine Herren! Wir Hygieniker
dürften ja wohl allgemein der Ansicht sein, daß das, was der verehrte Herr
Referent hier als Mindestforderungen aufgestellt hat, doch zu gering ist.
„Ich will mir erlauben — weil die Zeit beschränkt ist — nur auf
•einige Punkte aufmerksam zu machen.
„Zunächst die Abortfrage. Wenn in den Thesen angegeben ist, daß
jedes Haus, das eine bestimmte Anzahl Einwohner hat, nur einen Abort
braucht, so geht das nach dem, was wir für richtig halten, doch nicht gut
an. Wir müssen, wenigstens bei Neubauten, verlangen, daß jede Wohnung
•einen Abort hat. Daß das ohne erhebliche Kosten möglich ist, ist heute
durch so viele Beispiele erwiesen, daß es nach meiner Ansicht ein schwerer
Fehler wäre, wenn gerade der Deutsche Verein für öffentliche Gesundheits¬
pflege in dieser Beziehung zurückgehen würde.
„Weiterhin möchte ich darauf aufmerksam machen, daß die These über
die Kellerwohnungen viel zu gelinde gefaßt ist.
Digitized by
Google
182 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. offentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
„Kellerwohnungen so allgemein zu gestatten, wie das hier in der These
der Fall ist, können wir nicht zugeben. Es gibt ja gewisse Fälle, wo man
das Wohnen im Keller erlauben soll. Dann aber ist höchstens eine Woh¬
nung zu gestatten. In gewissen Fällen muß man die Möglichkeit bieten,
daß der Hausmeister im Keller wohnt, weil sonst überhaupt kein Haus¬
meister untergebracht werden kann oder die Hausmeister an Stellen wohnen,
wo man sie nicht erreichen kann. Aber ganz allgemein zuzugeben, daß,
wenn nur etwas Sonne in die Kellerwohnung hineinscheint, Kellerwohnungen
auch in größerer Zahl gebaut und benutzt werden können, das halte ich
vom hygienischen Standpunkt aus für nicht richtig.
„Dann wäre noch ein dritter Punkt, auf den ich aufmerksam machen
möchte, in der These 3 enthalten, in der es u. a. heißt, daß für jedes Kind
unter 10 Jahren mindestens 5 cbm Luftraum vorhanden sein müssen, wobei
die Kinder im ersten Lebensjahre außer Anrechnung bleiben.
Der Herr Vortragende hat in seinem äußerst interessanten Vortrage uns
einen historischen Einblick verschafft und gezeigt, wie manche Bestimmungen
abgeschrieben werden, und wie sich manches von einer Polizeiverordnung
auf die andere vererbt. Diese Bestimmung ist nach meiner Überzeugung
einst einem Eisenbahnreglement entnommen. Denn, meine Herren, man
kann sich gar nichts Unrichtigeres denken, als zu sagen, die Säuglinge sollen
gerade bei der Wohnungsgröße nicht berücksichtigt werden. Erstens —
und da möchte ich einen Rückblick auf das werfen, was wir vor zwei Tagen
hier gehört haben — ist ja bei der Säuglingspflege zweifellos die Ver¬
sorgung mit Milch von allergrößter Wichtigkeit; aber man darf dabei nicht
vergessen, daß die Beschaffung guter Wohnungen für die Säuglingspflege
ebenfalls wichtig ist. Die beste Milch kann verderben, wenn sie in über¬
füllte, enge und heiße Wohnungen gebracht wird. Es kommt dazu, daß
die Säuglinge in engen überfüllten Wohnungen ganz erheblich leiden, und
dann ist noch ein weiterer Punkt zu berücksichtigen. Das Tier — das
können wir ja bei jedem Vogel, wenn er auch noch so jung ist, beobachten
— weiß, wie es sich in gewissen Lebenslagen zu verhalten hat. Bei dem
Säugling dauert es sehr lange, bis er das gelernt hat; im ersten Lebensalter
wird es auch die strengste Mutter nicht erreichen, daß der Säugling das
tut, was er tun müßte, wenn eine Verunreinigung der Luft der Wohnung
verhütet werden sollte. Der Säugling verunreinigt die Luft ganz erheblich
mehr, nicht nur als ein zwei-, drei-, ja zehnjähriges Kind, ja als der normale
Erwachsene, und deswegen soll man dem Säugling zum mindesten ebenso¬
viel Luftraum gewähren wie dem Erwachsenen. Dazu kommt, daß bei der
Pflege des Säuglings Windeln gebraucht werden; die Windeln müssen ge¬
waschen werden, gewaschene Windeln müssen auch wieder getrocknet werden,
und es ist ja ganz undenkbar, von einer Arbeiterfrau zu verlangen, selbst
wenn Waschhäuser vorhanden sind, daß sie beim Windelwaschen immer in
das Waschhaus geht. Sie muß die Windeln dort waschen, wo sich der
Säugling befindet; das kann man nicht umgehen.
„Deswegen wäre es sehr erwünscht, wenn endlich einmal diese in
vielen Verordnungen enthaltene, aber vom hygienischen Standpunkt schwer
zu verurteilende Vorschrift, daß Säuglinge nicht gerechnet werden sollen,
definitiv verschwinden würde. Wenn man überhaupt mit solchen Zahlen
Digitized by
Google
Mindestanforderungen an die Beschaffenheit der Wohnungen usw. 183
rechnet — das hat ja immer gewisse Schwierigkeiten —, so soll man dem
Säugling zum mindesten dasselbe Maß gönnen wie dem Erwachsenen. Viel
ist es nach den Zahlen, die hier angegeben sind, ohnehin nicht. Aber da
nun einmal so minimale Zahlen aufgestellt sind, soll wenigstens der Säug¬
ling zu seinem Recht kommen."
Oberbürgermeister Dr. Ebeling (Dessau): „Meine Herren! Als ich
die Leitsätze gelesen hatte, war ich etwas überrascht; denn wenn wir als
Deutscher Verein für öffentliche Gesundheitspflege auftreten, so dürfen wir
nicht bloß das äußerste Minimum verlangen, sondern möglichst viel; denn
weniger geschieht allemal schon. Was aber hier geboten wird, ist in der
Tat das äußerste Minimum.
„Die Frage der Arbeiterwohnungen hat mich stets sehr interessiert.
Ich habe ja damals in München über den Stand der Wohnungsfrage in
Deutschland berichten müssen und habe beim Studium der Frage gesehen,
wie die Bedürfnislosigkeit gerade auf diesem Gebiet eine ganz außerordent¬
liche ist, so daß wir vielfach erst dahin wirken müssen, ein Bedürfnis zu
wecken.
„Seit der Münchener Tagung ist auch noch wenig geschehen. Ich
habe die feste Überzeugung, daß die vielen Wohnungsordnungen, die in der
Zwischenzeit entstanden sind, mehr aus einem gewissen Anstandsgefühl
gegeben wurden, indem man sich gedacht hat, es muß doch etwas geschaffen
werden, daß man aber noch nicht mit der genügenden Energie vorgegangen
ist, diese Wohnungsordnungen auch wirklich durchzuführen.
„Und nun ein kurzes Wort über die Leitsätze:
„Rinder unter 14 Jahren sind in einer Großstadt wie Berlin schon
erwachsene Leute. Ein junges Mädchen von 14 Jahren, ein Knabe von
14 Jahren ist da immer noch anders anzusehen wie draußen auf dem
Lande. Die darf man mit den Eltern nicht mehr zusammen schlafen lassen.
Die Grenze von 14 Jahren ist zu weit, sie muß herabgesetzt werden auf
12 Jahre. Jedenfalls müssen wir das von unserem Verein aus verlangen.
„Dann, meine Herren, die Frage der Cubikmeter. Der Säugling ist ja
schon zu seinem Recht gekommen. Nun gut! Es sieht ganz schön aus,
wenn man so sagt, für jeden Erwachsenen 10 cbm. Das klingt so, als ob
das ein ganzer Haufen wäre. Bitte, machen Sie sich einmal zu Hause einen
solchen Raum zurecht. Als ich die Polizeiverordnung für die Stadt Dessau
erlassen habe — der Herr Vortragende hat die unserige in seinem Referat
leider nicht berücksichtigt, und dabei haben wir eine sehr schöne — habe
ich das meinen Stadtverordneten dadurch klar gemacht, daß ich in einem
Nebenzimmer Räume aufgebaut habe mit Stangen und Leinen und Kreide-
s tri eben, daß ich ihnen da einmal so ein Schlafgemach hingesetzt und
dann gesagt habe: Bitte, meine Herrschaften, treten Sie ein, das ist für eine
Familie von vier Personen. Da waren sie erstaunt, wie klein der Raum ist,
wenn man ihn wirklich einmißt in die Wirklichkeit. Das ist also nur ein
Minimum, das möglichst noch erhöht werden muß.
„Mit der These 4 , betreffend die in der schrägen Dachfläche liegenden
Fenster, soll man nicht so streng sein. Ich glaube, da kann man, wenn
man bloß Licht und Luft hat, ruhig diese schrägen Fenster zulnssen.
Digitized by LaOOQle
184 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
„Dagegen halte ich es für unbedingt notwendig, daß für jede Familie
ein Abort geschaffen werden muß. Mindestens kann man es erreichen in
jedem Neubau. Wir hatten früher auch die Gewohnheit, daß zwei Familien
auf einen Abort angewiesen werden durften. Nachdem wir einmal streng
darauf gesehen haben, daß jede Wohnung mit einem Abort versehen werden
muß, geht es ganz famos. Nehmen wir einmal die Verhältnisse an. 15 Per¬
sonen, das sind drei Familien. Lassen Sie einmal die Obstzeit kommen«
ferner bei schlechtem Wetter die Erkältungen, und denken Sie, was sich
dann für Konsequenzen daraus ergeben. Das ist doch etwas Furchtbares.
Da ist eine erwachsene Tochter in der einen Familie, in der anderen ist ein
erwachsener Sohn. Die sollen sich an solchem Ort womöglich aufein¬
ander wartend treffen. Wie schamvoll! Deshalb muß verlangt werden,
daß für jede Familie ein Abort vorhanden ist.
„Ich glaube, der Reden sind auf diesem Gebiete genug gewechselt;
wir müssen endlich einmal Taten sehen. Daß die Herren Kollegen von der
Verwaltung schwer daran gehen, glaube ich sehr wohl. Wir in unseren
kleineren und mittleren Städten können die Sache schon eher übersehen.
In großen Städten erscheint es fast undurchführbar. Trotzdem möchte ich
meinen Kollegen Mut machen. Die Sache ist nicht so schlimm, wie sie aussieht.
Es kommt nämlich nicht darauf an, daß man ohne weiteres Wohnungen
schließen muß, weil sie der Polizei Verordnung nicht entsprechen, sondern daß
man allmählich vorgeht und vorläufig eine Überfüllung der Wohnungen
verhindert. Ich lege ein Hauptgewicht darauf bei den Wohnungsordnungen,
daß die Überfüllung der Wohnungen vermieden wird. Eine Wohnung kann
für Vater, Mutter und zwei Kinder durchaus gesund sein; hat aber das
Ehepaar 6 oder 7 Kinder, so ist es eine furchtbare Qual, darin zu wohnen.
Das Hauptgewicht ist auf tüchtige Wohnungsinspektoren zu legen, und zwar
am besten beamtete, denn der Bürger, der einmal zusammengeraten ist mit
so ein paar widerhaarigen Mietern, geht nicht gern wieder hin, er bekommt
zu viel Grobheiten zu hören. Der Wohnungsinspektor geht hin auf Grund
der aufgesteüten Wobnungslisten, besieht höflich die Wohnung und redet
zu: Lieben Leute, macht das so und so. Unter Umständen hilft man ihnen
und gibt ihnen vermittelst der Baupolizei eine Anregung; in den meisten
Fällen hilft das Zureden ohne weiteres. Eventuell sagt man zu dem betref¬
fenden Wohnungs Vermieter: Diese Wohnung reicht nur aus für eine Familie
mit zwei Kindern, die Eisenbahnverwaltung schreibt ja auch an ihre Güter¬
wagen: 6 Pferde oder so und so viel Mann. So kann man auch bei diesen
Wohnungen sagen, eine Familie von vier Köpfen kann sie enthalten. Nun
kann der Vermieter rechtzeitig kündigen, er kann sagen: Zieht einmal aus.
Geschieht das nicht, dann wird der Vermieter bestraft.
„Nun gibt es freilich Fälle, wo ein derartiges Schließen einer ungeeig¬
neten Wohnung eine ungerechtfertigte Beeinträchtigung des Hausbesitzers
herbeiführen würde. In solchen Fällen muß, ohne daß ein Recht anerkannt
wird, aus Billigkeit auch einmal die Stadtgemeinde eingreifen und muß
Entschädigung dafür zahlen. Wir haben das in den zwei letzten Jahren
ich glaube in zwei Fällen getan. Einen Anspruch darauf darf man natürlich
nicht geben. Aber aus Billigkeit muß man dem Betreffenden entgegen-
kommen.
Digitized by LaOOQle
Mindestanforderungen an die Beschaffenheit der Wohnungen usw. 185
„Ich freue mich, daß wieder einmal dieser Punkt auf der Tagesordnung
erschienen ist. Eigentlich aber ist es doch beschämend; der Herr Referent
hat uns vorhin vorgelesen, wie oft unser Deutscher Verein für öffentliche
Gesundheitspflege darauf hingewirkt hat, was für prachtvolle Vorträge
darüber gehalten sind, und der Erfolg davon ist doch immerhin ein ziemlich
minimaler. Wenn damals nur 40 Proz. reglementiert waren und heute viel¬
leicht 45 Proz., dann fehlen noch 55 Proz. der ganzen Bevölkerung, und
von den 45 Proz., die reglementiert sind, ist eine ganze Reihe von Städten,
wo die Vorschriften sehr milde gehandhabt werden, aus Furcht vor den
Konsequenzen.
„Möge heute wieder von hier aus ein neuer Appell, eine neue Anregung
in die Welt hinausgehen. u
Baumeister Stadtrat Hartwig, Vorsitzender des Zentralverbandes
Deutscher Hausbesitzervereine (Dresden): „Meine hochverehrten Herren!
Sie werden sich erinnern, daß ich bei früheren Beratungen desselben Gegen¬
standes, insbesondere bei jener Beratung in Straßburg im Jahre 1889, mich
gegen manche der damals erhobenen Forderungen auszusprechen gehabt
habe. Aber ich darf auch daran erinnern, daß ich im Punkte der Forderung
einer Wohnungsauf sicht schon im Jahre 1900 schriftlich und daran an¬
knüpfend in mündlichen Vorträgen in den Tagungen des Zentralverbandes
der Deutschen Hausbesitzervereine oft und energisch für die Einführung
einer Wohnungsaufsicht eingetreten bin, wenn ich auch damals auf dem Zentral¬
verbandstage (Erfurt 1900) nicht mit der von mir beantragten These 3
durchkam, die dahin lautete: „Die deutschen Hausbesitzer wünschen
die Einführung einer Wohnungsordnung.“ Das wurde mir damals
abgelehnt.
„Heute nun muß ich sagen, meine Herren, ich war erstaunt, wie ich
diese zusammengeschrumpften Forderungen und diese milde Fassung der
Thesen des heutigen Herrn Referenten vor meine Augen bekam. Beinahe
möchte ich sagen, daß hier gegenüber der langjährigen Mühe, die wir uns
mit den Dingen gegeben haben, das Dichterwort Anwendung Anden könnte:
»Ein großer Aufwand schmählich ist vertan!« Sieben-, acht-, ja neunmal
ist von den hervorragendsten Vertretern der Hygiene, von Herrn Baurat
Stübben, der Wohnungsbaufragen in der Hand hat wie der starke Mann
im Zirkus, der die gewichtige Kugel nur so auf und nieder fallen läßt, von
dem Oberbürgermeister, späteren Minister Miquel, kurz von den hervor¬
ragendsten Männern die Frage behandelt worden, und heute kommt nun
eine solche bescheidene Forderung, wie sie in den Leitsätzen hier vor mir
liegt, zutage! Das ist ja ein Rückschritt; das ist ja viel milder als früher.
„Dabei dürfen wir doch durchaus nicht vergessen, daß, seit wir mit
den Forderungen im Punkte der Wohnungsaufsicht begonnen haben, seit
etwa 20 Jahren bis jetzt auf dem gesamten Gebiete, das in Frage kommt,
nämlich auf dem Gebiete des finanziellen Könnens des Mieters,
ein ungeheurer Umschwung eingetreten ist.
„Der Mann, dem wir damals ein gesunderes Wohnen abforderten, hat
jetzt einen Lohn, der mindestens um 30 bis 40 Proz. erhöht ist gegen da¬
mals. Alles kommt aber doch beim gesunden Wohnen darauf an, ob ich
Digitized by LaOOQle
186 XXXI. Versammlung d.D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
als Insasse gewillt bin, des Tanzes und des Spieles, des Kochens und der
anderen Vergnüglichkeiten mir etwas weniger zuzuführen und dagegen
etwas mehr an die öffentliche Gesundheitspflege zu denken. Darauf
kommt alles an. Nur 10 Pf. pro Tag zurückgelegt — und was will das
sagen bei Arbeitslöhnen von 6 bis 8 M. pro Tag — das gibt schon 365 X
10 = 36 M. 20 Pf. täglich aber geben 72 M. jährlich. Herr du meines
Lebens, was kann man, wenn man 36 oder gar 72 M. jährlich mehr zahlt,
für eine Staatswobnung bekommen!
„Weil nun jetzt eine viel bessere finanzielle Situation derer vorhanden
ist, um die es sich hierbei zumeist handelt, müßten wir heute doch viel
eher ein Mehr fordern, aber nicht ein Weniger als früher. Ich komme
in der Tat aus dem Erstaunen über diesen Rückschritt nicht heraus. Ich
beklage den Rückschritt, ich wünsche, daß man gesund, reinlich, appetitlich
und wohl wohne. Hausbesitzer sein und Wohnungen dulden zu müssen,
in denen es, weil niemals gelüftet wird, übel riecht, wo Mittag um 1 Uhr
die Betten noch nicht gemacht sind, wo sich Spinngewebe in den Ecken
angesetzt hat, wo auf dem Boden Speisereste und Reste von dem, was nach
dem Speisen übrig blieb, zu finden sind, das ist keine Freude. Sollte aber
unter uns einer sein, der so hartköpfig wäre als Hausbesitzer, die not¬
wendigen Verbesserungen der Wohnung nicht vornehmen zu wollen, so
sagen wir ihm vom Standpunkte unserer Organisation: fahre aus, du un¬
reiner Geist!
„Wenn ich mich nun zu einzelnen Bestimmungen der vorliegenden
Leitsätze wende, auf deren Zurückbleiben gegenüber den früheren weiter¬
gehenden Forderungen mein Herr Vorredner bereits hingewiesen hat, so
will ich zunächst bemerken, daß die Forderung in der These 3, daß jedes
Ehepaar für sich und seine noch nicht 14jährigen Kinder einen beson¬
deren Schlafraum haben müsse, mir doch zu weit geht-diese eine
Forderung einfach um deswillen, meine Herren, weil dann für eine Arbeiter¬
familie mit heranwachsenden Kindern und mit Eltern, die selbst noch eine
Nachkommenschaft zu gewärtigen haben, eine ungeheure, fast unerfüllbare
Anforderung gestellt wird. Das dürfen wir nicht tun. Das können wir
nicht beschließen.
„Ich neige daher der Meinung zu, daß die in einer einzelnen der hier
vorgetragenen Bestimmungen aus den verschiedenen Städten enthaltene
Vorschrift, ein besonderer Abschlag müsse dann in den Schlafräumen vor¬
handen sein, wohl der Sittlichkeit Genüge tun würde, und daß sie empfehlens¬
wert ist.
„Meine Herren! Wir müssen bei allem, was die Arbeiter anlangt, und
bei Forderungen, die wir an sie stellen, immer eins bedenken. Es liegt
ein ungemein schwerwiegendes Moment für den Arbeiter und seine wirt¬
schaftlichen Verhältnisse in dem Umstande, daß der junge, unverheiratete
Arbeiter meistens genau denselben Lohn bekommt wie der Arbeiter mit
Familie, wie der mit fünf Kindern. Wenn wir diese Diskrepanz zu über¬
brücken vermöchten, würden wir viel Unheil, viel Unglück, Kummer und
Jammer aus der Arbeiterwelt hinausschaffen. Für einen jungen unver¬
heirateten Mann von 20, 24 Jahren sind die Löhne, die er heute bekommt
— ich kann das an mir selber ermessen, ich bin jahrelang Arbeiter gewesen
Digitized by LaOOQle
Mindestanforderungen an die Beschaffenheit der Wohnungen usw. 187
— zumeist viel zu hoch. Sie gewöhnen ihn an Ansprüche, an eine Lebens¬
weise und an einen Ausgabeetat, den er nicht zu haben brauchte.
„Aber für den Familienvater mit 3, 4 Kindern, vielleicht dazu noch
einer etwas kränkelnden Frau, sind die bestehenden Löhne in sehr vielen
Fällen viel zu gering. Stellen Sie sich doch gefälligst vor — merkwürdiger¬
weise wird dieses Thema nirgends behandelt und es liegt doch so nahe —
welch ein entsetzlicher Widerspruch darin liegt, daß der Arbeiter, welcher
für sich allein zu sorgen hat, mit dem, der für 4, 5 Kinder zu sorgen hat,
in Sachen des Lohnes meist auf gleicher Linie steht. Nun wollen wir
aber doch, daß auch die Familien hygienisch wohnen sollen, und diese
erst recht so, wie wir es zu fordern haben. Wenn wir aber einem Familien¬
vater, der eine so starke Familie hat, noch zumuten wollen, er solle nur
allein zu Schlafstätten drei Räume haben, dann gehen wir zu weit, dann
müssen wir dem Manne gegenüber auch in anderer Beziehung Nachsicht
üben. Z. B. müßte etwa gestattet sein, daß ein Kind auf dem Vorsaal
schlafen kann, wenn im übrigen der Vorsaal zu lüften ist, oder daß ein
Kind irgend wo anders untergebracht wird, vielleicht in einer Küche — in
Dresden ist ja das Schlafen in der Küche verboten — kurzum, daß alles
so geschickt arrangiert wird, daß unsere gesundheitlichen Forderungen
Erfüllung finden, daß aber auch der Familienvater damit nicht allzusehr
gedrückt wird.
„Ich will nicht unterlassen, hierbei einen Gedanken auszusprechen —
der eigentlich nicht zur Sache gehört, ich bin aber schnell damit fertig —
es würde mir lieb sein, der Gedanke würde kritisiert und ventiliert. Ich
wünschte, daß an unsere bestehenden Versicherungsgesetze noch ein weiteres
Versicherungsgesetz angeschlossen würde, welches dahin ginge: dem un¬
verheirateten Arbeiter wird gesetzmäßiger w[eise der dritte
Teil seines Arbeitslohnes weggenommen und in eine Sparkasse
eingelegt, deren Einlagen aus öffentlichen Mitteln sehr hoch,
vielleicht bis zu 6 Proz., verzinst werden.
„Wenn dann der Mann Familienvater geworden ist, und die größeren
Lebensbedürfnisse an ihn herankommen, dann kann er sich seine Einlagen
wieder herausholen. Das soll für jetzt nur ein flüchtiger Gedanke sein,
machen Sie damit, was Sie wollen.
„Dann, meine Herren, ist hier noch gefordert in der These Nr. 3, daß
Schlafgänger beiderlei Geschlechts nur dann mit besonderer polizeilicher
Genehmigung aufgenommen werden können, wenn ihre Schlafräume keine
direkte Verbindung miteinander haben. Ich muß dazu sagen, daß die
Dresdener Wohnungsordnung, der ich mit meinem verehrten Kollegen
Stadtrat Dr. May-Dresden, der dort sitzt, als Mitglieder der Wohnungs¬
kommission sehr nahe stehe, eine strengere Bestimmung hat. Wir dulden
Schlafgänger verschiedenen Geschlechts in einer und derselben Wohnung
überhaupt nicht. Ich würde das auch in eine Wohnungsordnung aufgenom¬
men haben. Sie sehen also, daß man in dieser Beziehung in manchem Orte
auch schon weiter gegangen ist, als hier der Referent in seinen Thesen
fordert.
„Noch aber möchte ich sagen, meine Herren, die Forderung, daß die
schrägen Dachflächen nicht als Fenster flächen angesehen werden sollen*
Digitized by LaOOQle
188 XXXI. Versammlung d.D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
erscheint auch mir gleich wie dem Herrn Vorredner Ebeling zu streng.
Denken Sie sich einmal Atelierräume. Hier ist von Wohn- und Schlafräumen
die Rede — und unter die Wohnräume gehören auch die Ateliers — und
da ist gesagt, daß Fenster in der schrägen Dachfläche außer Anrechnung
bleiben. Dieser Bestimmung nach würden ja aber Ateliers trotz ihrer hellen
und glänzenden Beleuchtung durch schräg stehende Dachfenster gar nicht
als Wohnräume angesprochen werden können, und sie müßten unbenutzt
bleiben.
„Daher gehe ich mit dem Herrn Vorredner ganz einig, wenn er hier
eine Milderung der Thesen wünscht. Richtig ist ja, daß dann, wenn das
schräg liegende Dachfenster — wie es oft vorkommt — sehr hoch oben ist,
vielleicht gar in der Nähe des Firstes, und wenn man es zwar von dem in
der Mitte des Hauses liegenden Korridor aus erreichen kann, aber keine
Leiter dazu bereit steht, und wenn es weiter sich dann mit Schnee und
Ruß bedeckt, ein solches Fenster natürlich nicht als Fenster angesehen
werden kann. Aber ich möchte einer solchen allgemeinen Bestimmung, wie
sie im Punkt 4 enthalten ist, doch nicht das Wort reden.
„Noch auf eins möchte ich hinweisen. In den Thesen müßte vor allen
Dingen noch angefügt werden, daß auf die Leute, die das Besserwohnen
bezahlen können, auch durch diejenigen eingewirkt wird, welche die Woh¬
nungsordnung zu handhaben berufen sind.
„Lassen Sie mich dafür nur ein Wort eines Arztes anführen. Es ist
im Jahre 1901 ausgesprochen worden von Herrn Dr. Krause (Sensberg) in
einer ärztlichen Versammlung in Berlin und lautet:
»Jedenfalls« — so betonte der Redner — »ist die Wohnungsfrage
keineswegs immer eine Frage der nicht ausreichenden Ein¬
nahmen, sondern zumeist eine Frage des mangelnden Verständ¬
nisses. Am Rhein macht man oft die Erfahrung, daß die Arbeits¬
löhne allzu häufig im seltsamsten Widerspruch zu den
Wohnungsverhältnissen stehen«,
d. h. die hohen Löhne machten die Mietung einer besseren Wohnung
möglich, aber! es fehlte die Lust dazu!!
„Es sei gar nicht selten, daß junge Arbeiter, die ganz schönen, fast
glänzend zu nennenden Verdienst hätten, in wahrhaft verblüffend
ungenügenden Wohnungen lebten. Bei den in diesen Fällen in Be¬
tracht kommenden Verdienst Verhältnissen wäre es eine gar nicht ins
Gewicht fallende Mehrausgabe, wollten die Leute die Mehrausgabe
für eine bessere Wohnung auf sich nehmen, die ihnen die Vorzüge
der Hygiene zuteil werden ließe.
„Für die Kreisärzte gelte es hier, das Verständnis für die
Nützlichkeit und Notwendigkeit gesunder Wohnungen zu
erwecken.
„Es sei dies ein großes Gebiet erzieherischer Tätigkeit in den
unteren Volksschichten.
„Die angestrebten Resultate auf dem Gebiete der Wohnungs¬
besserung könnten wohl ganz gut auf diesem Wege der Erziehung
erreicht werden; dazu bedürfe es keines besonderen Reichswohnungs-
gesetzes mit Polizeizwang und sonstigen beschwerlichen Einrichtungen.“
Digitized by LaOOQle
Mindestanforderungen an die Beschaffenheit der Wohnungen usw. 169
Oberbaurat Dr. Stfibben (Berlin-Grunewald): „Meine verehrten
Herren! Manches von dem, was von den Herren Vorrednern gesagt worden
ist, wird sich dadurch erledigen, daß wir bedenken, es handelt sich hier
nicht um Vorschriften für Neubauten, nicht um Vorschriften für eine zu
erlassende Bauordnung, sondern es handelt sich nur um Mindestforderungen
für die zu erlassenden Wohnungs- und Schlafstellenordnungen, also um
Mindestvorschriften für die Beschaffenheit und für die Benutzung vorhandener
alter Bauten. Würde es sich um Vorschriften für eine Bauordnung handeln,
dann würde allerdings in den Sätzen des Herrn Referenten ein ganz außer¬
ordentlich großer Rückschritt liegen. Das hat aber der Herr Kollege
Schilling nicht im geringsten beabsichtigt.
„Ich will gleich einige Punkte hervorheben, in welchen diese Sätze
hier für zu erlassende Bauordnungen gar nicht zu verwenden sind. Was
z. B. den nötigen Schlaf- und Luftraum betrifft, so kann der in einer Bau¬
ordnung ja gar nicht auf den Kopf des zukünftigen Bewohners zugeschnitten
sein, wenn man die Zahl der Bewohner nicht kennt. Wohl aber kann man
sagen und sagt man in guten Bauordnungen, daß eine jede Wohnung
mindestens aus zwei oder drei Räumen nebst Zubehör zu bestehen habe,
und daß jede Wohnung mindestens 60, 70, 80 cbm Raum umschließen
müsse. Dadurch ist dann von vornherein einer beträchtlichen Anzahl der
Fälle vorgebeugt, wo es sich um eine Überfüllung im Sinne des Satzes 3
handelt.
„Für eine Bauordnung genügt ferner die Vorschrift in Punkt 4, daß
jeder Wohn- und Schlafraum ein Fenster haben muß, das ins Freie geht,
ganz und gar nicht, sondern wir müssen da das Freie feststellen, warum
es eich handelt. Es muß eben ein Hofraum sein von entsprechenden Ab¬
messungen, und zwar sagt man in der Regel so, daß in jedes notwendige
Fenster das Himmelslicht etwa unter 45 Grad einfallen muß. Es genügt
also nicht, daß gesagt wird, ins Freie, sondern es muß ein entsprechend
großer Hofraum vorhanden sein, den schon Baumeister in seiner Normal¬
bauordnung vom Jahre 1880 dadurch berücksichtigte, daß er notwendige
und nicht notwendige Fenster unterschied und für die notwendigen Fenster,
diejenigen nämlich, die zur Belichtung und Lüftung der Wohnräume nötig
sind, bestimmte Forderungen aufstellte.
„Drittens: in Bauordnungen haben wir an Kellerwohnungen selbst¬
verständlich ganz andere Anforderungen zu stellen als das Wenige, was
hier verlangt ist. Ja, in den Bauordnungen werden wir in der Regel die
Schaffung neuer Kellerwohnungen überhaupt verbieten, mit gewissen Aus¬
nahmen, wie schon Professor Prausnitz sie vorhin geschildert hat. In
neuen Häusern neue vermietbare Kellerwohnungen, insbesondere Klein¬
wohnungen in Kellern einzurichten, das ist der Regel nach wirtschaftlich
ganz unnötig; die gesundheitlichen Bedenken geben hier den Ausschlag.
Denn wenn wir uns das einmal überlegen: was würde es für eine Bedeutung
haben, ich will einmal sagen, in einem vierstöckigen Hause außerdem noch
ein Kellergeschoß mit Wohnungen für kleine Leute einzurichten? Das hätte
wirtschaftlich nur den Erfolg, daß der Preis des Bauplatzes um einige Mark
wächst, nämlich um so viel, als durch die größere Ausnutzung des Kellers
zur Rente gebracht werden kann.
Digitized by
Google
190 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
„Auch für Dachwohnungen haben wir in den Bauordnungen ganz
andere Forderungen zu stellen, als das hier der Fall ist. In manchen ab¬
gestuften Bauordnungen sind in vielen Bezirken die Dachwohnungen, die
unter Umständen hygienisch noch bedenklicher sind als die Kellerwohnungen,
ganz verboten; jedenfalls sind sie aber mit hygienischen Maßregeln um¬
kleidet, von denen hier keine Rede ist.
„Endlich die Zahl der Aborte. Ja, eine neue Bauordnung, die nicht
für jede Wohnung einen Abort vorsieht, das ist doch eine so zurückgebliebene
Sache, daß ich sie mir gar nicht mehr vorstellen kann.
„Ganz anders liegt die Sache, wenn es sich um Mini mal Vorschriften
handelt, welche erfüllt sein müssen, damit vorhandene Wohnungen in alten
Häusern und alten Stadtteilen benutzt werden dürfen. Da muß ich natür¬
lich ganz außerordentlich meine Ansprüche zurückstellen, weil man nicht
mit einem Schlage eine große Zahl von Wohnungen, die nun einmal vor¬
handen und in mangelhaften Verhältnissen vorhanden sind, als unbenutzbar*
erklären und schließen kann. Aber ich muß den Vorrednern doch recht
geben, daß auch nach meinem Dafürhalten selbst vom Standpunkte der bloßen
Wohnungsordnung hier gewisse Zartheiten, gewisse Bescheidenheiten auf-
treten, die ich für mich nicht billigen kann. Zum Beispiel, es fehlt bei den
Anforderungen an Wohn- und Schlafräume eine minimale Lichthöhe. Wir
wissen aus verschiedenartigen Wohnungsenqueten, daß man Lichthöhen bis
zu 1,70 und 1,60 m hinab gefunden hat in Räumen, welche bewohnt waren,
in welchen geschlafen wird. Es ist deshalb nach meiner Meinung unbedingt
nötig, ein Minimalmaß festzustellen. Mir scheint ein Minimalmaß von
etwa 2,10m durchaus nicht zu hoch gegriffen zu sein, d. h. anzuordnen,
daß in allen Räumen, die weniger als 2,10 m im Lichten hoch sind, über¬
haupt nicht geschlafen und gewohnt werden darf, auch wenn im übrigen
die Bedingungen erfüllt sind. Ich gehe bei 2,10 m schon auf ein außer¬
ordentlich knappes Maß zurück, um nicht zu tief einzuschneiden in das
Vorhandene. Gesundheitlich ist zweifellos ein Mehr erwünscht, ich will
einmal sagen, 2,30 m als Minimum.
„Ferner habe ich große Bedenken, zuzugeben, daß es allgemein genüge,
wenn ein Abort für 15 Bewohner vorhanden ist. Mindestens, so müßte
man hinzufügen, muß ein Abort vorhanden sein für höchstens zwei Haus¬
haltungen und höchstens 15 Bewohner, bzw. Benutzer. Also in Haus¬
haltungen, in Geschäftsbetrieben, in Gewerbebetrieben, in welchen mehr als
15 Personen vorhanden sind, halte ich auch für diese eine Haushaltung, für
diesen einen Betrieb mehr als einen Abort für durchaus notwendig. Ich
wiederhole, daß es heißen müßte: Die Zahl der Aborte muß so bemessen
sein, daß höchstens zwei Haushaltungen und höchstens 15 Bewohner auf
die Benutzung eines Abortes angewiesen sind. Solange es sich um zwei
Haushaltungen handelt, weiß wenigstens, wenn der Abort beschmutzt oder
defekt ist, die unschuldige Familie, wo der Schuldige zu suchen ist; aber
sobald es sich um drei Haushaltungen handelt, dann weiß kein Mensch
mehr Bescheid.
„In dem Punkt 5 »Lage« ist offenbar ein kleiner Druckfehler vor¬
handen, den ich erwähnen möchte, weil aus ihm übertriebene Folgerungen
gezogen werden könnten. Es heißt: »Wohn- und Schlafräume dürfen nicht
Digitized by LaOOQle
Mindestanforderungen an die Beschaffenheit der Wohnungen usw. 191
über oder mit ihren Fenstern unmittelbar neben Abort- und Düngergruben
liegen.» Hinter »Abort« fehlt wohl der Verbindungsstrich, also »neben
Abortgruben«, obwohl ich auch dann noch mit meiner Zustimmung zurück¬
halten mochte. Jedenfalls läßt es sich gar nicht rechtfertigen, daß die
Fenster von Wohn- und Schlafr&umen nicht neben einem reinlichen Klosett,
neben einem guten Abort liegen sollen. Warum denn nicht? Vielleicht
hat der Herr Vortragende die Güte, sich darüber noch einmal zu äußern.
„Dann, meine Herren, genügt es auch nicht — ich habe das vorhin
vergessen — zu sagen: »Abortgruben müssen undurchlässige Um Wandungen
und Böden haben und dicht abgedeckt sein.« Ebenso wesentlich und viel¬
leicht noch wesentlicher ist es, daß sie gut gelüftet sind. Das kann in den
Wohnungspolizei Verordnungen festgestellt und bei der Durchführung der¬
selben auch kontrolliert werden: sie müssen eben mit der äußeren Luft in
Verbindung stehen und einen geordneten, wirksamen Luftwechsel besitzen.
„Schließlich ist mir die Forderung neu, daß die schrägen Dachfenster
außer Anrechnung bleiben sollen bei der Berechnung der Fensterfläche im
Verhältnis zum Kubikinhalt der Räume. Ich muß aber zugeben, daß sie
viel für sich hat, wie vorhin Herr Schilling eingehend dargelegt hat. An¬
dererseits kann man ein Atelierfenster doch nicht einfach als unbrauchbares
Fenster in diesem Sinne bezeichnen. Ich finde, daß man vielleicht dadurch
auf das Richtige käme, daß man sagt: Die in schräger Dachfläche liegenden
Fenster kommen nur zur Hälfte in Anrechnung. Dann würden große
Atelierfenster, die zur Hälfte jedenfalls im gesundheitlichen Sinne ausreichend
sind, nicht ausgeschlossen sein, und kleine Dachfenster würden noch durch
andere in der senkrechten Wand liegende Fenster ergänzt werden können.
„Im übrigen aber glaube ich, meine Herren, daß wir Herrn Kollegen
Schilling für diese vortreffliche Zusammenstellung und namentlich für die
Untersuchung so vieler bestehender Wohnungsordnungen lebhaften Dank
schuldig sind. Ich hoffe, daß er meinem Wunsche nachkommen und zu¬
geben wird, daß in den von mir hervorgehobenen Punkten die Leitsätze in
ihren Forderungen erhöht werden müssen. 11
Geheimer Hofrat Prof. Dr. Gärtner (Jena): „Meine Herren!
Das Thema, das hier zur Frage steht, heißt: »Welche Mindestforderungen
sind an die Beschaffenheit der Wohnungen, insbesondere der Kleinwohnungen
zu stellen?« Unser Referent, dessen ungemein fleißige Arbeit ich hoch
einschätze, hat aber eigentlich die Frage beantwortet: Welche Mindest¬
forderungen sind gestellt worden? Ist es denn richtig, meine Herren, daß
wir hier in dem Verein für öffentliche Gesundheitspflege uns nach Polizei¬
verordnungen, nach Wohnungsordnungen und dergleichen richten sollen, die
zum Teil nach Grab und Moder wegen ihres hohen Alters riechen? Ich
habe vor den Polizei- und sonstigen Verordnungen einen kolossalen Respekt,
und es ist mein höchstes Streben, ihnen, soweit ich irgend kann, gerecht zu
werden, aber, meine Herren, innerlich locke ich manchmal wider den Stachel
einer solchen Verordnung und sage, es ist doch nicht alles richtig, was
darin steht, und so geht es mir mit den hier vorgetragenen Verordnungen
und dem aus ihnen bereiteten Extrakt. Ich behaupte, die Basis, auf welcher
dieser Vortrag aufgebaut ist von seiten unseres Herrn Referenten, war nicht
Digitized by LaOOQle
192 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
eine ganz korrekte. Ich meinerseits würde es vorgezogen haben, wenn der
Herr Referent, sofern er nicht eigene neue Forderungen stellen wollte, ein
Resümee gezogen hätte aus den Beschlüssen unseres Vereins. Wir haben diese»
Thema schon wiederholt besprochen; es sei nochmals an die Straßburger,
an die Dresdener Verhandlungen erinnert. Ja, wenn diese zusammengestellt
wären, dann wäre das Resultat, so glaube ich, ein wesentlich anderes und
für unseren Verein ein wesentlich leichter annehmbares geworden, als wie
es jetzt hier vorliegt.
„Zu den einzelnen Leitsätzen will ich wenig sagen, um so weniger,
als das meiste schon gesagt worden ist. Nach der eingehenden Kritik
unseres sehr verehrten Mitgliedes Herrn Hartwig und nach der sehr
wohlwollend klingenden, aber noch schärferen Kritik des Herrn Stübben
könnte ich eigentlich schweigen. Aber, meine Herren, ich darf vom ärzt¬
lichen Standpunkte aus einiges nicht unerwähnt lassen. Da heißt es zum
Beispiel: »Schlafräume, die gleichzeitig als Küche benutzt werden, müssen
15 cbm Luftraum mehr enthalten.» Meine Herren! Wir als Ärzte können
überhaupt nicht zugeben, daß die Küche als Schlafraum benutzt werde, und
müssen als eine Mindestforderung aufstellen, daß das nicht geschieht. Ob
das im einzelnen Falle einmal nicht anders möglich ist, meine Herren, das
kann uns nicht veranlassen, von dieser grundsätzlichen Regel abzuweichen,
und ich glaube im Namen der Ärzte hier zu sprechen, wenn ich die Forde¬
rung aufstelle, die Küche soll nicht als Schlafraum benutzt werden. Das
ist eine Forderung, die wir stellen.
„Was die Vorschriften für die Dachwohnungen und die Vorschriften für
die Kellerwohnungen angeht, so sind die hier so leicht genommen, daß ich
auch da sagen muß: wir können sie so nicht acceptieren. Wir müssen die
Forderungen, wie wir sie früher aufgestellt haben für diese Art von Woh¬
nungen, beibehalten. Gegenüber der Ansicht des Herrn Ebeling möchte
ich wünschen, daß wir die schrägen Dachfenster als Fenster nicht anerkennen.
Sie haben ihre großen Nachteile, und unsere Forderung müssen wir dahin
stellen: für die Dachwohnungen sollen gerade Fenster sein.
„Über die ungenügenden Forderungen betreffs der Aborte ist genügend
geredet worden, es genügt das, was gegen die These gesagt wurde; sie hat
eine allgemeine Verurteilung gefunden.
„Was die »Benutzungsart« angeht, so steht hier sonderbarerweise:
Die Aufbewahrung übelriechender Knochen usw. darf in Schlafräumen und
Küchen nicht stattfinden. Danach wäre sie in Fluren und in Wohnräumen
gestattet. Meine Herren! Das geht doch auch nicht. Wenn jemand die
Knochen im Flur aufbewahrt, würde das eine große Belästigung für die
Anwohner sein, die würden sich das nicht lange gefallen lassen.
„Ich meine, meine Herren, wir sollten die Leitsätze, die uns hier vor¬
gelegt sind, mit großer Vorsicht betrachten und sollten lieber bei denen
bleiben, die wir früher und zuletzt in der Dresdener Versammlung auf¬
gestellt haben. u
Prof. Dr. Erismann (Zürich): „Meine Herren! Ich hatte ur¬
sprünglich beim Lesen dieser Thesen dasselbe Empfinden, dem Herr Pro¬
fessor Gärtner eben Ausdruck gegeben hat. Ich glaube, die ganze Grund-
Digitized by LaOOQle
Mindestanforderungen an die Beschaffenheit der Wohnungen usw. 198
läge, auf der sie aufgebaut sind, ist eine nicht ganz richtige. Ich glaube,
die Auffassung des Herrn Referenten über das, was er uns hier sagen sollte,
war yon vornherein nicht ganz korrekt; er hat dem Bestehenden zu viele
Zugeständnisse gemacht, und ich bedaure es, daß nicht ein Hygieniker das
Korreferat übernommen hat. Wenn die städtischen Verwaltungen in Deutsch¬
land irgend eine Frage auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheitspflege
zu bearbeiten haben, wenn der Magistrat seinen Stadtverordneten irgend¬
welche Vorschläge zu neuen Verordnungen oder neuen Unternehmungen auf
diesem Gebiete zu machen hat, so ist man in Deutschland gewohnt, danach
zu fragen, was etwa der Deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege
in dieser Beziehung getan oder gesprochen habe; die städtischen Behörden
sind gewohnt, die Verhandlungen dieses für sie so wichtigen Vereins, zu
dessen Versammlungen sie in so großer Zahl ihre Vertreter senden, nach
allen Richtungen zu studieren und sich seine Verhandlungen zunutze zu
machen. Und wenn ich nun von diesem Standpunkte aus die uns gegen¬
wärtig vorliegenden Thesen betrachte, so muß ich mir sagen, wir haben
damit nichts gewonnen, wir haben den in früheren Jahren hier geäußerten
Anschauungen gegenüber keinen Fortschritt gemacht und bieten den städti¬
schen Verwaltungen nichts Neues.
„Ich war als Vorstand des Gesundheitswesens der Stadt Zürich in der
Lage, den Entwurf einer Wohnungspflege-Verordnung auszuarbeiten zur
Vorlage an die Stadtverordnetenversammlung. Ich habe mich hierbei um¬
getan auch in den deutschen Städten, ich habe mir verschiedenes Material
kommen lassen, ich habe die diesbezüglichen gesetzlichen Bestimmungen
und Polizei Verordnungen der Städte studiert, und ich habe sehr Vieles ge¬
funden, was ich benutzen konnte, aber auf die Thesen, wie sie uns heute
vorliegen, hätte ich einen solchen Entwurf nicht aufbauen können.
„Es ist nun im allgemeinen genug darüber gesagt worden, in welchen
Beziehungen diese Thesen lückenhaft oder unzulänglich sind. Ich glaube
aber, es wäre doch noch einzelnes zu sagen, gerade, wenn es sich um eine
Verordnung für die Inspektion und Beurteilung der schon bestehenden
Wohnungen handelt. Zum Beispiel über die Ofenklappen: Wer da weiß,
wieviel Kohlenoxydvergiftungen schon durch diese Ofenklappen hervor¬
gerufen worden sind, welche Kämpfe es in verschiedenen Städten gekostet
hat, sie abzuschaffen, der muß durchaus wünschen, daß Ofenklappen über¬
haupt nicht mehr zur Verwendung kommen dürfen. Wer die Unglücksfälle
kennt, die schon dadurch hervorgerufen worden sind, daß in Badezimmern
die Gasöfen ohne Abzug waren, der wird verlangen, daß dieser Übelstand
hier wenigstens erwähnt werden soll.
„Es sollte ferner die Forderung aufgestellt werden, daß da, wo Schlaf¬
gänger adgenommen werden, jedem ein Bett zur Verfügung stehe.
„Dann die Beleuchtung der Treppen und Gänge. Es gibt zahlreiche
deutsche Städte, die hierüber schon ganz bestimmte Verordnungen haben;
die Hausmeister sind gehalten, zu gewissen Stunden des Abends die Treppen
und Gänge zu beleuchten.
„Über die Aborte ist viel gesagt worden, aber ich glaube, es darf noch
eins erwähnt werden: es ist die Bestimmung, welche sich auf die Anzahl
der Bewohner stützt, überhaupt nicht haltbar. Meine Herren! Man muß
Vierteljahrsschrift für Gesundheitspflege, 1907. jg
Digitized by
Google
194 XXXL Versammlung d. D. Vereins f. offentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
sagen: für eine Wohnung, für zwei Wohnungen — wenn Sie dies mit Be¬
zug auf schon bestehende Verhältnisse zugeben wollen — ist ein Abort
nötig. Die Zahl der Bewohner wechselt ja: heute sind es vielleicht 10,
zu einem anderen Termin befinden sich in derselben Wohnung 15 Personen,
dann sind es vielleicht wieder nur 8, also es darf sich eine Verordnung gar
nicht auf die Zahl der Bewohner stützen.
„Und nun noch eine allgemeine Betrachtung. Eine WohnungsVerord¬
nung für bestehende Wohnungen hängt so eng zusammen mit anderen Seiten
der Wohnungspflege, wie sie an die städtischen Verwaltungen herantritt —
namentlich mit der Frage der Wohnungsinspektion, mit der Frage der Be¬
teiligung der Städte am Wohnungsbau —, daß diese Fragen eigentlich gar
nicht zu trennen sind. Sie bilden insgesamt das Gebiet der städtischen
Wohnungspolitik. Wie eng das alles zusammenhängt, möchte ich Ihnen
durch folgendes Beispiel illustrieren. Wir haben in unserem kantonalen
Baugesetz eine Bestimmung, nach welcher Dachräume, wenn sie über die
gesetzlich festgelegte Bauhöhe hervorragen, nicht als Wohnungen, sondern
nur als Einzelzimmer benutzt werden dürfen. Wir sind in neuester Zeit
in die ungeheuerste Verlegenheit gekommen mit dieser Bestimmung. Warum?
Weil wir in den letzten Jahren einer sehr großen Wohnungsnot entgegen¬
gegangen sind und diese Wohnungsnot faktisch heute schon eingetreten ist.
Meine Herren! Wir hatten am 1. Dezember des Jahres 1905 in Zürich mit
seinen 170000 Einwohnern und etwa 38000 Wohnungen nur 90 freie Woh¬
nungen. Es ist das ein ganz ungesundes Verhältnis. Wir mußten also die
zahlreichen ungesetzlichen Dachwohnungen einfach beziehen lassen, um zu
verhindern, daß ein Teil der Bevölkerung ohne Wohnung bleibe. In eine
solche Lage sind wir gekommen durch die Verhältnisse, die uns über den
Kopf wuchsen. Und da ist es doch nur natürlich, daß man sich nicht auf
gesetzliche Bestimmungen und Verordnungen über Wohnungspflege be¬
schränkt, sondern danach trachtet, das Übel an der Wurzel zu fassen und
auf andere Weise vorzugehen, um dieser Wohnungsnot und diesem Woh¬
nungsmangel abzuhelfen.
„Meine Herren! Die Frage der Wohnungen ist ja für die Bevölkerung
in hygienischer, in ästhetischer und in moralischer Beziehung eine so un¬
geheuer wichtige, namentlich auch für die weniger bemittelten, für die
arbeitenden Klassen, daß man sagen muß, hier ist das Beste noch gerade gut
genug, und ich glaube, nach diesem Grundsätze sollten eben die städtischen
Verwaltungen in dieser Frage vorgeben.“
Referent, Regiernngsbaumeister a. D. Beigeordneter Schilling
(Trier): „Meine Herren! Ich befinde mich ja mehr oder weniger in der
Lage, mich dagegen verteidigen zu sollen, daß ich nicht genug gefordert
habe. Nun ist das ein Vorwurf, der wohl mehr die ganze Auffassung des
mir gestellten Themas angeht als die Bestimmungen im einzelnen. Herr
Geheimrat Stübben hat schon ganz richtig gesagt, und ich habe es ein¬
gangs meines Vortrages betont: ich scheide die auf die Neubautätigkeit
gerichteten Bestimmungen überhaupt aus, und daher ist es auch ganz un¬
richtig, wenn beispielsweise seitens des Herrn Hartwig heute festgestellt
ist, der Deutsche Verein für Öffentliche Gesundheitspflege wäre in seinen
Digitized by LaOOQle
Mindestanforderungen an die Beschaffenheit der Wohnungen usw. 195
Forderungen außerordentlich zurückgegangen, bescheidener geworden.
Keineswegs! Die Forderungen, die bisher gestellt worden sind, waren mehr
oder weniger theoretischer Natur und besagten ausdrücklich: Diese Forde¬
rungen gelten zunächst für die Neubauten, für die neuen Quartiere usw.
Was nach dieser Richtung zu fordern ist, das ist natürlich ganz etwas
anderes, und diese theoretischen Forderungen sind, glaube ich, wie ich auch
eingangs meines Vortrages sagte, genug erörtert und geklärt worden, dazu
kann man tatsächlich nicht viel mehr sagen und begründen.
„Ganz anders ist aber die Sache, wenn ich das Thema auffaßte, wie
ich es getan habe, und sagte: Wie wollen wir praktisch Weiterarbeiten?
Was ist bei vorhandenen Zuständen erreichbar und durchführbar? Über
Fragen des taktischen Vorgehens wird man immer verschiedener Meinung
sein. Der eine wird immer -der Meinung sein: möglichst viel fordern,
alles wird doch nicht erfüllt, und da ein gewisser Prozentsatz des Ge¬
forderten ja erfüllt wird, so wird, je mehr du forderst, auch desto mehr
erfüllt werden. Auf der anderen Seite kauri man doch wohl auch den
Standpunkt des praktischen Vorgehens für zweckmäßig halten, daß man
sagt: Langsam wollen wir die bestehenden Zustände allmählich in die
Höhe schrauben und sehen, was sich bessern läßt. Das erreichen wir auf
weitere Zeiträume hinaus mit der Beeinflussung der Neubautätigkeit, und
was sollen wir mit den vorhandenen Zuständen machen?, und da war mir
gerade das Thema gestellt: Welches sind nun die Mindestanforderungen,
die ich an eine Wohnung stellen muß? Wann fängt die Wohnung wirklich
an, so zu sein, daß ich sie nicht mehr für bewohnbar halten kann, und
was muß erfüllt sein, damit der Moment gekommen ist, wo ich die Wohnung
im allgemeinen also noch als erträglich, als beziehbar ansehen kann? In
dieser Weise habe ich das Thema aufgefaßt, und ich glaube, alle diejenigen,
die etwas mit den vorhandenen Zuständen Bescheid wissen und die Woh¬
nungsstatistik kennen, würden mit mir und mit uns allen froh sein, wenn
wir im Deutschen Reiche den Standpunkt erreicht hätten, der in den, wie
ich zugebe, bescheidenen Thesen gefordert wird. Ich fürchte, daß schon
bei diesen Thesen, wenn man mit Schärfe nach ihnen überall Vorgehen
wollte, man vielerorts sehr bald auf dem Stadium anlangen würde, daß man
die ganze Sache hinschmisse und sagte: es hat keinen Zweck, durchführbar
ist die Sache doch nicht; und darum kam es mir gerade darauf an, mich zu
bescheiden, mich möglichst auf wirklich durchführbare Vorschläge zu be¬
schränken, und ich überlasse es gern der Zukunft und gern der Besserung
der Verhältnisse, daß man später weiter in die Höhe gehen kann. In dem
Sinne, glaube ich, befinde ich mich auch nicht im Widerspruch mit den
früheren Forderungen des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheits¬
pflege. Ich acceptiere es gern, wenn Herr Hartwig gesagt hat, daß auch
seitens der Hausbesitzer eine Wohnungsinspektion gewünscht werde, und
wenn er gesagt hat, meine Forderungen wären außerordentlich bescheiden,
so ist es mir nur hinterher etwas verdächtig gewoiden, daß gerade der
Punkt, auf den es mir am meisten angekommen ist in der Frage der Ge¬
räumigkeit der Wohnungen, ihm nun doch zu weit ging. Ich glaube, das
ist eben gerade der Punkt, wo wir am meisten positiven Anhalt und zahlen¬
mäßige Maße haben, und der ist eben auch in den theoretischen Erörte-
13*
Digitized by LaOOQle
196 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
rungen der früheren Versammlungen eingehend behandelt worden, und
damals war Vielen 10 cbm Luftraum auch zu wenig; man hat sich aber
auch darauf zurückgezogen, weil man eben Erreichbares wollte und nicht
bloß Forderungen aufstellen wollte, die zu stellen gewiß sehr leicht ist,
aber die natürlich damit, daß sie aufgestellt werden, noch lange nicht erfüllt
sind. Auch ich gönne jedem Säugling von Herzen gern seinen Luftraum,
wie sich Herr Professor Prausnitz ausgedrückt hat. Aber wie ist denn
die Bestimmung in die verschiedenen Verordnungen nicht nur, sondern auch
in die von Ihrem Verein ausgearbeiteten reichsgesetzlichen Vorschriften zum
Schutze des gesunden Wohnens gekommen, daß Kinder unter einem Jahre
außer Ansatz bleiben mögen? Nicht etwa, weil die nicht auch ihre Luft
nötig hätten, und erst recht zu einer derartigen Zeit die Familie mehr Luft¬
raum nötig hätte, sondern eben aus der praktischen Erwägung heraus: man
solle die Wohnungsschwierigkeiten, in denen viele Familien leben, nicht
gerade noch erschweren in einer Zeit, die auch sonst für die Familie große
wirtschaftliche Erschwerungen mit sich bringt. Ja, meine Herren, das ist
ja natürlich ganz ausgeschlossen, daß, wenn der Säugling da ist, wir nun
mit einemmal sagen: Jetzt fehlen 10cbm, jetzt schleunigst heraus! Oder
wollen Sie die Frau, die der Niederkunft entgegengeht, auf die Wohnungs¬
suche schicken, daß sie jetzt eine größere Wohnung sucht? Ich glaube, das
ist ein sehr ungeeigneter Zeitpunkt, und man wird sie auch sehr viel weniger
gern in die Wohnung einziehen sehen, denn man weiß: nächstens wird ja
noch mehr hier in der Wohnung los sein. Also das ist eben eine rein
praktische Erwägung gewesen, und man hat gesagt, gerade dieser Zeitpunkt
ist der ungeeignetste für einen Wohnungswechsel, und daher wollen wir
den Kleinen einmal vorläufig nicht mitzählen und der Familie einen gewissen
Zeitraum geben, worin sie sich eine größere Wohnung aufsuchen kann.
„Weiter ist dann auf die Aborte Bezug genommen worden. Ich selbst
habe wiederholt über Anforderungen an Bauordnungen gesprochen und
geschrieben und durchaus den Standpunkt vertreten, daß jede Familie ihren
eigenen Abort haben müsse, und das ist eine Forderung, die bei der Neubau¬
tätigkeit erfüllbar ist und gestellt werden kann. Das ist ohne weiteres
klar. Wenn Sie aber wissen, wie die Abortverhältnisse bei den vorhandenen
Wohnungen sind — ich habe Ihnen vorhin einige wenige Beispiele mit¬
geteilt —, wenn also selbst in einer Stadt wie Barmen, die, wie gesagt,
keineswegs besonders schlechte Wohnungsverhältnisse hat, die Fünfzimmer-
Wohnungen erst zur Hälfte einen eigenen Abort haben usw., was nützt es
mir dann da, in der These schon zu fordern: je zwei Familien Wohnungen
oder jede Familienwohnung müssen ihren Abort haben? Damit ist herzlich
wenig erreicht.
„Ich gebe zu, man kann die Sache anders auffassen und kann sagen:
Was ist nun so vom reinen Kathederstandpunkte aus von einer Wohnung
zu fordern? Ich halte das aber für gefährlich, meine Herren, denn ich
glaube, die Herren Hygieniker werden sich erst recht da nicht einigen
können, und der eine würde immer doch noch den anderen überbieten zu
müssen glauben, und zwar aus durchaus ehrlicher Überzeugung, aus sehr
wohl erwogenen Gründen. Anders habe ich eben die Sache aufgefaßt,
und habe es auch als eine Aufgabe des Deutschen Vereins für öffentliche
Digitized by
Google
Mindestanforderungen an die Beschaffenheit der Wohnungen usw. 197
Gesundheitspflege aufgefaßt, wenn wir sagen: Was wollen wir praktisch
für die Hebung der gesundheitlichen Verhältnisse tun, und da müssen wir
uns eben auf ein gewisses Erreichbares zurückziehen, und in dem Sinne
bitte ich Sie, die Thesen aufzufassen.
„Wenn dieselben Angriffsflächen noch in einigen sonstigen Einzelheiten
bieten, so bin ich der letzte, der durch Dick und Dünn sie als eine unfehl¬
bare Kanonisierung festsetzen möchte. Im Gegenteil, mir ist es sauer ge¬
worden , diese Thesen herauszugeben. Ich hatte es als einen gewissen
Mangel empfunden, durch unseren sehr geehrten Herrn Geschäftsführer
genötigt zu sein, die Thesen aufzustellen schon zu einem Zeitpunkt, wo ich
noch nicht in allen Einzelheiten meine Vorbereitung abgeschlossen hatte.
Ich bitte Sie nochmals, mein ganzes Referat in dem Sinne aufzufassen, daß
meine Forderungen sich nicht auf Neubauten, sondern nur auf vorhandene
Verhältnisse beziehen sollten, und ich dabei möglichst das Erreichbare im
Auge behalten wollte. “
Geheimer Oberbaurat Dr. Stubben (Berlin-Grunewald) (zur Ge¬
schäftsordnung): „Meine Herren! Die Diskussion ist zwar erledigt, aber
es wird hoffentlich zur Geschäftsordnung noch zulässig sein, einen Antrag
zu stellen über die Behandlung dieses Gegenstandes seitens der Versamm¬
lung. Zwar sind die Leitsätze nicht zur Abstimmung bestimmt, aber ich
möchte doch wünschen, und ich glaube, viele mit mir, daß nicht die Meinung
aufkomme, als ob wir im allgemeinen diese Leitsätze als eine ausreichende
Norm für Wohnungsordnungen betrachteten. Ich habe mir gedacht, es wäre
vielleicht zweckmäßig, wenn der Verein etwa folgenden Beschluß faßt:
„Der Verein erkennt zwar das Bestreben des Herrn Referenten an, in
seinen Forderungen im Interesse der Durchführbarkeit derselben auf ein
zulässig geringstes Maß zurückzugehen, hält es aber unter Hinweis auf seine
früheren Beschlüsse, die er aufrecht erhält, für notwendig, daß in den
Wohnungs- und Schlafstellenordnungen — wenigstens allmählich — weiter¬
gehende Forderungen verwirklicht werden, als sie in den Leitsätzen des
Referenten enthalten sind.“
Da die Resolution nach Schluß der Debatte eingebracht worden war,
so konnte nach der Geschäftsordnung eine Abstimmung über dieselbe nicht
mehr stattfinden.
Vorsitzender, Professor Genzmer (Danzig): „Meine verehrten
Damen und Herren! Es könnte vielleicht auf den ersten Blick so scheinen,
als ob die Behandlung der Wohnungsfrage, die wiederholt schon in unserem
Verein stattgefunden hat, etwas zu oft kommt. Aber Sie sehen, daß in
dieser außerordentlich wichtigen Frage, die man geradezu als die Vorstufe
zur Lösung der sozialen Frage bezeichnet hat, die Meinungen doch noch
sehr auseinandergehen, wie das auch heute hier zum Ausdruck gekommen
ist. Deshalb ist es nur zu wünschen, daß die Wohnungsfrage nicht von
den Tagesordnungen unseres Vereins verschwindet, daß sie vielmehr von
Zeit zu Zeit immer wieder behandelt wird.
„Vor allem aber liegt es mir hier ob, dem Herrn Berichterstatter für
die ausgezeichnete Art, in der er seine Sache vorgebracht hat, unseren
Digitized by LaOOQle
198 XXXI. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Augsburg.
allerverbindlichsten Dank auszusprechen, ebenso denjenigen Herren, welche
sich an der Besprechung beteiligt haben.
„Damit, meine verehrten Damen und Herren, wären wir denn am Ende
der Tagung angelangt. Wenige Stunden noch, und wir scheiden von dem
Orte unserer diesjährigen Tätigkeit und kehren zurück an unsere heimischen,
über das ganze Deutsche Reich zerstreuten Arbeitsstätten. Mag jeder
einzelne von uns die Eindrücke, die er hier in den Besprechungen und
Verhandlungen gewonnen, und die Erfahrungen, die er bei der Betrachtung
der mustergültigen Augsburger Anlagen gesammelt hat, weiter bei sich
verarbeiten, damit die hier ausgestreuten Samenkörner an möglichst vielen
Punkten der weiten deutschen Erde reichliche Früchte tragen!
„Mit diesem Wunsche schließe ich die 31. Versammlung des Deutschen
Vereins für öffentliche Gesundheitspflege.“
Oberbürgermeister Dr« Beck (Chemnitz): „Meine hochverehrten
Herren! Bevor wir auseinandergehen, ist es uns allen gewiß Herzens¬
bedürfnis, unserem bisherigen Ausschüsse und unserem verehrten Herrn
Vorsitzenden für die geschickte und vortreffliche Vorbereitung und Durch¬
führung der diesjährigen Versammlung den wärmsten Dank auszusprechen.
„Meine Herren! Als wir die Tagesordnung zuerst in die Hand be¬
kamen, sind wir gewiß allgemein von deren Inhalt gefesselt gewesen. Heute
am Schlüsse der Tagung dürfen wir sagen, daß sie gehalten hat, was sie
uns versprochen hat, und daß alle Vorträge und alle Referenten, die uns
mit ihren Darlegungen besonders erfreut haben, auf uns den Eindruck ge¬
macht haben, wie wenn unser Verein wieder einen großen Schritt vorwärts
gekommen ist. Alle die uns gegebenen ebenso lichtvollen als erwärmenden
Anregungen standen zu unserer großen Freude im umgekehrten quadrati¬
schen Verhältnis zu dem trüben und kühlen Wetter, das uns hier der
Himmel beschieden hat.
„Meine Herren! Wer einmal die Ehre hatte, Mitglied des Ausschusses
zu sein, weiß, wie schwierig es ist, immer die richtigen Themata, und wieviel
schwieriger es noch ist, die richtigen Vortragenden dafür zu finden. Die
diesjährige Hauptversammlung und insbesondere der bis zum Schluß aus¬
haltende Besuch ist der stumme, aber um so beredtere Ausdruck des Dankes
an unseren Ausschuß und den Herrn Vorsitzenden dafür, daß es ihnen ge¬
lungen ist, in jeder Beziehung vortrefflich die Tagung vorzubereiten, und
ich glaube, das war diesmal von Wichtigkeit. Den meisten oder wenigstens
vielen von uns war die reizvolle und gastfreundliche Feststadt nicht bekannt.
Es konnte wohl die Frage aufgeworfen werden, ob die Anziehungskraft der
vielen interessanten Genüsse, die uns die Stadt bot, größer sein würde als
die Anziehungskraft dessen, was in diesen Räumen verhandelt wurde. Der
Beweis für das letztere ist erbracht, denn, wie gesagt, die Versammlung hat
stets bis zum Schluß ausgehalten. Wir danken das unserem verehrten
Ausschuß und vor allen Dingen unserem Herrn Vorsitzenden, der durch
seine knappe, exakte und geschickte Präsidialtechnik auch auf diesem Ge¬
biete sich als ein hervorragender Techniker wieder bewiesen und sich da¬
durch ebenso wie als jahrelanges und hochverdientes Mitglied des Vereins
neue Verdienste um den Verein erworben hat.
Digitized by
Google
Mindestanforderungen an die Beschaffenheit der Wohnungen usw. 199
„Meine Herren! Ich glaube, wir entsprechen nicht nur der üblichen
Höflichkeit, sondern dem Gefühle unseres Herzens, wenn wir unserem Aus¬
schuß und dem verehrten Herrn Vorsitzenden durch Erheben von den
Plätzen noch den besonderen Dank übermitteln/
Vorsitzender, Professor Gönzmer (Danzig): „HochverehrteDamen
und Herren! Den Dank für den Ausschuß nehme ich gern entgegen. Für
mich persönlich aber kann ich ihn doch nicht annehmen, denn mein tief¬
gefühlter Dank gebührt vielmehr Ihnen; einmal dafür, daß Sie mir über¬
haupt Gelegenheit gegeben haben, von dieser hervorragenden Stelle ans
Ihre Versammlung leiten zu dürfen, in zweiter Linie aber dafür, daß Sie
so große Geduld und Nachsicht mit meiner Geschäftsführung gehabt haben.
Ich weiß selbst am besten, wie weit mein Können hinter meinem Wollen
zurücksteht. Ich übertrage daher den mir persönlich in so liebenswürdiger
Weise ausgesprochenen Dank auf das Bureau, vor allem aber auf unseren
Herrn ständigen Sekretär und, meine Damen und Herren, auch auf die
verehrliche Versammlung selbst, die so treu bis zum Schluß ausgehalten hat.
„Mit dem herzlichsten Dank an alle Teilnehmer erkläre ich die dies¬
jährige Tagung für geschlossen/
Schluß ll«/ 4 Uhr.
Digitized by
Google
200
Dr. Dosquet-Manasse,
Das ländliche Krankenhaus.
Von Dr. Dosquet-Manasse.
Der Wunsch, Krankenhäuser für chronisch Kranke in ländlicher Um¬
gebung zu bauen, ist schon vor langer Zeit ausgesprochen worden. Seine
Ausführung scheiterte nur an den unerschwinglichen Kosten. Das Neue an
meinen „Vorschlägen zur Entlastung der städtischen Krankenhäuser a im
Bd. XXXVIII dieser Zeitschrift, S. 785, und an dem nach meinen Grund¬
sätzen erbauten Krankenhause Nordend in Niederschönhausen bestand darin,
daß gezeigt wurde, wie durch gewisse Eigentümlichkeiten der Lage und der
Bauart des Krankenhauses mit erschwingbaren Mitteln, mit einem Bruchteil
der bisher für ein Krankenbett nötigen Kosten Besseres für die chronisch
Kranken geleistet werden kann, als es bisher in den teuren Krankenhäusern
im Innern der Stadt möglich war, die durch eine Entlastung von ungeeigne¬
tem Krankenmaterial eine um so ergiebigere und wertvollere Tätigkeit für
die akut Erkrankten und zu großen Operationen bestimmten Patienten ent¬
falten können. Das große Interesse, welches verschiedene Kommunen und
insbesondere die Berliner Ärzteschaft meinem Aufsatze in der vorigen
Nummer dieser Zeitschrift entgegengebracht haben, veranlaßt mich noch, auf
etwas hinzu weisen, was für größere Gemeinden bei dem etwa geplanten
Bau von ländlichen Krankenhäusern von Wichtigkeit sein dürfte.
Meiner Forderung der Dezentralisierung des Krankenbe-
standes, die ich a. a. 0. begründet habe, steht die Forderung der Zen¬
tralisierung der Wirtschaftsbetriebe gegenüber.
Für heute will ich nur kurz erwähnen, daß bei der Errichtung von
peripheren ländlichen Krankenhäusern beispielsweise rings um Berlin die
Wäschereibetriebe in erster Linie zentralisiert werden müssen. Zunächst
verkleinert eine eigene Wäscherei in jedem peripheren Krankenhause mit
ihrem Bedarf an Wasch- und Sortierräumen, Plättstuben, Rollstuben, Aus¬
besserstuben, Trockenkammern den teuren Raum, der für die freiere Be¬
wegung der Kranken bewahrt werden soll. Neben den hohen Terrainkosten
fallen aber bei der von mir in Vorschlag gebrachten Zentralisierung dieser
Betriebe auch die jedesmaligen Kosten für den technischen Vorsteher, für
das Aufsichts- und sonstige Personal, insbesondere für die Maschinen weg.
Schon jetzt könnten, um ein Beispiel zu bringen, die städtischen Kranken¬
anstalten im Innern Berlins viel sparen, wenn die gesamte Wäsche der
einzelnen Anstalten regelmäßig nach einer Waschzentrale gebracht und in
einem einzigen besonderen Betriebe bearbeitet würde, welcher gleichzeitig
mit der Abholung der schmutzigen, die Zuführung der frischen Wäsche be¬
sorgt. Es braucht nicht erst erwähnt zu werden, daß einer etwaigen In¬
fektionsmöglichkeit durch den Versand schmutziger Wäsche mittels ge¬
eigneter Maßnahmen und eventueller Vorbehandlung vorgebeugt werden
muß. Das Muster hierfür besitzt die Stadt Berlin bereits in den städtischen
Digitized by LaOOQle
Das ländliche Krankenhaus.
201
Desinfektionsanstalten, die seit Jahr und Tag mit dem schwierigsten Mate¬
rial arbeiten.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch auf ein Mißverständnis hin-
weisen, dem meine Ausführungen über Erholungsstätten ausgesetzt waren.
Wie ich aus einer an anderer Stelle erfolgten Kritik ersehe, haben sie dort
den Anschein erweckt, als wenn ich gegen diese Anstalten an sich Ein¬
wendungen erheben wollte. Um einiges hervorzuheben, so wurde aus meiner
Gegenüberstellung von zwei Gruppen von Erholungsstättenbesuchern, solchen,
die eine mangelnde Kontrolle zu gesundheitsschädlichen Exzessen benutzen,
und solchen, denen die Erholungsstätte keinen nennenswerten Vorteil in
gesundheitlicher Beziehung bringt, gefolgert, daß ich die Erholungsstätten
für keine Art von Patienten geeignet hielt. Das war meine Absicht nicht.
Zu Exzessen geneigte Elemente gibt es in jeder Anstalt, aber auch die Er¬
holungsstätten bieten die Möglichkeit, bei einer zweckmäßigen Auswahl und
bei einer verstärkten Kontrolle der Kassenmitglieder die Zahl solcher Leute
einzuschränken. Aus dem Worte n Abschiebung“, mit dem ich die abend¬
liche Entlassung der Kranken aus den nur tagsüber geöffneten Erholungs¬
stätten bezeichnete, ist an derselben Stelle auf eine gehässige Beurteilung
dieser bei dem Charakter der Anstalt unvermeidlichen Maßnahme geschlossen
worden, eine Beurteilung, die mir vollständig fern liegt.
Worauf es mir bei dem Vergleich anderer Anstaltsformen mit dem
ländlichen Krankenhause ankam, war lediglich, zu zeigen, daß zur Entlastung
der städtischen Krankenhäuser nur das ländliche Krankenhaus geeignet ist,
und daß gegenwärtig, solange dieses fehlt, auch solche Patienten in Heim¬
stätten und Erholungsstätten geschickt werden, die nur im ländlichen
Krankenhause die ihnen zukommende Behandlung finden können.
Digitized by
Google
202
Kritiken und Besprechungen.
Kritiken und Besprechungen.
Der Alkoholismus, seine Wirkungen und seine Bekämpfung.
Herausgegeben yom Zentralverbande zur Bekämpfung des Alkoholis¬
mus. Aus Natur und Geisteswelt. 103. und 104. Bändchen, je
1 M., geschmackvoll gebunden 1,25 M. Leipzig, B. G. Teubner,
1906.
Die beiden Bändchen bringen eine Zusammenstellung von Vorträgen,
welche in den vom Zentralverbande zur Bekämpfung des Alkoholismus ver¬
anstalteten wissenschaftlichen Kursen gehalten worden sind. Unter Alko¬
holismus versteht der Zentralverband „alle körperlichen und seelischen Ver¬
änderungen, welche durch die Giftwirkung des Alkohols im menschlichen
Körper erzeugt werden“. Die hier im Druck vorliegenden Vorträge geben
eine beredte Vorstellung von der Höbe des Schadens, welchen der Alkoho¬
lismus an unserem ganzen Volkskörper anrichtet. Sie können einem jeden,
welcher einen Überblick über dieses weite, für die Volksgesundheit so un-
gemein wichtige Gebiet gewinnen will, zum Studium nur dringend empfohlen
werden. Geben sie doch gleichzeitig in der Mannigfaltigkeit der zum Worte
kommenden Autoren ein prägnantes, ungemein reizvolles Bild der ver¬
schiedenen Standpunkte, von denen aus in der Gegenwart die Bekämpfung
dieser Volkskrankheit in Angriff genommen wird.
Band I enthält:
Der Alkohol und das Kind. Von Prof. Dr. phil. et med. Wilhelm
Weygandt. Die Aufgaben der Schule im Kampfe gegen den Alkoholismus.
Von Prof. Martin Hartmann. Der Alkoholismus und der Arbeiterstand.
Von Dr. Georg Keferstein. Alkoholismus und Armenpflege. Von Stadt¬
rat Emil Münsterberg.
Band II bringt die folgenden Abhandlungen:
Die wissenschaftlichen Kurse zum Studium des Alkoholismus. Von Dr.
jur. von Strauß und Torney. Einleitung. Von Prof. Dr. Max Rubner.
Alkoholismus und Nervosität. Von Prof. Dr. Max Laehr. Alkohol und
Geisteskrankheiten. Von Dr. Otto Juliusburger. Alkoholismus und
Prostitution. Von Dr. 0. Rosenthal. Alkohol und Verkehrswesen. Von
Eisenbahndirektor de Terra. Dr. Paul Schenk.
Gegen den Alkohol. Von M. Helenius und A. Trygg-Helenius.
Leipzig und Berlin, B. G. Teubner, 1906. 58 Seiten. 0,80 M.
Das vorliegende Büchlein, zuerst in schwedischer und finnischer Sprache
in je 10000 Exemplaren erschienen, soll ein Leitfaden für den Anti-Alko-.
holunterricht in der Schule sein. Die zehn Kapitel geben im einzelnen über
Art und Wirkung des Alkohols und der alkoholischen Getränke Lektionen,
welche in Form und Inhalt dem Auffassungsvermögen von Schulkindern an-
Digitized by LaOOQle
203
Kritiken und Besprechungen.
gepaßt sind, und werden als solche, wie auch die Probelektionen der Frau
Tr ygg-Helenius für Berliner Schulkinderzeigten, durchaus wirksam sein.
Die häufig engewendete Form der vergleichsweisen Darstellung bringt es
allerdings mit sich, daß die wissenschaftliche Wahrheit nicht immer zum
klaren Ausdruck kommt. So ist es z. B. ein Irrtum, daß die alkoholischen
-Getränke unter allen Umständen auf die Magenverdauung einen schädlichen
Einfluß ausüben, weil sie „Brot, Fleisch, Fisch verhärten“. Auch der Ver¬
gleich des Menschen, der ein kleines Quantum Alkohol getrunken hat, mit
«einem großhirnlosen Frosche scheint mir nicht recht am Platze.
Alles in allem jedoch ist die Schrift des Ehepaars Helenius hervor¬
ragend geeignet, uns der Erfüllung der wichtigen Aufgabe näher zu bringen:
aus der heranwachsenden Schuljugend einen mächtigen Damm gegen die
Alkoholhochflut zu schaffen. Dr. Paul Schenk.
Denkschrift über die Bekämpfung der Granulöse (Körner¬
krankheit, Trachom) in Preußen. Bearbeitet in der Med.-
Abteil. des Kgl. Preuß. Ministeriums der geistl., Unterrichts- und
Medizinal-Angelegenheiten. IV. Ergänzungsband z. klin. Jahrbuch,
Jena, Gustav Fischer, 1906.
Der Bericht gibt eine Übersicht über die Erfolge der seit 1897 von
der preußischen Regierung planmäßig durchgeführten Granulosebekämpfung.
In den Jahren 1896 bis 1898 erhobene Feststellungen, die sich vornehmlich
auf Schulen und Militärpflichtige erstreckten, ließen den Grad der Durch-
aeuchung besonders der östlichen Provinzen Preußens klar erkennen. In
«einzelnen Gegenden Ostpreußens waren über 25 Proz. der Schulkinder er¬
krankt. Die Durchschnittsziffer betrug im Reg.-Bez. Gumbinnen 20,7 Proz.
(Trachom*Verdächtige mit eingerechnet.) In Westpreußen und Posen lagen
«die Verhältnisse nur wenig günstiger. In Betracht kamen noch Bezirke
von Pommern, Schlesien (Kreis Groß-Wartenberg), Sachsen (Eichsfeld und
Bitterfeld), neben sporadischen Erkrankungen, die auf die eine ständige
Gefahr bildende Arbeiter-Einwanderung aus Polen und infizierten Gegenden
Deutschlands zurückzuführen sind. Größere vom Staat zur Verfügung ge¬
stellte Geldmittel (jährl. 350000 M.) ermöglichten ein entschiedenes Vor¬
gehen. Die Behandlung liegt in den Händen besonders ausgebildeter Ärzte
(Trachomkurse in Königsberg, Greifswald, Göttingen usw.), die regelmäßige
Schuluntersuchungen ausführen und unentgeltliche, zum Teil fliegende
Sprechstunden abbalten; sie werden in ausgiebigem Maße durch Lehrer und
Krankenschwestern unterstützt. Krankenhausbehandlung tritt nach Mög¬
lichkeit in schweren Fällen ein; ihre Erfolge (also im wesentlichen die des
operativen Vorgehens) werden sehr gerühmt. (Trachombaracken in Königs¬
berg und Greifswald.) Das Schließen von Schulen soll möglichst vermieden
werden, in Königsberg hat man zeitweise „Trachomklassen 4 * eingerichtet.
Die Erfolge dieser organisierten Bekämpfung sind, soweit sie sich in den
Schulen kontrollieren ließen, befriedigend. In der Provinz Ostpreußen, der
allerdings die Staatsbeihilfe in ganz besonderem Maße zugute kam, ist
die Erkrankungsziffer von 13,3 Proz. auf 3,57 Proz. (Reg.-Bez. Königsberg)
Digitized by LaOOQle
204
Kritiken and Besprechungen.
und von 20,7 Proz. auf 9,6 Proz. (Reg.-Bez. Gumbinnen) gesunken, im»
Kreise Gr.-Wartenberg (Schlesien) von 7,712 Proz. auf 3,64 Proz. In West-
preußen (Reg.-Bez. Danzig) wurden von 20 907 in den Jahren 1896 bis 1904
behandelten Kindern 16 925 geheilt oder gebessert. Also ein auffallend gute*
Resultat, freilich nur in den Schulen! Wie die Verhältnisse bei der nicht-
schulpflichtigen Bevölkerung liegen, deren Untersuchung und Behandlung
auf erheblich größere Schwierigkeiten stößt, läßt sich zahlenmäßig schwer
nachweisen. Umfassende Erhebungen (in den Staatsbetrieben usw.) stehen
noch aus. Eine Statistik über die Militärpflichtigen im Reg.-Bez. Königs¬
berg ergibt für das Jahr 1898 781 Granulosekranke, für 1905 nur 139.
Auffällig ist eine Erkrankungsziffer von 26,7 Proz. bei den Familienan¬
gehörigen der im Reg. Bez. Marienwerder untersuchten Schulkinder, die
selbst nur eine Ziffer von 5,5 Proz. aufweisen. Daß die Gefahr der Reinfek¬
tion den Erfolg der Schulbehandlung zum Teil vernichtet, wird in der
Denkschrift hervorgehoben. Vorzeitige Einschränkung der Bekämpfungs¬
maßregeln hat rasches Anwachsen der Erkrankungszahl zur Folge gehabt.
Es ist daher anzunehmen, daß das Gesamtergebnis sich ungönstiger stellt,,
als die in der Denkschrift aufgeführten Schulstatistiken annehmen lassen^
Dr. Isakowitz (Nürnberg).
0. v. Boltenstern, Öffentliche Gesundheitspflege und Medi¬
zinalwesen. In gemeinverständlicher Darstellung. Stuttgart,.
Ernst Heinrich Moritz, 1906. Bibliothek der Rechts- und Staats¬
kunde. Bd. 25. Preis 2,50 M.
Nach einer Einleitung, die in kurzen Zügen eine Darstellung der histo¬
rischen Entwickelung der öffentlichen Gesundheitspflege und des Medizinal¬
wesens gibt, wird das vorliegende Thema in 15 Abschnitten in gemeinver¬
ständlicher Darstellung und, dem Zwecke des Buches entsprechend, unter
Beschränkung auf die wichtigsten und allgemein anerkannten Tatsachen
abgehandelt. Die einzelnen Abschnitte erörtern den Verkehr mit Nahrungs¬
und Genußmitteln und Gebrauchsgegenständen, die Wohnungspflege, die
Wasserversorgung, Abwässer- und Müllbeseitigung, Badewesen, Gewerbe¬
gesundheitspflege, Kindergesiindheitspflege, Schulgesundheitspflege, Irren-
wesen, Fürsorge für Kranke und Gebrechliche, Seuchenbekämpfung, Pro¬
stitution, Leichen wesen, Heilwesen und Organisation der Gesundheits¬
behörden. Eine Durchsicht der einzelnen Abschnitte ergibt, daß sie eine
zweckentsprechende sachgemäße Bearbeitung gefunden haben. E. R.
A. Bender, Gewerbliche Gesundheitspflege. Mit 68 Illustra¬
tionen. Stuttgart, Ernst Heinrich Moritz, 1906. Bibliothek der
Rechts- und Staatskunde. Bd. 26. Preis 2,50 M.
Der vorliegende Band soll die Gewerbetreibenden über die für die
Praxis wichtigsten gewerbehygienischen Fragen unterrichten, und zwar
hauptsächlich über solche Gefährdungen, die sich mit Erfolg einschränken,
lassen.
Digitized by
Google
Kritiken und Besprechungen.
205
In dem ersten allgemeinen Teil werden die Bestimmungen der Ge¬
werbeordnung und die Bekanntmachungen des Bundesrats in abgekürzter
Form wiedergegeben und im Anschluß daran Lüftung und Entstäubung,
Beizung und Beleuchtung, Nebenräume, Mißbrauch geistiger Getränke und
Alkoholersatzmittel, Unfallverhütung, Belästigung durch gewerbliche An¬
lagen und persönliche Gesundheitspflege des Arbeiters erörtert. Der zweite
spezielle Teil behandelt die hauptsächlichsten Gesnndheitsgefahren der
wichtigsten gewerblichen Betriebe, und zwar werden nacheinander die In¬
dustrie der Steine und Erden, die Metallverarbeitung, die Gummiwaren¬
fabrikation, die Papier- und Lederindustrie, die Holzbearbeitung und sonstige
Gewerbe besprochen. E. R.
Jahresbericht über die Ergebnisse der Immunitätsforsohung.
Unter Mitwirkung von Fachgenossen herausgegeben von Dr. Wolf-
gang Weichardt, Privatdozent an der Universität Erlangen.
I. Band: Bericht über das Jahr 1905. Stuttgart, Ferdinand Enke,
1906. Geb. 8 M.
Bei der Übernahme des Referates über obigen Jahresbericht war dem
Unterzeichneten ebenso wie dem Herausgeber zunächst die Frage nahe¬
liegend: Besteht denn ein Bedürfnis für einen Jahresbericht über die Er¬
gebnisse der Immunitätsforschung? Referent hätte nun lieber gesehen, wenn
es gelungen wäre, das anerkannt vorzügliche Sammelwerk von v. Baum¬
garten und Tan gl in seiner Herausgabe derartig zu beschleunigen, daß
das jeweilig kommende Jahr den Bericht über daB eben verflossene gebracht
hätte. Ist doch jetzt am Ende des Jahres 1906 der Bericht von 1904 noch
nicht erschienen (!). Und nun blättert schon ein Zweig von dem großen um¬
fassenden Baum ab. Daß eine Lücke entsteht, wenn derartig notwendige
Jahresberichte erst nach so langer Zeit entstehen, ist allerdings klar, und
lag daher eine Absplitterung nahe. Was den vorliegenden Jahresbericht
wohltuend von anderen unterscheidet bzw. denselben äußerst empfehlend
einführt, ist ein vom Herausgeber an die Spitze des Berichtes gestellter
lesenswerter Artikel: „Über den Stand der Immunitätslehre vor Anfang
des Berichtsjahres“, und eine nicht minder gute Abhandlung am Ende des
Berichtes: „Ausblick“, worin Verfasser ein Facit zieht und die Haupt¬
richtungen der Weiterforschung in genannter Wissenschaft nach Möglich¬
keit feststellt.
Die Anordnung der Referate alphabetisch nach den betreffenden Ver¬
fassern ist die übliche, ein Sachregister am Ende des Werkes erleichtert die
Übersicht und ermöglicht schnelles Einarbeiten in das gewünschte Thema
bzw. rasches Auffinden der Arbeiten. Der Druck der Namen der Verfasser
und der Themata ist übersichtlich.
Einen Wunsch hätte Referent dieses für den nächstjährigen Bericht:
Vielleicht könnte eine kurze Terminologie der teilweise doch noch nicht
ganz sicher stehenden technischen Ausdrücke, ähnlich wie vor kurzem in
der Münchener medizinischen Wochenschrift, als Anhang eingefügt werden.
S. Merkel (Nürnberg).
Digitized by LaOOQle
206
Kritiken und Besprechungen.
Klinisches Jahrbuch. Im Aufträge des Königlich Preußischem
Herrn Ministers der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-An¬
gelegenheiten unter Mitwirkung der Herren Prof. Dr. M. Kirchner,.
Geh. Ob.-Med.-Rat, und Dr. Naumann, Wirkl. Geh. Ober-Reg-Rat,
herausgegeben von Prof. Dr. Freihr. v. Eiselsberg in Wien; Prof.
Dr. Flügge, Geh. Med.-Rat in Breslau; Prof. Dr. Kraus, Geh. Med.-
Rat in Berlin; Prof. Dr. Freih.v. Mering, Geh. Med.-Rat in Halle a.S.
und Prof. Dr. Werth, Geh. Med.-Rat ih Kiel. Band XVI. Erstes
Heft. Mit 4 Tafeln, 1 Skizze, 8 Karten, 8 Diagrammen und 15 Ab¬
bildungen im Text. Jena, Gustav Fischer, 1906. 17 M.
Vorliegender Teil des Jahrbuches ist ausschließlich der Cholera und
ihrer Bekämpfung während des Jahres 1905 in Preußen gewidmet. Be¬
sprochen werden die Choleraerkrankungen im Weichselstromgebiet (Re¬
gierungsbezirk Marienwerder und Danzig), im Nahe- und Netzegebiete, im
Warthe- und Odergebiete usw. usw., ferner die Choleragefahr in einzelnen
industriellen Betrieben, die Bekämpfung der Cholera in den verschiedenen
betroffenen Flußgebieten, die Maßnahmen zur Abwehr der Choleragefahr,
die gemachten Erfahrungen auf den einzelnen Stromüberwachungsstellen,
die gesundheitliche Überwachung des Schifhihrts- und Flößereiverkehrs auf
einzelnen Strömen. Gaffky, Petruschky, Flügge, Pfeiffer und
Wernicke geben ihre Erfahrungen aus ihren Laboratorien in Berlin,
Danzig, Breslau, Königsberg und Posen.
Schon die auszugsweise Anführung des Inhaltes vorliegenden Buches
gibt einen Überblick über das reiche, äußerst lesenswerte Sammelwerk.
Es ist das große Verdienst aller beteiligten Kreise, daß im Jahre 1905 die
Cholera in Preußen keinen epidemischen Charakter angenommen hat. Die
Art und Weise der Cholerabekämpfung ist in vorliegendem Buche nieder¬
gelegt. Ein genaues Studium desselben zeigt uns die Wege und läßt uns
hoffen, daß, wie Kirchner in seiner Einleitung sagt, wenn die Cholera
wieder zu uns kommen sollte, ihr mit gleich gutem Erfolg entgegengetreten
und wieder unser Vaterland vor einer Choleraepidemie, wie sie frühere
Jahre gesehen haben, bewahrt werden kann. Die Art der Cholerabekämpfung
baute sich auf das Gesetz, betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher
Krankheiten vom 30. Juni 1900 und auf das Gesetz, betreffend die Dienst¬
stellung des Kreisarztes und die Bildung von Gesundheitskommissionen vom
16. September 1899 auf. Beide Gesetze haben hier ihre Feuerprobe
geradezu glänzend bestanden. S. Merkel (Nürnberg).
Schweizer Reise- und Kur-Almanach. Die Kurorte und Heil¬
quellen der Schweiz. Ein Reisehandbuch für Kurgäste und Sommer¬
frischler, sowie Ratgeber für Ärzte von Dr. med. Hans Loetscher,
Spezialarzt für Magen- und I)aimkrankheiten in Zürich. 14. ver¬
besserte Auflage, 1907. Zürich, Th. Schröter (Leipzig, Thalstr. 15).
Gebunden 6 M.
Das Buch Loetschers soll denselben Zweck für die Schweiz erfüllen,
wie der im Verlag von Rud. Mosse erschienene Bäder-Almanach für Deutsch¬
land. Während letzterer die Einteilung in klimatische Kurorte, Wildbäder,.
Digitized by LaOOQle
Kritiken und Besprechungen. 20 T
Säuerlinge, Kochsalzquellen usw. usw. hat, sind im Schweizer Almanach die
Kurorte nach neun verschiedenen Landesteilen gebracht. Für Kurgäste und
Sommerfrischler ist diese Einteilung wohl erwünschter, um so mehr, als die
naheliegenden Orte zusammen und nacheinander besprochen werden, als
ferner Ausflüge, Touren unter Hinzugabe von ganz prächtigen, ausführlichen
Karten besprochen und angefügt sind. Die Wissenschaftlichkeit leidet unter
dieser Zusammenstellung; ersterer wird Loetscher dadurch gerecht, daß er
in einer recht guten Einleitung die verschiedenen Bäder, Quellen, Wässer usw.
aufführt und zum Schlüsse jeden Kapitels die betreffenden Schweizerorte
anfügt.
Im großen und ganzen ein recht empfehlenwertes, flott geschriebenes
Büchlein. S. Merkel (Nürnberg).
Nooht, Vorlesungen für Schifffeärzte der Handelsmarine
über Schifishygiene, Schiffs- und Tropenkrankheiten.
332 Seiten. Mit 34 Abbildungen und 3 Tafeln. Leipzig, 1906.
Preis 8,40 M.
Die Sterblichkeit der Schiffsbevölkerung an Krankheiten ist höher als
die der Landbevölkerung; ebenso darf die der Reisenden nicht unterschätzt
werden. Dazu kommt, daß dem SchiflWzt Krankheiten zu Gesicht kommen,
die er zu Hause zu beobachten keine Gelegenheit hat — Berufskrankheiten,
wie die Heizerkrämpfe, und tropische Infektionskrankheiten, oder Faktoren,
die er, wenn er ohne Vorbildung das Schiff betritt, unterschätzt, wie der
schnellere Verlauf der Tuberkulose und der Gravidität. Mit Recht bemerkt
daher Manson: Einen jungen Arzt frisch von der Universität weg nach
den Tropen senden, um dort Krankheiten zu behandeln, ist nicht allein
grausam für den Arzt, sondern kann Tod für seine Patienten bedeuten und
bleibt unter allen Umständen ein schlechtes Unternehmen. — Aber auch
dem, der einen Kurs für Schiffs- und Tropenkrankheiten besucht hat, wird
ein Buch zur fortlaufenden Information willkommen sein, und ebenso dem,
der sich nicht praktisch mit diesem Zweige der medizinischen Wissenschaft
beschäftigt. Das vorliegende Werk dient diesem Zwecke in vollkommenster
Weise. Es gibt zunächst das, was dem Laien besonders fehlt, ein klares
Bild über den Bau und die Räumlichkeiten des Schiffes, Wohnräume, Abort¬
verhältnisse, Beleuchtung, Ventilation, Kessel und Maschinenräume mit zahl¬
reichen Abbildungen. Die folgenden Kapitel behandeln die Gesundheits¬
verhältnisse der Besatzung und der Reisenden, wobei allerdings die See¬
krankheit etwas geringe Berücksichtigung findet. Der folgende Abschnitt
„Krankenfürsorge“ enthält beherzigenswerte Ausführungen über Auswahl,
Anstellung und Rangstellung der Schiffsärzte und Ausrüstung der Schiffe
mit Medikamenten und Instrumentarium. Die nächsten acht Kapitel sind
den Infektionskrankheiten gewidmet. Den Schluß bildet die Trinkwasser¬
versorgung und die Bekämpfung der Infektionskrankheiten. Bei ersterer
ist allerdings die Untersuchung ungebührlich eingeschränkt; es dürfte sich
wohl ermöglichen lassen und oft von Wichtigkeit sein, noch einige andere
Methoden zu Hilfe zu nehmen als die Prüfung des Aussehens, des Ge¬
schmacks und des Chlorgehaltes. Die besonderen Verhältnisse bei der Des-
Digitized by LaOOQle
203
Kritiken und Besprechungen.
infektion auf Schiffen werden gewürdigt, schließlich die Beschlüsse der
internationalen Sanitätskonferenzen und ihre praktische Anwendung aus-
eiuändergesetzt. Als Anhang sind die sämtlichen einschlägigen gesetzlichen
Bestimmungen beigegeben. — Überall merkt man dem Buch an, daß es aus
der Praxis hervorgegangen ist und sich zum praktischen Gebrauch vorzüg¬
lich eignen wird: sein wissenschaftlicher Wert wird durch die Einflechtungen
der eigenen Untersuchungen des Yerf. noch bedeutend erhöht.
KiBskalt (Berlin).
H. Salomon, Die städtische Abwässerbeseitigung in
Deutschland. Wörterbuchartig angeordnete Nachrichten und
Beschreibungen städtischer Kanalisations - und Kläranlagen in deut¬
schen Wohnplätzen (Abwässer-Lexikon). II. Band, 1. Lieferung.
Das Emsgebiet nebst vorgelagerten Inseln und das Wesergebiet.
Jena, Gustav Fischer, 1906. Preis 5 M.
Von diesem Werke, dessen erster Teil bereits früher besprochen wurde,
liegt nun eine weitere Abteilung vor. Auf 138 Seiten werden die Kanali¬
sations- und Abwässerreinigungsanlagen von 63 Städten allein des Ems-
und Wesergebietes dargestellt, ein Beweis, daß auch diesmal wieder die
kleineren Städte eingehend berücksichtigt sind. Zur Erläuterung sind 11
Tafeln beigegeben, ferner eine Anzahl Photographien nach Aufnahmen des
Verfassers. Die Auskünfte sind bis 1906 fortgeführt, was besonders bei
Städten, die ihre Methoden erst ganz kürzlich geändert haben, wie z. B.
Kassel, sehr wertvoll ist. — Nach Erscheinen der letzten noch ausstehenden
Lieferung wird nochmals auf das ganze Werk zurückzukommen sein.
Kisskalt (Berlin).
Arbeiten aus dem kgl. Institut für experimentelle Therapie zu Frank¬
furt a.M. Herausgegeben von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. P. Ehrlich.
Heft II (Aus der prüfungstechnischen Abteilung): R. Otto, Die
staatliche Prüfung der Heilsera. Jena, Verlag von Gustav
Fischer. 86 Seiten. 3 M.
Es ist stets dankenswert, wenn ein Institut die Methoden zur allge¬
meinen Kenntnis bringt, durch deren Besitz es sich vor anderen auszeichnet.
Die vorliegende Schrift verdient deshalb unser besonderes Interesse, weil
die PrüfungsanBtalt als einzige ih Deutschland über die größten Erfahrungen
verfügt und ihre Methoden auch in einem großen Teile des Auslandes an¬
genommen worden sind. Die Schilderungen des Verfassers gehen bis in
die Einzelheiten; eine Anzahl von Abbildungen nach Photographien unter¬
stützt das Verständnis. Es werden besprochen im ersten Teile der in die
Verwaltung einschlagende Teil der Kontrolle, die obligatorische (definitive)
und fakultative (provisorische) Form der Prüfung, die „lokale Kontrolle 4
an der Fabrikationsstelle; im zweiten Teile die prüfungstechnischen Einzel¬
heiten, wobei überall auch die theoretischen Grundlagen dargestellt sind.
Das Werk kann zum Studium der einschlägigen Fragen sehr empfohlen
werden. Kisskalt (Berlin).
Digitized by LaOOQle
Kritiken und Besprechungen.
209
Friedrich Prinzing, prakt. Arzt in Ulm a. D., Handbuch, der
medizinischen Statistik. Jena, Gustav Fischer, 1906. 559 S.
„Seit 40 Jahren ist eine systematische Bearbeitung der medizinischen
Statistik nicht mehr unternommen worden. Das viel zitierte Handbuch
Oesterlens . . . . ist nach vielen Beziehungen völlig veraltet." Mit diesen
Anfangssätzen seines Vorworts hat Verf. den überall gehegten sohmerzlichen
Empfindungen Ausdruck gegeben, und es ist ein großes Verdienst von ihm,
daß er dem Bedürfnis durch sein Werk entsprochen hat. Durch viele schöne
Einzelarbeiten war er als der dazu Berufene legitimiert, und er hat die
Aufgabe, die er sich gestellt, bestens gelöst. Sie ist so groß und schwierig,
daß es nicht wundernehmen kann, wenn sich so lange niemand an sie
heranwagte; der Stoff ist so überreich, daß seine Bewältigung die Kräfte
eines einzelnen fast übersteigt, und niederdrückend wirkt bei jedem Be¬
arbeiter statistischen Materials die Erkenntnis, daß es vielfach so wenig zu¬
verlässig ist, und daß es so rasch veraltet. Um so anerkennenswerter, daß
sich der Verf. der Aufgabe unterzog, und alle Mediziner und Sozialpolitiker
werden es ihm herzlich danken, daß sie nun wieder ein statistisches Sammel¬
werk zur Hand haben, in dem sie für jede Frage ein reiches Zahlenmaterial
finden, nach modernen Gesichtspunkten geordnet und bis in die neueste
Zeit fortgeführt. Mit der Methodik aller üblichen statistischen Unter¬
suchungsarten und mit ihren Mängeln ist Verf. natürlich auf das genaueste
vertraut, und die kritische Beurteilung und Vergleichung des Materials be¬
gleitet den Leser auf Schritt und Tritt. So findet man in dem Buche nicht
nur überall Belehrung, sondern auch Anregung. Dabei weiß Verf. bei der
Behandlung strittiger Probleme durchaus die größte Objektivität walten
zu lassen und hält sich von aller Polemik fern. Einzelheiten hierüber her¬
vorzuheben, ist bei dem Riesenumfang des Werkes freilich kaum möglich,
und es sei z. B. nur darauf hingewiesen, daß auch so diskutable Probleme
wie das der „Entartung" an statistischen Hinweisen geprüft werden —
übrigens mit ablehnendem Ergebnis.
Einen gebührend großen Platz nimmt die Besprechung der Kinder¬
sterblichkeit ein — einen mit Rücksicht auf ihre Unsicherheit etwas zu
großen die Statistik der Todesursachen. So beklagenswert es ist: dieser
Angelpunkt aller medizinischen Statistik zeigt immer noch die empfindlichsten
Blößen. Und wenn dies schon für die Beurteilung innerhalb des einzelnen
Landes gilt, in wieviel höherem Maße noch für die Vergleichung der ver¬
schiedenen Länder. Wir stehen nicht an zu sagen, daß eine Vergleichung
der Todesursachen-Statistik der verschiedenen Länder, von einigen wenigen
sehr prägnant bestimmbaren Krankheiten abgesehen, kaum die Mühe ihrer
Aufstellung wert ist. Alle Vorsicht des Untersuchenden scheitert hier —
das Material ist in so hohem Grade fehlerdurchsetzt, daß es einstweilen
keine wirklich wissenschaftlichen Schlüsse erlaubt. Was kann man wohl
einem Vergleiche trauen, der für „angeborene Lebensschwäche" auf je
100000 Einwohner in der ziemlich gleichen Zeitepoche eine Sterblichkeits-
ziffer ergibt von 382 in Ungarn, 164 in Italien, 118 in Österreich, 113 in
Deutschland, 77 in den Niederlanden, 68 in England und 40 in Belgien!
Und von Deutschland wiederum 194 in Bayern, 155 in Württemberg, 116
Vierteljahrsechrift für Gesundheitspflege, 1907. u
Digitized by LaOOQle
210
Kritiken und Besprechungen.
in Sachsen, 98 in Preußen! Und von den preußischen Provinzen in Posen
167, in Schlesien und Hohenzollern 144, in Westpreußen 120, in Berlin 103*
in Ostpreußen 99, in Brandenburg 95, in Rheinland und Schleswig-Holstein
87, in Westfalen 84, in Sachsen 82, in Pommern 79, in Hannover 58 und
in Hessen-Nassau 48! Ähnlich beträchtliche und sicherlich nicht lokal be¬
dingte Differenzen ergeben sich bei der „Altersschwäche 11 . Selbstverständ¬
lich sind dem Verf. alle diese und viele andere Unzuverlässigkeiten der
Todesursachenangaben ebenfalls vollkommen gegenwärtig, und er ist über¬
all bemüht, durch die eingehendste Zergliederung eine Spur von Wert aus
ihnen herauszuholen.
Nochmals: die Wissenschaft ist dem Verf. für sein reiches Buch zu
großem Danke verpflichtet. Landsberger (Charlottenburg).
Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte. (Beihefte
zu den Veröffentlichungen des Amtes.) 23. Band in 2 Heften. Mit
2 Tafeln und Abbildungen im Texte. Berlin, Julius Springer,
1905/1906. 587 Seiten. Preis 22 M.
Auf die Ergebnisse der Weinstatistik für 1903 und die Moststatistik
für 1904 soll hier nicht weiter eingegangen werden; diese sehr fleißigen und
für önologen sehr wichtigen Arbeiten müssen an Ort und Stelle eingesehen
werden.
Die Untersuchungen über den Säuregrad des Weines auf Grund der
neueren Theorien der Lösungen. Von Professor Dr. Paul, Direktor, und
Dr. A. Günther, technischem Hilfsarbeiter im Kaiserlichen Gesundheits¬
amte. I. Abhandlung. Theoretische Betrachtungen über den Säuregrad
des Weines und die Methoden zu seiner Bestimmung.
Die bisherige Bestimmung der „freien Säure“ im Weine durch Titra¬
tion ist für deren Charakterisierung unzureichend. Auf diesem Wege ver¬
mag man wohl die Menge der „freien Säure“ im Weine zu ermitteln, erhält
aber keinerlei Aufschluß über den Säuregrad oder die Acidität des Weines.
Dies hat darin seinen Grund, daß die einzelnen Säuren sich in der Stärke
unterscheiden, z. B. ist die Salzsäure bekanntlich stärker als die Essigsäure.
Der Begriff der Menge der freien Säure deckt sich keineswegs mit dem Be¬
griffe der Säure, d. h. der sauren Eigenschaft des Weines. Es folgt dann
eine kurze Erläuterung der neueren Theorien der Lösungen und eine Fest¬
legung des Begriffes Säuregrad des Weines, der in dem Satz ausklingt:
Der Säuregrad des Weines ist identisch mit der Konzentration
der darin enthaltenen Wasserstoflfionen (H-Ionen).
Die elektrische Leitfähigkeit als Hilfsmittel zur Bestimmung des Säure¬
grades (der Wasserstoffionen-Konzentration) von wässerigen Lösungen wird
besprochen, dann folgt die Beschreibung neuer Methoden zur Bestimmung
des Säuregrades, und zwar a ) zunächst mit Hilfe der Zuckerinversion, dann
b) mit Hilfe der Katalyse von Estern und unter c) S. 247: Berechnung
des Säuregrades aus den bei der Rohrzuckerinversion und bei der Ester¬
katalyse erhaltenen Konstanten.
Die Schlußsätze kommen unter Übergehung der im vorstehenden Refe¬
rate angeführten zu folgendem Ergebnis:
Digitized by LaOOQle
211
Kritiken und Besprechungen.
Die Werte für den nach der Methode der Rohrzuckerin Version ermittel¬
ten Säuregrad stimmten mit den durch EsBigesterkatalyse gefundenen
Werten befriedigend überein.
Durch das Erwärmen des Weines auf -f- 76° wurde dessen Säuregrad
nur unwesentlich erniedrigt. Auch bei tagelang fortgesetzter Erwärmung
bleibt der Säuregrad sich gleich: daraus darf man schließen, daß das bei
dieser Temperatur bestehende Gleichgewicht stabil ist.
Zur Kenntnis der Kupfer-Zinklegierungen. Auf Grund von
gemeinsam mit Dr. P. Manz und Dr. A. Siemens ausgeführten Versuchen,
mitgeteilt von Dr. Otto Sackur, früherem Hilfsarbeiter im Kaiserlichen Ge¬
sundheitsamte.
Indem ich auf den Schlußsatz zu der Arbeit über Blei- und Zinklegie¬
rungen von Otto Sackur, Band 22 der Arbeiten aus dem K. G. A. im
Bd. 38, S. 440 dieser Zeitschrift Bezug nehme, wiederhole ich, daß solche
theoretischen Arbeiten, wie auch die vorher besprochenen, in eine
chemische Zeitschrift, aber nicht zu Publikationen des Kaiserlichen Ge¬
sundheitsamtes gehören. Das Kaiserliche Gesundheitsamt ist zur
Pflege der öffentlichen Gesundheitspflege ins Leben ge¬
rufen, nicht zur Erörterung theoretischer Auseinander¬
setzungen, welche den Lehrern der Wissenschaften, den Uni¬
versitäten, bleiben müssen. Durch diese meines Erachtens
über den Rahmen der ursprünglichen dem Amte zugedachten
Tätigkeit hinausgehenden Arbeiten wird naturgemäß eine Ver¬
mehrung der Arbeitskräfte erforderlich und dadurch immer
neue Etatsforderungen seitens des früheren Präsidenten des Ge¬
sundheitsamtes.
Die im zweiten Hefte enthaltenen Arbeiten bewegen sich fast aus¬
nahmslos in den dem Gesundheitsamle meines Erachtens zukommenden
Grenzen.
Über den Gehalt des Kaffeegetränkes an Coffein und das Verfahren zu
seiner Ermittelung von Dr. Georg Waentig erfährt man, daß das von
Katz angegebene Verfahren, dessen Ergebnisse in der vom Gesundheits¬
amte herausgegebenen Denkschrift „Der Kaffee“ (1903) nach eingehender
Prüfung Aufnahme gefunden haben, festgestellt hat:
1. daß eine Tasse Kaffee von 150g, hergestellt aus einem Aufguß von
300g Wasser auf 15 g möglichst fein gemahlenen Kaffees von mittlerem
Coffeingehalt, je nach der Bereitungsweise 0,6 bis 0,1 g Coffein enthält.
Die Untersuchung über die Beschaffenheit des zur Versorgung der
Haupt- und Residenzstadt Dessau benutzten Wassers, insbesondere über
dessen Bleilösungsfähigkeit von Dr. Th. Paul, Dr. W. Ohlmüller, Dr.
R. Heise und Dr. Fr. Auerbach, enthält wichtige Fingerzeige über die
Ermittelung des im Wasser gelösten Bleies.
Die Arbeit von B. Kühn über den Nachweis und die Bestimmung
kleinster Mengen Blei im Wasser kommt zu folgenden Schlußergebnissen:
1. Von den beiden zur Bestimmung kleinster Mengen Blei im Trink¬
wasser geprüften Verfahren hat sich das maßanalytische besser bewährt als
das gewichtsanalytische.
14*
Digitized by LaOOQle
212
Kritiken und Besprechungen.
2. Am besten zur Filtration der Bleilösungen ist ein Filter aus Asbest
erfunden.
3. Zur maßanalybischen Bestimmung des Bleies hat sich die jodometrische
von W. Die hl und G. Topf zuerst angegebene Methode bewährt.
4. Nach dem Asbest - Schüttei - und Filtrierverfahren und mittels der
maßanalysischen jodometrischen Bestimmungsmethode des Bleies läßt sich im
Trinkwasser, ohne dasselbe einzudampfen, das gelöste Blei auf weniger als
0,1mg auf 1 Liter Wasser genau ermitteln.
Der umfangreiche Aufsatz über das Wesen und die Verbreitung der
Wurmkrankheit usw. ist bereits im 38. Bd. dieser Zeitschrift, S. 805 ein¬
gehend besprochen worden.
Es folgen dann noch Untersuchungen über den Erreger der Vaccine
von Dr. S. von'Prowazek.
Morphologische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen über
Hühnerspirochaeten von demselben und eine Arbeit über die Wirkung der
Tuberkelbazillenstämme der Menschen und des Rindes auf anthropoide
Affen. Von Professor L. von Düngern und Dr. Henry Smidt.
M. Pi stör.
Leo Burgerstein. Schulhygiene. „Aus Natur und Geisteswelt“.
Sammlung wissenschaftlich - gemeinverständlicher Darstellungen.
96. Bändchen. Leipzig, B. G. Teubner, 1906. Kl. 8°. 138 Seiten.
1 M., geb. 1,25 M.
Der Name Burgerstein hat in der schulhygienischen Literatur einen
guten Klang, und bei seiner Vielseitigkeit und Vielsprachigkeit ist Burger¬
stein als bewährter Kenner der Weltliteratur gewiß der Berufensten einer,
das große Gebiet der Schulhygiene gemeinverständlich darzustellen. Die
Aufgabe, den ungeheueren Stoff verständlich zu machen und dabei in
knappe Formen zu gießen, ist nicht so leicht, wie es scheinen mag;
Burgerstein hat aber diese schwierige Aufgabe glänzend gelöst. Die
bauliche Anlage des Schulhauses, die Belichtung, Beheizung und Lüftung
werden ebenso eingehend dargelegt, wie die Einrichtung der Schulzimmer
(Schulbankfrage); die Hygiene des Unterrichtes mit den vielen „Tages¬
fragen“, die gegenwärtig in Diskussion stehen (Hilfsschulen, Koödukation,
Ermüdung), die Hygiene der einzelnen Unterrichtsfächer finden eingehende
Berücksichtigung, und die Fragen der Hausarbeiten, der Prüfungen, der
Schulstrafen werden sachkundig und objektiv erörtert. Ein eigener Ab¬
schnitt ist dem Unterricht in Hygiene gewidmet, das Schlußkapitel bespricht
die Schulkrankheiten, die Hygiene des Lehrerberufes und die Schularztfrage.
Burgerstein geht keiner Frage, welche mit der Schulhygiene zu¬
sammenhängt, aus dem Wege; wo die Meinungen noch nicht geklärt sind,
versteht es Burgerstein vortrefflich, den gegenwärtigen Stand der Dinge
zu präzisieren und daran eine sachverständige Kritik anzuknüpfen. Daß
Burgerstein als Lehrer sich sehr warm für den Schularzt einsetzt, sei
ihm besonders angerechnet, wenn es auch von einem Schulhygieniker von
der Bedeutung Burgersteins nicht anders zu erwarten stand.
Digitized by LaOOQle
Kritiken und Besprechungen.
213
Das kleine Büchlein kann angelegentlichst empfohlen werden. Die
zahlreichen eingefügten Illastrationen sind sehr instruktiv und hübsch aus¬
geführt; der Druck ist in Fraktur gehalten, der „Durchschuß“ sehr eng —
hoffentlich bringen die nächsten Auflagen, für welche das vortreffliche Büch¬
lein die besten Aussichten hat, darin eine „Änderung und Verbesserung“.
Altschul (Prag).
Dr. K. A. Martin Hartmann, Professor am König-Albert-Gymnasium
zu Leipzig. Der Schularzt für höhere Lehranstalten
eine notwendige Ergänzung unserer Schulorganisation.
Sonderabdruck aus den Neuen Jahrbüchern für Pädagogik. Band
XVIII. Leipzig, B. G. Teubner. Gr. 8°. 32 S. Preis 0,80 M.
Die kleine Schrift ist die Wiedergabe eines Vortrages, welchen der
Verfasser am 14. November 1905 in Leipzig gehalten hat. Schulmänner,
die für den Schularzt und besonders für den Schularzt für höhere Lehr¬
anstalten eintreten, sind uns Ärzten stets willkommene Mitstreiter in dem
Kampfe um die Schularzt-Institution, wenn man überhaupt heute noch be¬
rechtigt ist, von einem Kampfe zu sprechen, da der Widerstand gegen die
schulärztliche Aufsicht gegenwärtig so ziemlich gebrochen ist.
Hart mann weist die Notwendigkeit des Schularztes für höhere Lehr¬
anstalten nach und widerlegt den naheliegenden und oft gehörten Ein wand,
daß die gesellschaftlichen Kreise, aus denen sich die Schülerschaft der
höheren Lehranstalten überwiegend zusammensetzt, meist in der Lage sind,
die Hilfe des Hausarztes in Anspruch zu nehmen. Er hebt mit vollem
Rechte hervor, daß der Hausarzt im alten (Referent möchte hinzufügen:
guten) Sinne des Wortes durch die jetzt herrschende Mode, gleich den
Spezialarzt zu fragen, mehr und mehr zurückgedrängt wird, und daß selbst
in gut gestellten Kreisen der Arzt erst dann zu Rate gezogen wird, wenn
eine Krankheit zum Aasbruche gelangt ist, viel seltener aber im prophylak¬
tischen Sinne, und gerade nach dieser Seite fällt der Schwerpunkt der schul¬
ärztlichen Tätigkeit. An einzelnen Beispielen aus der eigenen Schulerfah¬
rung zeigt Hartmann, daß der Schularzt die Arbeit des Lehrers sowohl
nach der unterrichtlichen, wie nach der erzieherischen Seite wesentlich zu
unterstützen vermag.
Auch für die höheren Mädchenschulen ist die schulärztliche Aufsicht
dringend geboten, und Hartmann glaubt, daß hier Schulärztinnen noch
nützlicher wirken könnten; aber überall da, wo eine Ärztin nicht zu be¬
schaffen ist, mag man unbedenklich Schulärzte auch in höheren Mädchen¬
schulen verwenden.
Hart mann hält es nicht für geboten, das ungarische Muster nach¬
zuahmen und einen durch den Schularzt zu leistenden fakultativen Hygiene¬
unterricht in den höheren Lehranstalten Deutschlands einzuführen; er hält
es für zweckmäßiger, den Schularzt gelegentlich in einer oberen Klasse oder
in mehreren für diesen Zweck kombinierten Klassen einen hygienischen
Vortrag halten zu lassen unter Ausfall einer planmäßigen Unterrichtslektion,
und weist auf ein Gebiet hin, dessen Berücksichtigung sich mehr und mehr
aufdrängt und von der größten Wichtigkeit für jeden jungen Menschen ist,
Digitized by LaOOQle
214
Kritiken und Besprechungen.
nämlich auf die Beziehungen der heranreifenden Jugend zum Geschlechts¬
leben. Hartmann betont, daß es eine grundverkehrte und verhängnisvolle
Prüderie ist, vor der Tatsache die Augen zu verschließen, daß ein nicht
unerheblicher Teil der studierenden Jugend es für erlaubt hält, mit Pro¬
stituierten in Verkehr zu treten, und daß diese Unsitte ihre Schatten bereits
in die obersten Klassen der höheren Schulen hereinwirft. Der Arzt wird
den Schüler auch vor dem Alkohol zu warnen haben und ihm die Über¬
zeugung beibringen, daß der Weg zur Keuschheit durch die Nüchternheit
geht.
In Elternabenden könnte der Schularzt sich in eine gewisse persönliche
Berührung mit dem Hause setzen, was von großer Wichtigkeit ist. Auch
die Hygiene des Lehrerstandes gehört in den Wirkungskreis des Schul¬
arztes.
Die Stellung des Schularztes ist aufzufassen als die eines unter der
Autorität der Schulleitung wirkenden sachverständigen Beraters in allen mit
der Hygiene zusammenhängenden Fragen des Schullebens.
Hartmanns Schrift verdient die weitmöglichste Verbreitung und Be¬
achtung, und Referent begrüßt sie besonders lebhaft, weil hier ein Schul¬
mann von pädagogischen Überlegungen aus zu denselben Resultaten ge¬
langt wie der Referent, der in einer Arbeit „Zur Schularztfrage“ (Prag
1890) vom ärztlichen Standpunkte aus den Schularzt für höhere Lehranstal¬
ten für noch notwendiger erklärte als für die Volksschulen und (für Prager
Verhältnisse) ein Schema entworfen hat, das ermöglicht hätte, daß ein und
derselbe Schularzt eine Schülergruppe von ihrem Eintritt in die Volks¬
schule bis zu ihrem Austritt aus der höheren Lehranstalt (Gymnasium oder
Realschule) unter seiner Obhut hätte. Die Schwierigkeit der Durchführung
dieses Planes liegt nur in der Organisation, Lehranstalten, die verschiedenen
Behörden unterstehen, einem Schulärzte zuzuweisen; bei gutem Willen wäre
aber diese dem Ideale nahekommende Einrichtung gewiß auch durchführbar.
Vielleicht wird diese Frage durch die Anstellung von Schulärzten im Haupt¬
amte leichter der Lösung zugeführt werden können, und ein Schularzt im
Hauptamte wird sich gewiß auch um die Gesundheitsverhältnisse der
Lehrerschaft besser kümmern können als die bisherigen Schulärzte im
Nebenamte. Daß eine schulärztliche Überwachung der Lehrer nicht nur
im Interesse der letzteren, sondern auch im Interesse der Schüler gelegen
ist, muß nicht erst bewiesen werden und hat Referent in seiner erwähnten
Schrift bereits ebenfalls mit Nachdruck betont. Alt sc hui (Prag).
Hampe, Über den Schwachsinn nebst seinen Beziehungen
zur Psychologie der Aussage mit einem Anhang: Ver-
einsbesprechung und zwei Gutachten. Braunschweig, Friedr. Vieweg
und Sohn, 1907. Preis 2 M.
In vorliegender Abhandlung bringt Verf. eine ausführliche Darstellung
der Schwachsinnszustände. Anscheinend große eigene Erfahrung und eine
äußerst eingehende Berücksichtigung der gesamten Literatur setzen ihn in
den Stand, dieses in neuerer Zeit so viel bearbeitete Gebiet in höchst an¬
schaulicher und ausführlicher Weise zu schildern. Bei der Besprechung des
Digitized by LaOOQle
Kritiken und Besprechungen.
215
moralischen Schwachsinns hätte Verf. doch wohl noch mehr hervorheben
sollen, daß wir znr Annahme eines solchen nur dann berechtigt sind, wenn
auch Entwickelungshemmungen auf intellektuellem Gebiet oder sonstige
Erscheinungen einer psychopathischen Konstitution nachweisbar sind.
Bei den forensen Beziehungen des Schwachsinnes wird die Frage der
Zurechnungsfähigkeit und Zeugnisfähigkeit erörtert und namentlich für die
Beurteilung der letzteren die psychologische Analyse der Aussage warm
empfohlen.
Den Schluß der Arbeit, die als Vortrag in Braunschweig gehalten
wurde, bilden die Diskussionsbemerkungen, von denen namentlich die des
Hauptlehrers Kiel hör n bemerkenswert sind, und zwei vom Verfasser er¬
stattete Gutachten.
Die Schrift kann insbesondere Juristen und Lehrern warm empfohlen
werden. Dr. v. Rad (Nürnberg).
Digitized by LaOOQle
216
Neu erschienene Schriften.
Neu erschienene Schriften über öffentliche
Gesundheitspflege.
(112. Verzeichnis.)
1. Allgemeines.
Arbeiten aus dem kaiserl. Gesundheitsamte. (Beihefte zu den Veröffentlichungen
des kaiserl. Gesundheitsamtes.) 24. Bd. 3. (Schluß-)Heft. (IV. u. S. 347—580.)
Lex.-8°. Berlin, J. Springer, 1906. 8 M.
Archiv für Protistenkunde. Begründet von Dr. Fritz Schaudinn, heraus¬
gegeben von Dr. Dr. M. Hartmann und S. v. Prowazek. 8. Bd. (I. Heft,
X, 158 S. mit 74 Figuren, 1 Bildnis und 4 Tafeln.) gr.-8°. Jena, G. Fischer,
1906. 24 M.
Aufklärung, Die sexuelle, der Jugend. 1. Der Standpunkt des Arztes. Von
San.-Rat Dr. 0. Rosenthal. 2. Der Standpunkt des Geistlichen. Von Pastor
Wilh. Witte. 3. Der Standpunkt des Pädagogen. Von Prof. Dr. F. Kern sie s.
(Veröffentlichungen des Vereins für Schulgesundheitspflege zu Berlin.) (32 S.)
gr.-8°. Berlin, Herrn. Walther, 1906. 1 M.
Bibliothek, Akademische. Die Wissenschaft des 20. Jahrhunderts in gemein¬
verständlicher Darstellung. Naturwissenschaften, Medizin, Jurisprudenz usw.
1. Serie. 2. bis 14. (Schluß-)Lieferung. I. Rahm er, Dr. S.: Der mensch¬
liche Körper. (Die Physiologie.) 12 Vorlesungen über den Bau und die
Funktionen des menschlichen Körpers. (V u. S. 49—192 mit Abbildungen.)
gr.-8°. Berlin, Verlag XX. Jahrh., 1906. Je 0,50 M.
Bürli, Dr. J.: Das Buch für Gesunde uDd Kranke. Populär-medizinisches Vade-
mecum. Zweite, vollständig umgearbeitete und vermehrte Auflage. (VI, 525 S.
mit 26 Abbildungen.) 8°. Bern, J. Heuberger, 1906. 5 M.
Bunge, Prof. G. v.: Die zunehmende Unfähigkeit der Frauen, ihre Kinder zu
stillen. Die Ursachen dieser Unfähigkeit und die Mittel zur Verhütung. Ein
Vortrag. Fünfte, durch neues statistisches Material vermehrte Auflage. (40 S.)
gr.-8°. München, E. Reinhardt, 1907. 0,80 M.
Chalot, G.: Lee Bureaux d’hygiene en France, Paris et Seine exceptes. These.
in-8°. 1 vol. Ch. Dirion, Toulouse. 4 frcs.
Demme, E.: Willst du gesund werden? Demmes Haus- und Volksbibliothek
hygienischer Schriften. Nr. 48: Schultz, Dr. G,: Was jedermann von der
Erkennung der Krankheiten und der Voraussage des Kran kheits verlauf es aus
dem Urin wissen muß. (26 S.) nn 0,60 M. — Nr. 49: Walser, Dr.: Die
Ohrenerkrankungen, eine Selbst- oder Bakterienvergiftung. Wie entgiftet
oder heilt man dieselbe radikal durch ein praktisch erprobtes hygienisch¬
diätetisches Behandlungsverfahren? Für Laien populär bearbeitet. (25 S.)
0,60 M. — Nr. 50: Hon camp, Dr. F.: Arterienverkalkung des Herzens und
des Gehirns. Ursachen, Verhütung und Behandlung mit besonderer Berück¬
sichtigung der Lähmungen und des Schlagflusses. (16 S.) 0,50 M. — Nr. 51:
Digitized by LaOOQle
Neu erschienene Schriften.
217
Orlob, Dr. G.: Chronisch kalte Füße. Wesen und Wirkung, Verhütung und
Heilung. (14 S.) 0,30 M. 8°. Leipzig, E. Demme, 1906.
Oerhard, Dr. Paul: Wie lebt man gut und gesund für 60 Pfennig tagtäglich?
(17 S.) gr.*8°. Berlin-Steglitz, W. Krüger, 1907. 0,50 M.
Oeeundheit, Die. Ihre Erhaltung, ihre Störungen, ihre Wiederherstellung. Ein
Hausbuch, unter Mitwirkung von Dr. Dr. Privatdozent Arnd, Proff. Ritter
v. Basch, Hofrat v. Brandt u. a. herausgegeben von Dr. Dr. Prof. R. Koss-
mann und Privatdozent Jul. Weiss. 38. bis 40. (Schluß-)Lieferung. (2. Bd.
X u. S. 601—754 mit Abbildungen, 1 farbigen Tafel und 1 Blatt Erklärungen.)
gr.-8°. Stuttgart, Union, 1906. Bar je 0,40 M.; 2. Bd. vollständig: geb. in
Leinwand 12 M., in Halbfrz. 13 M.
Oesundheitabüoherei. 7. Bd. Pudor, Dr. Heinr.: Volksfeste und Bewegungs¬
spiele. Mittel und Wege zur Veredelung der Feste. (III, 55 S.) 1 M. -
8. Bd. Derselbe: Körperpflege. (43 S.) 0,75 M. — 9. Bd. Haufe, Dr.
Ewald: Die Idee der natürlichen Erziehung. (32 S.) 0,50 M. 8°. Langen¬
salza, Verlag Gesundes Leben, 1906.
Hexischen^ Prof. S. E.: Die Eheschließung vom gesuudheitlichen Standpunkte.
Übersetzt von Dr. Leo Klemperer. (86S.) 8°. Wien, M.Perles, 1907. 1,50M.
Herkenrath . 9 B.: Pastor Felkes heilgymnastische Übungen für Gesunde und
Kranke. Eine Anweisung für jedes Alter und Geschlecht. Lichtluft- und
Zimmergymnastik. (16 S.) 8°. Homberg, E. Iiadtstein, 1906. 0,30 M.
Hilfe, Erste ärztliche. 14 Vorträge, gehalten von Dr. Dr. San.-Rat S. Alexander,
Protf. M. Borchardt, Geh. Med.-Rat A. Hoffa, R. Kobert, Geh. Med.-Rat
Fr. Kraus, R. Kutner, L. Landau, E. Mendel, George Meyer,
J. Rotter, Geh. Med.-Räte H. Senator, E. Sonnenburg, Th. ZieheD.
Nebst Einleitung von Geh. Ober-Med.-Rat Prof. Dr. M. Kirchner. Heraus¬
gegeben vom Zentralkomitee für das ärztliche Fortbildungswesen in Preußen,
in dessen Aufträge redigiert von Prof. Dr. R. Kutner. (III, 392S. mit 20 Ab¬
bildungen.) gr.-8°. Jena, G. Fischer, 1906. 6 M., geb. n. 7 M.
•Jaeger, Prof. Dr. Gust.: Tot und Lebendig. Kritisches aus Gesundheitspflege,
Heilkunst und Lebensith re. Festschrift zum 25 j ähr. Jubiläum von Prof. Dr.
G. Jaegers Monatsblatt, Zeitschrift für Gesundheitspflege und Lebenslehre.
Von deren Herausgeber Jaeger. (XII, 136 S.) gr.-8°. Stuttgart, W. Kohl¬
hammer, 1906. 2,50 M.
Kessler, Lehrer Rob.: Kurze Gesundheitslehre. Im Anschluß an die Lehre vom
menschlichen Körper für einfache Schulverhältnisse zusammeDgestellt. Sechste
vermehrte Auflage. (VIII, 79 S. mit 20 Abbildungen.) 8°. Langensalza,
H. Beyer & Söhne, 1906. Bar 0,50 M.
Klinik, Berliner. Sammlung klinischer Vorträge. Begründet von Proff. Dr. Dr.
Geb. Räten E. Hahnf und P. Fürbringer. Herausgegeben von Dr. Rieh.
Rosen. Jahrg. 1906. 212. Heft. Klapp, Oberarzt Privatdozent Dr. R.: Die
Saugbehandlung. (18 S. mit 12 Abbildungen.) 0,60 M. — 213. Heft. Ten¬
holt, Reg.- u. Med.-Rat Dr. A.: Über die Wurrakrankheit der Bergleute
(Anchylostomiasis). (22 S.) 0,60 M. — 214. Heft. Brühl, Privatdozent Dr.
Gust.: Die Heilbarkeit der chronischen Mittelohreiterung. (16 S.) 0,60 M. —
215. Heft. Fromme, Landger.-Dir.: Entgeltliche Übertragung ärztlicher
Praxis, welches Rechtsgeschäft? Ist es dem Arzt ehrengerichtlich und recht¬
lich erlaubt, seine Praxis einem anderen Arzt gegen Entgelt zu übertragen?
Vortrag. (40 S.) 1,20 M. gr.-8°. Berlin, Fischers med. Buchhandl., 1906.
Körperkultur. Schriftleiter: Karl Noghe. Oktober 1906 bis September 1907.
12 Hefte. (1. Heft. 48 S. mit Abbildungen.) Lex.-8°. Berlin, Verlagsgesellschaft
Corania. Bar 3 M.
Neumann v. Sohönfeld: Vortragszyklus. II. Bd. Gesundbleiben und Gesund¬
werden. Gesellschafts - und Geschlechtsleben. — Allgemeine Hygiene. —
Erziehung. — Nervosität. — Ernährung. — Kleidung. — Sport. — Neue
Digitized by LaOOQle
218
Neu erschienene Schriften.
Heilmethoden. — Schule des Willens und Wachsuggestion. (32 S.) gr.-8*.
Zürich, A. Neumann, 1906. 1,25 M.
Mattot, A.-P.: La Santä dans le travail, ou 20 legons d’hygiene populaire. in-8\
1 vol. J. Lebegue et Co. 1,50 frc.
Plehn, Reg.-Arzt a. D. t Prof. Dr. A.: Kurzgefaßte Vorschriften zur Verhütung
und Behandlung der wichtigsten tropischen Krankheiten bei Europäern und
Eingeborenen für Nichtärzte. (34 S.) 8°. Jena, G. Fischer, 1906. Geb. in
Leinwand 0,75 M.
Praxis, Soziale. Zentralblatt für Sozialpolitik. Neue Folge der „Blätter für
soziale Praxis“ und des „Sozialpolitischen Zentralblatts“. Herausgeber: Prof.
Dr. E. Francke. Redakteur: Dr. Waldemar Zimmermann. 16. Jahrgang
Oktober 1906 bis September 1907. 52 Nummern. (Nr. 1, 32 Sp.) 4°. Leipzig,
Duncker & Humblot. Vierteljährlich bar 3 M., einzelne Nummern nn 0,30 M.
Profö, Dr. Alice: Lehrbuch der Gesundheitspflege. Zum Gebrauch in den oberen
Klassen der Volksschule, in Fortbildungsschulen usw. (138 S. mit 4 Tafeln.)
8°. Berlin, Schall & Rentei, 1906. Geb. in Leinwand 1 M.
Realenzyklopädie der gesamten Heilkunde. Medizinisch-chirurgisches Hand¬
wörterbuch für praktische Arzte. Herausgegeben vom Geh. Med.-Rat Prof.
Dr. Alb. Eulenburg. Dritte, umgearbeitete und vermehrte Auflage. 305.
bis 314. Lieferung. (31. Bd. Enzyklopädische Jahrbücher 14. Bd. Neue Folge:
5. Jahrgang.) (630 S. mit Abbildungen.) Lex.-8°. Wien, Urban & Schwarzen¬
berg, 1907. 15 M., geb. in Halbfrz. n 17,50 M.
Regenerationsbibliothek. Nr. 2. Peters, E.: Geschlechtsleben und Entartung.
(36 S.) 0,30 M. — Nr. 3. Derselbe: Anatomie und Physiologie des Nerven¬
systems. (Mit 4 Kunstdruck-Bildtafeln und 3 Zeichnungen im Text.) (32 S.)
0 40 M. — Nr. 4. Derselbe: Die Kulturkrankheit. Wirkungen und Folgen
der sinnlichen Fehler. Chronische Krankheiten, Nervosität, ihre Entstehung
und ihr Zusammenhang. (66 S.) 0,60 M. kl.-8°. Köln(-Lindenthal), „ Volks-
kraft tt -Verlag, 1906.
Sammlung populär-medizinischer Abhandlungen auf wissenschaftlicher Grund¬
lage. 2. Heft. Laaser, Zahnarzt Dr.: Das menschliche Gebiß, seine Pflege
und Erkrankung. (Mit 13 Abbildungen.) (32 S.) 0,60 M. — 3. Heft. Fliedner:
Infektionskrankheiten und ihre Verhütung. (94 S.) 1,50 M. 8°. Naunhof,
Schäfer & Schönfelder, 1906.
Sohönenberger, Dr. Franz: Lebenskunst — Heilkunst. Ärztlicher Ratgeber für
Gesunde und Kranke. Unter Mitwirkung von W. Siegert herausgegeben.
Mit 13 farbigen Tafeln, 233 in den Text gedruckten Abbildungen und einem
zerlegbaren Modell des menschlichen Körpers. 1. bis 5. Tausend. 2 Bde. (VII,
1276 S.) gr.-8°. Zwickau, Förster & Borries, 1906. Gebunden 22 M.
Sohlockow, Dr. Dr. Reg.- u. Geh. Med.-Rat E. Roth, Kreisarzt Med.-Rat A. Lepp-
mann: Der Kreisarzt. (Neue Folge von: Der preußische Physikus.) Anleitung
zur Kreisarztprüfung, zur Geschäftsführung der Medizinal beamten und zur
Sachverständigentätigkeit der Ärzte. Unter Berücksichtigung der Reichs¬
und LandeBgeBetzgebung. Sechste, vermehrte Auflage. Bearbeitet von Dr.
Dr. Reg.- u Geh. Med.-Rat E. Roth und Kreisarzt Med.-Rat A. Leppmann.
2 Bde. (X, 825 u. Vlil, 391 S.) Lex.-8°. Berlin, R. Schoetz, 1906. 30 M.,
gebunden bar 33,50 M.
Schoplick, Rhold.: Die land- und forstwirtschaftliche Unfallversicherung im
Geschäftsbereich der preußischen Kreis- und unteren Verwaltungsbehörden
(Kreis- und Stadtausschüsse, Landräte, Magistrate) und ihrer Organe (Polizei-
und Gemeindebehörden, Vertrauensärzte, Vertrauensmänner). (VIII, 97 S.)
8°. Breslau, Maruschke & Berendt, 1907. Kart. 2 M.
Siefart, Reg.-Rat H.: Der Begriff der Erwerbsunfähigkeit auf dem Gebiete des
Versicherungswesens. Im Aufträge des Reichsversioherungsamts für den
Digitized by LjOOQle
Neu erschienene Schriften.
219
V. internationalen Kongreß für Versicherungs Wissenschaft und IV. inter¬
nationalen Kongreß für Versicherungsmedizin in Berlin 1906 bearbeitet.
(XXIV, 166 S.) gr.-8 f . Berlin, A. Asher & Co., 1906. Bar 3 M.
Spohr, Oberst a. D.: Gesundheitsbrevier oder Was haben wir zu tun und zu lassen,
um uns gesund zu erhalten bzw. um gesund zu werden? Grundzüge einer
populären Gesundheitslehre. 4. bis 8. Tausend. (64 S.) gr.-8°. Gießen,
A. TöpelmaDn, 1907. 0,50 M.
Stoepel, Weil. Justizrat Paul: Preußisch - deutscher Gesetzkodex. Ein chrono¬
logisch geordneter Abdruck der in der Gesetzsammlung für die kgl. preuß.
Staaten von 1806, im Bundesgesetzblatt und im Reichsgesetzblatt von 1871 an
bis auf die neueste Zeit enthaltenen Gesetze, Verordnungen, Kabinetsordres,
Erlasse usw. mit Rücksicht auf ihre noch jetzige Gültigkeit und praktische
Bedeutung. Supplement 1904/05 mit Register, bearbeitet von Reg.-Rat Brach.
(336 S.) gr.-8*. Frankfurt a/0., Trowitzsch & Sohn, 1906. 4 M., gebunden
in üalbfrz. 6 M.
Volksschriften über Gesundheitswesen und Sozialpolitik. Herausgegeben im
Auftrag des Verbandes der Genossenschaftskrankenkassen uud der allgemeinen
Arbeiterkranken- und -unterstützungskasse in Wien. 7. Bändchen. Verkauf,
Dr. Leo: Die Regierung im Kampfe gegen die Selbstverwaltung der Kassen.
Referat. (29 S.) 0,20 M. 8°. Wien, Wiener Volksbuchhandlung, 1906.
Zeitfragen) Hygienische. II. Stekel, Dr. Wilh.: Die Ursachen der Nervosität.
Neue Ansichten über deren Entstehung und Verhütung. (50 S.) gr.-8 # . Wien,
P. Knepler, 1907. 1 M.
Zeitschrift für Bahn- und Bahnkassenärzte. Herausgegeben und redigiert von
Chefarzt Dr. Otto Roepke. l.Jahrg. 4. Vierteljahr Oktober—Dezember 1906.
3 Nummern. (Nr. 13, 24 S.) gr.-8°. Leipzig, J. A. Barth. Bar 1 M.
Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten. 53. Bd. 3. Heft. 6 M. —
Dieselbe, 54. Bd. 1. u. 2. Heft. Leipzig, Veit & Co. 16 M.
Zeitschrift für Krebsforschung. 4. Bd. 2. Heft. Berlin, Hirschwald. 9 M.
2. Statistik und Jahresberichte.
Beitrftge zur Arbeiterstatistik. Nr. 3 bis 5. 3. Tarifvertrag, Der, im Deutschen
Reich. Bearbeitet im kaiserl. statist. Amt, Abteilung für Arbeiterstatistik. I.
(VII, 180 S.) 2 M. — 4. Dasselbe, II. (IV, 407 8.) 4 M. — 6. Dasselbe.
III. (VII, 424 8.) 4M. Lex.-8°. Berlin, C. Heymann, 1906. 8 M., einzeln 10 M.
Dittmer, Emil: Lohn- und Arbeitsverhältnisse der städtischen Arbeiter Berlins
1906 bis 1907. (Umschlag: Die 8tadt Berlin und ihre Arbeiter. Ein Beitrag
zur Sozialpolitik der größten deutschen Gemeinde.) (139 S. mit 1 Tabelle.)
8*. Berlin, Buchhandlung Vorwärts, 1906 1 M.
Feld) Dr. Wilhelm: Die Mittelstädte Altpreußens in ihrer Bevölkerungsentwicke¬
lung zwischen 1858 und 1900. Mit besonderer Berücksichtigung des Ver¬
haltens der beiden Geschlechter und mit Ausblicken auf die Methodik und
die Ergebnisse der Statistik der Binnenwanderungen im allgemeinen. (VIII,
152 S.) gr.-8°. Dresden, 0. V. Böhmert, 1906. 2,80 M.
Gemeindeverwaltung) Die, der k. k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien im
Jahre 1904. Bericht des Bürgermeisters Dr. Karl Lueger. (Mit 1 Licht¬
druckbilde, 3 Kunstdruck-, 11 Textbildern und 8 Plänen.) (XXVII, 496 S.)
Lex.-S*. Wien, M. Gerlach und Wiedling, 1906. Geb. in Leinwand nn 6 M.
Handbuch) Statistisches, für das Königreich Württemberg. Jahrg. 1904 u. 1905.
Herausgegeben von dem kgl. statist. Landesamt. (X, 254 S. mit 2 farbigen
Karten.) Lex.-8°. Stuttgart, W. Kohthammer, 1906. Kart, bar 1,50 M.
Hertel) Dr. Erwin: Das badische Recht der Alters- und Invalidenversicherung
und seine Durchführung, systematisch dargestellt. (VIII, 116 S.) Lex.-8°.
Karlsruhe, F. Gutsch, 1906. 2,50 M.
Digitized by LaOOQle
220
Neu erschienene Schriften.
Jahrbuch| Deutsches meteorologisches, für 1905. Preußen und benachbarte
Staaten. Herausgegeben vom kgl. preuß. meteorologischen Institut durch
dessen Direktor Wilhelm v. Bezold. (I. Heft, 88 S.) 4°. Berlin, Behrend
& Co., 1906. Bar nn 2 M. — Dasselbe für 1905. Württemberg. Heraus-
gegeben von der kgl. württemb. meteorologischen Zentralstation. Bearbeitet
von Dr. L. Meyer unter Mitwirkung von Prof. Dr. Mack. (54 S. mit. 2 far¬
bigen Karten.) 4°. Stuttgart, J. B. Metzler, 1906. Bar 3 M.
Jahrbücher, Enzyklopädische, der gesamten Heilkunde. Herausgegeben von
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Alb. Eulen bürg. 14. Bd. Neue Folge: 5. Jahrg.
(630 S. mit 79 Abbildungen.) Lex.-8°. Wien, Urban & Schwarzenberg, 1907.
15 M., gebunden in Halbfrz. n 17,50 M.
Jahrbücher der hamburgischen Staatskrankenanstalten. Herausgegeben von
Dirr. Dr. Dr. Prof. Lenhartz, Reye, Deneke, sowie den Ärzten der An¬
stalten unter der Schriftleitung von Herrn. Lenhartz. X. Bd. Jahrg. 1905.
(X, 108 u. 360 S. mit 68 Abbildungen und 27 Tafeln.) gr.-8°. Hamburg,
L. Voß, 1906. Gebunden in Leinwand 28 M.
Jahresberichte der Gewerbeaufsichtsbeamten und Bergbehörden für das Jahr
1905. Mit Tabellen, einer Übersicht über die Gewerbeaufsichtsbeamten, ihr
Hilfspersonal und die Aufsichtsbezirke, sowie Gesamtregister zu den Be¬
richten. Amtliche Ausgabe. 1. bis 3. Bd. (XLIII. 667; VII, 385; X, 451, 219,
180 und VII, 268, 27, 39, 17, 34, 37, 39, 29, 41, 50, 27, 25, 11, 19. 31, 13, 25,
31, 55, 35 u. 151 S.) gr.-8°. Berlin, R. v. Decker, 1906. Geb. in Leinwand
nn 16,40 M.
Jahresbericht über die Ergebnisse der Immunitätsforschung. Unter Mitwirkung
von Facbgenossen herausgegeben von Priv.-Doz. Dr. Wolfgang Weichardt.
1. Bd.: Bericht über das Jahr 1905. (III, 225 S.) Lex.-8°. Stuttgart, F. Enke,
1906. 8 M.
Jahresbericht der Handels- und Gewerbekammer zu Zittau für 1905. (XLIV,
256 u. 73 8.) gr.-8°. Zittau, Handels- und Gewerbekammer, 1906. (Nur
direkt.) Bar 3 M.
Jahresbericht der Handwerkskammer zu Breslau für das Jahr 1905. (VI, 257 S.)
gr.*8°. Breslau, F. Hirt, 1906. Bar nn 1,50 M.
Jahresbericht, Pädagogischer, von 1905. Im Verein mit Schuldirektor Eduard
Balsiger. Seminaroberlehrer E. R. Freytag, Schulrat Dr. Berth. Hart¬
mann u. a. bearbeitet und herausgegeben von Kreisschulinspektor Schulrat
Heinrich Scherer. 58. Jahrgang. (XIV, 638 u. 128 S.) gr.-8°. Leipzig,
F. Brandstetter, 1906. 12 M.
Jahres- und Kassenbericht, 17., der Berliner Gewerkschaftskommission und
Bericht des Arbeitersekretariats Berlin pro 1905. (142 S. mit 3 Tabellen.)
gr.-8°. Berlin, Buchhandlung Vorwärts, 1906. 1 M.
Jehle, Sekr., stellv. Vorst. J.: Praktischer Führer durch die deutsche Arbeiter¬
versicherung. (VI, 230S.) 8°. Altenburg, St. Geibel, 1906. Geb. in Leinw. 3 M.
Jahresverzeichnis der schweizerischen Universitätsscbriften 1905/6. — Catalogue
des eorits academiques suisses 1905/06. (110 S.) gr.-8°. Basel, B. Schwabe,
1906. Bar f 1,60 M.
Mitteilungen des bernischen statistischen Bureaus. Jahrg. 1903. 1. Lieferung:
Statistik, Landwirtschaftliche, des Kantons Bern für die Jahre 1904 u. 1905.
(II, 177 S.) gr.-8°. Bern, A. Francke, 1906. 1,20 M.
Mitteilungen des statistischen Amtes der Stadt Dresden. 15. Heft: Verhält¬
nisse, Die, des subhastierten Dresdener Hausbesitzes. Ergebnisse einer
Untersuchung über die Zwangsversteigerungen der Jahre 1904 und 1905.
(51 S.) Lex.-8°. Dresden, v. Zahn & Jaensch, 1906. nn 1 M.
Mitteilungen aus den hamburgischen Staatskrankenanstalten. Herausgegeben
von den Direktoren und Ärzten der Anstalten unter Redaktion von Prof. Dr.
Digitized by Google
Neu erschienene Schriften.
221
Lenhartz. VI. ßd. (Wissenschaftlicher Teil der Jahrbücher der hambur-
gischen Staatskrankenanstalten. X. Bd.) (4. bis 6. Heft. S. 245 bis 375 mit
14 Figuren, 9 Tafeln u. 1 Tabelle.) Lex.-8°. Hamburg, L. Voss, 1306. 9 M.
Mitteilungen des statistischen Amtes der Stadt Mönchen. 20. Bd. 2. Heft:
Bevölkerung, Die, Münchens 1905. Ergebnisse der Volkszählung vom
1. Dezember 1905. (38 S. mit Fig.) Bar 1 M. — 3. Heft: Wohnungsbestand
und Mietpreise in München. Ergebnisse der Wohnungszählung vom 1. De¬
zember 1905. (32 S.) Bar 1 M. Lex.-8°. München, J Lindauer, 1906.
Mitteilungen, Medizinal - statistische, aus dem kaiserl. Gesundheitsamte. (Bei¬
hefte zu den Veröffentlichungen des kaiserl. Gesundheitsamtes.) 10. Bd.
2. Heft. (S. 79 bis 211 mit 2 farbigen Karten.) Lex.-8°. Berlin, J. Springer,
1906. 3 M.
Mitteilungen, Ungarische statistische. Im Aufträge des kgl. ungar. Handels¬
ministers verfallt und herausgegeben vom kgl. ungar. statist. Zentralamt.
Neue Serie. 17. Bd. (Ungarisch u. Deutsch.) 17. Bd.: Handel, Auswärtiger,
der Länder der ungarischen Krone im Jahre 1905. (144 u. 444 S.) Lex.-8°.
Budapest, F. Kilians Nachf., 1906. Geb. in Leinwand nn 6 M.
Nachrichten, Amtliche, des Reichsversicherungsamts 1906. 1. Beiheft: Aus¬
scheiden, Das, der Invalidenrentenempfänger der Jahre 1891 bis 1899 aus
dem Rentengenuß. Bearbeitet im Reichsversicherungsamt. (XVIII, 137 S.
mit 1 Tafel) Bar 5 M. — 2. Beiheft: Statistik der Heilbehandlung bei
den Versicherungsanstalten und zugelassenen Kasseneiuriobtungen der Inva¬
lidenversicherung für die Jahre 1901, 1902, 1903, 1904, 1905. Bearbeitet
im Reichsversicherungsamt (155 S.) Bar 4 M. Lex.-8°. Berlin, A. Atsher
'& Co., 1906.
Prinzing, Dr. Frdr.: Handbuoh der medizinischen Statistik. (VII, 559 S.) Lex.-8°.
Jena, G. Fischer, 1906. 15 M., geb. n 16 M.
Singer, Dr. Karl: Geburten und Sterbefälle in deutschen Groß- und Mittelstädten
1891 (1893) bis 1905. Auf Grund der Mitteilungen der beteiligten Städte.
Herausgegeben vom statistischen Amt der Stadt Münohen. (14 S.) Lex.-Ö°.
München, J. Lindauer, 1906. Bar 0,30 M.
Statistik, Breslauer. Im Aufträge des Magistrats der kgl. Haupt- und Residenz¬
stadt Breslau herausgegeben vom statistischen Amt der Stadt Breslau. 25. Bd*
I. Heft: Zur Statistik des Breslauer Grundbesitzes. (XI, 174 u. 12 S. und
9 Tafeln.) Lex.-8°. Breslau, E. Morgensterns Verlag, 1906. 1,50 M.
Veröffentlichungen aus den Jahresveterinärberichten der beamteten Tierärzte
Preußens für das Jahr 1901. 5. Jahrg. Zusammengestellt im Aufträge des
Vorsitzenden der technischen Deputation für das Veterinärwesen von
Veterinärrat Nevermann. 2 Teile. (V, 154 und IV, 143 S. mit 18 Tafeln.)
Lex.-8°. Berlin, P. Parey, 1906. 10 M.
V erwaltungsberieht der Stadt Nürnberg für das Jahr 1904. Mit den Gemeinde¬
rechnungen in summarischer Fassung. Herausgegeben vom Stadtmagistrat.
(XIV, 648 und 182 S. mit 22 Tafeln und 1 Tabelle.) Lex.-8°. Nürnberg,
J. L. Schräg, 1906. Bar f 5,40 M.
Volkakalender, Hygienischer, für das Jahr 1907. Mit Unterstützung bewährter
Mitarbeiter herausgegeben von Wilhelm Möller. (97 S. mit Abbildungen.)
kl.-8°. Oranienburg, W. Möller. Bar 0,20 M.
Zacher, Fr. Gen.-Vors. Dr.: Leitfaden zur Arbeiterversicherung des Deutschen
Reiches. Neu zusammen gestellt für die internationalen Kongresse für Ver¬
sicherungswissenschaft und Versicherungsmedizin in Berlin 1906. Im Auf¬
träge des Reichsversicherungsamts bearbeitet von Zacher, fortgeführt unter
Mitwirkung von Dr. Dr. Gen.-Vors. Geh. Reg.-Rat Prof. L. Lass und Geb.
Reg.-Rat G. A. Julein. 11. Ausgabe. (47 8. mit Figuren.) gr.-8°. Berlin,
A. Asher & Co., 1906. Bar nn 0,25 M.
Digitized by LaOOQle
222
Neu erschienene Schriften.
Zeitschrift des kgl. preußischen statistischen Landesamts. Herausgegeben vom
Präsidenten Dr. E. Blenck. XXV. Ergänzungsheft. Petersilie, Geh. Reg.-
Rat Prof. Dr. A.: Mitteilungen zur deutschen Genossenscbaftsstatistik für 1904.
(IV, 86 u. 96 S.) 4°. Berlin, Verlag des kgl. statist. Landesamts, 1906. 3,80 M.
3. Wasserversorgung, Entwässerung und Abfuhr.
Elbuntersuohung, Hamburgische. VIII. (Aus: „Mitteilungen aus dem natur¬
historischen Museum in Hamburg“.) VIII. Volk, Rieh.: Studien über die
Einwirkung der Trockenperiode im Sommer 1904 auf die biologischen Ver¬
hältnisse der Elbe bei Hamburg. Mit einem Nachtrag über chemische und
planktologische Methoden. Mit 2 Tafeln und 1 Karte. (101 S. u. 1 Tabelle.)
Lex.-8°. Hamburg, L. Gräfe & Sil lern, 1906. 3 M.
Koepper, Gust.: Die Entwickelung der Müllverbrennung und der Dörr sehe
Ofen zur Verbrennung von Hausmüll und Straßenkehricht. Herausgegeben
auf Veranlassung der Stettiner Schamottefabrik, A.-G. (vorm. Didier), zu
Stettin. (V, 121 S. mit 11 Tafeln.) gr.-8°. Dresden, E. Pierson, 1906. 4 M.,
gebunden n 5 M.
Voller, Prof. Labor.-Dir. Dr. A.: Das Grundwasser in Hamburg. Mit Berück¬
sichtigung der Luftfeuchtigkeit, der Lufttemperatur, der Niederschlagsmengen
und der Flußwasserstände. 14. Heft, enthaltend Beobachtungen aus dem
Jahre 1905. (1. Beiheft zum Jahrbuch der hamburgischen wissenschaftlichen
Anstalten. XXIII, 1905.) (7 S. mit 4 Tafeln.) 4°. Hamburg, L. Gräfe & Sillem,
1906. 3 M.
4. Straßen-, Bau- und Wohnungshygiene.
Aster, Architekt Geo: Eutwürfe zum Bau billiger Häuser für Arbeiter und kleine
Familien mit Angabe der Baukosten. 12. Aufl. (16 Taf. mit 6 S. Text) 4 # .
Gera, K. Bauch, 1906. 3 M.
Aufgaben, Neue, in der Bauordnungs- und Ansiedelungsfrage. Eine Eingabe
des deutschen Vereins für Wohnungsreform. (XII, 76 S.) gr.-8°. Göttingen,
Vandenhoeck & Ruprecht, 1906. 1 M.
Bauordnung, Die allgemeine, für das Großherzogtum Hessen. 4 Teile, ent¬
haltend die Änderungen des Gesetzes, die Amtsblätter und Ausschreiben seit
1882, die Nachträge und Ergänzungen der Ortsbaustatuten, die seit 1895 er¬
lassenen Ortsbaustatuten, Baupolizeiverordnungen, mit einem Sachregister,
fortgeführt vom Bürgermeister Dr. Gl ässing. (XI, 4, 44 u. 658 S.) gr.-8°.
Maiuz, J. Diemer, 1906. Bar 6 M.
Birk, Eisenb.-Oberingen. a. D. Prof. dipl. Ingen. Alfr.: Der Wegebau. In seinen
Grundzügen dargestellt für Studierende und Praktiker. 2. Teil: Eisenbahnbau.
(VIII, 258 S. mit 178 Abbildungen und 3 lithogr. Tafeln.) Lex.-8°. Wien,
F. Deuticke, 1906. 7,50 M.
Damaschke, Adolf: Die Bodenreform und die Lösung der Wohnungsfrage, siehe
Zeitfragen in Wiss. I.
Gesetz betr. Bauordnung für das Herzogtum Braunschweig vom 13. März 1899
nebst Anweisung betr. Sicherheitsvorkehrungen bei Ausführung von Bau-
und Abbruchsarbeiten vom 20. Januar 1906. Ausführungsbestimmungen zur
Bauordnung vom 29. September 1899. Zweite revidierte Auflage. (141 S.) kl.-8°.
Helmstedt, F. Richter, 1906. Kart, bar 1,80 M.
Gesetzgebung, Sozialpolitische. 1. Heft. Wohnungsaufsicht und Wohnungs¬
fürsorge nach der hessischen Gesetzgebung, und zwar: 1. Gesetz, die polizei¬
liche Beaufsichtigung von Mietwohnungen und Schlafstellen betr., vom 1. Juli
Digitized by LaOOQle
Neu erschienene Schriften.
223
1893; 2. Gesetz, die WohnungBfürsorge für Minderbemittelte betr., vom
7. August 1902, nebst den zugehörigen Vollzugsvorschriften und Ausführungs-
bestimmungen. Amtliche Handausgabe mit Motiven, Erläuterungen und
einem Sachregister. Bearbeitet im Auftrag großherzogl. Ministeriums des
Innern vom Minist.-Sekretär Matthias. (86 S.) gr.-8°. Darmstadt, G. Jong-
baus, 1906. 1 M.
Handbuch des Bauingenieurs. Eine vollständige Sammlung der an Tiefbau¬
schulen gelehrten technischen Unterrichtsfächer. Herausgegeben von Bauschul¬
direktor R. Schöler. III. Bd. Reich, Baugewerkschuldirektor A.: Der
städtische Tiefbau, umfassend: Die Bebauungspläne, die Befestigungen der
Straßen, die Reinigung der Straßenflächen und Beseitigung des Kehrichts,
die Wasserversorgung der Städte, die Entwässerungsanlagen der Städte und
die Reinigung und Beseitigung städtischer Abwässer. Für den Schulgebrauch
und die Baupraxis bearbeitet. Mit 386 Textabbildungen und 5 Tafeln. (X,
223 S.) Lex.-8°. Leipzig, B. F. Voigt, 1907. 6 M., geb. 7,60 M.
Iiindemann, Dr. H. (C. Hugo): Die deutsche Städte Verwaltung. Ihre Aufgaben
auf den Gebieten der Volkshygiene, des Städtebaues und des Wohnungs¬
wesens. Zweite, verbesserte und vermehrte Auflage. (XIII, 622 S.) gr.-8°.
Stuttgart, J. H. W. Dietz Nachf., 1906.
Bost, Dr. Hans: Die Wohnungsuntersuchung in der Stadt Augsburg vom 4. Januar
bis 24. März 1904. Im Aufträge des Stadtmagistrats durchgeführt und dar-
gestellt. (VI, 292 S. mit 2 Formularen, 7 farbigen graphischen Tafeln und
1 farbigen Plan.) Lex.-8°. Augsburg, M. Rieger, 1906. 8,25 M., gebunden
in Leinwand 9 M.
Schwarz, Heinrich v.: Über moderne Wohnungen vom Standpunkte der
Hygiene und des Komforts. (85 S. mit 7 Tafeln.) 8®. Graz, P. Cieslar, 1906.
nn 1,30 M.
Siebold, Reg.-Baumstr. a. D. K.: Ein Beitrag zur Lösung der Frage des Klein-
wohnungswesen. (II, 22 S. mit 2 farbigen Tafeln.) 4°. Bethel bei Bielefeld,
Buchhandlung der Anstalt Bethel, 1906. 1,50 M.
Veröffentlichungen des Vereins zur Fürsorge für kranke Arbeiter zu Posen.
8. Heft. Radomski, Schuir. J.: Das Schlafstellenwesen in Posen. Vortrag.
(15 S.) gr.-8°. Posen, J. Jolowicz, 1906. 0,40 M.
5. Schulhygiene.
Abhandlungen, Pädagogische. 95. Heft. Drewke, H: Die Lehrerinnenfrage.
(23 S.) — 96. Heft. Bach, Wilh. Karl: Über die Behandlung des Sexuellen
in der Schule. (15 S.) — 97. Heft. Kropp, Kantor: Praktische Winke für
Wanderungen von Volksschülern (13 S.). 8°. Bielefeld, A. Helmich, 1906.
Je 0,40 M.
Archiv, Internationales, für Schulhygiene. Archives internationales d’hygiene
scolaire. International magazine of school hygiene, publiees par Dr. Alb.
Mathieu, ed. by Dr. Sir Länder Brunton. Herausgegeben von Proff. Dr.
Dr. Axel Johannessen und Herrn. Griesbach. 3 Bde. 4 Hefte. (1. Heft.
61, 68 u. 20 S.) gr.-8°. Leipzig, W. Engelmann, 1906. Bar 20 M.
Baur, A., und 0. Frey, Dr. Dr.: Atlas der Krankheiten des Menschen. Beschrei¬
bung der wichtigsten Erkrankungen und ihrer Ursachen. Für Schule und
Haus bearbeitet. 25 feine Farbendrucktafeln mit 78 Abbildungen, 200 S. Text
mit 96 Abbildungen. (VI u. S. 55 bis 244 u. X S.) gr.-8°. Eßlingen, J. F.
Schreiber, 1906. Geb. in Leinwand 6,50 M.
Broesike, Prosektor Dr. Gustav: Die Anatomie, Physiologie und Hygiene des
menschlichen Körpers. Für den Schulgebrauch gemeinverständlich dar-
Digitized by LaOOQle
224
Neu erschienene Schriften.
gestellt. (IV, 127 S. mit 11 farbigen Tafeln.) gr.-8. Leipzig, F. C. W. Vogel r
1906. Geb. 3 M.
Lorenzen, Ernst: Mit Herz und Hand. Beiträge zur Reform deB Unterrichts
und der häuslichen Erziehung. (141 S.) 8°. Darmstadt, Verlagsanstalt A. Koch,
1906. 1,60 M.
Moses, Dr. Jul.: Die hygienische Ausgestaltung der Hilfsschule. Versuch einer
systematischen Darstellung der Hilfsschulhygiene. [Aus: „Internat. Archiv
für Schulhygiene“.] (53 S.) gr. 8°. Leipzig, W. Engelmann, 1906. 1 M.
Schulkind, Das, in seiner körperlichen und geistigen Entwickelung, dargestellt
von Dr. Dr. Lucy Hoesch-Ernst und Prof. Ernst Neumann. I. Teil:
Hoescb-Ernst, Dr. Lucy: Anthropologisch-psychologische Untersuchungen
an Züricher Schulkindern, nebst einer Zusammenstellung der Resultate der
wichtigsten Untersuchungen an Schulkindern in anderen Ländern. (165 S.
mit 29 farbigen und schwarzen Kurventafeln.) Lex.-8°. Leipzig, 0. Nemnich,
1906. 18 M., geb. bar 20 M.; für Abnehmer der „Experimentellen Pädagogik“
bar nn 13.50 M., geb. nn 15 M.
6. Hospitäler und Krankenpflege.
Auer, E.: Gründet Ortskrankenkassen! Ein Beitrag zur Vereinheitlichung der
Arbeiterversioherung. (52 S.) gr.-8°. München, G. Birk & Co., 1906. 0,30 M.
Ausführungsbestimmungen, Allgemeine, zu dem Gesetze, betr. die Bekämp¬
fung übertragbarer Krankheiten, vom 28. August 1905 (Gesetzsamml. S. 373).
Amtliche Ausgabe. (56 S.) 8°. Berlin, R. Schoetz, 1906. nn 0,50 M.
Berger, Dr. Paul: Führer durch die Privatheilanstalten. Mit ausführlicher Dar¬
stellung der modernen Behandlungsmethoden. Zum Handgebrauch für Ärzte
und Laien bearbeitet. Zehnte, vollständig umgearbeitete und bedeutend ver¬
mehrte Auflage. (106 S. mit Abbildungen.) kl.-8°. Berlin, H. Steinitz, 1906. 2 M.
Rodari: Die wichtigsten Grundprinzipien der Krankenernährung. München,
Verlag der ärztlichen Rundschau. 0,60 M.
Sternberg, Dr. Wilh.: Krankenernährung und Krankenküche. Gesehmack und
Schmackhaftigkeit. (VIII, 102 S.) Lex.-8°. Stuttgart, F. Enke, 1906. 3,60 M.
Wautholz, H. A.: Les ambulances et les ambulanciers ä travers les siecles. in- 8°.
1 vol. J. Lebegue et Co. 3,50 frcs.
7. Militär- und Schiffshygiene.
Handbibliothek des Offiziers. 11. Bd. Barthelmes, Stabsarzt Dr.: Grundsätze
der Militärgesundheitspflege für den Truppenoffizier. Mit 2 bunten Tafeln
und 12 Abbildungen im Text. (VIII, 146 S.) gr.-8°. Berlin, E. S. Mittler
& Sohn, 1907. 2,50 M., geb. n 3,50 M.
Veröffentlichungen aus dem Gebiete des Militärsanitätswesens. Herausgegeben
von der Medizinalabteilung des kgl. preußischen Kriegsministeriums. 34. Heft.
Fischer, Stabsarzt Dr.: Die Lungentuberkulose in der Armee. Im Anschluß
an Heft 14 dieser Veröffentlichungen bearbeitet. Mit 4 Textfiguren. (V, 72 S.)
Lex.-8°. Berlin, A. Hirschwald, 1906. 2 M.
8. Infektionskrankheiten, Bakteriologie und Desinfektion.
Abel, Geh. Med.-Rat Dr. Rudolf: Bakteriologisches Taschenbuch, enthaltend die
wichtigsten technischen Vorschriften zur bakteriologischen Laboratoriums¬
arbeit. Zehnte Auflage. (VI, 119 S.) kl.-8°. Würzburg, A. Stübers Verlag,
1906. Gebunden in Leinwand und durchschossen 2 M.
Digitized by
Google
Neu erschienene Schriften.
225
Anweisungen des Ministers der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegen¬
heiten zur Ausführung des Gesetzes, betr. die Bekämpfung übertragbarer
Krankheiten, vom 28. AuguBt 1905 (Gesetzsamml., S. 373). Amtliche Aus-
gäbe. 9 Hefte. 1. Diphtherie (Rachenbräune). (66 S.) 0,40 M. —- 2. Ge¬
nickstarre (übertragbare) (74 S.) 0,50 M. — 3. Kindbettfieber (Wochenbett-,
Puerperalfieber). (42 S.) 0,30 M. — 4. Körnerkrankheit (Granulöse, Trachom)«
(49 S.) 0,30 M. — 5. Ruhr, übertragbare (Dysenterie). (78 S.) 0,50 M. —
6. Scharlach (Scharlachfieber). (64 S.) 0,40 M. — 7. Typhus (Unterleibs¬
typhus). (86 S.) 0,50 M. — 8. Milzbrand (beim Menschen). (63 S.) 0,40 M.
— 9. Rotz (beim Menschen). (61 S.) 0,40 M. kl.-8°. Berlin, R. Schoetz, 1906.
3,70 M.
Baohmanxi; Kreisarzt Dr.: Hygienische Reformgedanken auf biologischer Grund¬
lage. (XI, 76 S.) gr.-8°. Hamburg, L. Voss, 1906. 1,50 M.
Cornet, Prof. Dr. G.: Die Tuberkulose. Zweite, vollständig umgearbeitete und
im Umfang verdoppelte Auflage. Mit 15 Illustrationen, 1 Karte und 5 Tafeln
in Farbendruck. Zwei Hälften. (XVI, 1442 S.) Lex.-8°. Wien, A. Holder,
1907. 32 M., in zwei Halbfranzbänden n 37 M.
Coste de Lagrave. Hygiene alimentaire du tuberculeux. in-8°. A. Maloine.
7,50 frcs.
Ebbard, Richard J.: Dyspepsia and Costiveness: Their Cause and Cure. Based
on Modem Medical Reform Soience and Successful Practical Experience.
Lucidly Explained for the Purpose of Self-Treatment without Medicine. Cr.
8vo. pp. 134. L. N. Fowler. net 2/6.
Local Government Board. No. 238. Report on an Outbreak of Enteric Fever,
Associated in Some Cases with Cerebro-Spinal Symptoms, at Fincham, in the
Downham Rural District, Norfolk. 4 d.
Local Government Board. No. 239. Report upon the Sanitary Circumstances
and Administration of the Borough of Haverfordwest, and upon the Recent
Prevelance of Enterio Fever therein. 6 d.
Guerville, A. B. de: Der Kampf gegen die Tuberkulose. (53 S.) 8°. Leipzig,
O. Spamer, 1907. 0,50 M.
Jahrbuch; Klinisches. IV. Ergänzungsband. Denkschrift über die Bekämpfung
der Granulöse (Körnerkrankheit, Trachom) in Preußen. Bearbeitet in der
Medizinalabteilung des kgl. preußischen Ministeriums der geistlichen, Unter¬
richts- und Medizinalangelegenheiten. (III, 76 S.) gr.-8°. Jena, G. Fischer,
1906. 2,50 M.
Kamen; Oberstabsarzt Dr. Ludwig: Prophylaxe und Bekämpfung der Infektions¬
krankheiten. Kurzgefaßtes Lehrbuch für Militärärzte, Sanitätsbeamte und
Studierende der Medizin. (VIII, 380 S. mit 64 Abbildungen und 5 Karten.)
Lex.-8®. Wien, J. Safär, 1906. 10 M., geb. in Leinwand 11,40 M.
Kassowita; Prof. Dr. Max: Metabolismus und Immunität. Ein Vorschlag zur
Reform der Ehrl ich sehen Seitenkettentheorie. (133 S.) gr.-8°. Wien,
M. Perles, 1907. 4 M.
Kirstein; Fritz: Die Mitwirkung des Lehrers in der Schule bei der Bekämpfung
ansteckender Krankheiten. Berlin, J. Springer. 2 M.
Lehmanns medizinische Handatlanten. X. Bd. Lehmann, K. B. und R. 0. Neu-
mapn, Proff. Dr. Dr.: Atlas und Grundriß der Bakteriologie und Lehrbuch
der speziellen bakteriologischen Diagnostik. Vierte, umgearbeitete und ver¬
mehrte Auflage. Zwei Teile. (1. Teil: Atlas. 79 farbige Tafeln mit XIII,
101 S.) 8°. München, J. F.Lehmanns Verlag, 1907. Für vollständig: gebunden
in Leinwand 18 M.
Maffre; Dr. R.: La Desinfection dans les petita centres: quelques agents simples
et öconomiques. in-8°. Ch. Dirion ä Toulouse. 2 frcs.
Vierteljahnschrift fflr Gesundheitspflege, 1907. 15
Digitized by LaOOQle
226 Neu erschienene Schriften.
Middendorp. Le Bacille de Koch n’est pas lagent pathogene de la tuber-
culose. in-4°. 1 voL A. Maloine. 4 frcs.
Moor, Cresacre 6., and Hewlett, Richard Tanner: Applied Baoteriology. An
Elementary Handbook for the Use of Stndents of Hygiene etc. 3rd ed. 8vo.
pp. 486, and Plates. Bailiiere, net 12/6.
Stumpf, Landgerichtsarzt Prof. Dr. Julius: Über ein zuverlässiges Heilverfahren
bei der asiatischen Cholera, sowie bei schweren infektiösen Brechdurchfällen
und die Bedeutung des Bolus (Kaolins) bei der Behandlung gewisser Bak¬
terienkrankheiten. (V, 62 S. mit 1 Tafel.) Lex.-8°. Würzburg, A. Stübers
Verlag, 1906. 1 M.
Tuberkulosearbeiten aus dem kaiserl. Gesundheitsamte. 5. Heft. Heilstätten,
Deutsche, für Lungenkranke. Geschichtliche und statistische Mitteilungen.
111. Berichterstatter: Reg.-Rat Dr. Hamei. Mit 7 Tafeln. (V, 295 S.) Lex.-8.
Berlin, J. Springer, 1906. 18 M., für Abnehmer der Veröffentlichungen des
kaiserl. Gesundheitsamtes 14,40 M.
Turner, W. Pickett: Tuberculosis. Its Origin and Extinction. Cr. 8vo., pp. 108.
Black, net 2/6.
Zeitschrift für Infectiouskrankheiten, parasitäre Krankheiten und Hygiene der
Haustiere. Herausgegeben von Proff. Dr. Dr. R. Ostertag, E. Joest und
K. Wolffhügel. II. Bd. (1. Heft, 112 S.) gr.8°. Berlin, R. Schoetz, 1906.
Bar 20 M.
9. Hygiene des Kindes.
Beiträge zur Kinderforschung und Heilerziehung. Beihefte zur „Zeitschrift für
Kinder forsch ung“. Herausgegeben von Irrenanstaltsdirektor a. D. Med.-Rat
Dr. J. L. A. Koch, Direktor J. Trüper und Rektor Chr. Ufer. 22. Heft.
Fiebig, Schularzt Dr. M.: Über Vorsorge und Fürsorge für die intellektuell
schwache und sittlich gefährdete Jugend. (60 S.) gr.-8°. Langensalza,
H. Beyer & Söhne, 1906. 0,75 M.
Buch, Das, vom Kinde. Ein Sammelwerk für die wichtigsten Fragen der Kind¬
heit unter Mitarbeit zahlreicher hervorragender Fachleute herausgegeben
von Adele Schreiber. I. Bd. 1. Abtlg.: Körper und Seele des Kindes.
I. Lfg. (S. 1 bis 80 mit Abbildungen und 2 [1 farbige] Tafeln.) — I. Bd.
2. Abtlg.: Die Erziehung. 1. Lfg. (S. 1 bis 80 mit Abbildungen und 12
[5 farbigen] Tafeln.) — II. Bd. 1. Abtlg.: Öffentliches Erziehungs- und Für¬
sorgewesen. 1. Lfg. (S. 1 bis 80 mit Abbildungen.) Lex. -8°. Leipzig,
B. G. Teubner, 1906. Jede Lieferung 1,40 M.
Chateau, Un danger menaqant pour la sante publique, la carie dentaire. in-8°.
1 vol. A. Maloine. 3,50 frcs.
Cheadley, W. B.: On the Principles and Exact Conditions to be Observed on
the Artificial Feeding of Infants. 6th ed. Edit and revised by T. G. Poynton.
Cr. 8vo. pp. 290. Smith, Eider. 5d.
Hancock, H. Irving: Japanische Gymnastik für Knaben und Mädchen nach dem
Jiu-Jitsusystem. (XIV, 127 S. und 32 S. mit Abbildungen.) 8°. Stuttgart,
J. Hoffmann, 1906. 2 M., gebunden bar 2,60 M.
Hirts, Rektor Arnold: Krippen, Kinderbewahranstalten, Kinderhorte. Ihre
Bedeutung und Leitung. (79 S.) gr.-8°. Hamm, Breer & Thiemann, 1906. 1 M.
Jahresbericht über die Durchführung des Kinderschutzgesetzes im Jahre 1905,
erstattet von den großherzoglioh hessischen Gewerbeinspektionen. Heraus¬
gegeben im Aufträge des großherzoglich hessischen Ministeriums des Innern.
(III, 112 S.) gr.-8°. Darmstadt, G. Jonghaus, 1906. nn 0,65 M.
Japha, A. und H. Neumann, Dr. Dr.: Die Säuglingsfürsorgestelle I der Stadt
Berlin. Einrichtung, Betrieb, Ergebnisse. (80 S.) Lex.-8°. Berlin, S. Karger,
1906. 2 M.
Digitized by LaOOQle
Neu erschienene Schriften.
227
J ugend, Gesunde. Zeitschrift für Gesundheitspflege in Schule und Heus. Organ
des allgemeinen deutschen Vereins für Schulgesundheitspflege. VI. Jahrgang.
Ergänzungsheft. Verhandlungen der VII. Jahresversammlung des deutschen
Vereins für Schulgesundheitspflege am 6. und 7. Juni 1906 in Dresden. Heraus¬
gegeben von Privatdozent Dr. H. Selter und Oberlehrer K. Roller. (103 S.)
gr.-8°. Leipzig, B. G. Teubner, 1906. 2,40 M.
Kind, Das. Monatsschrift für Kinderpflege, Jugenderziehung und Frauenwohl.
Unter Mitwirkung von Ärzten, Pädagogen und Frauen herausgegeben von
Dr. Eugen Net er. 1. Jahrgang. Oktober 1906 bis September 1907. 12 Nrn.
(Nr. 1, 16 S.) Lex.-8°. Hannover, 0. Tobies. Bar 3,50 M.
Kinderfehler, Die. Zeitschrift für Kinderforschung mit besonderer Berücksichti¬
gung der pädagogischen Pathologie. Im Verein mit IrrenanstaltBdirektor a. D.
Med.-Rat Dr. J. L. A. Koch herausgegeben von Direktor J. Trüper und
Rektor Ghr. Ufer. 12. Jahrg. Oktober 1906 bis September 1907. 12 Hefte.
(1. Heft, 32 S.) gr.-8°. Langensalza, H. Beyer & Söhne. Bar 4 M.
Legal. No. 516. Burial, England. Order in Counoil under the Burial Acts.
Needham. 1 d.
Memory) P.: Etüde sur la mortalite infantile. Thöse. in-8°. G. Stein heil. 3,50 fres.
Monti, Dir. Prof. Dr. Alois: Kinderheilkunde in Einzeldarstellungen. Vorträge,
gehalten an der allgemeinen Poliklinik. 24. u. 25. Heft. (Ergänzungsband,
3. u. 4. Heft.) 24. Künstliche Säuglingsernährung. (S. 125 bis 200.) 2 M.
— 25. Ernährung und Pflege der Kinder von der Entwöhnung bis zur
Pubertät. (8.201 bis 238.) 1 M. Lex.-8°. Wien, Urban & Schwarzenberg, 1907.
Seguin. Traitement moral, hygiene et öduoation des idiots et des autres enfants
arrieres. in-8°. F. Alcan. 10 fres.
Therapie, Physikalische, in Einzeldarstellungen. Herausgegeben von Dr. Dr.
ding. Arzt J. Marcuse und Dozent A. Strasser. 23. Heft. Zappert,
Privatdozent Dr. Julius: Die physikalische Therapie im Kindesalter. (91 S.)
Lex.-8*. Stuttgart, F. Enke, 1906.
10. Variola und Vaccination.
Bonneoaae, P.: Contribution ä l’ötude de l’hydroa vacciniforme. in-8*. 1 vol.
Ch. Dirion ä Toulouse. 2 frei.
11. Geschlechtskrankheiten und Prostitution.
Berger, Red. Julius: Blutjunge Sündenmädchen. Aus den traurigen Kapiteln:
Verführung, Prostitution, Lebemänner, Erpressungen. Lehrreiche Informa¬
tionen für jedermann zwecks Eindämmung und Bekämpfung der Prostitution.
Aus den hinterlassenen Papieren des ehemaligen kgl. Polizeileutnants pens.
Kommissars Hermann Göllnitz in Breslau. (172 S.) 8°. Dresden, F. Casper
& Co., 1906. Bar 2 M., geb. 3 M.
Flugschriften der deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrank¬
heiten. 6. Heft. Kaufmann, Dr. R.: Über Quecksilber als Heilmittel. Vor¬
trag. (24 S.) gr.-8*. Leipzig, J. A. Barth, 1906. 0,30 M.
Galtier-Boissiöre, Dr.: Pour pröserver des maladies veneriennes. in-8°. Lib.
Larousse. 0,75 frc.
Hammer, Dr. Wilhelm: Über Dirnentum und Mutterschutz. [Aus: „Monatsschrift
für Harnkrankheiten und sexuelle Hygiene".] (24 S.) gr.-8°. Leipzig, Verlag
der Monatsschrift für Harnkrankheiten, 1906. 1 M.
Hermann, Primararzt Dr. Josef: Die Geschlechtskrankheiten und ihre Behand¬
lung ohne Quecksilber. Sechste Auflage. (II u. 165 S.) gr.-8°. Leipzig,
H. Hedewigs Nachf., 1906. 3 M., mit Modell des männlichen Körpers 3,60 M.
Digitized by LaOOQle
228
Neu erschienene Schriften.
Maisonneuve, P.: Experimentation sur la prophylaxie de la syphilis. These.
in-8°. 1 yol. G. Steinheil. 2,60 frcs.
Neisser, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. A.: Die experimentelle Syphilisforschung nach
ihrem gegenwärtigen Stande. [Aus: „Verhandlungen der deutschen dermato¬
logischen Gesellschaft. Neunter Kongreß in Bern".] (III, 114 S.) gr.-8°.
Berlin, J. Springer, 1906. 2,40 M.
Siebert, Dr. F.: Unseren Söhnen! Aufklärung über die Gefahren des Geschlechts¬
lebens. (160 S.) 8°. Straubing, C. Attenkofer, 1907. 1,80 M.
12. Gewerbe- und Berufshygiene.
Arbeitersohutz und Gewerbeinspektion. Herausgegeben von der kgl. württem-
bergischen Zentralstelle für Gewerbe und Handel. (IV, 98 S.) 8°. Stuttgart,
K. Wittwer, 1906. Kart. 0,80 M.
Arbeitersekretariat, Das Leipziger, und die Leipziger Gewerkschaften im
Jahre 1905. Zweiter Jahresbericht des Sekretariats. (84 S. mit 1 Tabelle.)
gr.-8°. Leipzig, Leipziger Buchdruckerei, 1906. 0,60 M.
Arbeiter Versicherung, Die deutsche, als soziale Einrichtung. Dritte Auflage,
im Aufträge des Reich sversicherungsamtes für den V. internationalen Kongreß
für VersicherungswiBsenschaft und den IV. internationalen Kongreß für Ver¬
sicherungsmedizin in Berlin 1906, bearbeitet von A. Bielefeldt, K. Hart¬
mann, G. A. Klein, L. Lass, F. Zahn. (160 S.) gr.-8°. Berlin, A. Asher
& Co., 1906. Bar 2 M.
Bibliothek der gesamten Technik. 14. Bd. Holitscher, Dr. A.: Gewerbliche
Gesundheitslehre. Gemeinverständlich dargestellt. (173 S. mit 36 Abbildungen.)
kl.-8°. Hannover, Dr. M. Jänecke, 1907. 2,20 M., geb. in Leinwand 2,60 M.
Fortschritt, Sozialer. Hefte und Flugschriften für Volkswirtschaft und Sozial¬
politik. Unter Mitwirkung erster Sachkenner für Gebildete aller Kreise ge¬
schrieben. 79. Heft. Kollenscher, Rechtsanwalt Dr. Max: Heimarbeit.
(20 S.) 8*. Leipzig, F. Dietrich, 1906. Jede Nr. 0,25 M., für die Reihe von
10 Nrn. 1,50 M.
Jahresbericht der großherzoglich hessischen Gewerbeinspektionen für das Jahr
1905. Herausgegeben im Aufträge des großherzoglichen Ministeriums des
Innern. (VIII, 268 S.) gr.-8°. Darmstadt, G. Jonghaus, 1906. 1 M.
Köhler, San.-Rat Dr. J.: Die Stellung des Arztes zur staatlichen Unfallversiche¬
rung. Vier Vorlesungen. (VI, 102 S.) Lex.-8°. Berlin, A. Hirschwald,
1906. 2 M.
Leontief, Dr.Wassilij: Die Lage der Baumwollarbeiter in St. Petersburg, die
Geschichte der Industrie und die Fabrikgesetzgebung. (IV, 114 S.) gr.-8°.
München, E. Reinhardt, 1906. 2,50 M.
Bund, Ingen. Bernhard: Die Gefahren der Rauchplage und die Mittel zu ihrer
Abwehr. Ein Mahnwort zur Kohlenverschwendung. Vortrag. [Aus: „Monats¬
schrift für Gesundheitspflege".] (14 S.) Lex.-8°. Wien, M. Perles, 1907. 1 M.
Stange, Maschinenbauingenieur Dampfkesselinspektor Max: Die Rauchbelästi¬
gung und deren Bekämpfung. (III, 98S.) 8°. Teplitz-Schönau, A. Becker,
1906. 2 M.
UnfallverhütungsVorschriften, Die, der Berufsgenossenschaft der chemischen
Industrie. Anhang: Bekanntmachungen betr.: 1. Anlagen zur Herstellung
von Alkalichromaten; 2 . Anlagen zur Herstellung von Bleifarben und anderen
Bleiprodukten; 3. Anlagen zur Vulkanisierung von Gummiwaren; 4. Anlagen,
in denen Thomasscblacke gemahlen oder Thomasschlaokenmehl gelagert
wird. Vierte Auflage. (268 S.) kl.-8°. Berlin, C. Hey mann, 1906. 1,20 M.,
geb. 1,60 M.
Digitized by tjOOQle
Neu erschienene Schriften.
229
Zeitfragen, Volkswirtschaftliche. Vortrage und Abhandlungen. Herausgegebeu
von der volkswirtschaftlichen Gesellschaft in Berlin. 28. Jahrgang. 222. Heft.
Hahn, Oberleutnant a. D.: Der industrielle Arbeitslohn. Vortrag. (41 S. mit
1 eingedruckten Kurve.) gr.-8°. Berlin, L. Simion Naohf., 1906. Einzelpreis 1 M.
13. Nahrungsmittel.
Czerny, Jos.: Der Mensch und seine Nahrung. Vorträge und Ergänzungen hierzu,
gehalten im deutsch - mährischen Volksbildung!verein in Brünn. (29 S. mit
2 Tabellen.) gr.-8°. Brünn, C. Winiker, 1906. 0,80 M.
Ergebnisse, Die, der Schlachtvieh- und Fleischbeschau im Deutschen Reiche im
Jahre 1904. Bearbeitet im kaiserl. Gesundheitsamte. (HI, 136 S.) 4°. Berlin,
J. Springer, 1906. 5 M.
Franke, Erwin: Kaffee, Kaffeekonserven und Kaffeesurrogate. Darstellung des
Vorkommens und der Zubereitung von Bohnenkaffee, der Erzeugung von
Konserven aus Kaffee und der verschiedenen Kaffeesurrogate aus Feigen,
Getreide, Malz usw. (VIII, 221 S. mit 32 Abbildungen.) 8*. Wien, A. Hart¬
leben, 1907. 3 M., geb. 3,80 M.
Koning, C. J.: Biologische und biochemische Studien über Milch. Aus dem
Niederländischen übersetzt von Dr. Johannes Kaufmann. 1. Heft. (IV,
131 S.) gr.-8°. Leipzig, M. Heinsius Nachf., 1906. 3 M.
Lebensmittelbuch, Schweizerisches. Methoden für die Untersuchung und Normen
für die Beurteilung von Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen. Im Auf¬
träge des schweizerischen Departements des Innern bearbeitet vom schweize¬
rischen Verein analytischer Chemiker. Zweite, revidierte Auflage. Dritter
Abschnitt. Fleisch und Fleischwaren, Getreide und Hülsenfrüchte, deren
Mahlprodukte und Stärkemehle, Brot, Teigwaren, Kindermehle, Gewürze,
Kaffee und Kaffeesurrogate, Tee, Kakao unnd Schokolade. (IX, 95 S.) gr.-8°.
Bern, Neukomm & Zimmermann, 1906. 2,60 fres.
Legal. Nr. 573. Excise. British Wines, Sweets, or made Wines. Regulations,
dated August 8, 1906, made by the Commissioners of Inland Revenue under
Section 7 (2) of the Revenue Act, 1906, as to Licences to be taken out by
Manufacturers for Sale, and also as to the Manufacture for Sale, of British
Wines, or Sweets, or Made Wines. 1 d.
Michaelis, Ad. Alf.: Die Milch. Ein großes Nahrungs- und Heilmittel. (XIII,
190 S.) gr.-8°. Stuttgart, Verlags- und Handelsdruckerei H. Bleher, 1906.
Gebunden 4 M.
Ostertag, Prof. Dr.: Leitfaden für Fleischbeschauer. Eine Anweisung für die
Ausbildung als Fleischbeschauer und für die amtlichen Prüfungen. Neunte,
neubearbeitete Auflage. (XII, 275 S. mit 186 Abbildungen.) gr.-8°. Berlin,
R. Schoetz, 1906. Gebunden in Leinwand 6,50 M.
Raumer, II. Direktor Prof. Eduard v., und Oberinspektor Eduard Spaeth, Dr.
Dr.: Die Vornahme der Lebensmittelkontrolle in Stadt- und Landgemeinden.
Ein Führer für die mit der Vornahme der Lebensmittelkontrolle betrauten
Behörden. (X, 213 S.) 8°. München, C. H. Beck, 1907. Geb. in Leinw. 3 M.
Röttger, Dr. W.: Genußmittel — Genußgifte? Betrachtungen über Kaffee und
Tee auf Grund einer Umfrage bei den Ärzten. Mit einem Vorwort von Geh.
Med.-Rat Prof. Dr. Alb. Eulenburg. (98 S.) 8*. Berlin, E. Staude,
1906. 1 M.
Rokitansky, Marie v.: Die österreichische Küche. Eine Sammlung selbst¬
erprobter Kochrezepte für den einfachsten und den feinsten Haushalt, nebst
Anleitungen zur Erlernung der Kochkunst. Vierte Auflage. 14. bis 16. Tausend.
Vielfach vermehrt und verbessert. Mit 32 Textillustrationen und 6 Tafeln.
(X, 606 S.) gr.-8°. Innsbruck, A. Edlinger, 1906. Geb. in Leinwand 5 M.
Digitized by LaOOQle
230
Neu erschienene Schriften.
14. Alkoholismus.
Alkoholgegner, Der. Monatsschrift zur Bekämpfung der Trinksitte. Heraus¬
geber und Schriftleiter: Dr. Rösler und Otto de Terra. 4. Jahrg. Oktober
1906 bis September 1907. 12 Nrn. (Nr. 1, 24 S.) Lex.-8°. Reichenberg i/B.,
Schloßgasse 3, Verwaltung des Alkoholgegner. Bar 2,60 M.
Baer, Geh. Med.-Rat A., und B. Laquer, Dr. Dr.: Die Trunksucht und ihre
Abwehr. Beiträge zum gegenwärtigen Stande der Alkoholfrage. Zweite,
umgearbeitete Auflage. (VII, 242 S.) Lex.-8°. Wien, Urban & Schwarzen¬
berg, 1907. 6 M., geb. n 7,60 M.
Bartning, Rechtsanwalt Adolf: Was haben die Abstinenten den Gebildeten zu
sagen? Vortrag. (16 S.) 8°. Flensburg, Deutschlands Großloge II, 1906. 0,15 M.
Matthaei, Oberstabsarzt a. D. Dr.: Die Milderung der modernen Entartung durch
Beschützung der Jugend vor der Alkoholgewöhnung. (12 S.) 8°. Flensburg,
Deutschlands Großloge II, 1906. 0,15 M.
Petersen, J.: Der Alkohol. Kurz gefaßte, übersichtliche Darstellung der Alkohol¬
frage mit besonderer Berücksichtigung der Bedürfnisse der Schule. Mit Ab¬
bildungen und graphischen Darstellungen. 4. bis 13. Tausend. (24 S. mit
1 Tafel.) 8°. Kiel, R. Cordes, 1906. Bar 0,40 M.
Basier, Dr. Gustav: Enthaltsamkeit von geistigen Getränken als soziale Pflicht.
(8 S.) 8°. 0,5 M. — Leitsätze zur Alkoholfrage. Zweite Auflage. (8 S.) 8°.
0,9 M. Reichenberg i/B., Schloßgasse 3, Verwaltung des „ Alhoholgegner“, 1906.
Sinapius, Dr.: Über ein zweckmäßiges Volksgetränk. [Aus: „Der Kinderarzt.“]
(3 S.) gr.-8°. Leipzig, B. Konegen, 1906. Bar 1 M.
Stubenvoll, Dr. Frdr. B.: Alkoholismus und Tuberkulose. Ausgabe A. (1. bis
5. Tausend.) Herausgegeben vom Deutschen Arbeiterabstinentenbund. Nr. 12.
(16 S.) kl.-8°. Berlin, Buchhandlung des deutschen Arbeiterabstinenten¬
bundes, 1906. 0,10 M.
Weise, Dr. J.: Der Streit ums Gläschen Bier. Ein Wort zur Klärung und Beruhi¬
gung. (10 S.) gr.-8°. München, Seitz & Schauer, 1906. 0,10 M.
15. Verschiedenes.
Borgstette, Med.-Rat, pharmazeut. Assessor, ApothekenbeB. O.: Die Apotheken-
gesetze in Preußen. Zusammengestellt zum Gebrauche für Apotheker, Revi¬
soren, Kreisärzte und Studierende der Pharmazie. Neu bearbeitet und
herausgegeben. Vierte, vermehrte Auflage. (VII, 370 S.) 8°. Münster,
Coppenrath, 1906. Geb. in Leinwand 5 M.
Celsus, Aulus Cornelius: Über die Arznei Wissenschaft. In 8 Büchern. Übersetzt
und erklärt von Eduard Scheller. Zweite Auflage. Nach der Textausgabe
von Daremberg neu durchgesehen vom ehemaligen Assistenten Walther
Friboes. Mit einem Vorworte von Prof. l)r. R. Kobert. Mit einem Bildnis,
26 Textflguren und 4 Tafeln. (XLII, 862 S.) gr.-8°. Braunschweig, Friedr.
Vieweg & Sohn, 1906. 18 M., geb. 20 M.
Ekstein, Dr. Emil: Über die amtliche Herausgabe neuer Dienstanweisungen für
Hebammen. [Aus: „Der Frauenarzt“.] (5. S.) gr.-8°. Leipzig, B. Konegen,
1906. Bar 1 M.
Erste Hilfe-Taschenkalender. 1907. 8. Jahrgang. 1. Die erste Hilfe bei Un¬
fällen und plötzlichen Erkrankungen. 2. Ärztliche Ratschläge bei kleinen
und großen Leiden. (79 S.) 9,9 X 5,8 cm. München, Seitz & Schauer, 1906.
0,15 M.
Esch, Dr.: Die Stellungnahme des Arztes zur Naturheilkunde. Eine objektive
Kritik von Naturheilkunde und Schulmedizin nebst Beiträgen zu einer biolo¬
gischen Heillehre. Mit einem Geleitwort von Dr. Chr. Diehl. Zweite, um-
Digitized by LaOOQle
Neu erschienene Schriften. 231
gearbeitete Anflage. (22 S.) gr.-8 f . München, Verlag der ärztl. Rundschau,
1906. 0,40 M.
Gerling, Reinh.: Der vollendete Mensch. Die Kunst, harmonische Leibesbildung,
gesunden Organismus, sympathisches Äußere und körperliche Kraft zu ent¬
wickeln und dauernd zu erhalten. Mit 72 Illustrationen und 1 Übungstafel.
Zweite, erweiterte Auflage. (VII, 188 S.) gr.-8°. Berlin, Buchhandlung und
Verlag „Der Naturarzt“, 1906. 8 M., geh. 4 M.
Good, Ehemal. Marinearzt Dr. Paul: Hygiene und Moral. Eine zeitgemäße Studie.
Aus dem Französischen von Prof. E. Mazerolle. (XII, 58 S.) kl.-8*. Stra߬
burg, F. X, Le Roux & Co., 1906. 0,60 M.
Gr&semann, Paul: Lebensversicherung und Ärzte. (77 S.) 8°. Berlin, Herrn.
Walther, 1907. 1,50 M.
Greenwich Observatory. Temperature of the Air as determined from the
Observations and Records of the 15 years, 1891 to 1906, made at the Royal
Observatory, Greenwich. 3 d.
H&berlin, Dr. H.: Staatsarzt- oder Privatarztsystem? Wirkt das Privatarztsystem
wirklich antisozial und ist der Übergang zum Staatsarztsystem wünschbar
oder gar notwendig? (36 S.) Lex.-8 # . Zürich, A. Müllers Verl., 1906. 0,80M.
Handausgabe der österreichischen Gesetze und Verordnungen. 64. Heft. Busch¬
mann, Dr. Max Frhr. v.: Gesetze, betr. die Abwehr und Tilgung anstecken¬
der Tierkrankheiten samt den hierzu nachträglich ergangenen Gesetzen, Durch¬
führungsverordnungen, Landesgesetzen,'Erlassen, Kundmachungen und den
Entscheidungen des k. k. Obersten Gerichts- und Kassationshofcs. Neu
bearbeitet von Dr. Fritz Zadnik. (XIII, 690 S.) 1906. 6 M.
Jacobson, Kreisarzt Med.-Rat Dr. G.: Leitfaden für die Revisionen der Arznei¬
mittel-, Gift- und Farbenhandlungen, zum Gebrauch für Medizinalbeamte,
Apotheker, Drogisten und Behörden. Dritte, mit Berücksichtigung der kaiserl.
Verordnung, der letzten Bestimmungen und Gerichtsentscheidungen umgear¬
beitete Auflage. (IV, 211 S.) kl.-8°. Berlin, Fisohers medizin. Buchhandl.,
1906. Geb. in Leinwand 4 M.
Jahresbericht über das Veterinär wesen in Ungarn. Herausgegeben vom kgl.
ungarischen Ackerbauminister. 16. Jahrgang 1904. (Nach dem 18. Jahrgang
der ungarischen Originalausgabe.) Publikationen des kgl. ungarischen Acker¬
bauministers. (118 S.) Lex.-8°. Budapest, O. Nagel jun., 1906. 1,70 M.
Kade, Landgerichtsrat Karl: Die Ehrengeriohtsbarkeit der Ärzte in Preußen.
Eine Bearbeitung des Ehrengerichtsgesetzes und der veröffentlichten Ent¬
scheidungen des ärztlichen Ehrengerichtshofes. (VI, 133 S.) Lex.-8°. Berlin,
A. Hirschwald, 1906. 2,60 M.
Köhler, E.: Die Anwendungsformen des Naturheilverfahrens. Unterrichtsbriefe
über Gesundheitspflege und Naturheilkunde. (III, 212 S. mit Abbildungen.)
gr.-8°. Berlin, Buchhandlung und Verlag „Der Naturarzt“, 1906. 3 M.,
geb. 4 M.
Koch, Bezirksobertierarzt Dozent Alois: Lehre von den gesunden und kranken
Haustieren. (Landwirtschaftliche Veterinärkunde.) 1. Teil, Gesundheitslehre,
enthaltend: Formenlehre (Morphologie), Gesundheitslehre (Hygiene), sowie
Geburtshilfe und Exterieur der landwirtschaftlichen Haustiere. (VI, 314 S.
mit 284 Abbildungen und 6 Tafeln.) Lex.-8°. Wien, M. Perles, 1907. 6 M.,
gebunden n 7 M.
Lilienthal, Landw. Wintersch.-Dir. Dr.: Gesundheitspflege der landwirtschaft¬
lichen Haussäugetiere. Ein Lehrbuch für den Unterricht an landwirtschaft¬
lichen Lehranstalten und zum Selbstunterricht. Zweite, unveränderte (Titel-)
Auflage. (VIII, 85 S. mit 6 Abbildungen.) 8°. Bautzen, E. Hübner, (1901),
1907. Geb. in Leinwand 1 M.
Peters, E.: Geschlechtsleben und Nervenkraft. 1. Bd. Die Entartung und ihre
Ursachen und Wege zur Wiedergeburt von Gesundheit, Lebenskraft und
Digitized by LaOOQle
232
Neu erschienene Schriften.
Lebensfreude. (XII, 192 S.) 8°. Köln(-Lindenthal), „Volkskraft“-Verla*, 1906.
1,80 M., geb. n 2,50 M.
Pudor, Katechismus der Nacktkultur. Leitfaden för Sonnenbäder und Nacktpflege.
1. bis 10. Tausend. (83 S. mit Abbildungen.) kl.*8°. Berlin-Steglitz, H. Pndor,
1906. Kart. 0,95 M.
Rh&n, Cäsar: Das gesunde nnd kranke Haustier. II. Bd. Großtiere: Pferde,
Kinder, Schweine und Schafe; ihre Zucht und Pflege, sowie naturgemäße
Behandlung in gesunden und kranken Tagen. Die 1 Jung Viehzucht ohne Ver¬
loste. Anhang: Nutzanwendung der natürlichen Heilfaktoren für den Menschen.
(526 S. mit 250 Illustrationen.) gr.~8°. Stuttgart, Th. Nädelin, 1906. Geb. in
Leinwand bar 5 M.
Schreiber, Dr. E. CI: Arzneiverordnungen für den Gebrauch des praktischen
Arztes. Siebente Auflage. Geb. in Leinwand 3 M.
Ullmann, Privatdozent Dr. Karl: Znr Rasierttubenhygiene. Beiträge zur Ent¬
stehung infektiöser Hauterkrankungen im Bereiche des Gesichtes nnd der
Kopfhaut in Rasierstuben und Vorschläge zu deren Vorbeugung. [Ans: „Allg.
Wiener med. Ztg.“] (88 S.) gr.-8°. Wien, W. Braumüller, 1906. 2 M.
Vogl, Aug. v., und Ernst Ludwig, Hofräte Proff. Dr. Dr.: Kommentar zur achten
Ausgabe der österreichischen Pharmakopoe. Ein Handbuch für Apotheker,
Drogisten, Sanitätsbeamte und Ärzte. 3. Bd.: Text der aohten Ausgabe in
deutscher Übersetzung. Zweite Auflage. (XVI, 281 8.) Lex.-8°. Wien,
K. Gerolds Sohn, 1906. 10 M., geb. in Halbfrz. n 12,50 M.
Digitized by LaOOQle
Dr. Solbrig, Schulhygienische Betrachtungen.
233
Schulhygienische Betrachtungen.
Von Dr. Solbrig, Regierung«- und Medizinalrat in Allenstein.
Als ich früher in Liegnitz tätig war, hatte ich über die hygienischen
Zustände von 206 Schalen aus vier Kreisen des Regierungsbezirkes Liegnitz
berichtet. Das gewonnene statistische Material stammte zum größten Teil
aus den Angaben der betreffenden Lehrer, auf Grund eines von mir ent¬
worfenen Fragebogens.
Es schien mir nun der Mühe wert zu sein, ähnliche Untersuchungen
in dem Regierungsbezirk Arnsberg, in dem ich als Hilfsarbeiter bei der
Königlichen Regierung unter anderem auch die schulhygienischen Sachen
zu bearbeiten hatte, anzustellen. Das Material, das hier zu verarbeiten war,
beruhte insofern auf sichererer Grundlage als jenes aus dem Bezirk Liegnitz f
als es den durch das Kreisarztgesetz vorgeschriebenen kreisärztlichen Schul¬
besichtigungsprotokollen entstammte. Des weiteren war bei Bearbeitung
deB Materials zu erwarten, daß es gelingen würde, zu zeigen, welche Bedeu¬
tung diese kreisärztlichen Besichtigungen zur Verbesserung der hygienischen
Zustände der Schulen haben, nebenbei auch den einen oder anderen Vor¬
schlag zur Änderung des Besichtigungsschemas zu machen.
Leider war es mir infolge meiner Versetzung von Arnsberg nicht mög¬
lich, die Arbeit in dem Umfange zu verfassen, als ursprünglich geplant war,
nämlich ein möglichst vollständiges Bild von dem Zustande der Schulen des
genannten Bezirks auf Grund der seit dem Jahre 1901 bis in die Gegenwart
vorgenommenen Besichtigungen zu geben. Die nachfolgenden Beschreibungen
erstrecken sich auf 363 Schulen mit 996 Klassenräumen, die wieder sich auf
drei Stadt- und neun Landkreise des Bezirks verteilen; es sind danach kaum
ein Viertel sämtlicher im Bezirk vorhandenen Schulen, die hier zum Gegen¬
stand der Besprechung gemacht werden. Wenn man somit das hier ge¬
wonnene Resultat auch nicht als ein getreues Spiegelbild der Arnsberger
Schalen überhaupt ansehen kann, so dürfte es doch zulässig sein, da die
hier zur Verarbeitung kommenden Schulen nicht nach bestimmten Prinzipien
ausgewählt wurden, sondern gewissermaßen als Stichproben größeren Um¬
fanges gelten können, daraus einen ungefähren Maßstab für die tatsächlichen
Zustände zu gewinnen.
Mein Material setzt sich zusammen aus 28 Schulen dreier großer Stadt¬
kreise und aus 335 Schulen von neun Landkreisen. Da die Namen der
Kreise und Schulen hier nicht interessieren, werden sie fortgelassen. Von
den neun Landkreisen sind in allgemeiner Hinsicht einige ganz oder größten¬
teils landwirtschaftliche, einige größtenteils industrielle, der Rest als ge¬
mischte zu bezeichnen; es überwiegen im ganzen die Schulen aus Industrie¬
gegenden, wie dies im großen auch für den ganzen Regierungsbezirk zutrifft.
Es soll davon abgesehen werden, die Schulen nach den einzelnen Kreisen
getrennt zu beschreiben; ich halte es nur für erwünscht, die Schulen der
'Vierteljahreschriit für Gesundheitspflege, 1907. 15
Digitized by LaOOQle
234
Dr. Solbrig,
Stadtkreise denen der Landkreise gegenüberzustellen, da zwischen diesen
beiden Gruppen gewisse Unterschiede von vornherein anzunehmen sind.
Noch ist zu bemerken, daß sämtliche Schulen Volks- und vereinzelt soge¬
nannte Rektoratsschulen, jedenfalls keine höheren Schulen sind.
Nach diesen Vorbemerkungen wenden wir uns zur Besprechung der
Einzelheiten. Unter Zugrundelegung des Schemas „Übersicht über das
Ergebnis der kreisärztlichen Besichtigung u kommen wir zuerst zu dem
Schulgebäude.
Unter Punkt 1 der Übersicht soll die „Lage, Umgebung, Beschaffenheit
und Größe des Schulgebäudes“ beschrieben werden. Eine besondere Frage
bezieht sich außerdem auf etwa in der Nähe befindliche „übelriechende,
schädliche Ausdünstungen oder störendes Geräusch“. Dieser Punkt erfährt
nun nach meinen Erfahrungen vielfach nicht die genügende Beachtung bei
der Beantwortung. Das mir vorliegende Material aus den 363 Schulen ge¬
stattet folgende Zusammenstellung:
Die Lage war eine freie bei 178, eine größtenteils umbaute bei
52 Schulen, während die Angaben hierüber aus 133 Schulen fehlen; natur¬
gemäß besteht ein Unterschied zu Ungunsten der größeren Städte, in denen
von 28 Schulen 11 eine freie, 16 eine umbaute Lage haben, während die
entsprechende Angabe bei einer Schule fehlt. — Weitere Angaben über die
Lage (ob an der Straße, in der Mitte oder am Rande des Ortes und der¬
gleichen mehr) werden nur so selten gemacht, daß eine Zusammenstellung
wegen allzugroßer Lücken unterbleiben muß.
Auch wird bezüglich der Umgebung nur ganz vereinzelt etwas be¬
sonderes berichtet, abgesehen von der Frage nach den etwaigen Störungen
durch Geräusche usw., wovon gleich die Rede sein wird.
Die Beschaffenheit des Schulgebäudes wird insofern kurz angegeben,
als manche Schulhäuser als neu und gut, andere als besonders alt und
schlecht bezeichnet werden. Ganz vereinzelt finden sich Angaben über das
Alter deB Schulgebäudes bzw. das Jahr der Erbauung. Die Frage hiernach
ist in dem Fragebogen nicht angegeben, doch dürfte ihre Aufnahme gerecht¬
fertigt sein. Wohl zu den ältesten Schulgebäuden gehört eins vom Jahre
1684, das im übrigen verhältnismäßig noch leidlich beschaffen ist.
Unter den 363 Schulgebäuden sind als alt und schlecht 32 (= 8,7 Proz.)
bezeichnet, darunter befindet sich keins aus den drei Stadtkreisen. Natür¬
lich ist damit nicht gesagt, daß die anderen Schulgebäude keine Mängel auf¬
zuweisen hätten; von diesen 32 ist jedoch anzunehmen, daß sie nach ihrer
ganzen Beschaffenheit durch Neubauten zu ersetzen sind, um den hygie¬
nischen Anforderungen genügen zu können. Als ausdrücklich neu und gut
werden im ganzen 113 Schulgebäude bezeichnet (darunter 10 von den 32
Schulen der Stadtkreise), das sind also 31,2 Proz.; dies Ergebnis kann als
ein günstiges bezeichnet werden. Die Frage nach der Größe des Schul¬
gebäudes wird meist gar nicht beantwortet; auf Grund seiner Besichtigung
dürfte Bich der Kreisarzt auch schwer darüber äußern können. Erwünscht
wäre es, wenn ein genauer Lageplan mit Maßstab dem Besichtigungs¬
protokoll beigefügt werden könnte; doch wird der Kreisarzt nicht in der
Lage sein, einen solchen zu erhalten.
Digitized by LaOOQle
Schulhygienische Betrachtungen. 235
Unter störenden Einflüssen durch übelriechende, schädliche Aus¬
dünstungen oder störendes Geräusch haben nach den Angaben im
ganzen 57 Schulen (= 18,5 Proz.) zu leiden, und zwar werden gestört
durch:
Schulen der
Stadtkreise | übrigen Kreise
Ausdünstungen und Geräusche.'
S 2
6
Ausdünstungen bzw. Staub.
2
23
Lärm.
5
19
zusammen
9
48
Wie natürlich, leiden also die Schulen in den größeren Städten in er¬
höhtem Maße unter diesen Einflüssen. Die üblen Ausdünstungen werden
meist durch nahe beflndliche Aborte und Düngerstätten verursacht; als ein
Kuriosum sei angeführt, daß in zwei Schulen hier und da unangenehmer
Geruch durch Leichen, die in dem der Schule benachbarten Spritzenhause
untergebracht werden, entstehen soll! Die störenden Geräusche werden
durch Fabriken, Eisenbahnen, Schmiede- und ähnliche Werkstätten, in den
Städten auch durch Fuhrwerke auf den Straßen verursacht.
Unter den 363 zu Scbnlzwecken dienenden Gebäuden sind sechs, die
ursprünglich zu einem anderen Zwecke erbaut, und in denen nur provi¬
sorisch eine bis sechs Klassen untergebracht sind. Unter diesen sind zwei
Rathäuser mit je einer Klasse, eine Kapelle mit einer Klasse, eine Scheune
mit einem über dem Viehstall untergebrachten Klassenzimmer, zwei Privat¬
häuser mit einem bzw. sechs Klassenzimmern. In letzterem Fall findet diese
an sich nicht gutzubeißende Einrichtung noch dadurch eine besondere Ver¬
schlechterung, daß in dem Mietshause noch fünf Familien wohnen.
Wir kommen zu Punkt 2 der Übersicht: Konstruktion des Ge¬
bäudes. Von den hier gestellten Fragen findet die nach der Sicherung
gegen durchdringenden Schlagregen und aufsteigende Feuchtigkeit eine un¬
vollkommene Beantwortung; naturgemäß, denn bei der Besichtigung durch
den Kreisarzt läßt sich wohl nie genau feststellen, ob das Gebäude in dieser
Weise gesichert ist. Die Angaben, die man in dieser Beziehung von dem
Lehrer oder Schulvorstand bekommt, wollen auch in der Regel nicht viel
bedeuten. Einfacher wäre die Beantwortung, wenn die Frage lautete: Sind
die Mauern trocken oder feucht? Wovon die etwa gefundene Feuchtigkeit
der Wände herrührt, und wie dem abzuhelfen ist, ist nachher Sache des
Baubeamten. Ferner hat die hier gestellte Frage nach der Höhe des Fu߬
bodens über dem Erdgeschoß — soll heißen über dem Erdboden — wohl
auch nur eine nebensächliche Bedeutung, sofern die Frage nach der Trocken¬
heit der Mauern und der Unterkellerung beantwortet ist.
Hinsichtlich der Bauart sind nun von den 363 Schulen im ganzen 278
massiv, 72 aus Fachwerk, 11 teils massiv, teils aus Fachwerk erbaut, ein
Gebäude ist eine hölzerne Schulbaracke, und einmal fehlt die Angabe der
Bauart. Die Schulen der Stadtkreise sind sämtlich massiv. Es werden
Digitized by LaOOQle
236
Dr. Solbrig,
ferner im ganzen 44 = 12 Proz. als feucht oder teilweise feucht bezeichnet
darunter zwei in den Stadtkreisen 1 ).
Bei 31 Schulhäusern fehlen die Dachrinnen oder sind schadhaft; von
den Schulen der Stadtkreise ist hierbei keine beteiligt. Ein Traufpflaster
fehlt bei 105 Schulen, darunter bei sieben Schulen der Stadtkreise.
Über die Frage der Unterkellerung der Schulhäuser gibt folgende kleine
Zusammenstellung Aufschluß.
Zahl der Schulen
Unterkellerung
zusammen
vollständig
teilweise
fehlen
?
In den Stadtkreisen.
In den übrigen Kreisen.
22
130
5 !
114 |
1
87
4
28
335
zusammen
152
119
CD
OO
363
Es fehlt danach die Unterkellerung ganz bei 88 = 24,3 Proz. der
Schulen; die Schulen in den Stadtkreisen sind bis auf eine sämtlich unter¬
kellert 51 ).
Die Frage der Höhe des Fußbodens über dem Erdboden soll, weil un¬
erheblich, hier aus der Erörterung gelassen werden.
Nicht in den Fragebogen aufgenommen, und doch wohl zur Beurteilung
des Schulhauses erwünscht, ist die Frage nach einem vorhandenen Blitz¬
ableiter, nach der etwa vorhandenen Treppe beim Eingang, dem-hier
entschieden notwendigen — Fußkratzeisen und die Frage, wohin sich die
Haustür öffnet. In dem von mir entworfenen neuen Fragebogen finden
diese Fragen Berücksichtigung.
Bezüglich der unter Punkt 2 mit aufgenommenen Frage nach der
Lehrerwobnung, erscheint es mir erwünscht, einige spezielle Fragen aufzu¬
nehmen, weil sonst meist nur kurz beantwortet wird, ob im Sobulhause eine
Lehrerwohnung vorhanden ist, und ob sie einen eigenen Eingang besitzt,
während es doch wichtig ist, zu wissen, ob die Lehrerwohnung gesund ist«
ob der Rauminhalt den Ansprüchen genügt und dergleichen mehr. — Von
unseren 363 Schulen ist hierüber folgendes zu sagen: Es waren 231
(= 64 Proz.), in denen zugleich eine oder mehrere Lehrer- bzw. Lehrerinnen-
wobnungen sich befanden; von diesen 231 hatten nur 95 (= 41 Proz.) einen
besonderen Eingang für den Lehrer und dessen etwaige Familie. Vereinzelt
handelte es sich bei diesen Wohnungen nur um einzeln stehende Lehrerinnen,
für deren Wohnungen ja ein gesonderter Eingang weniger wichtig ist, als
für die Wohnung von Lehrerfamilien, für die völlig getrennte Zugänge
erwünscht sind, um beim Vorkommen ansteckender Krankheiten in der
Familie nicht gleich zur Schließung der Schule greifen zu müssen.
l ) Dies Ergebnis ist gegenüber meinen Liegnitzer Untersuchungen ein erheb-
ich günstigeres; hier fand ich im ganzen nur 59 Proz. durchweg trockene Schul¬
häuser, während nach obigem 88 Proz. der Arnsberger Schulen trocken sind.
*) Auch hier ist bei Vergleichen zwischen den Liegnitzer und Arnsberger
Schulen das Ergebnis der letzteren weit günstiger; hier sind mehr als drei Viertel
der Schulen, dort noch nicht ganz ein Viertel der Schulen unterkellert.
Digitized by Google
Schulhygienische Betrachtungen.
237
Die für den Lehrer im Schnlhause bestimmten Wohnungen waren einige
Male anderweit vermietet; gegen eine solche Vermietung wird man sich im
allgemeinen aus mancherlei Gründen aussprechen; notwendig erscheint solch
Verbot, wenn nicht völlig getrennte Eingänge für Wohnung und Schul¬
räume vorhanden sind. Das Wohnen einer Krankenschwester im Schulhause,
wie es aus einer Schule berichtet wird, in der noch dazu gemeinsame Zu¬
gänge vorhanden sind, wird zweifellos nioht zu billigen sein, weil die Gefahr
des Hineintragens von Krankheitskeimen in die Schulräume hierbei keine
geringe ist.
In 39 Fällen war, mehrfach zugleich mit dem Lehrer, ein Scbuldiener
bzw. Schuldienerin im Schulhause untergebracht; ein besonderer Eingang
bestand für deren Wohnung nur in drei Fällen. Wie oft es sich dabei um
einzelne Personen oder Familien handelt, ist aus den Berichten nicht zu
ersehen. Es erscheint erwünscht, auch bezüglich der Schuldiener und deren
Wohnungen einige Fragen in die Übersicht aufzunehmen.
Ob die Schulräume zu anderen Zwecken dauernd oder vereinzelt mit
benutzt werden, ist gleichfalls eine Frage, die bei den Besichtigungen mit
ins Auge zu fassen und zu Protokoll zu bringen wäre; das Übersichtsformular
enthält bis jetzt nooh nichts hierüber, und in den vorliegenden Protokollen
sind auch keine betreffenden Angaben gemacht.
Das Schulzimmer.
Mit dem Schulzimmer und dessen Einrichtungen haben wir es unter
Punkt 3 und 4 der Übersicht zu tun.
Unter unseren 363 Schulen finden wir alle Abstufungen von den ein-
klassigen bis zu 19 Massigen. Die nachfolgende Übersicht gibt näheren
Aufschluß.
Schulgebäude
mit
1
1
2
3
4
5
6
| 7
8
1 9
10
11
12 j 13
14 1
15
16 !
17
18
19
c
9t
*
2
Klassenzimmern !
In den Stadtkreisen
In den Landkreisen
162
97
1
15
2
29
ii
6
11
1
2
! 8
11
1
2
1
5
2 i
1
2 1
_
—
—
1
28
335
zusammen
162
97
16 ■
31
i 4
17
3
19
1
2
R
7 1
1
2
-
—
_
1
363
Während die Schulen der Stadtkreise naturgemäß nur melirklassige sind,
nehmen in denen der übrigen Kreise die einklassigen mit 162 = 44 Proz. und
die zweiklassigen mit 97 = 26 Proz. den größten Teil, zusammen 70 Proz.
aller Schulen ein.
Was die Größen Verhältnisse der einzelnen Schulzimmer betrifft, so gibt
umstehende Übersicht über Länge und Breite genaue Auskunft.
Wenn man als Maximallänge für ein Schulzimmer 10 m und als Maximal¬
breite 7m annimmt — in dem Handbuch der Schulhygiene von Burger-
stein und Netolitzky wird schon 9 m als äußerste Länge und 6 m als
äußerste Breite angenommen, während nach dem Runderlaß des Ministers
der geistlichen usw. Angelegenheiten vom 15. November 1905 für ländliche
Schulen eine Länge von 9,7 m und eine Breite von 6,5 m nicht überschritten
Digitized by LaOOQle
238
Dr. Solbrig,
<N
o
Ol
©
c5
Länge der Schulzimmer
O
T
00
|
05
1
7
1
7
e
s
s
in m
j
1
O
o
c3
j
fl
00
05
CG
Breite d. Schulzimmer in m
n
3 — 4
Stadtkreise .
—
—
—
1
—
—
'
1
8
Landkreise .
3
—
2
1
1
—
7
4,1 — 5
Stadtkreise .
—
—
—
—
—
—
-i
-
22
Landkreise .
3
5
5
5
3
1
—
-
22
5,1 — 6
Stadtkreise .
_
_
_
_
4
1
_
5
1 Landkreise .
2
7
21
67
86
6
6
i
196
201
6,1 — 7
Stadtkreise .
9
184
14
2
|
209 i
Landkreise .
8
1 12
1 74
226
77
10 '
1
408
| 617
7,1 — 8
Stadtkreise .
Landkreise .
—
1 1
1
10
12
—
24 1
124
—
—
2;
! 23
50
23
o
100,
8,1 — 9
Stadtkreise .
Landkreise .
—
i —
2
2
—
—
4
1 19
—
i —
7
4
4
—
—
1 15
9,1 — 10
Stadtkreise .
Landkreise .
I
—
-
—
3
! 2
—
5
1 5
zusammen
8 20
1 43
! 190
573
137
23
h
996 j
werden soll —, so würden hiernach von 996 Schulzimmern 162 (= 16,2 Proz.)
zu lang, 148 (= 14,8 Proz.) zu breit, 43 (= 4,3 Proz.) zu lang und zu
breit sein.
Vergleicht man die Schulen der Stadt- mit denen der Landkreise, so
sind die weniger günstigen Verhältnisse in den letzteren, indem die zu
große Länge in den Klassen der Stadtkreise zu 12 Proz., in denen der
anderen Kreise zu 17,6 Proz., zu große Breite zu 11,1 bzw. 15,8 Proz. ge¬
funden werden, während zu große Längen- und Breitenabmessungen sich in
den Schulen der ländlichen Kreise etwas weniger (nämlich 4,1 Proz. gegen¬
über 5,3 Proz. in den Stadtkreisen) finden.
Das längste Schulzimmer ist eins mit 12,4m bei einer Breite von 6,1 m;
die breitesten zwei mit 9,2 m bei einer Länge von 11,2 m; letztere sind zu¬
gleich mit 103 qm Fläche die größten in unseren Schulen.
Das kleinste Schulzimmer ist eins mit 5,3 m Länge und 3,4 m Breite,
das ist eine Fußbodenfiäche von 19 qm; es ist dies allerdings nur ein provi¬
sorisches Schulzimraer, dient eigentlich als Konferenzzimmer.
Über die Höhe der einzelnen Schulzimmer ist das nähere aus folgen¬
der Tabelle zu ersehen:
' '
05
0= "
1 fl
Höhe der Schulzimmer
in m
liS*!
1 s
l> ^
CN
1 1
oT
l
-3,19
1
CO*
1
s
co“
1
05
*
1
l
§
1 ß
S
11 fl
«>
1
c*_
io
1
iO
3
/ fl
:i
1 ^
<M
CO
CO
l w
1 N
Zahl der Schulzimmer ) Stadtkreisen . .
i,_
—
—
—
6
38
199
—
243
in den | Landkreisen . .
i 1 5
6
u
47
1 213
378 i
j 91
2
1 753
zusammen
i 1 &
1 6 1 11 1
47
1 219
416 1
290
2 996
Digitized by
Google
Schulhygienische Betrachtungen. 239
Weniger als die Minimalhöhe von 3,20 m, wie sie nach dem oben er¬
wähnten Ministerialerlaß für die ländlichen Schalen — and folgerichtig
damit auch erst recht für die Stadtschulen — vorgeschrieben ist, besitzt
demnach von den Schulen der Stadtkreise kein einziges Schalzimmer, von
denen der anderen Kreise im ganzen 69 (= 9,2 Proz.). Dies Ergebnis kann
als ein recht günstiges bezeichnet werden l ).
Hiernach berechnet sich die Grundfläche und der Rauminhalt, worüber
in folgenden Tabellen genauerer Aufschluß gegeben wird:
Grundfläche
in qm
unter 20
20 — 30
©
1
©
CO
40 — 60
60—80
©
©
T
©
00
über 100 |
zu¬
sammen
Zahl der Schulzimmer | Stadtkreisen
1 —
—
1
34
207
1
-[
1 243
in den | Landkreisen
i 1
4
1 23
322
389
12
A
753
zusammen
i_L
h
| 24
356
596
13
2 !
996
i
o
; ;
o
8
©
© .
1
©
1 iß
©
©
©
iß
i
©
G
©
i a
1 a
Rauminhalt
i"
o
00
° 1
|
<N
I
<N
1
CO
1
co
|
in cbm
i 5
G
1
1 o
i
o
1
o
©
1
©
iß
1
©
©
1
©
Iß
1
©
©
u
&
t 4
00
P
p
r
oo
I
«—I
<M
co
:P
N
Zahl der Schulzimmer 1 Stadtkreisen . . |
—
—.
"i!
2
76
152
12
—
243
in den | Landkreisen . . |
2
4
8
31 !
174
319
180
33
2
753
zusammen
2
4
8
32 |
176
| 395
| 332
45
996
Das kleinste an Grundfläche ist ein Schulzimmer mit 19 qm, den ge¬
ringsten Rauminhalt hat ein anderes mit 54 cbm. Die größten Schulzimmer
sind zwei mit einem Flächenraum von 103 qm (wie bereits erwähnt), der
größte Kubikinhalt wird bei diesen selben Schulzimmern mit 412 cbm erreicht.
Wie sich der für das einzelne Schulkind berechnete Flächenraum und
Rauminhalt gestaltet, soll hierbei gleich angegeben werden, wiewohl die
Frage nach dem Luftraum in dem Formular erst unter Kr. 11 besprochen
wird. Es sei hierbei gleich erwähnt, daß es zweckmäßig erscheint, neben
dem Luftgehalt auch den Flächenraum, sowohl des ganzen Klassenzimmers
als des auf das einzelne Schulkind fallenden Anteils, mit in den Fragebogen
aufzunehmen.
Flächenraum pro Kopf.
:
iß
iß
a
©
Flächenraum
cT
u
©
1
7
WH
<N
1
co
i s
s
in qm
\
i s
iß
iß
i-
i
1
iO_
1
l
cS
oo
p
. J
! p
i_.
©
i
©
**
<N
co
C*M
N
Zahl der Klassenabteilungen 1 Stadtkreise . |
—
4
74
114
12
8
—
35
247
in den Schulen der | Landkreise . j
1
68
275
346
69
30
5
20
814
zusammen |
1
72
349
460
8!
38
55
1061
l ) Vergleichsweise sei angeführt, daß bei den Liegnitzer Schulen 75 Proz. der
Schulzimmer die Höhe von 3,2 m nicht erreichten. Dreyfuß fand bei den 107
Schulzimmem des Bezirksamtes Kaiserslautern 39 (= 36 Proz.) mit einer Höhe
bis zu 3,25 m.
Digitized by ^>OOQ
240 Dr. Solbrig,
Luftraum pro Kopf.
Luftraum
in cbm
1,5 — 2 1
w
csf
l
<N
o
»o
1
vO
°t
ci“
2,50—3
i
CO
CO
1
-
00
1
CO
o
«—i
i
00
über 10 |
o-
zusammen
Zahl d. Klassenabteilungen 1 Stadtkreise .
in den Schalen der | Landkreise .
13
14
26
3
129
40
285
146
256
18
51
4
15
1
5
35
20
247
814
zusammen
13
| 14
| 26
1132
325
i
402
69
19
6
55
1061
Hierzu ist zunächst ?u bemerken, daß die Gesamtzahl der Klassen¬
abteilungen eine etwas größere ist, als die Zahl der vorhandenen Schul¬
zimmer, da mehrfach in demselben Zimmer nacheinander verschiedene und
an Zahl verschieden starke Abteilungen unterrichtet werden. Bei der Aus¬
rechnung des auf den einzelnen Schüler entfallenden Flächen- und Luft¬
raumes ist diesem Umstand Rechnung getragen. Wir finden also, daß —
abgesehen von 55 Abteilungen, in denen betreffende Angaben fehlen — in
73 Klassen (= 7 Proz.) auf den einzelnen Schüler nicht ein Flächenraum
von 0,75 qm, der als Mindestmaß wohl anzusehen sein dürfte, entfällt, und
daß in 27 Klassen (= 2,7 Proz.) der nach den preußischen Bestimmungen
zu fordernde Mindestluftraum von 2,25 cbm für den Kopf nicht erreicht
wird 1 ), und daß noch 13 Schulklassen (= 1,3 Proz.) dem einzelnen Schul¬
kinde weniger als 2 cbm gewähren. Die in dieser Beziehung ungünstigsten
Verhältnisse finden sich in einer Klasse, in der der Flächenraum pro Kopf
nur 0,48 qm und der Luftraum 1,6 cbm beträgt.
Eine weitere Frage im Formular bezieht sich auf den Anstrich der
Wände und Decken. Von letzteren ist in den zu besprechenden Frage¬
bogen durchweg angegeben, daß sie geweißt sind. Über die Wände und
deren Anstrich gibt folgende kleine Tabelle Auskunft; die Angaben über die
Farbe des Anstrichs sind so lückenhaft, daß sie hier nicht verwendet werden
können. Vielleicht empfiehlt sich in einem neu herzustellenden Formular
die Aufnahme einer entsprechenden Frage nach der Farbe des Anstrichs.
93
X3
Kalkfarbe
Tapete
•s
0
®
Kalk¬
oder
Leimfai
mit Sockel aus
mit Sockel aus
£
00
B
B
Ölfarbe
Holz
Ölfarbe
Holz
:0
?
CC
CO
3
Stadtkreise ....
114
104
25
—
—
—
243
Landkreise ....
193
282
246
2
1
2
27 ,
753
zusammen
307
386
271
2
1
2
i 27 i
996
Hiernach sind im ganzen 307 Klassen (114 = 47 Proz. aus den Stadt-,
193 = 24 Proz. aus den Landkreisen) mit einfachem Kalk- oder Leimfarben-
anstrich versehen, während in den übrigen Klassen meist neben einem solchen
l ) Dies sind gegenüber meinen Untersuchungen in den Liegnitzer Schulen
günstige Verhältnisse; dort fand ich unter 259 Schulklassen 41 (= 17 Proz.), in
denen der Luftraum pro Kopf unter 2 cbm betrug.
Digitized by
Google
241
Schulhygienische Betrachtungen.
Anstrich ein Sockel aus Ölfarbe oder Holz vorhanden ist. Tapeten, die zweifel¬
los in Schnlzimmern nicht erwünscht sind, und ein vollständiger Ölanstrich,
der anch kaum zweckmäßig sein dürfte, sind nur in ganz vereinzelten Fällen
zu finden.
Ob die Türen nach außen schlagen, wie es sowohl für die Haus- als
die Schulzimmertür nötig ist, und auch in den mehrfach erwähnten preußi¬
schen Bestimmungen verlangt wird, diese Frage ist nicht genau zu beant¬
worten, da in dem Formular nur nach den Türen des Schulzimmers gefragt
wird, wenigstens läßt sich die unter Nr. 3 (Schulzimmer) gestellte Frage so
auffassen.
Bei der Beantwortung bleibt es denn auch meist zweifelhaft, wie es
sich mit der Haustür verhält. Aus unseren Schulen ist nun zu sagen, daß
in 601 Fällen die Türen nach außen, in 383 Fällen nach innen schlagen,
während aus 12 Klassen die entsprechenden Angaben fehlen. Es würde
also in 39 Proz. der Schulzimmer eine fehlerhafte Einrichtung zu finden
sein; wesentliche Unterschiede bestehen in dieser Beziehung zwischen den
Stadt- und den Landkreisen nicht.
Die nächste wichtige Frage ist die nach den Fenstern, ihrer Größe
und Verteilung.
Was zunächst die absolute Zahl der Fenster betrifft, so haben:
Fenster.
. ii 1
2
3
4
5
6
7
8
. 9
11
Schulzimmer . . .
. ; 1
* !
385
326
116
135
14
1 13
i !
1
In den Schulen der Stadtkreise finden sich hauptsächlich Klassen mit
drei und vier, vereinzelt auch solche mit fünf und sechs Fenstern. Letztere
Zahl dürfte niemals nötig werden, eine Zahl von ein bis zwei Fenstern da¬
gegen in der Regel nicht ausreichend sein, um die erforderliche Helligkeit
zu gewähren.
Die Zahl der Fensterwände beträgt drei in 41 Schulzimmern, sämtlich
in den Landkreisen; zwei in 252 Schulzimmern, davon 17 in der Stadt,
235 in den Landkreisen; eine in 703 Schulzimmern, davon 226 in der Stadt,
477 in den Landkreisen.
Es haben also 703 (= 70,6 Proz.) der Schulzimmer das erwünschte
einseitige (linksseitige) Licht; 252 (= 25 Proz.) das Licht von zwei, 41
(= 4 Proz.) das Licht von drei Seiten. Hierbei ist in einer Reihe von Fällen
(die Zahl steht nicht genau fest) das Licht von einer Seite abgeblendet. Die
ungünstige dreiseitige Belichtung finden wir in keiner Schule der Stadtkreise.
Im Anschluß hieran soll gleich die Frage des Lichteinfalls, die nach
dem Fragebogen erst bei Nr. 4 gestellt wird, erledigt werden.
I
Einfall des Lichts
von
t M
:ä
links und
rechts
links und
vorn
links und
hinten
rechts und
hinten
links, vorn,
hinten
links, rechts,
hinten
zusammen
Schulklassen 1 Stadtkreisen . .
in deu | Landkreisen . .
226
477
6 — 11 | — | — — j 243
79 19 135 1 7 35 753
zusammen 1 703 i 85 I 19 146 ' 1 7 i 35 996
Viertoljahrttchrift für Geiundheitipflege, 1907.
Digitized by LaOOQle
242
Dr. Solbrig,
Hiernach haben im ganzen, wie bereits erwähnt, 703 (= 70,6 Proz.)
den günstigsten Lichteinfall, nur von links 1 ). Die zweifellos fehlerhafte
Belichtung von links und vorn findet sich 19 mal, die von rechts und hinten
einmal; von dreiseitigem Lichteinfall, der ebenso zu vermeiden ist und auch
nur bei älteren Schulbauten noch vereinzelt gefunden wird, kommt die am
wenigsten ungünstige Richtung — von links, rechts, hinten — in 35 Fällen,
die ungünstigere — von links, vorn, hinten — in sieben Fällen vor. Bei
den Schulen der Stadtkreise sind die Verhältnisse noch besser als in den
Landkreisen, da von den ersteren bei 93 Proz., von den letzteren bei 60 Proz.
der linksseitige Lichteinfall vorhanden ist.
Eine weitere Frage ist die, nach welcher Himmelsrichtung die Fenster
liegen. Bekanntlich sind sich die Hygieniker darüber nicht ganz einig,
welche Himmelsrichtung für die Fenster wand des Schulzimmers am meisten
zu bevorzugen ist. Für unser Klima ist aber jedenfalls die Nordlage als
„kalt, unfreundlich, lichtschwach“ (Handbuch der Schulhygiene von Burger¬
stein und Netolitzky) und die Westlage als „Wetterseite“ zu verwerfen.
Über unsere Schulen ist in dieser Beziehung folgendes zu sagen:
Himmelsrichtung
der
Fensterwände
Norden
Süden
Osten
Westen
Nordosten
Südosten
Nordwesten
Südwesten
N und S mit
Abweichungen
nach O und W
N und O
£
TJ
fl
fl
O und W mit
NO und NW
O und 8 mit
SO und SW
S und W
fl 3
OQ 'O
O
fl
QO
O
.
fl
£
00
! B
\ B
I 1 3
3
O- 1 N
Schulklassen j Stadtkreisen
in den | Landkreisen
33
62
23
78
67
109
60
73
19
30
8
36
4 9
44j27
3
71
3
33
i 2
22
3
24
5
39
2 — —
46 18 5
c
7
12
2 243
j 17 ! - 753
zusammen |
95
101
176
133
49
44
48
36 74
3ß|24
27 44
48 18 5
7' 12
19 ^996
Rein nördliche Lage findet sich demnach in 95, rein westliche Lage in
133, nordwestliche Lage in 48, Lage nach Norden und Westen in 24 Schulen;
rechnet man diese Lagen zu den ungünstigen, so würden dies zusammen
300 Schulen (= 30 Proz.) sein, und zwar sind die Schulen in den Stadt¬
kreisen mit 36 Proz., die in den Landkreisen mit 27 Proz. daran beteiligt.
Der Helligkeitsgrad wird bei unseren Schulen, da der Fragebogen ja
eine Frage über die Größe der Glasfläche der Fenster enthält, nach dem
Verhältnis der Glasfläche zur Fußbodenfläche zu bestimmen sein. Es sind
nach meinen Erfahrungen die Ansichten geteilt, ob die reine Glasfläche
oder die Gesamtgröße der Maueröffnungen angegeben werden soll. Wie
Rapmund in einer Anmerkung zu dem Formular c) im Kalender für Medi¬
zinalbeamte 1906 treffend bemerkt, empfiehlt es sich, die letztere Größe an¬
zugeben, die nach den preußischen Bestimmungen ein Fünftel der Boden»
fläche — in Ausnahmefällen genügt auch ein Sechstel — betragen soll.
Bei den hier zur Besprechung kommenden Schulen ist nun meist, wie
ich festgestellt habe, die Gesamtgröße der Maueröffnungen berechnet, ln
den wenigen Kreisen, in denen die Kreisärzte die reine Glasfläche zu Grunde
l ) Bei den Liegnitzer Schulen fand ich nur 7 Proz. mit linksseitigem Licht¬
einfall, Dieckmann bei seinen Untersuchungen 50 Proz., Langerhans 10 Proz.,
Dreyfuß 3 Proz.
Digitized by tjOOQle
Schulhygienische Betrachtangen.
243
gelegt haben, habe ich behufs einheitlicher Behandlung eine Umrechnung in
der Weise vorgenommen, daß zu der reinen Glasfläche 30 Proz. zugerechnet
werden, — soviel beträgt etwa die Differenz.
Unter dieser Berücksichtigung läflt sich folgende Übersicht über die
Lichtverhältnisse geben:
| Verhältnis der Fensterfläche (Maueröffnung)
| zur Fußbodenfläche =
1 :
fl
, a»
11 I
1
3 | 4
5 | 6
7
1 8 1 9 1
10 ] 11 12
isj
1
1 ? 1
1 s
Zahl der 8chul- (Stadtkreisen
12! 53
99 I 61
10
— 8
— 1 — • —
— 1
_j
243
zimmer in den [Landkreisen
33 150
259 1 169
75
42 7
5 3 4
»t
5
753
zusammen
45 203
358 | 230 85
42 15
5 | 3 1 4 j
1
5
996
Danach sind es im ganzen 378 Schulzimmer, bei denen das Verhältnis
der Fensterfläche (in den lichten Maueröffnungen) zur Fußbodenfläche
weniger als 1:5 beträgt, die also nicht genügend belichtet sind. Rechnet
man die Klassen, bei denen das Verhältnis 1:6 beträgt, noch als allenfalls
ausreichend davon ab, so bleiben noch 160 (= 16 Proz.), die entschieden
' zu dunkel sind. Nur vereinzelt Anden wir besonders ungünstige Verhältnisse
(1:10 und darüber) *)• Betrachten wir die Schulen in den Stadtkreisen
besonders, so finden wir dort günstigere Verhältnisse, insofern hier 67
(= 27 Proz.) Schulen sind, in denen das Verhältnis weniger als 1:5 be¬
trägt, im Gegensatz zu den Schulen der Landkreise, in dönen sich solche zu
41 Proz. finden.
In nachfolgender Tabelle ist einmal das Verhältnis von Fensterfläche
zur Fußbodenfläche und zweitens der Lichteinfall eingetragen:
t-
O)
s
Lichteinfall
von
Verhältnis der Fensterfläche zur Fußboden¬
fläche = 1 :
3 | 4 5 | 6 7 8 9 10 11 12 13,
fl
a>
fl S
N S
cC
? II ”
6
2
links.
20
136
290
156
55
27
10
3
1
3
—
2 j 703
— 1 85
9
x
links, rechts.
5
24
23
19
11
2
—
—
1
—
—
0
GO
links, vorn.
—
3
5
7
3
1
—
—
—
—
—
I — | 19
*-
'fl 1
links, hinten.
13
34
29
38
13
10
2
1
1
1
1
3 146
rechts, hinten . . . . 1
1
—
—
—
—
—
—
—
—
—
—
1 1 1
'S
SJ
links, vorn, hinten . .
—
1
1
4
—
—
i
—
—
j— 7
links, rechts, hinten .
6
6
10
0 1
3
2
2
1 1
35
zusammen
45
203
358
230
85
42
15
5
3
4
1
5 996
Man ersieht daraus, daß ungenügende Belichtung bei ein- und bei mehr-
(2- und 3-)8eitigem Licht vorkommt; ja, man findet sogar, daß verhältnis¬
mäßig häufiger die ungünstige Belichtung in den Schulzimmern vorkommt,
die Lichteinfall von zwei und drei Seiten haben; es sind nämlich von 290
l ) Bei den Liegnitzer Schulen fand ich 80 Proz. der Schulzimmer, bei denen
das Verhältnis weniger als 1:6 betrug. Dreyfuß fand bei 102 Schulzimmern 14
(= 14 Proz.) mit einem Verhältnis von weniger als 1 :5.
16*
Digitized by LaOOQle
244
Dr. Solbrig,
Schalzimmern der letzteren Art 56, bei denen das angegebene Verhältnis
nicht 1:6 beträgt, während von 701 Schulzimmern mit ein- (ünks-)seitigem
Lichteinfall nur 99 (= 14 Proz.) unter dem Mindestmaß von 1:6 Zurück¬
bleiben.
Soweit ein Schutz gegen Sonnenlicht erforderlich ist (also bei süd¬
lichen und östlichen Himmelsrichtungen), ist dafür fast überall gesorgt; nur
in 15 Klassenzimmern ist das Fehlen von Gardinen oder Rouleaux zu be¬
mängeln. Genaue Angaben über die Art dieser Schutzvorrichtungen und
die Farbe der Vorhänge werden nicht so regelmäßig gemacht, daß dies hier
ausführlich besprochen werden kann.
Die nächsten Fragen des Formulars beziehen sich auf die Heizung.
In dem Schema ist nur von Öfen die Rede; man findet jedoch neuerdings
nicht selten, bei größeren Schulen wenigstens, Zentralheizungen. Von
unseren 363 Schulen haben 17 mit zusammen 134 Klassen, das ist der
siebente Teil aller Schulklassen, solche Zentralheizung in Form der für
solche Zwecke jedenfalls geeignetsten Niederdruckdampfheizung. Alle
übrigen Schulen sind mit Einzelöfen ausgestattet.
Von den Öfen sind 324 Mantel- oder Füllöfen, von denen ungefähr 40
mit einem besonderen Luftzuführungskanal von außen versehen sind; die
übrigen sind meist einfache eiserne Öfen, da Kachelöfen im Westen nicht
gebräuchlich sind. Von 166 Öfen wird nichts näheres über ihre Konstruk¬
tion angegeben.
Über unzureichende Heizung, sei es infolge zu kleiner Öfen oder wegen
Konstruktionsfehlern oder dergleichen, wird im ganzen 49 mal geklagt (d. h.
in 4,9 Proz. der Schulzimmer). Da wo es nötig ist, ist meist ein Ofenschirm
vorhanden, nur in 38 Fällen wird angegeben, daß es an dem erforderlichen
Schutze gegen strahlende Wärme fehle.
Als Heizungsmaterial dienen meist Kohlen, vielfach jedoch auch Holz.
Thermometer sind bis auf ganz vereinzelte Fälle, der Vorschrift ent¬
sprechend, in jedem Klassenzimmer aufgehängt. Es erübrigt jedoch, näher
auf die während der Revision gefundenen Temperaturgrade hier einzugehen.
Ob diese Frage bei der Schulbesichtigung überhaupt eine praktische
Bedeutung hat, erscheint zweifelhaft, da aus einer einmaligen Feststellung
doch nicht viel zu schließen ist und bezüglich etwaiger ungenügender Hei¬
zung doch der Zustand der Heizanlage und die Angabe des Lehrers von
ausschlaggebender Bedeutung ist.
Die Beschaffenheit des Fußbodens. Was das Material für den
Fußboden anbetrifft, so finden wir in unseren 996 Schulzimmern dreimal
Fußböden aus Zement, darunter zweimal sogenannten Zementbeton n Sanitas tt ;
näheres über dessen Geeignetsein für Schulzimmer vermag ich nicht anzu¬
geben; außerdem finden wir viermal Fußböden aus Xylolith und achtmal
aus Papprolith. Auch über diese Arten kann ich keine genaueren Angaben
machen. Sechs Schulzimmer sind parkettiert. In allen anderen Fällen sind
einfache Dielen vorhanden, wie sie ja fast durchweg in Schulen gebräuchlich
und auch ausreichend sind, falls nur für gutes Material und dichte Fügung
gesorgt wird. In 126 Schulzimmern ist der Fußboden mit einem Ölanstrich
versehen, der allerdings mehrfach als einer Erneuerung bedürftig erklärt
wird; in 171 Schulzimmern findet sich ein Überzug des Fußbodens mit
Digitized by LaOOQle
Schulhygienische Betrachtungen.
245
sogenanntem Stauböl, wobei meist das deutsche Fußbodenöl Verwendung
findet. Wie ich aus Berichten an die kgl. Regierung ersehen habe, ist man
im allgemeinen in den Schulen mit dem Resultat des Stauböls recht zu¬
frieden; es bedarf nur eines mehrmals im Jahr zu erneuernden Auftragens
des Öls, was aber manchmal unterlassen wird. Im ganzen wird von 81 Schul¬
zimmern angegeben, daß der Fußboden mehr oder weniger schlecht (defekt,
mit Spalten und Rissen und dergleichen versehen) ist.
Über Ventilationseinrichtungen in den Schulen ist folgendes zu
sagen. Es finden sich, wie des genaueren aus der nachfolgenden Tabelle
zu ersehen ist, die verschiedensten Arten von Lüftungseinrichtungen, ein¬
fache wie Drehscheiben, Glasjalousien in den Fenstern, Kippfenster, Luft¬
löcher primitiver Art über den Türen oder an anderen Stellen der Wand
oder Decke, und auch vollkommenere, bestehend in Luftschächten in der
Ofenwand mit zwei Klappen, die eine für die Sommer-, die andere für die
Winterventilation; vielfach sind auch zwei Arten dieser Einrichtung gleich¬
zeitig vorhanden 1 )« 442 (= 44 Proz.) aller Schulzimmer sind mit Luft¬
schächten und Kippfenstern ausgestattet, weitere 97 (= 10 Proz.) haben
Luftschächte, 183 (= 18 Proz.) Kippfenster. Gänzlich fehlen solche Ein¬
richtungen in 103 Schulzimmern (= 10 Proz.), hier ist man also allein auf
Lüftung durch Öffnung von Tür und Fenstern angewiesen.
Art der Lüftungsvorrichtungen.
Die Einrichtungen in den Schulen der Stadtkreise sind in dieser Be¬
ziehung durchweg bessere, da nur in vier Klassen (= 1,7 Proz.) Lüftungs¬
einrichtungen fehlen und in 190 Klassen (= 78 Proz.) Luftschächte zugleich
mit Kippfenstern vorhanden sind.
Über schlechte Luft in den Klassenzimmern zur Revisionszeit wird in
32 Fällen geklagt. Eine allzugroße Bedeutung wird der Frage nach der
Luftbeschaffenheit nicht beizumessen sein, da diese Prüfung von dem sub¬
jektiven Empfinden des besichtigenden Medizinalbeamten abhängt, und der
augenblickliche Zustand zur Zeit der Besichtigung von Zufälligkeiten ab¬
hängig ist. Immerhin ist die Frage nicht überflüssig und ja auch in dem
Schema mit aufgenommen.
l ) Vergleichsweise sei angeführt, daß Dreyfuß unter 107 Schulstuben 27 ohne
Fensterventilation und 57 ohne Luftschächte fand. In Liegnitz waren besondere
Ventilationseinrichtungen überhaupt nur in 48 von 259 Schulzimmern.
Digitized by tjOOQle
246
Dr. Solbrig,
Die erforderliche Reinlichkeit der Schulzimmer wird im ganzen in
57 Schulklassen (= 5,7 Proz.) vermißt.
Die Reinigung der Schulzimmer wird fast durchweg von erwachsenen Per¬
sonen (bei den größeren Schulen durch einen besonderen Schuldiener oder
Schuldienerin, bei den kleineren durch eine angestellte Frau oder durch die
Familie des Lehrers) besorgt. Nur bei 16 Klassen findet sich angegeben,
daß noch die Schulkinder die Schulstuben auszufegen haben. Wenn dies
auch nur ein verschwindend kleiner Teil der Schulen ist, so muß doch vom
hygienischen Standpunkt ein allgemeines Verbot der Vornahme der Reini¬
gung durch die Schulkinder verlangt werden. Wie oft die Reinigung der
Schulzimmer stattfindet, diese Frage fehlt in dem Fragebogen, dürfte jedoch
zweckmäßig mit aufzunehmen sein, da eine Kontrolle nach dieser Richtung
angebracht ist. Im allgemeinen wird man verlangen müssen, daß das Schul¬
zimmer täglich (feucht) gekehrt, wöchentlich zweimal feucht aufgewischt und
allmonatlich gründlich gescheuert wird; dies findet häufig genug in längeren
Zwischenräumen statt.
Wir kommen zu Nr. 4 des Formulars, wobei es sich in der Hauptsache
um Schulbänke handelt. Da bezüglich der Schulbänke nach der Zahl
und Beschaffenheit derselben gefragt wird, ohne daß spezielle Fragen ge¬
stellt werden, so wird dies nach meinen Erfahrungen auch sehr verschieden
beantwortet. Viele Kreisärzte machen auf Grund sorgfältiger Messungen
genaue Angaben über Länge und Breite von Sitzbank und Tisch, Sitzhöhe,
Differenz, Distanz usw., andere aber begnügen sich mit allgemeinen Angaben,
wie: genügende Bänke. Mit letzterem Urteil ist nicht viel anzufangen für
den, der die Schule nicht selbst besichtigt hat. Es dürfte daher wohl rat¬
sam sein, einige genauere Fragen nach den Schulbänken zu stellen. Ich
habe versucht, die hauptsächlich in Betracht kommenden Punkte zusammen-
zustellen.
Im Rahmen dieser Arbeit ist es nun, abgesehen davon, daß nicht aus
allen Schulen genaue Angaben über die Einrichtungen der Schulbänke vor¬
liegen, nicht möglich, diese Verhältnisse bis ins einzelne zu besprechen. Um
ein ungefähres Bild von den Schulbänken zu geben, habe ich in folgender
Zusammenstellung unterschieden zwischen den veralteten Schulbanksystemen
mit unbeweglicher -f- Distanz und den neueren, bei denen es sich entweder
um zweisitzige — einsitzige kommen hier nicht in Betracht — Bänke mit
fester 0 oder kleiner —Distanz handelt (wie bei den Rettigbänken), oder
die durch Verschiebung der Sitze oder Tische oder beider Teile eine Ver¬
änderung der -f- Distanz in eine 0 oder — Distanz ermöglichen. Es gibt
in letzterer Beziehung ja eine ganze Anzahl von Modellen; auch in unseren
Schulen siud, soweit bezügliche Angaben gemacht werden, allerlei ver¬
schiedene Bänke in Gebrauch; es soll hier aber nicht genauer darauf ein¬
gegangen werden. Bei den alten Bänken mit unbeweglichen Teilen sind die
Mängel in erster Linie die oft recht große + Distanz, die es den Kindern
unmöglich macht, beim Schreiben sich anzulehnen; dazu kommt, daß vielfach
die Abmessungen bezüglich Sitzhöhe und Distanz den verschiedenen Alters¬
stufen nicht genügend angepaßt sind u. a. m. Fürs zweite habe ich dann,
soweit Angaben darüber Vorlagen, folgende Hauptgruppen von modernen
Bänken verzeichnet: Bänke mit verschiebbaren Sitzen (Pendelsitze, Schiebsitze
Digitized by LaOOQle
Schulhygienische Betrachtungen. 247
und-banke, Klappbänke), solche mit verschiebbaren Tischplatten (Klapptische,
Schiebetische), nicht näher bezeichnet© zweisitzige Bänke, und die umleg-
baren Rettigbänke. In einer besonderen Rubrik sind die als geradezu
schlecht bezeichneten Bänke, für die ein alsbaldiger Ersatz als notwendig
bezeichnet wird, angegeben.
Bänke
Sy stem
der neueren Bänke
schlechte,
zu ersetzende
Bänke
a
S
ö : g ö
0 / Z . i
J- — L* t->
0 > Ä^ 1 1'
fl . . fl
c ^ c
N
Systems
Sitze o*
ft
wegliche
1 ^
a fl <v
fl l 3J
O | c«
.L N .2
H H
i CG
zweisitz. Bänke
Rettigbänke
Zahl der Schul-1 Stadtkreisen .
klassen in den | Landkreisen .
99
• 561
97
141
47
41
-j 22
10 t 51
45
11
7
8
35
21
11
26
184
zusammen
660
238
88
10 73
56
7
43
32
210
Hiernach sind 660 Schulklassen (= 66 Proz.) noch durchweg mit
Bänken veralteter Systeme ausgestattet, und zwar sind, wie es nur natürlich
ist, die Schulen in den Stadtkreisen im allgemeinen besser versorgt, da hier
nur bei 99 von 243 (= 40 Proz.) gegenüber 74 Proz. in den anderen Kreisen
eich diese veralteten Bänke finden. Ebenso sind in den Stadtkreisen nur
26 Klassen (= 10 Proz.) gegenüber 184 (= 24 Proz.) in den übrigen Schulen,
mit Bänken, die direkt als schlecht und ersatzbedürftig bezeichnet werden,
versehen.
Über die Stellung der Bänke zum Licht ist das nötige bereits weiter
oben gesagt.
Spucknäpfe, wie sie in jeder Klasse sich befinden sollen, fehlen ver¬
hältnismäßig häufig, nämlich in 354 von 996 Schulklassen (= 35 Proz.).
Die Garderobe, die ja aus hygienischen Gründen sich stets außer¬
halb der Schulzimmer befinden soll, ist bei unseren Schulen 334 mal auf dem
Flur, 477 mal im Schulzimmer, 145 mal sowohl im Flur als auch im Zimmer
untergebracht.
15 mal fehlt sie ganz, während aus 25 Klassen die entsprechenden An¬
gaben fehlen. Zugunsten der Schulen der Stadtkreise ist auch hier ein
Unterschied, denn in diesen fehlt die Garderobe niemals und in 107 Klassen
(= 44 Proz.) sind die Kleiderhaken auf dem Flur untergebracht, während
in den Schulen der übrigen Kreise nur in 28 Proz. auf dem Flur allein
Kleiderhaken sich befinden.
Bezüglich der iu Nr. 6 des Fragebogens gestellten Fragen nach den
Gängen und Treppen ist die Beantwortung in den vorliegenden kreis¬
ärztlichen Übersichten keine so vollständige, daß eine eingehende Be¬
sprechung möglich wäre. Einige speziellere Fragen über Flur und Treppen
in dem Fragebogen aufzunehmen, dürfte zweckmäßig sein (vgl. Entwurf zum
Fragebogen).
Frage 7 betrifft Lage und Größe des „Turn- oder Spielplatzes“ und
das etwaige Vorhandensein einer Turnhalle. Um die bestehenden Verhält¬
nisse noch deutlicher zum Ausdruck bringen zu können, würde es sich meines
Erachtens empfehlen, zu unterscheiden zwischen Turn- und Spielplatz. Ein
Digitized by LaOOQle
246
Dr. Solbrig,
Spielplatz, wenu er auch nur ein freier Platz vor dem Schulhause — oder
auf dem Lande die Dorfstraße selbst — ist, pflegt kaum zu fehlen. Ein
solcher Platz ist aber oft nicht zugleich als Turnplatz zu verwenden; letz¬
terer, der sehr wohl etwas entfernt vom Scbulhause liegen kann, ist aber
auch für Dorfschulen kaum zu entbehren. Über den Turn- und Spielplatz
ist nach den Übersichten folgendes zu sagen. Von den 363 Schulen haben
27 keine besonderen Spiel- oder Turnplätze. Meist sind dies ländliche
Schulen, bei denen das Fehlen insofern nicht gar so schlimm ist, als immer
die Dorfstraße zum Tummeln für die Jugend zur Verfügung steht. Von den
übrigen Schulen, die, wenn sie dicht beieinander stehen, öfters gemeinsame
Spiel- und Turnplätze haben, haben drei Fünftel vollkommen eingefriedigte,
zwei Fünftel mehr oder weniger offene Spielplätze. Als zu klein werden 18,
als uneben drei, als zu feucht zwei bezeichnet. Wie oft von den Spielplätzen
gesonderte Turnplätze vorhanden sind, ist aus den Übersichten nicht immer
zu ersehen.
Von den 363 Schulen haben 34 besondere oder für mehrere Schulen
gemeinschaftliche Turnhallen; eine Turnhalle ist als „im Bau begriffen“ be¬
zeichnet, und in einer Schule findet sich ein besonderer Turnsaal. Die
Turnhallen sind naturgemäß in der Hauptsache in den Schulen der Stadt¬
kreise; hier sind es von 28 Schulen 21, die Turnhallen zur Verfügung haben
Über die Abortanlagen, — die hygienische crux ländlicher Volks¬
schulen — ist folgendes zu berichten. Im ganzen sind bei den 363 Schulen
338 Abortanlagen vorhanden; die Zahl derselben ist kleiner als die der
Schulen, da mehrfach dicht beieinander befindliche Schulen gemeinsame
Abortanlagen haben. Von den Anlagen sind zwei innerhalb der Schulen,
alle anderen außerhalb, davon allerdings 52 in so großer Nabe — entweder
dicht daneben, oder in einem Abstand von nur 3 m —, daß dies allein schon
einen hygienischen Übelstand bedeutet.
Der allgemeine bauliche Zustand der Abortanlagen ist in 148 Fällen
als gut, in 131 Fällen als genügend, in 59 Fällen (= 17 Proz.) als mangel¬
haft zu bezeichnen.
Was die einzelnen Bestandteile der Anlage betrifft, so reichen die Abort¬
zellen 26mal an Zahl nicht aus, fünfmal ist nicht eine Trennung für die
Geschlechter vorgesehen; die Gruben fehlen fünfmal, siebenmal sind sie un¬
dicht und 13 mal nicht oder ungenügend abgedeckt; die Zellen werden in
42 Schulen als zu dunkel, in 25 Schulen als unsauber bezeichnet. Pissoirs
fehlen zweimal, kleinere und größere Mängel finden sich mehrfach.
Die Einzelheiten, wobei auch etwaige Unterschiede zwischen Stadt- und
Landkreisen zum Ausdruck kommen, sind aus nebenstehender Tabelle zu
ersehen.
Die Frage 9 handelt von dem Trinkwasser. Soweit sich die ge¬
machten Angaben verwerten lassen, ist über die Wasserversorgung unserer
Schulen folgendes zu sagen. Von 336 Schulen haben 176 Wasserleitung,
123 Brunnen, 37 sind ohne eigene Wasserversorgung. Da, wo Wasser¬
leitung vorhanden, handelt es sich meistens um eine zentrale für den ganzen
Ort oder für mehrere Ortschaften; in etwa 30 Fällen aber ist eine besondere
Schulwasserleitung vorhanden, die von einem höher gelegenen Brunnen das
Wasser zur Schule leitet. Von den größeren Leitungen sind drei Talsperren-
Digitized by LaOOQle
Schulhygienische Betrachtungen.
249
leitungen, während die anderen sämtlich das Wasser aus besonderen Brunnen
(Grundwasser) entnehmen. Biese zentralen Wasserversorgungen können
sämtlich als einwandfrei gelten, — vielleicht mit Ausnahme der Leitungen
aus den Talsperren —, während von den kleineren, besonderen Schulleitungen
vier als nicht einwandfrei bezeichnet werden (wegen unzureichenden Schutzes
der Wasserentnabmestelle oder dergleichen).
Bezüglich der 123 Brunnen ist nicht überall angegeben, welcher Art
sie sind; bezeichnet sind zehn als Röhrenbrunnen, 40 als Kesselbrunnen,
zwei als offene Brunnen, so daß also 71 fraglich sind.
Gut sind nach den Angaben außer den zehn Röhrenbrunnen 18 Kessel¬
brunnen und 48 Brunnen, bei denen die Angabe über die Bauart fehlt, also
zusammen 76 Brunnen, während die übrigen 47 (davon ein Röhrenbrunnen,
22 Kessel-, 2 offene, 22 fragliche Brunnen) zu bemängeln sind. Die
Mängel sind meist in ungenügender Abdeckung zu suchen (22 mal), außer¬
dem wird neunmal allzu große Nähe an Gruben und Gräben mit Schmutz¬
stoffen angegeben, 14 mal fehlt eine genaue Angabe des Grundes der Bean¬
standung. Die beiden offenen Brunnen sind ohne weiteres zu beanstanden.
Bei den Schulen der Stadtkreise ist jedesmal Anschluß an die zentrale
Wasserleitung vorhanden, so daß hier keinerlei Mängel bezüglich der Wasser¬
versorgung zu bemerken sind. Im übrigen sind nach den vorherigen An¬
gaben im ganzen 84 Schulen (= 25 Proz.) mit fehlender (37) oder un¬
genügender Wasserversorgung (47) vorhanden.
Trinkeinrichtungen in Form von Bechern oder dergleichen, teils an den
Brunnen angebracht, teils in den Klassen verwahrt — das letztere ist wohl
vorzuziehen — finden sich in der Regel vor.
Um bezüglich der Frage nach der Wasserversorgung der Schulen eine
einheitlichere Beantwortung zu erzielen, empfehle ich eine Reihe von Einzel¬
fragen in den Fragebogen aufzunehmen (siehe den Entwurf am Schlüsse).
Badeeinrichtungen sind in zehn Schulen (acht in einem Stadtkreise)
vorhanden. In diesen Schulen ist eine Gesamtzahl von 4750 Schülern vor¬
handen, gegenüber der Gesamtzahl von etwa 60 000 in den hier besprochenen
sämtlichen Schulen. Die Einrichtung ist in mustergültiger Weise derart,
daß im Souterrain der Schulhäuser je eine kalte und sechs bis neun warme
Brausen nebst den nötigen An- und Auskleideräumen vorhanden sind; in
einem Falle sind auch noch zwei Badewannen zum Gebrauch von warmen
Digitized by LaOOQle
250
Dr. Solbrig,
Bädern (eventuell unter Zusatz von Soole) vorhanden. Durchschnittlich
kommt jedes Schulkind, mit Ausnahme der beiden jüngsten Jahrgänge,
wöchentlich einmal zum Baden.
Diese Einrichtung, zweifellos ein erfreulicher Fortschritt, verdient Nach¬
ahmung, wenigstens in den großen Schulen.
Zu Nr. 11 des Fragebogens ist der auf jedes einzelne Schulkind fallende
Kubikraum in jeder Klasse bereits weiter oben besprochen. Es bleibt übrig,
hier über die Zahl der in jeder Klasse befindlichen Schüler, die Zahl der
anwesenden und fehlenden (mit Gründen des Fehlens), die Reinlichkeit
des Körpers und der Kleidung und den allgemeinen Ernährungs¬
und Gesundheitszustand zu sprechen. Hiervon sind die Angaben über
die Gründe des Fehlens so lückenhaft, daß damit nicht viel anzufangen ist.
Die Reinlichkeit des Körpers und der Kleider wird im ganzen 186 mal
als gut, 109 mal als genügend, sechsmal als mäßig, der allgemeine Ernäh-
rungs- und Gesundheitszustand 211 mal als gut, 85 mal als genügend, vier¬
mal als mittelmäßig bezeichnet. Allzuviel Wert wird vielleicht hierauf nicht
gelegt werden können, da dergleichen allgemeine Angaben doch sehr von
dem subjektiven Ermessen abhängig sind.
Über die Zahl der in den einzelnen Klassen befindlichen Schüler
gibt die nachfolgende Tabelle Auskunft. Die Gesamtzahl der Klassen-
abteilungen ist eine etwas größere als die der Klassenzimmer, wie oben
bereits gesagt wurde. Während sich in den Schulen der Stadtkreise höch¬
stens bis 79 Kinder in einer Klasse finden, steigt diese Zahl bei den übrigen
Schulen im Höchstfälle bis auf 105.
Zahl der in
i i
L !
!
1
1
i
©
j
fl
s
jeder Klasse befindlichen
I 1 2 ! S
i i
CO
1
5
1
2
i
1 f
s s
1 1
©
1
V
: i
Schulkinder
i i
1 © ©
1
©
1 1
© !
I
©
i 1 1
©
1 1 1
© ; ©
© 1
© ■
©
I 09
fl
Ol
J _i_ :
CO
'
1
I • 1
t- 1 °o .
©
^ i
>• i
I
N
Zahl der ( Stadtkreisen
| — 6 1
5
24 1
41
97 1
44 i —
— (
—
30
247
Klassen in den | Landkreisen
f 13 1 27 ;
| 80
122
186
210 121 | 42
6
2
5'
i
814
zusammen
1 13 33 |
85
146 |
227
307
165 42
6
~
35
1061
Wenn man 70 als die Maximalzahl der Schüler für eine Klasse ansieht
— die Hygieniker wollen im allgemeinen nicht über 50 gehen, während in
Preußen nicht mehr als 70 Kinder in mehrklassigen, und nicht mehr als
80 Kinder in einklassigeu Schulen gemeinsam unterrichtet werden sollen
(nach dem mehrerwähnten Ministerialrunderlaß), wogegen das Schweizer
Schulgesetz in den Volksschulen 52 Kinder als Höchstzahl bestimmt, — so
würden im ganzen 215 (= 21 Proz.) Klassen als überfüllt zu bezeichnen
sein, wobei die Schulen der Stadt- und Landkreise fast im gleichen Verhält¬
nis betroffen sind, nur mit dem Unterschied, daß die höheren Grade von
Überfüllung (über 80 Kinder in einer Klasse) in den Schulen der Stadtkreise
nicht Vorkommen.
Interessant würde es auch sein, zu erfahren, wieviel Schüler auf einen
Lehrer in den einzelnen Schulen und Klassen kommen. Der Fragebogen
enthält darüber nichts; es würde sich vielleicht empfehlen, dies mit aufzu¬
nehmen.
Digitized by LaOOQle
Schulhygienische Betrachtungen. 251
Schließlich der letzte Abschnitt 12 handelt von den Krankheiten der
Schulkinder. Was zunächst das Ergebnis aus den hier besprochenen
Schulen betrifft, so ist es in folgender Tabelle niedergelegt:
Gesamtzahl
der
untersuchten
Schulkinder
i Von den Untersuchten litten an: |
waren
Ekzem
Impetigo
contagiosa
Krätze
Skrofulöse
Tuberkulose
Rachitis
einfachen Augen-
entsfindungen
Trachom
Ohreiterungen
Erkrankungen
des Nasen¬
rachenraumes
Skoliose
Epilepsie
Stottern
Taubstummheit
■ss
§ I
ff
li
Idiotie und
Schwachsinn
kurzsichtig
schwerhörig
54 421
3
4
266
20 | 6
254
81
60
4
16
8
74
1
16
129
1087
729
Außerdem sind 131 Kinder angegeben als an Skrofulöse, Augen- und
Ohrenentzündungen, Herzfehler und Skoliose leidend, leider ohne genauere
Einzelangabe. Mit diesen 131 waren also außer den Kurzsichtigen und
Schwerhörigen im ganzen 1168 (= 2,1 Proz.) krank oder mit Abweichungen
behaftet.
Aus den vorliegenden Berichten geht nun hervor, daß nicht immer
von den untersuchenden Kreisärzten auf das Vorhandensein von Skoliose,
Skrofulöse, Tuberkulose u. a. m. geachtet worden ist — dies verlangt iu
größeren Schulen einen größeren Zeitaufwand —, sondern daß sich viele
auf das Vorhandensein von Augen- und Ohrenerkrankungen, Kurzsichtigkeit
und Schwerhörigkeit beschränkt haben, denn sonst wäre nicht zu erklären,
daß beispielsweise der eine in seinem Kreise unter rund 12 300 Schulkindern
102 Schwachsinnige gefunden hat, während im ganzen bei allen Schulkindern
nur 129 Schwachsinnige festgestellt sind. Es ist deshalb der Schluß berech¬
tigt, daß tatsächlich mehr Kinder, als hier angegeben, krank oder anormal
sind. Immerhin entbehrt diese Zusammenstellung wohl nicht ganz des
Interesses.
Kurzsichtigkeit wurde im ganzen bei 1087 Schulkindern festgestellt,
das bedeutet nicht ganz 2 Proz. der Gesamtheit. Schwerhörigkeit fand sich
bei 729 (= 1,3 Proz.) Schulkindern.
Haben nun die meist mit größter Sorgfalt ausgeführten Schulbesichti¬
gungen der Kreisärzte den erhofften Nutzen für die Schulen, Lehrer und
Schulkinder gehabt? Diese Frage wird naturgemäß aufgeworfen, wenn man
erfahrt, welche hygienischen Mängel in der einen oder anderen Beziehung
festgestellt wurden. Hierüber kann hier nur im allgemeinen etwas gesagt
werden. Zunächst ist es bemerkenswert, daß in unseren 363 Schulen im
ganzen nur 20 waren, die zu keinerlei Ausständen seitens der besichtigenden
Kreisärzte Veranlassung gaben. In allen anderen Schulen fanden sich größere
oder geringere Übelstände, zu deren Abstellung entsprechende Vorschläge
zu machen waren. Ein großer Teil derselben bezieht sich ja nur auf gering¬
fügige, leicht abzustellende Mängel, häufig war jedoch auch eine größere
Zahl von Beanstandungen, als deren bedeutungsvollste das Urteil: „Neubau
der Schule ist erforderlich u anzusehen ist. Es kann nun hier nicht darauf
Digitized by LaOOQle
252
Dr. Solbrig,
eingegangen werden, in welchem Umfange die gemachten Vorschläge auch
späterhin zur Durchführung kamen. Soviel ist jedoch zu sagen, daß in
höchst erfreulicher Weise im großen und ganzen die vorgeschlagenen Ver¬
besserungen auch ausgeführt wurden, bzw. deren Abstellung in die Wege
geleitet wurde, wenn auch den vorhandenen Mitteln insofern Rechnung ge¬
tragen werden mußte, daß hier und da größere und kostspieligere Verbesse¬
rungen und Anschaffungen (von neuen Schulbänken z. B.) erst allmählich
zur Durchführung gebracht wurden. Es muß auch hier nochmals betont
werden, was ja wiederholt von anderer Seite zum Ausdruck gebracht worden
ist, daß bei den Vorschlägen zur Verbesserung hygienischer Übelstände bei
den Schulbesichtigungen das durchaus nötige von dem wünschenswerten
getrennt werden muß, besonders im Hinblick auf die finanzielle Leistungs¬
fähigkeit der Gemeinden und Schul verbände. Als bemerkenswerte Tatsache
kann noch angeführt werden, daß in den hier besprochenen Fällen allein
15 Neubauten in Aussicht genommen, sechs solche beschlossen und sechs
ausgeführt wurden, wozu die betreffende kreisärztliche Besichtigung nicht
unerheblich beigetragen haben dürfte.
Der Schluß ist hiernach jedenfalls berechtigt, daß die hier vorgenom¬
menen Besichtigungen ein erfreuliches Resultat gezeitigt haben, und daß bei
dem neuen Turnus der Schulbesichtigungen das Bild bei der Revision ein
um manches besseres sein wird.
Im Anhänge wird nun der Entwurf eines Fragebogens, von dem mehr¬
fach bisher die Rede war, angefügt.
Digitized by LaOOQle
Schulhygienische Betrachtungen.
253
Entwurf
zu einem abgeänderten bzw. erweiterten Fragebogen
betreffend
Übersicht über das Ergebnis der kreisärztliohen Besichtigung
der.-Schule in.
Schulgemeinde. Kreis .
vorgenommen durch Kreisarzt Dr.am
(Unzutreffendes ist durohzustreichen.)
1. Schulgebäude:
Jahr der Erbauung:
Zu welchem Zwecke erbaut?
Allgemeiner baulicher Zustand?
Lage zum Ort:
Lage zur nächsten Umgebung:
Lage:
Umgebung:
Bauart:
Beschaffenheit der Mauern:
Zahl der Stockwerke:
Unterkellerung:
Dach:
Dachrinne:
Blitzableiter:
Traufpflaster:
Eingang zum Schulhause:
Scharreisen:
Haustür öffnet sich
2. Lehrerwohnung im Schulhause:
Schul dien er wohnung:
Schulhaus dient zugleich
als Schulhaus oder.
gut, genügend, mangelhaft.
in der Mitte, am Rande, abgelegen,
an einem freien Platze.
von .... Seiten frei, von.
Seiten mit Häusern umgeben, . . m
vom nächsten Hause entfernt,
auf erhöhtem, ebenem, vertieftem Ge¬
lände.
frei von Staub, üblen Ausdünstungen u.
störenden Geräuschen,— oder gestört
durch Staub, Gerüche, Geräusche,
massiv, Fachwerk.
trocken, feucht, teilweise feucht an
Erdgeschoß und . . Stockwerke,
völlig, teilweise, fehlend.
Ziegel-, Schiefer-,
vorhanden, fehlend,
vorhanden, fehlend,
vorhanden, fehlend.
Treppe mit . . . Stufen und mit
(ohne) Geländer,
vorhanden, fehlend,
nach außen, innen.
(nicht) vorhanden, für . . . Lehrer¬
familie., . . unverheiratete. Lehrer,
. . . Lehrerin ...
mit (ohne) besonderem Eingang, (nicht)
geräumig, gesund,.
vorhanden, nicht vorhanden, für (un)-
verheirate(n) Schuldiener(in), mit
(ohne) besonderem Eingang.
als.(Kirchenraum,
für Gesangverein, zu Impfzwecken),
Digitized by LaOOQle
254
Dr. Solbrig,
3. Schalzimmer; Zahl:
in welchem(n) Stockwerke(n):
Lange:
Breite:
Höhe:
Flächenraum:
Kaumgehalt:
Wände:
Decke:
Tüi*(en) schließ .. nach
Fenster, Zahl:
Gesamtgröße der Fenster (im
lichten Mauerwerk gemessen):
Verhältnis dieser Fenstergröße
zur Fußbodenfläche:
Schutz gegen Sonnenlicht:
Heizung durch
Beschaffenheit der Heizanlagen:
Heizmaterial:
Stellung der Heizkörper im
Schulhause:
Entfernung vom nächsten Sitz¬
platz:
Schutz vor Hitze:
Thermometer:
Fußboden aus:
Beschaffenheit:
Lüftungs Vorrichtungen:
Luftbeschaffenheit:
Reinlichkeit:
Wie oft findet die gewöhnliche
Reinigung des Schulzimmers
statt?
Wie oft die Hauptreinigungen?
Durch wen?
4. Schulbänke; Stellung:
Anzahl in jeder Klasse:
Gesamtlänge aller Bänke:
Demnach Banklänge für das
einzelne Schulkind:
System:
mit.Leim-, Kalkfarbe mit
. . . m hohem Sockel aus.
Ölfarbe, Holz,.
mit.Farbe.
außen, innen.
. . . auf . . . Wände verteilt im
N, S, 0, W.
. . . qm.
1 : . . .
(nicht) vorhanden, entbehrlich, in Form
von Zug-, Rollvorhängen aus ....
.gefärbten.
Zentralheizung, Art?.
Öfen (Füll-, Mantel-, Kachel-, ein¬
fache eiserne oder.).
(un)genügend (wegen.).
. . . m.
nötig, vorhanden in Form von ....
.. unnötig, fehlend.
vorhanden, befindet sich an.
.. fehlt.
Dielen, Zement,.
eben, dicht, gefirnißt, mit Fußbodenöl
(Stauböl) versehen, undicht, . . . .
vorhanden in Form von.
. . . . , (nicht) ausreichend, fehlen,
gut, mangelhaft,
gut, genügend, mangelhaft.
täglich,.
monatlich, vierteljährlich,.
Licht von links und
.m.
feste Bänke alten Systems mit un¬
veränderlicher +Distanz, wobei Tisch
mit zugehöriger (davorstehender)
Sitzbank verbunden ist;
Digitized by t^ooQle
255
Schulhygienische Betrachtungen.
Rückenlehne:
Fußbretter:
Bankgröße:
Bankmaße (bei inehrklassigen
Schulen für jede Klasse mit
Angabe der betreffenden Alters¬
stufen besonders):
Gesamturteil über die Bänke:
5. Weitere Einrichtung der
Schulzimmmer.
Katheder:
Schultafel:
Beschaffenheit:
Spucknäpfe:
Kleiderhaken:
6. Gänge und Treppen.
Flure; Breite:
Fußboden aus:
Wände:
Luft in den Fluren:
Licht in den Fluren:
Temperatur:
Treppen; Breite:
Stufenhöhe:
Stufentiefe:
Material:
Geländer:
Absätze:
Luft:
Licht:
7. Spiel- und Turnplatz, Turn¬
halle.
Spielplatz:
Größe:
Lage:
zweisitzige Bänke neueren Systems
mit unveränderlicher 0, —Distanz
von ... cm (Rettigbänke), ....
. . . sitzige mit veränderlicher Distanz
durch Verschiebung der Sitze (oder
Tische).
(nicht) vorhanden.
(nicht) vorhanden.
gleiche, . . . erlei verschiedene Größe
in jeder Klasse.
Sitzhöhe.
Differenz.
Distanz.
Breite der Sitzbank....
Breite der Tischplatte . .
Neigung der Tischplatte .
gut, genügend, mangelhaft.
vorhanden, befindet sich an
befindet sich an.
vorhanden, aus.
gefüllt mit., fehlen.
im Zimmer, im Flur, in (ungenügen¬
der Anzahl vorhanden, fehlen.
.m.
Holz, Stein.
Kalk-, Ölfarben-, Anstrich.
gut, schlecht.
ausreichend, nicht ausreichend.
genügend, zu kalt, Zug im.
. . . . m.
. . . . cm.
... cm.
Holz, Stein.
vorhanden,.
gut, schlecht.
ausreichend, nicht ausreichend.
vor (hinter, neben) dem Schulhause.
. . . . qm.
freiliegend,.
(nicht) eingefriedigt von . . . Seiten,
(nicht) bepflanzt, sonnig, schattig (zu¬
gleich Turnplatz),.
Digitized by t^ooQle
256
Dr. Solbrig,
Turnplatz:
Lage:
Beschaffenheit:
Größe:
Turnhalle:
Größe:
Lage:
Einrichtung:
8. Abortanlagen.
System:
Lage:
Trennung für die Geschlechter:
Anzahl der Zellen:
Allgemeiner Zustand:
Grube:
Pissoir:
Zustand:
Wie oft werden die Abortanlagen
gereinigt?
Durch wen?
Wie oft werden die Gruben ent¬
leert?
9. Wasserversorgung:
Art derselben:
Wassermenge:
Beschaffenheit des Wassers:
Trinkeinrichtung:
Gesamturteil:
(nicht besonders) vorhanden.
. . . . m entfernt vom Schulhause,
(nicht) eingefriedigt.
gut, mangelhaft wegen.
.... qm.
mit folgenden Turngeräten:.
ohne Turngeräte.
(nicht) vorhanden.
.... qm.
. . . . m entfernt vom Schulhause,
zugleich für .... Schule ....
bestimmt.
. . . . m vom Schulhause.
. . . . m von Brunnen,
ja, nein.
gut, genügend, mangelhaft wegen . . .
dicht, undicht, (nicht) genügend ab¬
gedeckt, (nicht) entlüftet.
.. fehlt, statt dessen
Kasten.
(nicht) vorhanden.
gut, mangelhaft wegen.
besondere Wasserversorgung für die
Schule ist (nicht) vorhanden, (Wasser
wird aus . . m Entfernung von
.geholt).
zentrale Leitung des Ortes, eigene Lei¬
tung für die Schule.
Brunnen: Röhren-, Kessel-,.
.... von . . m Tiefe, in . . m
Entfernung vom Schulhause und
. . m Entfernung vom Abort.
Brunnenwau düng:
Abdeckung (un)genügend aus.
Überlaufwasser läuft (un)genügend ab.
(un)genügend.
gut, schlecht wegen.
Becher am Brunnen, im Schulzimmer
einwandfrei, bedenklich wegen . . . .
Digitized by LaOOQle
267
Schulhygienische Betrachtungen.
10. S c h u 1 b ä d e r - Einrichtungen:
11. Schulkinder, Gesamtzahl:
Auf jeden Lehrer der Schule
treffen:
Es werden gemeinschaftlich
unterrichtet:
Für jedes Kind fällt dabei an
Flächenraum:
An Luftraum:
Zahl der anwesenden:
Zahl der fehlenden:
Gründe des Fehlens:
Reinlichkeit des Körpers:
Reinlichkeit der Kleider:
Allgemeiner Eraährungs- und
Gesundheitszustand:
12. Krankheiten der Schulkinder.
Es waren von den anwesenden
krank:
Darunter an
Skrophulose:
Tuberkulose:
Augenentzündungen:
Granulöse:
Ohreiterungen:
Skoliose:
(nicht) vorhanden, befinden sich in
., bestehen aus . . kalten,
. . warmen Brausen nebst besonde¬
ren Ankleideräumen, aus . . Wannen.
Benutzung für jedes Schulkind durch¬
schnittlich . . mal in der Woche,
im Monat . . mal.
Einrichtung gut, zu bemängeln ist:
Schüler in Klasse .
n v
n n
qm in Klasse . . .
n n n ...
cbm „ „ ...
n n n • •
Es waren kurzsichtig: .
Es waren schwerhörig: .
Zum Schutze gegen die an¬
steckenden Krankheiten ist
erforderlich? .
Welche Epidemien haben in den
letzten Jahren geherrscht? .
Besondere Bemerkungen: .
Lageplan des (der) Schulzimmer mit Einzeichnung der Türen, Fenster, Stellung
von Katheder, Bänken, Tafel, Ofen.
Vierteljahr#s*chrift für Ge#undheitapflege, 1907.
17
Digitized by LaOOQle
258
Dr. med. Friedrich Holtzmann,
Über Ätiologie und Prophylaxe der Chlorakne.
Von
Dr. med. Friedrich Holtsmann,
Beamter der Großherzogi. bad. Fabrikinspektion in Karlsruhe.
Seit der ersten Publikation über eine eigenartige, in chemischen
Fabriken auftretende Gewerbekrankheit, die sogenannte Chlorakne, durch
Herxheimer, ist verschiedentlich, namentlich von französischen Autoren,
über diese Erkrankung berichtet worden. Das Krankheitsbild ist von allen
Autoren einheitlich dargestellt worden, so daß eine Wiederholung der Be¬
schreibung hier unterbleiben kann. Auch die nosologische Sonderstellung
der Chlorakne ist erwiesen; von der Teerakne, mit der sie verglichen wurde
unterscheidet sie sich durch die schwerere Form der Erkrankung und durch
die größere Nachhaltigkeit des Reizes. Während bei der Teerakne durch
den Teer ein Hautreiz ausgeübt wird, der cessante causa schwindet, werden
durch die Chlorakne die Talgdrüsen viel intensiver angegriffen, es bilden
sich Atherome und konfluierende Abszesse und es zeigen sich Nachschübe
noch Monate, nachdem der Arbeiter den Betrieb verlassen hat. Auch die
Ätiologie ist zweifellos verschieden.
Alle Beobachtungen über Chlorakne stammen aus Betrieben, in denen
das Chlor auf elektrolytischem Wege durch Zersetzung von Chlornatrium
oder Chlorkalium gewonnen wird, mit einziger Ausnahme der Beob¬
achtungen von Bettmann, der über Fälle berichtet aus Betrieben, in denen
Chlor nach einem anderen Verfahren bergestellt wird. Es war mir nun
durch mein Amt möglich, die ganz verschiedenartigen Betriebe, in denen
Chlor hergestellt wird, eingehend zu besichtigen, und ich glaube, daß dieser
Umstand es rechtfertigt, wenn ich auch meine Ansichten in der Frage der
Chlorakne darlege.
Die Ansichten über Ätiologie und Prophylaxe dieser Erkrankung gehen
weit auseinander, besonders sind die Theorien über die Entstehungsursache
noch ungeklärt. Die Praxis ist der Theorie vorausgeeilt und hat in der
Prophylaxe schon Erfolge aufzuweisen. Die Betriebsleiter und die Arbeiter¬
schaft der Chlorkalkfabriken sind auf die Gefahren aufmerksam geworden,
die Gewerbeinspektionen haben die Sache aufgegriffen, bei den gefährlichen
Arbeiten werden besondere Schutzmaßregeln getroffen, Bäder sind erstellt
worden, auf die Hautpflege wird größere Rücksicht genommen, die Arbeits¬
kleidung wird nach der Arbeit abgelegt. Überall, wo Chlorakne vorkam,
bestätigte man mir, daß sie jetzt viel weniger intensiv auftrete, wie vor
Jahren; jedenfalls also läßt sich durch Vorsicht und Reinlichkeit etwas
erreichen.
Was nun die Ätiologie anlangt, so ist vorerst die Frage noch nicht
entschieden, ob es sich um eine äußere Reizung der Haut handelt, oder um
eine Affektiou, die durch Ausscheidung schädlicher in den Blutkreislauf ge-
Digitized by
Google
über Ätiologie und Prophylaxe der Chlorakue. 259
langter Substanzen durch die Talgdrüsen herrührt, mit anderen Worten, ob
wir es nach Hebra mit einer idiopathischen oder symptomatischen Akne
zu tun haben. Herxheimer gibt in seiner ersten Abhandlung das freie
Chlor als Ursache an, das durch Einatmen aufgenommen und durch die
Talgdrüsen ausgeschieden würde. In einer weiteren Abhandlung bezeichnet
er es als unwahrscheinlich, daß das freie Chlor die Erkrankung verursache,
und bezeichnet das Chloroxyd und gechlorte Kohlenwasserstoffe als Erreger.
Bettmann läßt die Frage der Ätiologie offen, betont aber, daß viele Um¬
stände sehr auf eine äußere Reizung hindeuten, Hallopeau und Jaquet
nehmen äußere Reizung an, Sa vornin glaubt an eine symptomatische Akne,
ähnlich den medikamentösen Ausschlägen nach Einnahme von Jod und
Brom, K. B. Lehmann bekennt, daß seine Forschungen nach der Ursache
der Erkrankung negativ geblieben sind, etwas bestimmteres, als daß ge¬
chlorte Kohlenwasserstoffe die Ursache seien, ließe sich nicht ermitteln. Für
eine äußere Reizung spräche, daß die Teile, die mit den beschmutzten
Händen am leichtesten in Berührung kämen, am frühsten erkrankten, für
die Theorie der Einatmung von Dämpfen spreche die hohe Temperatur der
Zellflüssigkeit. Lävi Sirugue begnügt sich damit, die Ansichten von
Thibierge und Fumouze wiederzugeben. Wilhelm Lehmann, der letzte
deutsche Autor, der ausführlich über die Chlorakne berichtet hat und auf
dessen Arbeit ich daher näher eingehe, erklärt die Erkrankung durch Auf¬
nahme einer Chlorteerverbindung durch den Digestionstraktus und Aus¬
scheidung durch die Talgdrüsen. Fumouze — nicht Fumonge, wie ihn
W. Lehmann konstant nennt —, der über seine exakten Beobachtungen
eingehend berichtet, gibt an, daß der flüchtige Wasserstoff Ätznatron, das
sich bei der Zersetzung bilde, mit sich reiße; dies verbinde sich mit dem
im Zer8etzungBraum in geringer Menge vorhandenen Chlor zu unterchlorig¬
saurem Natrium und reize im Entstehungszustande die Haut und schade
gleichzeitig auch durch Einatmung. Daß er aber selbst seiner Sache nicht
ganz sicher ist, beweist die im Resume gebrauchte Wendung, die Chlorakne
scheine dem unterchlorigsauren Natrium zuzuschreiben zu sein. Da die
meisten Fälle in solchen Betrieben bekannt geworden sind, in denen Chlor
auf elektrolytischem Wege dargestellt wird, glaubt er an eine direkte Be¬
ziehung der Elektrolyse zur Erkrankung, analog den von Heucke be¬
schriebenen Hauterkrankungen in anderen elektrotechnischen Betrieben
(Vernickelung, Verkupferung) und nennt sie: dermatose chlorique electro-
lytique. Es ist diese Annahme ohne Frage unrichtig, denn die Erkrankung
kommt genau in derselben Weise auch in Betrieben vor, in denen keinerlei
Elektrolyse stattfindet.
Gelegentlich der Inspektionen der in Baden gelegenen Betriebe habe
ich mir nun die Arbeit genau beschreiben lassen, habe die Arbeiter bei der
Arbeit in den beiden verschiedenartigen Betrieben, in denen die Chlorakne
vorkommt, beobachtet, habe mit vielen gesprochen und habe viele in ver¬
schiedenen Stadien ihrer Erkrankung untersucht und bin dabei zur Über¬
zeugung gekommen, daß es sich um eine rein durch äußerlichen Reiz er¬
zeugte Hautkrankheit handelt. Es folgt dies vor allem daraus, daß immer
erst die von der Kleidung unbedeckten Hautpartien von der Krankheit
befallen werden, und ferner noch aus den weiter unten angeführten Tat-
17*
Digitized by LaOOQle
260
Dr. med. Friedrich Holtzmann,
Sachen; ich füge gleich hinzu, daß auch mein hochverehrter Lehrer, Herr
Professor Wolff, Straßburg, mit dem ich über die Frage persönlich kon¬
ferierte, diesen Standpunkt einnimmt. Auch die Direktoren der Fabriken
und ein Arzt, dem die regelmäßige Untersuchung der in den gefährdeten
Betrieben beschäftigten Arbeiter obliegt, äußerten sich in diesem Sinne.
Eine weitere Frage ist, ob wir es mit einer gasförmigen oder einer festen
Noxe zu tun haben. Für beide Theorien spricht, wie wir sehen werden,,
mancherlei.
Die Chlorakne tritt vorzugsweise bei Arbeitern auf, welche die er¬
schöpften „Zellen u , in denen die Zersetzung des Chlornatriums durch Elek¬
trolyse in einer Temperatur von durchschnittlich 90° stattfindet, heraus¬
zunehmen und zu reinigen haben. Das Verfahren ist das folgende: die
Salzsoole kommt in Zersetzungsapparate, die aus schmiedeeisernen Kästen
bestehen, in denen sich Zellen mit porösen Wänden befinden. Die Zellen
enthalten die anodische Kohlenelektrode, während der schmiedeeiserne
Kasten die Kathode bildet. Das an der Anode sich ausscheidende Chlor
wird in die Chlorkalkkammern abgefübrt, die an Ätznatron reiche Flüssig¬
keit an der Kathode wird auf verschiedene Konzentrationen eingedampft
und verwendet. Einzelne Fälle aber werden auch bei solchen Arbeitern
beobachtet, die im Zersetzungsraume beschäftigt waren und nichts mit dem
Ersatz der aufgebrauchten Zellen zu tun hatten. Ferner tritt Chlorakno
auf beim Auseinandernehmen der Türme, in denen die beim Hargreave-
schen Verfahren der Zersetzung des Chlornatriums entstehenden Salzsäure¬
dämpfe durch Wasser kondensiert werden und ebenso beim Auseinander¬
nehmen der Zersetzungstürme, in denen das Chlor aus der Salzsäure durch
Darüberleiten von Schwefelsäuredämpfen ausgetrieben wird.
Die Arbeiten haben das gemeinschaftliche au sich, daß längere Zeit
geschlossene Behälter, in denen chlorierte Produkte bei hoher Temperatur
enthalten sind und dort Umsetzungen eingehen können, geöffnet werden.
Die Arbeiter, deren Disposition zur Erkrankung an Chlorakne eine
verschiedene ist, empfinden schon bei der Arbeit, je nach ihrer Empfäng¬
lichkeit, ein mehr oder minder starkes Jucken und Brennen im Gesicht, im
Nacken, am Handrücken und Handgelenk, die Haut rötet sich und schwillt
auf; nach 4 bis 14 Tagen nimmt die Entzündung ab und nun zeigen sich
alsbald die ersten Erscheinungen der Chlorakne, in leichteren Fällen Come*
donen, in anderen gleich entzündliche Akneknötchen, die „Pocken tf , wie sie
von den Arbeitern genannt werden. Stets treten diese ersten Akne¬
erscheinungen auch an den unbedeckten Hautstellen auf, an denen die erste
Entzündung Platz gegriffen hatte. Dies ist der gewöhnliche Anfang der
Erkrankung bei Arbeitern in den nicht elektrolytischen Betrieben. Bei den
beim elektrolytischen Verfahren beschäftigten Arbeitern tritt die anfäng¬
liche akute Hautentzündung nicht regelmäßig auf, die Einwirkung scheint
hier eine allmählichere zu sein. Bei diesen Arbeitern zeigen sich, Monate
nachdem sie die Arbeit aufgenommen haben, erst immer zahlreichere Come-
donen, dann auch entzündliche Akneknötchen. Doch wird auch beim elektro¬
lytischen Betrieb die anfängliche Dermatitis beobachtet, wie auchFumouze
berichtet, der sie bei mehr als der Hälfte der Erkrankten im Gesicht
beobachtete.
Digitized by LaOOQle
261
Über Ätiologie und Prophylaxe der Chlorakne.
Warum W. Lehmann einen Zusammenhang der erst auftretenden all¬
gemeinen Hautentzündung mit der Chlorakne bestreitet, ist nicht ganz ver¬
ständlich. Einmal widerspricht es dem in der Medizin bestehenden Grund¬
sätze» alle Symptome möglichst auf eine Ursache zurückzuführen, dann aber
scheint es mir gerade in diesem Falle evident zu sein, daß sich ein Krank¬
heitsbild aus dem anderen direkt entwickelt. Bei manchen Arbeitern ist
noch nach Monaten, wenn die Akneeruption schon ganz vorüber ist, noch
die Ausdehnung der ersten Dermatitis durch einen mehr oder minder deut¬
lich ausgeprägten und soharf abgesetzten roten Saum erkenntlich; sie wird
von allen Patienten, die daran litten, als der Anfang der Chlorakne an¬
gegeben, auch von hochgebildeten Leuten, die sich genau beobachten. So
machten mir der Direktor und der Betriebsleiter einer großen chemischen
Fabrik, die selbst in leichter Form an Chlorakne erkrankt waren, diese An¬
gaben. Der Direktor betrat nur auf kurze Zeit, als ein Turm ausgepackt
wurde, die Arbeitsstätte, ohne etwas zu berühren oder gar in den Mund zu
nehmen. Er verspürte noch an demselben Tage heftiges Jucken und
Brennen, erkrankte an einer diffusen Dermatitis des ganzen Kopfes und der
Handgelenke, danach traten einzelne Comedonen, besonders in der Falte
unter den Augen auf. Ein andermal war der Betriebsleiter derselben
Fabrik beim Ausräumen der Türme zugegen, hatte aber den Kopf mit dem
Hnt bedeckt. Auch er erkrankte, die Entzündung schnitt aber an der
Stirne genau mit dem Hutrande ab. Comedonen und Aknepusteln traten
hinter dem Ohre auf. Der Direktor, dessen Haut besonders empfänglich zu
sein scheint, erzählt, daß er die Erkrankung mit der Sicherheit eines Ex¬
perimentes bei sich auslösen könne, er brauche nur in die Nähe eines Turmes
zu gehen, der ausgepackt würde.
Diese Beobachtungen würden auf die Einwirkung einer gasförmigen
Noxe hinweisen und zwar scheint mir das rasche Auftreten der Ent¬
zündungserscheinungen für eine direkte Wirkung auf die Haut und gegen
«ine Aufnahme durch Respiration zu sprechen. Im Gegensatz hierzu stehen
wieder andere Beobachtungen, die auf eine feste oder flüssige Substanz hin-
weisen. So ergab eine Umfrage bei mehreren Gewerbeinspektionen, in
deren Bezirk Chlorakne in elektrolytischen Betrieben auftrat, daß allgemein
dem an der Anode eich ansammelnden teerhaltigen Schlamm eine Bedeutung
in der Ätiologie der Chlorakne zugeschrieben wurde. In dem von mir ein¬
gesehenen Betriebe wurde beobachtet, daß ein Arbeiter, der sich mit dem
durch Anodenschlamm stark verunreinigten Handschuh ins Gesicht fuhr,
an dieser Stelle an Dermatitis und nachfolgender Chlorakne erkrankte.
Ebenso ist bei dem nicht elektrolytischen Betriebe in den Schalen, die
in den Türmen aufgebaut sind, Schlamm enthalten. In den Salzsäuretürmen
sieht er dunkel aus und enthält Teer, der dadurch hineingelangt, daß das
Transportband, auf dem das Chlornatrium in den Ofen gebracht wird, mit
Teer bestrichen ist, der mit überdestilliert. Im Ofen findet dann durch
Einwirkung der Pyrit-Röstgase, des Sauerstoffs der Luft und des Wasser¬
dampfes die Zersetzung in Salzsäure und Natriumsulfat statt. In den Zer¬
setzungstürmen sieht der Schlamm hell, gallertig aus und enthält öl, das
beim Austreiben des Chlors aus der Salzsäure zugegeben wird, um ein Über¬
schäumen zu verhindern. All diese Schlammarteu sind in feuchtem Zustand
Digitized by LaOOQle
262
Dr. med. Friedrich Holtzmann,
als direkt gefahrbringend erkannt; der getrocknete Schlamm ist hingegen
unschädlich. Die beobachteten Krankheitsfälle der in der elektrolytischen
Zersetzungshalle beschäftigten Arbeiter ließe sich wieder nur durch Ein¬
wirkung eines gasförmigen Agens, das aus den nicht gasdicht verschlossenen
Zellen entweicht, erklären.
Die Erkrankung beginnt, wie schon erwähnt, an den unbedeckten
Körperpartien, besonders sind die Teile gefährdet, an denen zugleich eine
Reizung der Haut durch Reibung von Kleidungsstücken stattfindet, also der
Hals, der Nacken und die Handgelenke. Arbeiter, die den schädigenden
Einflüssen längere Zeit ausgesetzt bleiben, erkranken intensiver, nicht nur
an den unbedeckten Hautpartien, sondern auch an anderen Körperteilen,
besonders werden die Oberschenkel und die Genitalien befallen. Es erklärt
sich dies leicht dadurch, daß die Kleidung sich mit den schädlichen Stoffen
imprägniert und dadurch, daß die Arbeiter während der Arbeit, begreiflicher¬
weise ohne sich stets vorher die Hände zu waschen, urinieren und hierbei
schädigende Substanz verschleppen. Ferner wurde beobachtet, daß die
Arbeiter bei der Arbeit oft mit gespreizten Beinen dastehen, so daß schäd¬
liche Gase leichter zum Genital und den Schenkeln zutreten konnten. Auch
Fumouze gibt an, daß die über den Zellen stehenden Arbeiter besonders
an den unteren Extremitäten erkranken. Eine weitere interessante Beob¬
achtung, die hier zu verwerten ist, ist die, daß die Arbeiter im Sommer,
wenn sie leichter gekleidet sind und die Kleidung offen tragen, und die
schädliche Noxe durch den Schweiß leichter verbreitet wird, beim Aus¬
packen der Türme an ausgedehnteren Hautpartien erkranken, als im Winter,
wenn die Kleidung geschlossen getragen wird. Am Gürtelsitz, der auch oft
deutlich als stärker erkrankt von der Umgebung sich abzeichnet, kommt
die mechanische Schädigung durch die Reizung wieder in Betracht.
Alle diese verschiedenen Beobachtungen lassen sich so erklären, daß in
der Wärme der Zellen oder der Türme ein chloriertes Produkt entsteht,
das bei höherer Temperatur noch flüchtig ist oder doch mit anderen Gasen
mechanisch mitgerissen wird. Beim Abkühlen gesellt es sich dem Schlamm
an der Anode bzw. in den Schalen zu. Dies chlorierte Produkt muß der
Erreger der Krankheit sein. Hier wäre nochmals die Arbeit von K.B.Leh¬
mann zu erwähnen, der auch zu einer derartigen Ansicht hinzuneigen
scheint, und der angibt, daß die meisten Erkrankungen auftreten, wenn die
Flüssigkeit in den Zellen auf 100° erhitzt wird, während bei niederer
Temperatur die Zahl der Erkrankungen sinkt. Ferner wurde auch mir be¬
richtet, daß die Erkrankung an Chlorakne beim Auspacken der Türme
seltener auftritt, seitdem man die Türme erst abkühlen läßt und sie vorher
durchspült, als zu Anfang, da man in Unkenntnis der Folgen die Türme in
Angriff nahm, als sie noch warm waren.
Ob es nun gerade Chlorteerverbindungen sind, wie W. Lehmann
annimmt, die diesen Hautreiz ausüben, oder eine andere Chlorverbindung,
von denen einige durch die Chemiker im Anodenschlamm nachgewiesen
sind, ist noch nicht bewiesen. Sicher ist nur, daß freies Chlor die Ursache
nicht sein kann, denn nirgends wurde durch dies allein die Erkrankung
hervorgerufen, darin stimmen alle Autoren überein. Bei der Gewinnung
der Salzsäure in den Salzsäuretürmen kommt es zudem gar nicht vor.
Digitized by LaOOQle
Über Ätiologie und Prophylaxe der Chlorakne. 263
Bei der Elektrolyse soll nach W. Lehmann die Möglichkeit zur Bildung
von Chlorteerverbindungen dadurch gegeben sein, daß bei der Herstellung
der Kohlenelektroden Koks und Teer verwendet wird. Ist W. Lehmanns
Theorie über den Erreger der Krankheit richtig, so müßte die Chlorakne
aufhören, wenn die anodischen Kohlenelektroden durch Eisenelektroden
ersetzt würden. Dies ist in einem Betriebe geschehen, die Krankheit
ist aber noch nicht verschwunden, allerdings ist eine wesentliche Ver¬
minderung in der Zahl und in der Intensität der Krankheitsfälle beob¬
achtet worden, dies läßt sich aber ebensogut, wie oben erwähnt, auf die
allgemeinen hygienischen Maßnahmen zurückführen, zumal nach Mitteilung
in einem anderen großen Werke, in dem die Kohlenelektroden nach wie vor
gebraucht werden, die Chlorakne auch fast ganz nach der Einführung all¬
gemeiner hygienischer Maßnahmen geschwunden ist. In die Salzsäuretürme
können Teerprodukte, wie wir gesehen haben, durch die Teerung des
Transportbandes gelangen. Hierzu wird nunmehr in der mir zugänglichen
Fabrik öl verwendet. Eine Auspackung der Türme hat seither noch nicht
stattgefunden. Wie aber der Teer in die Zersetzungstürroe gelangt, wäre
noch nicht aufgeklärt. Auffallend bleibt auch, daß beim Arbeiten an den Chlor¬
kalkkammern, die mit einer teerhaltigen Masse innen ganz überzogen sind,
nie Chlorakne auftritt; ebenso wurde auch bei der Herstellung von Chlor durch
starke Erhitzung des Braunsteins mit Salzsäure in ausgeteerten Gefäßen
niemals Chlorakne beobachtet.
Kurz möchte ich noch erwähnen, daß Störungen des Allgemeinbefindens
nur insoweit angetroffen wurden, als sie sich aus der Hauterkrankung und
den damit zusammenhängenden Unannehmlichkeiten erklären lassen. Eine
dauernde Schädigung der Arbeitsfähigkeit wurde von mir, wie auch von
anderen Autoren, nicht beobachtet, nur in einem Falle entwickelte sich eine
der in neuester Zeit von Gaupp so vorzüglich beschriebenen Unfallneurosen.
Ein Zusammenhang von Chlorakne und Tuberkulose, wie er von einigen
französischen Autoren behauptet wird, scheint mir durch nichts bewiesen.
L6vi-Sirugue, der letzte französische Autor, der über diese Materie ge¬
schrieben, und Fumouze drücken sich auch schon vorsichtiger aus, indem
sie sagen, die Tuberkulose ist bei diesen Arbeitern nicht selten, oder die
große Hitze in der Fabrik, die übrigens in den mir zugänglichen Etablisse¬
ments gar nicht vorhanden ist, begünstige die Verstäubung des Sputums.
Auch die große Schlafsucht, die Fumouze erwähnt, wurde von den von mir
befragten Patienten nicht angegeben.
Zur Frage der Übertragbarkeit der Chlorakne möchte ich bemerken,
daß mir ein Fall bekannt wurde, in dem das Kind eines Arbeiters, das auf
dem Arbeitskittel des Vaters schlief, im Gesicht erkrankte.
Auf Gruud dieser Erfahrungen läßt sich schließlich die Frage, wie der
erkannten Gefahr am besten vorzubeugen wäre, beantworten. Das Aus¬
packen der Türme und das Auswechseln der Zellen darf nur geschehen,
nachdem dieselben abgekühlt sind. Ferner handelt es sich darum, die Haut
vor der Berührung durch die Noxe zu bewahren.
Die Arbeiter müssen bei den gefährlichen Arbeiten mit Unterkleidern,
Strümpfen, bis über die Knöchel reichenden Schuhen und waschbaren Ober¬
kleidern ausgestattet sein.
Digitized by LaOOQle
264 Dr. med. Friedrich Holtzmann, Über Ätiologie und Prophylaxe der Chlorakne.
Die Kleider müssen überall, besonders am Halse und an den Fu߬
knöcheln, dicht anschließen, die Reibung müßte durch eingelegte Watte ver¬
hindert werden.
Die Hände müssen mit undurchlässigen Handschuhen bekleidet werden,
die bis über die Handgelenke reichen und mit den Ärmeln der Kleidung
eng verbunden sind.
Die behaarte Kopfhaut wäre mit einer bis über die Ohren reichenden
Mütze abzuschließen, zum Schutze gegen etwaige noch gasförmige Produkte
müßten das Gesicht und die freien Teile des Halses mit einer diohten
Vaselinschioht bedeckt werden.
Vor dem Berühren des Gesichtes und dem Urinieren während der
Arbeit wäre besonders zu warnen.
Um dies durchführen zu können, müßte die Arbeitszeit für die be¬
sonders gefährlichen Beschäftigungen möglichst kurz bemessen werden. Nach
der Arbeit müßten die Arbeiter baden und sich vollständig umkleiden. Die
Arbeitskleider wären gründlich auszuwaschen und müßten vor Wieder¬
gebrauch gut ausgetrocknet sein.
Literatur.
Herxheimer, Über Chlorakne, Münchner med. Wochenschr. 1899.
Derselbe, Weitere Mitteilungen über Chlorakne, Verhandl. d. VII. Kongr.
d. Deutsch, dermatolog. Gesellschaft. Breslau 1901.
Wilhelm Lehmann, Über Chlorakne, Arch. f. Dermatologie u. Syphilis
1905, Bd. 77.
Paul Fumouze, Dermatose chlorique 61ectrolytique, Thöse de Paris 1901.
Heueke, Hautkrankheiten in der elektrochemischen Industrie, Zeitschrift
der Zentralstelle für Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen, 15. Febr. 1901.
Bettmann, Chlorakne, Deutsche med. Wochenschr. 1901.
Hallopeau, Semaine mädicale 1900, p. 204.
Jaquet, Sur l’acn6 chlorique, Semaine m4dicale 1902.
K. B. Lehmann, Studien über Chlorakne, Arch. f. Hygiene 1903, Bd. 46.
Savornin, Les acn4s symptomatiques, la lancette fran$aise, gazette des hopi-
taux civils et militaires 1903, No. 53.
L6vi-Sirugue, Les dermatoses professionelles, ebendaselbst 1906, No. 17.
Digitized by CjOOQü
Dr. M. Kaiser, Uber eine Trinkwasser-Typhusepidemie.
265
Über eine Trinkwasser-Typhusepidemie.
Von
Dr. M. Kaiser.
(Aus dem hygienischen Institute der E. E. Universität in Graz.)
(Mit 1 Abbildung im Text.)
Im folgenden berichte ich über eine Typhushausepidemie, die durch
einen infizierten Brunnen hervorgerufen wurde. Da der sichere Nachweis
des Typhusbazillus im Trinkwasser nicht zu häufig gelingt, so dürfte es
nicht uninteressant sein, zu den wenigen Fällen, welche von v. Drigalski 1 )
zusammengestellt wurden, noch einen neuen hinzuzufügen.
Am 16. Juli d. J. traf ich in K., einem Enabenerziehungshause, ein und
erfuhr folgendes: Im Frühjahr 1903 war das frühere Schloßgut E. von den
jetzigen Besitzern übernommen und in eine Erziehungsanstalt umgewandelt
worden, wobei eine neue Wasserleitung mit einer Quellstube und zwei
Sammelbassins („Brunnen") zur Wasserentnahme angelegt werden mußten.
Das Wasser des zweiten dieser Bassins, des sogenannten „Hofbrunnens", war
von jeher immer trüb und unappetitlich, namentlich aber in letzter Zeit
— Anfang Mai wurde zwei Tage lang bei offenem Bassin eine Reparatur
vorgenommen —, so daß den Zöglingen strenge verboten werden mußte, von
dem Wasser zu trinken. Der Bedarf an Eochwasser wurde vom Bassin I,
dem „Eapellenbrunnen", gedeckt. Trotz des Verbotes tranken eine Anzahl
von Enaben eingestandenermaßen wiederholt von dem unappetitlichen Wasser
des Hofbrunnens und erkrankten einige Zeit darauf — eine Feststellung
der Inkubationszeit war nioht mehr möglich — und zwar
am 11. Juli 1906 ‘.2
n 12. * B
. 13. „ n
» U. „
«.16*11 r,
» 1«. . n
... 9
... 7
... 2
... 3
... 2
Summe 25
an Eopfschmerzen, Unwohlsein, leichtem Fieber. 18 davon wurden bett¬
lägerig und infolge des Verdachtes auf Typhus abdominalis sofort in einem
abseits stehenden Gebäude isoliert.
Das explosionsartige Auftreten der Erankheitsfälle und der Umstand,
daß nur Enaben erkrankten, die aus dem Brunnen getrunken hatten, ließ
von vornherein den „Hofbrunnen" als höchst verdächtig erscheinen. Ich
erkundigte mich jedoch auch nach anderen Verdachtsmomenten und brachte
in Erfahrung, daß die Enaben mit ihren Präfekten und Lehrern über den
13. und 14. April einen Ausflug nach N. unternommen hatten, wo Typhus
l ) v. Drigalski, Über ein Verfahren zur Züchtung von Typhusbazillen aus
Wasser und ihren Nachweis in Brunnenwasser. Arb. a. d. Eais. Gesundheitsamte,
Bd. 24, Heft I.
Digitized by tjOOQle
266
Dr. M. Kaiser,
endemisch herrschen soll. Zurzeit war jedoch kein Fall amtlich gemeldet,
und der Umstand, daß von den Erwachsenen, die mit den Kindern an dem¬
selben Tisch und yon derselben Kost aßen, niemand erkrankt war, sprach
gegen eine Infektion in N. Auch erklärte mir der Leiter der Anstalt mit
aller Bestimmtheit, daß es völlig ausgeschlossen sei, daß die Knaben außer
der gemeinsamen Kost irgend welche andere Nahrung genossen hätten.
Es erübrigte also nach Ausschaltung dieser Infektionsmöglichkeit, nur
noch an eine Infektion des Hofbrunnenwassers als Ursache der Epidemie
zu denken. Vor der Probeentnahme unterzog ich das ganze Gut, dessen Um¬
gebung und namentlich die Wasserleitung einer eingehenden Besichtigung.
Schloß K. (J der Skizze S. 272) liegt am Abhange eines licht bewaldeten
Hügelzuges und bezieht sein Wasser aus einer eingewölbten und über¬
schütteten Quellstube (Q), die sich in einer geringen Taleinsenkung befindet.
Dieses innen und namentlich außen sehr gut auszementierte Reservoir ge¬
stattet dem ihm von den Hängen zufließenden Wasser von unten und teilweise
auch von den Seiten her Zutritt und speist eine Leitung, deren Anfangsteil
aus einem roh gemauerten, mit Zement ausgegossenen Kanal von ungefähr
20 m Länge besteht. Dieser, der einen halben Meter tief unter der Erde
liegt, wird in einen Betonschacht von etwa lVa m Durchmesser und einer
Tiefe von l 1 / 4 m hineingeführt, der über den umgebenden Erdboden hinauf¬
geführt und mit einer Kuppel gedeckt ist. Eine seitlich angebrachte Tür,
sowie eine eiserne Pumpe gestatten die Entnahme von Wasser. Die Pumpe
erwies sich allerdings zurzeit der Besichtigung als insuffizient. Yon diesem
sogenannten „Kapellenbrunnen“ (KBr der Skizze) geht eine etwa 200 m
lange Tonrohrleitung ab zu dem Hofbrunnen (HBr der Skizze) des Haupt¬
gebäudes, der, zisternenartig gebaut, vollkommen mit Zement ausgegossen,
eine Tiefe von 3 m, einen Durchmesser von lVa m aufweist. Den Abschluß
besorgt ein einfacher blechbeschlagener Deckel ohne Schloß. Die Wasser¬
entnahme geschieht mittels einer eisernen, gut arbeitenden Pumpe. Der
Ablauf, sowie der Abzugskanal befanden sich in sehr schlechtem Zustande.
Das Überlaufrohr des Hofbrnnnens führt zu mehreren offenen Bassins in
einem tiefer gelegenen Garten, woselbst das Wasser zum Begießen des Ge¬
müses gebraucht wird.
Für besonders erwähnenswert betrachte ich die Verhältnisse in der
Umgebung der beiden „Brunnen“. 5 m vom „Kapellenbrunnen“ entfernt
befindet sich eine kleine „Lourdeskapelle u (X der Skizze), die sehr stark
von Wallfahrern besucht wird. Leider herrscht in der Nähe derselben nicht
die nötige Reinlichkeit, und der Platz hinter der Kapelle, der dem Anfangs¬
teile der Leitung entspricht, beweist den vielfach empfundenen Mangel eines
Anstandsortes. Bei der erwähnten Beschaffenheit des Anfangsteiles der
Leitung war an ein Eindringen von Oberflächenwasser, und mit diesem von
allfälligen Krankheitskeimen aus den herumliegenden Kothaufen immerhin
zu denken.
Eine andere Infektionsmöglichkeit bot der unbehinderte Zugang zum
Inneren des „Kapellenbrunnens “ durch die seitlich angebrachte Tür, die stets
offen stand und von den meisten Wallfahrern zum Schöpfen von Wasser
benutzt wurde. Auch war ein eigenes Schöpfgefaß nicht vorhanden; dieses
sollen sich laut Bericht die Leute meist selbst mitbringen.
Digitized by LaOOQle
Über eine Trinkwasser-Typhusepideraie. 267
Die Tonrohrleitung geht yorn „Kapellenbrunnen“ weg an einem Neben¬
gebäude (III der Skizze) vorüber, Vs bis 2 m tief unter der Erde und kreuzt,
bevor sie in den Hofbrunnen mündet, den Abzugskanal (C der Skizze), der
vom Hauptgebäude (J der Skizze) weg in eine auf einem Rübenacker
liegende Senkgrube führt. Da dieser Kanal Über der Leitung liegt, so war
auch hier an die Möglichkeit einer Infektion zu denken. Mein Verdacht
wurde noch bestärkt, als ich hörte, daß unter den Personen, die die Klosette
des „Hauptgebäudes“ benutzen, eine Köchin „seit einiger Zeit“ an Diarrhöe
und Unwohlsein leide. Tatsächlich erwies sich der Kanal bei seiner Er¬
öffnung als vollkommen zerfallen und mit stagnierender Jauche vollgefüllt.
Die Schicht von ungefähr 4 m locker aufgeschütteten Bodens zwischen diesem
Kanal und dem „Brunnen“ dürfte kaum ein sicheres Filter darstellen. Noch
leichter könnte ein Eindringen von Jauche in die Leitung durch einen all¬
fälligen Riß in derselben stattfinden. Bei der Besichtigung der Wände des
„Brunnens“ wurden keine Mängel angetroffen, auffallen mußte jedoch, daß
trotz des regen Abflusses des Wassers aus dem „Kapellenbrunnen“ der
„Hofbrunnen“ niemals so voll wurde, daß das Wasser den Überlauf erreichte.
Dies soll naoh den Äußerungen des Leiters der Anstalt nur bei längerem
oder heftigem Regen der Fall sein, auch soll dabei das gesamte Wasser der
Leitung sehr trüb werden. Ob nun dieses infolge eines Rohrbruches sich schon
vor dem „Hofbrunnen“ in das Erdreich verliert und diesen nur erreicht,
wenn es bei einem Regen reichlich zuströmt, oder ob es wohl zufließt,
jedoch durch Risse im Boden des Bassins entweicht und sich selbst einen
Abfluß nach den tiefer gelegenen Gartenterrassen des Schlosses sucht, dies,
sowie das Verhältnis des besagten Kanals zur Leitung, sollte später Gegen¬
stand sorgfältiger Untersuchungen werden.
Neben der erwähnten Leitung besitzt die Anstalt noch eine zweite,
deren Sammelbassin (SB der Skizze) auf dem Platze vor der Kapelle in
einiger Entfernung von dem Kapellenbrunnen etwa 1 m unter der Erde
liegt. Nach der Aussage des Vorstehers der Anstalt sollte zwischen den
zwei Leitungen gar kein Zusammenhang bestehen. Von dem letztgenannten
Bassin geht ein Tonrohrstrang etwa 50 m lang an einem Misthaufen vor¬
über in ein Stallgebäude, in dem ein Auslauf brunnen (St Br der Skizze)
besteht. Unterbrochen ist diese Leitung ungefähr 2 m vor ihrem Eintritt
in den Stall durch ein etwa 1 cbm großes, mit Brettern verschlossenes Bassin
(KB der Skizze). Ein Eindringen von Oberflächenwasser ist hier nicht
ganz ausgeschlossen, obwohl der Verschluß bei der Besichtigung gut
abdeckte.
Meine Aufgabe bestand nunmehr darin, Proben des Wassers der
„Brunnen“, die bereits vor meiner Ankunft als „typhusverdächtig infiziert“
amtlich versiegelt worden waren, zu entnehmen und sowohl bakteriologisch
als auch chemisch zu untersuchen. Die chemische Untersuchung sollte
namentlich feststellen, ob und wie das Wasser auf dem Wege vom Kapellen-
zum Hof brunnen sich verändert und ob grobe organische Beimengungen
etwa vom Kanal her in dem Wasser des Hofbrunnens anzutreffen wären.
Ich entnahm also mittels steriler Gefäße je 1 Vs Liter Wasser aus den
drei „Brunnen“ und goß an Ort und Stelle je drei Gelatineplatten mit 0,1,
0,5 und 1,0 ccm Wasser.
Digitized by LaOOQle
268
Dr. M. Kaiser,
Die physikalische und chemische Untersuchung des Wassers ergab
folgendes:
I. Kapellenbrunnen ganz klar, geruchlos, farblos.
II. Hof brunnen trüb, gelblich gefärbt, unappetitlich riechend, mit feinem
Bodensatz aus Sand.
III. Stallbrunnen klar, geruchlos, mit dem charakteristischen Bodensatz
▼on ausgeschiedenem Eisen.
Da das Wasser des Stallbrunnens angeblich nicht zum Trinken ver-
wendet wurde, die Kinder mit demselben auch nicht in Berührung kommen
können, so wurde auf Wunsch des Leiters der Anstalt nur eine chemische
Untersuchung und die Bestimmung der Keimzahl vorgenommen.
Chemische Untersuchung.
mg im Liter
Kapellenbrunnen
Hofbrunnen
Stallbrunnen
Trockenrückstand.
76
134,5
124
Chloride.
3,1
4,2
5,6
Org. Subst. entspr. mg O . . . .
minimale Mengen
1,3
0,65
Salpetersäure.
deutlich
sehr stark
deutlich
Salpetrige Säure.
j 0
e
O
Ammoniak.
0 i
O
stark
Bakteriologische Untersuchung.
Keimzahlen nach 24 6t. (22°)
I. Kapellenbrunnen. 360 pro ccm Wasser,
II. Hofbrunnen. 5964 „ „ „
III. ßtallbrunnen.•. 200 „ „ „
Mit je 900 ccm der Wässer wurde das Anreicherungsverfahren nach
Roth-Ficker-Hoffmann mittels Koffein - Nutrose - Kristallviolett - Bouillon
vorgenommen und die Vorkulturen 12 Stunden bei 37° gehalten. Zur
Ausfällung der angegangenen Keime wurden je zwei Fällungsmethoden,
a) nach Ficker mit Soda-Eisensulfat und nachheriger Lösung des Nieder¬
schlages mit neutralem weinsaurem Kali, b) nach Altschüler mit hoch¬
wertigem Typhusserum in Anwendung gebracht, und der mittels Zentri¬
fuge ausgeschleuderte Bodensatz a) auf v. Drigalski-Platten, b) auf
Endoschem Fuchsinagar ausgestrichen und verrieben. Im ganzen ge¬
langten 48 Platten zur Beschickung. Nach 12 Stunden wurden 125 Kolo¬
nien auf Bouillon abgeimpft und nach weiterem 12 ständigen Verweilen bei
37° mittels Typhusserums im hängenden Tropfen auf Agglutination unter¬
sucht. Das Resultat war bis auf eine Kultur negativ. Diese eine jedoch,
von der Altschülerfällung-Endoplatte stammend, wurde durch das Serum
noch bei einer Verdünnung 1:640 sehr deutlich agglutiniert. Im Reagenz¬
glase bei 37° war nach zwei Stunden auch bei einer Verdünnung von 1:1280
noch Agglutination zu verzeichnen. Ein Kontrollstamm aus der Sammlung
des Institutes wurde bei einer Verdünnung 1:2560 agglutiniert.
Digitized by LaOOQle
269
Über eine Trinkwasser-Typhusepidemie.
Dieser Befand berechtigte za der Vermutang, daß Typhus vorliege,
weshalb ich die Kultur den von der Dienstanweisung des Kaiserlichen
Gesundheitsamtes l ) vorgeschriebenen Untersuchungen unterzog.
Diese Untersuchungen, auf deren detaillierte Wiedergabe ich hier ver¬
zichten kann, ergaben das Resultat: Bacterium typhi.
Aus dem Aussehen des Wassers und der chemischen Untersuchung ist
zu entnehmen, daß sich das Wasser auf dem Wege vom Kapellenbrunnen
zum Hofbrunnen erheblich verschlechtert hat. Die Vermutung, es könnte
der die Leitung kreuzende Kanal die Ursache der Verunreinigung sein,
wurde durch einen negativ ausgefallenen Fluoresceinversuch, den der Amts¬
arzt anstellte, nicht bestätigt.
Eine Aufklärung dieser etwas verworrenen Verhältnisse erhielten wir
durch die Desinfektion der Brunnen, die der Billigkeit halber mit Kalkmilch
ausgeföhrt wurde. Dieses för den genannten Zweck wenig gebräuchliche
Mittel konnte hier um so eher angewendet werden, als die Anstalt die
Leitung aufzulassen beschlossen hatte. Es wurde vorher zur Feststellung
der Kommunikation der beiden Brunnen eine Kalomelemulsion nach
Kröhnke vom Amtsarzt in den Kapellenbrunnen eingegossen und das
Wasser im Hofbrunnen kontrolliert. Das Ergebnis war ein negatives. Hier¬
auf wurde die Desinfektion mit Kalkmilch vorgenommen, und zwar durch
Eingießen dieser in den Kapellenbrunnen. Auch in diesem Falle zeigte sich
im Hofbrunnen keine Spur einer milchigen Trübung, die bei der kurzen
Leitung, wenn sie intakt gewesen wäre, zweifellos hätte eintreten müssen.
Hingegen war der Befund sehr überraschend, daß das Wasser in dem kleinen
Reservoir vor dem Stalle sofort weiß wurde. Es bestand also eine Ver¬
bindung zwischen Kapellen- und Stallbrunnen, dem zum Teil eigenes Wasser
aus dem Reservoir vor der Kapelle, zum Teil Wasser vom Kapellenbrunnen
zufließen mußte. Wenigstens war der chemischen Untersuchung und dem
Kalkmilchversuch nach darauf zu schließen.
Der Hofbrunnen jedoch, der im direkten Anschluß an den Kapellen¬
brunnen gelegen sein sollte, konnte nur während größerer Regenperioden
oder zur Zeit eines Gewitters aus der erwähnten Leitung ein Wasser erhalten,
also nur dann, wenn solches im Überfluß vorhanden war.
Leider konnte es vorläufig nicht festgestellt werden, welcher Art und
wo der Defekt in der Tonrohrleitung sitzt und wie die Kommunikation mit
dem Stallbrunnen zustande kommt.
Was schließlich den Verlauf der Epidemie betrifft, so waren, wie bereits
eingangs erwähnt, bis zum Tage meiner Anwesenheit in K. 25 Zöglinge
erkrankt; später kamen noch 28 Personen hinzu, und zwar 8 Zöglinge,
7 Zwangsarbeiter, 7 Maurer, 1 Fuhrmann, 3 Mägde, 1 Näherin und 1 Schuh¬
macher, letztere fönf dem Anstaltsdienstpersonal angehörig. Ob die außer¬
halb der Anstalt wohnenden Personen dem Typhus durch Übertragung
(Berührung mit den Institutsbewohnern) oder durch den Genuß des in¬
fizierten Wassers zum Opfer fielen, ließ sich nicht feststellen. Wieweit
überhaupt die Kontaktinfektion in dieser Epidemie eine Rolle spielte und
wie viele Personen aus dem infizierten Brunnen getrunken, konnte ich leider
l ) Vorwort, Arb. a. d. Kais. Gesundheitsamte, Bd. XXIV, HeftI, 1906.
Digitized by tjOOQle
270
Dr. M. Kaiser,
nicht erfahren. Daß in diesem Falle das Wasser nnd nicht andere Nahrungs¬
mittel den Ausgangspunkt der Epidemie bildete, dafür spricht auch der Um¬
stand, daß von dem Lehrpersonal, welches unter ganz gleichen Lebens¬
bedingungen stand wie die Zöglinge, jedoch den Genuß von Wasser streng
vermied, niemand erkrankte.
Woher nun die Typhuskeime in den Hofbrunnen eingeschleppt, ob
zuerst der Kapellenbrunnen verseucht — die Möglichkeit hierzu war ja bei
den erwähnten Verhältnissen eine sehr große —, oder ob der Hofbrunnen
allein infiziert worden, darüber kann es leider nur Vermutungen geben.
Die bakteriologische Untersuchung der Stühle der typhusverdächtigen
Köchin ergab ein negatives Resultat.
Sehr deutlich zeigt sich in dieser Hausepidemie das plötzliche Erlöschen
nach Ausschaltung der Infektionsquelle. Am 13. Juli waren die Brunnen von
Amts wegen gesperrt worden; die letzte Krankmeldung erfolgte am 2. August,
wenn man von einer erwiesenermaßen durch Kontaktinfektion infolge Kranken¬
besuches erkrankten Magd (9. August) absieht. Außerhalb der Anstalt, auch in
der nahegelegenen (etwa 3 km) Stadt von etwa 40 000 Einwohnern ereignete
sich kein Fall; die Epidemie blieb ausschließlich auf das Gut K. beschränkt.
Für die bakteriologische Diagnose war der Fall K. allerdings besonders
günstig, da in dem auszementierten „Hofbrunnen u eine Verdünnung der
darin befindlichen Typhuskeime durch nachdringendes Grundwasser und
damit auch eine teilweise Verschleppung derselben nicht stattfinden konnte.
Auf diese Weise war die Gelegenheit zur Vermehrung der ursprünglich ein-
gesäeten Infektionskeime gegeben. Wahrscheinlich muß das numerische
Verhältnis der Typhuskeime zu den Wassersaprophyten zur Zeit der Probe¬
entnahme ein besonders günstiges gewesen sein.
So erfordert die Epidemie in K. entschiedenes Interesse, und zwar um so
mehr, als es der bakteriologischen Methodik gelang, mit absoluter Sicherheit die
Infektionsquelle nachzuweisen, und der Verlauf der Epidemie, insbesondere
aber das strenge Beschränktbleiben derselben auf den ursprünglichen Herd
die aus dem bakteriologischen Befunde zu ziehenden Sohlüsse bestätigten.
j Fortlaufende Zahl
Er¬
krankungs¬
tag
!
Tag
der
Genesung
Gestorben
Krankheitsdauer
in Tagen
i n
a
.3
i *
i+i
*ce
-*»
ce
i <
1
11. Juli
R. M., Zögling
— 29. August
—
48
, +
2
11. .
K. Z.,
- 25. „
—
44
+
3
12. „
R. A.,
— 24.
—
43
4-
4
12. „
G. A.,
— 4. Sept.
—
54
+
:>
12. *
F. F.,
— 27. August
—
47
' +
6
12. „
B. F.,
— 4. Sept.
—
54
+
7
»2. „
M. J.,
— 29. August
—
40
8
12. *
8. F.,
— 4. Sept.
—
54
+
9
12. *
St. K.,
— 4. „
—
54
-1-
10
12. „
D. Fr.,
— 1. *
—
i 50
, +
Digitized by LaOOQle
Über eine Trinkwasser-Typhusepidemie.
271
laufende Zahl
Er-
krankungs-
tag
Tag
der
Genesung
a
h
|
cn
0)
O
Krankheitsdauer 1
in Tagen
u,
B
1
M
+ 1
—
X
11
12.
Juli
0. F., Zögling
—
4. Sept.
54
+
12
13.
n
B. J. f
schwer
4. .
—
53
+
13 I
13.
V
B. C.,
—
27. August
—
45
+
14
13.
a
i D. A., „
—
1. Sept.
—
50
+
15
13.
„
F. VI., „
—
24. August
—
45
+
10
13.
a
M. J.,
24. ,
—
45
+
17 1
13.
a
8. J.,
21. ,
39
+
18
13.
a
8. L., „
schwer 1
4. Sept.
—
i 53 I
+
19
14.
a
S. A.,
4. a
—
52
+
20
14.
a
D. P. f
—
4. ,
; —
52
+
21
15.
a
K. H., „
—
.
—
51
+
22
15.
a
J. J.,
—
24. August
43
+
23
10.
„
0. J., Zwangsarbeiter
—
20.
34
—
24
16.
a
K. 1L,
—
12. a
—
26
—
25
16.
J. V., Zögling
—
21. „
1 —
35 |
+
26
17.
a
J. J.,
—
21.
— 1
34
+
27 !
17.
a
K. E., „
—
23. „
I —
30
+
28
17.
a
8. Pm
—
21. „
—
34
+
29
17.
a
Z. v. Fr., „
—
23. „
1 - ,
36
4-
30
18.
a
V. K.,
schwer
. 14. Sept.
58
+
31
18.
a
K. L., Tagelöhner
—
19. August
|
32
32
18.
a
1 H. L.,
19. ,
—
32
33
20.
„
P. J. f Zögling
4. Sept.
— i
44
+
34
20.
a
T. J., a
—
4. *
—
44
+
35
21.
a
K. A., Näherin
schwer
1 10. „
: —
51
+
36
23.
„
M. J., Zögling
schwer
—
28. Juli
! —
, +
37
23.
a
B. J., Zwangsarbeiter
schwer
—
1 Aug.
—
—
38
23.
a
Z. N., Tagelöhner
—
20. August
—
28
—
39
24.
a
8t. J., „
—
31. „
—
37
40
24.
a
8. N.,
—
20. *
—
26
41
24.
a
B. N.,
—
; 28. .
—
34
42
25.
a
B. J.,
—
21.
—
26
_
43
25.
a
K. E. f Zögling
—
4. Sept.
—
41
4-
44
26.
a
L. R.,
—
o
91
—
! 37
+
45
20.
a
8. M., Magd
schwer
10. *
1 —
45
1 +
46
26.
a
D. G. f Zwangsarbeiter
—
12. August
| —
47
1 —
47
27.
a
0.
—
! 20. n
, —
24
—
48
28.
„
C. M., Magd
schwer
10. Sept.
43
+
49
29..
a
B. B., Schuhmacher
' schwer
4- „
—
36
+
50
31.
„
N. A. f Zwangsarbeiter
20. August
1 —
20
1 —
51
1.
Aug.
R. N., Fuhrmann
1. Sept.
, —
31
52
2.
V»
T. M., Zwangsarbeit* r
—
27. August
—
25
i —
53
9.
19
K. M., Magd
II -
4. Sept.
i —
25')
! +
l ) Kontakt mit Erkrankten in der Anstalt.
Digitized by
Google
272
Dr. M. Kaiser, Über eine Trinkwasser-Typhnsepidemie.
Plan des Sohloßgutes K.
Maßstab ungefähr
1:2000
I. Hauptgebäude.
II. Nebengebäude.
III. Wohngebäude der Zöglinge.
^ ly' J Scheunen, Remisen usw.
[7 VI. Nebengebäude, zurZeit der Epi¬
demie als Isoliertrakt in Ver¬
wendung.
VII. Stall.
VIII. Kirche in Bau.
IX. Remise (zurzeit Desinfektions -
baracke).
X. Kapelle.
Q z= Quellstube.
K — Kapellenbrunnen.
ff Br = Hofbrunnen.
A — ff = Ableitungsrohr [vom Hof¬
brunnen nach den Garten¬
terrassen.
C ~ Kanal vom Klosett des Haupt¬
gebäudes.
S B = Sammelbassin der Stallbrun-
nenleitung.
K B — Kleines Bassin vor dem Stall-
brunnen.
St Br = Stallbrunnen.
A — S - Ableitungsrohr nach den
Wiesen und Zweigleitung
zum Kirchenbau.
Digitized by LaOOQle
M. Neisser, Arbeiten über die übertragbare Genickstarre in Preußen, 1905. 273
Arbeiten über die übertragbare Genickstarre
in Preussen im Jahre 1905.
Abdruck aus dem Kliniscben Jahrbuch 1906, Bd. 15 l ).
Referiert von M. Neisser, Frankfurt a. M.
Inhaltsverzeichnis.
1. Die übertragbare Genickstarre im Reg.-Bezirke Oppeln im Jahre 1905 und ihre
Bekämpfung. Von Dr. Hans Flatten, Reg.- und Med.-Rat in Oppeln.
2. Die übertragbare Genickstarre im Reg.-Bezirke Breslau im Jahre 1905 und ihre
Bekämpfung. Von Kreisarzt Dr. Schneider, ständigem Hilfsarbeiter bei der
Kgl. Regierung zu Breslau.
3. Die übertragbare Genickstarre im Kreise Brieg im Jahre 1905 und ihre Be¬
kämpfung. Von Kreisarzt Dr. Rieger.
4. Die übertragbare Genickstarre im Reg.-Bezirke Liegnitz im Jahre 1905 und
ihre Bekämpfung. Von Dr. Schmidt, Reg.- und Geh. Med.-Rat in Liegnitz.
5. Die im Hygienischen Institut der Kgl. Universität Breslau während der
Genickstarre - Epidemie im Jahre 1905 ausgeführten Untersuchungen. Von
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. C. Flügge, Direktor des Instituts.
6. Die bakteriologischen Arbeiten der Kgl. Hygienischen Station zu Beuthen
(O.-Schl.) während der Genickstarreepidemie in Oberschlesien im Winter
1904/1905. Yon Prof. W. v. Lingelsheim.
7. Tierversuche mit dem Diplococcus intracellularis (Meningococcus). Von
Prof. v. Lingelsheim, Leiter der Kgl. Hygienischen Station zu Beuthen
(O.-Schl.), und Dr. Leuchs, Assistenten am Kgl. Institut für Infektionskrank¬
heiten zu Berlin.
8. Untersuchungen über Meningokokken. (Aus dem Institut für Infektions¬
krankheiten in Berlin.) Yon Prof. Dr. W. Kolle und Prof. Dr. A. Wasser¬
mann.
9. Zur Kenntnis der Meningitis cerebrospinalis epidemica mit besonderer Berück¬
sichtigung des Kindesalters. Von F. Göppert, Kattowitz.
10. Zur Prognose der epidemischen Genickstarre. (Aus dem Knappschaftslazarett
Zabrze.) Von Dr. Reinhold Altmann.
11. Bericht über rhinolaryngologische Beobachtungen bei der Genickstarre - Epi¬
demie 1905. Von Prof. Dr. Edmund Meyer.
12. Pathologisch - anatomische Ergebnisse der oberschlesischen Genickstarre - Epi¬
demie von 1905. Von Dr. Westenhoeff er, Privatdozenten an der Universität
Berlin und Prosektor am städtischen Krankenhause Moabit, Stabsarzt a. D.
13. Die übertragbare Genickstarre in Preußen im Jahre 1905 und ihre Bekämpfung.
Von Geh. Ober-Med.-Rat Prof. Dr. M. Kirchner.
Die oberschlesische Genickstarre - Epidemie 1905 ist auf ministerielle
Anweisung nach den verschiedensten Richtungen hin bearbeitet worden.
Es soll versucht werden, aus diesen Arbeiten ein Bild der Krankheit zu
geben, das zugleich auch ein Bild der Arbeiten sein wird.
Von Schweden aus scheint die Krankheit im Anfänge der sechziger
Jahre nach dem nordöstlichen Deutschland und nach Schlesien gekommen
*) Bei der Wichtigkeit der übertragbaren Genickstarre erschien ein ein¬
gehender Bericht über die in der großen Epidemie 1905 gemachten Erfahrungen
geboten. Das nachstehende Referat erfüllt diesen Zweck. Red.
Vierteljahrsechriit für Gesundheitspflege, 1907. io
Digitized by tjOOQle
274
M. Neisser,
zu sein (Flatten); Liegnitz hatte 1863 eine Epidemie. Immer aber stand
der Reg.-Bezirk Oppeln, wie auch für andere Infektionskrankheiten, an*
erster Stelle. In den Jahren 1886 bis 1898 sind fünf größere Epidemien
zu verzeichnen; das übrige Preußen hatte ebenfalls in jedem Jahre Genick¬
starre-Todesfälle aufzuweisen; ob aber diese standesamtlich gemeldeten
Fälle statistisch verwertbar sind, wird von Kirchner bezweifelt, da ihm
ein Vergleich zwischen den kreisärztlich und standesamtlich gemeldeten
Fällen zeigte, daß unter den letzteren augenscheinlich viele Fälle von
tuberkulöser Meningitis usw. geführt sind. Soviel aber zeigt die Geschichte,
daß es eine größere Anzahl sporadischer Fälle gegeben hat, daß es nur
ganz wenige Reg.-Bezirke in Preußen sind (Stralsund, Erfurt, Hildes¬
heim), in denen keine Fälle vorgekommen sind, daß es andererseits Bezirke
gibt, und zu denen gehört eben Oppeln, welche höhere Zahlen und ge¬
legentlich größere Ausbreitung der Erkrankung zeigen. Von Wichtigkeit
ist ferner, daß im benachbarten Russisch-Polen und Galizien in den letzten
Jahrzehnten immer Genickstarrefälle vorgekommen sind, und auch größere
Ausbreitungen der Seuche stattgefunden haben. Der Regierungs- und Me¬
dizinalrat des Reg. - Bezirkes Oppeln, Flatten, der die komplizierten Ver¬
hältnisse Oberschlesiens am genauesten kennt und am eingehendsten ge¬
schildert hat, läßt die Frage offen, ob die benachbarten Provinzen Rußlands
und Österreichs die eigentliche Quelle der Epidemie gewesen seien. Natur¬
gemäß wird man daran denken, daß die Zustände in Rußland in Gestalt
dieser Epidemie noch bis weit nach Deutschland hinein ihre Wirkung aus¬
geübt haben. Für den Reg.-Bezirk Breslau macht Schneider die zu¬
gewanderten Polen und Galizier zum Teil verantwortlich. So erkrankte
das Kind eines Futtermannes in Hönigern, Kreis Öls, nachdem polnische
Topfstricker in der Woche vorher in seiner Wohnung gewesen waren. „Eine
67jährige Kutscherfrau in Ober-Wabnitz erkrankte vier Tage später, nach¬
dem polnische Arbeiter auf dem Dominium angezogen waren. In Rankau
waren einige Tage vorher, ehe das Pflegekind des dortigen Lehrers er¬
krankte, galizische Arbeiter eingetroffen. In Romolkwitz hatte die Mutter
des erkrankten Kindes mit galizischen Saisonarbeitern täglich zusammen
gearbeitet. Daß unter den galizischen Arbeitern die Krankheitserreger der
Genickstarre vorhanden waren, geht für mich daraus hervor, daß zwei
galizische Arbeiterinnen und ein galizischer Arbeiter bald nach ihrem Ein¬
treffen selbst erkrankten. Schließlich ist noch zu erwähnen, daß in Neu¬
markt ein Knabe erkrankte, der sich viel in einem Vermietungsbureau für
ausländische Arbeiter aufgehalten hatte.“ — Ähnliches berichtet Sohmidt
für den Reg.-Bezirk Liegnitz.
Als Vorläufer der Epidemie bezeichnet Flatten zehn Fälle, die
zwischen dem 20. Februar und dem 15. November 1904 vorgekommen sind
von denen übrigens drei auf Kopfverletzungen hin eingetreten sind. Aber
ein direkter Zusammenhang dieser zehn Fälle mit den Fällen der Epidemie
war nicht nachweisbar. Der Anfang der Epidemie fällt in die Monate
November und Dezember 1904, in denen in der Stadt Königshütte und in
der unmittelbar benachbarten Ortschaft Neu-Heiduck (5500 Einwohner,
zumeist Arbeiter) 21 Personen erkrankten. Wie die meisten Genickstarre-
Epidemien ist auch die oberschlesische eine Seuche des Winters und Früh-
Digitized by
Google
Arbeiten über die übertragbare Genickstarre in Preußen im Jahre 1905. 275
jabrs gewesen; der Höhepunkt fällt in die Monate März—April, im Juli—
August erlosch sie. In dieser Zeit (bis 30. Juli 1905) kamen im Reg.-Bezirke
Oppeln 3085 Erkrankungen mit 2127 Todesfällen zur Anmeldung. Im
benachbarten Reg.-Bezirke Breslau kamen in derselben Zeit 136 Fälle (dar¬
unter 82 Todesfälle) vor; der Höhepunkt im Bezirke Breslau lag im April
und Mai (Schneider). Im Reg.-Bezirke Liegnitz wurden bis 23.Mai 1905
27 Erkrankungen gemeldet (Schmidt).
Von den drei Reg.-Bezirken ist der oberschlesische der am dichtesten
bevölkerte; im wesentlichen von Grubenarbeitern und Arbeitern der In¬
dustrie bewohnt, hat Oberschlesien ein Netz von Verkehrswegen und einen
Vorortverkehr, wie er sonst nur noch in den industriereichsten Gegenden
Deutschlands vorkommt. Arbeitsstelle und Wohnung liegen oft genug nicht
an demselben Orte. Das sozial-hygienische Bild ist gekennzeichnet durch den
Kinderreichtum (in Königshütte sind von 1000 Lebenden 397,7 Kinder bis
14 Jahren, in Berlin nur 241,7) und Wohndichtigkeit. Von der gesamten
Bevölkerung Oberschlesiens erkrankten 0,16 Proz., starben 0,11 Proz.; in
den Mittelpunkten der Epidemie 0,43 Proz. bzw. 0,31 Proz. Das Kindes¬
alter stellt bei weitem den größten Anteil an Erkrankungen; von 2916
gemeldeten Erkrankungsfällen fielen 76,4 Proz. auf die ersten zehn Lebens¬
jahre, 17,9 Proz. auf die folgenden zehn und der Rest von 5,7 Proz. auf
die übrigen Lebensjahre (Flatten). In Königshütte erkrankten 1,62 Proz.
der Kinder bis zum 14. Jahre, 0,15 Proz. der älteren Bevölkerung. Dabei
ist noch zu berücksichtigen, daß gerade die Genickstarre-Erkrankungen der
Kinder in den ersten Lebensjahren sicherlich viel zahlreicher sind, als es
die Meldungen zeigen, denn in diesen Jahren zeigt die Krankheit häufig
den rapidesten Verlauf und die am wenigsten charakteristischen Merkmale.
Aus allen Berichten folgt weiter, daß unter den Kindern die Kinder des
nichtschulpflichtigen Alters das größte Kontingent stellen. Flatten schreibt
z. B.: „Alles in allem und in Übereinstimmung mit ihrem Verhalten in den
benachbarten österreichischen Gebieten, wo z. B. in Witkowitz die Hälfte
der Erkrankten Kinder unter einem Jahre waren, dokumentiert sich dem¬
nach die Genickstarre auch in der oberschlesischen Epidemie als eine
Krankheit, welche das Kindesalter und namentlich die Kinder des zartesten
Alters in ganz außergewöhnlicher Weise bevorzugt.“
Die Verbreitung der Erkrankung war eine ausgesprochene sprung¬
weise, derart, daß fast nie eine ununterbrochene Reihe von Erkrankungen
festzustellen war; so kamen auch trotz des Kinderreichtums in den einzelnen
Familien mehrfache Erkrankungen nicht häufig vor. Im Anfänge der
Epidemie (bis 31. Januar 1905) traten z. B. 79 Erkrankungen in 71 Fa¬
milien, die in 65 Häusern wohnten, auf; bis zum 30. Juni kamen 439 Er¬
krankungen auf 374 Familien (Flatten). Die gleiche Beobachtung kehrt
in allen Berichten wieder, und selbst wenn sich kleinere lokale Herde bil¬
deten, wie im Kreise Brieg des Reg.-Bezirks Breslau (Rieger), trat das
sprungweise Auftreten hervor, 47 Fälle in 12 Ortschaften und 38 Familien.
Während der ganzen Epidemie sind nur einmal in einem Hause sieben Er¬
krankungen vorgekommen. Das weitere Hauptmerkmal, das in allen Be¬
richten gleichmäßig wiederkehrt, ist die häufige Übertragung des Ansteckungs¬
stoffes durch Gesunde, der gegenüber die direkte Ansteckung vom Kranken
18 *
Digitized by LaOOQle
276
M. Neisser,
zum Kranken ganz zurücktritt. Dementsprechend ist auch das ärztliche
und Krankenpflege - Personal außerordentlich wenig in Mitleidenschaft ge¬
zogen worden. Flatten berichtet über den Tod eines Krankenwärters
und die Erkrankung eines Kindes eines Lazarettwärters. E. Meyer be¬
richtet über folgenden Fall. Ein Arzt erkrankt mit Schüttelfrost, sehr
heftigem Kopfschmerz und Schnupfen. Acht Tage später sein Hausmädchen
unter denselben Erscheinungen (ausgedehnter Herpes!), im Rachensekrete
wurden Meningokokken nachgewiesen; acht Tage später das eine Kind,
nach weiteren drei Tagen das zweite Kind an schwerer Meningitis. Von
besonderem Interesse ist eine Krankenhaus-Infektion. Ein 18 jähriger
Mann, der seit dem 9. April im Krankenhause lag, erkrankte am 1. Mai
an Genickstarre und starb am 3. Mai.
Die Übertragung durch „gesunde Kokkenträger“ kann natürlich nur
gefolgert, nur sehr selten durch direkte Untersuchung erhärtet werden;
aber diese Folgerung drängt sich, entsprechend den neueren Erfahrungen
bei anderen Infektionskrankheiten, allen Beobachtern auf. Immer wieder
findet sich ein Zusammenhang zwischen den einzelnen Erkrankungen, aber
dieser Zusammenhang führt fast immer von Erkrankten über Gesunde zu
Erkrankten. So ist es z. B. bei Flatten: „Neben der Art der Weiter¬
verbreitung durch direkten Kontakt und der Verschleppung durch erkrankte
Reisende, scheint der Löwenanteil bei der Verbreitung der Genickstarre der
Verschleppung durch gesunde Personen zuzukommen, welche Krankheits¬
erreger in sich aufgenommen haben und solche im Rachen und den tieferen
Abschnitten der Nase mit sich herumtragen. tf Bei Rieger: „Der Krankheits¬
keim wurde demnach durch gesunde Zwischenträger, in einigen Fällen
vielleicht durch leicht Erkrankte, welche nur die Erscheinung der Hals¬
entzündung darboten, weiter verbreitet.“ Schneider führt die Epidemie
im Reg.-Bezirke Breslau auf Oberschlesien zurück, sagt aber: „In keinem
einzigen Falle ist ermittelt worden, daß jemand, der im Reg.-Bezirke Bres¬
lau erkrankte, vorher mit einem Genickstarrekranken in Oberschlesien in
persönliche Berührung gekommen ist.“ Wie kompliziert der Infektionsweg
ist, wie wenige der Infektion AusgeSetzten wirklich erkrankten, wie aber
doch der Zusammenhang feststellbar ist, möge ein Beispiel aus dem Kreise
Brieg zeigen. Der Maschinenmeister H. und der Ziegelmeister F. wohnten
in demselben Ziegeleihofe in Löwen, die Kinder der Familien verkehrten
innig miteinander. H. besuchte am 12. Juni in Tichau in Oberschlesien
ein Haus, in welchem Genickstarre-Erkrankungen aufgetreten waren. Am
18. Juni erkrankte ein Sohn des F. Am 23. Juni erkrankte der Arbeiter G.,
welcher am 18. Juni die Wohnung des F. wegen Feuersgefahr hatte aus¬
räumen helfen. Überhaupt ist die kleine Epidemie des Kreises Brieg
(Rieger) in vieler Beziehung lehrreich. Es erkrankten 30 Personen,
die alle durch den Beruf eines Familienmitgliedes Beziehungen zu einer
bestimmten Fabrik hatten oder durch gemeinschaftliches Bewohnen eines
Hauses oder dergleichen einen Zusammenhang mit den Arbeitern dieser
Fabrik aufwiesen. Von den vielen Kindern, die erkrankten, hatte keines
die Fabrik betreten.
Der Nachweis der „gesunden Kokkenträger“, ohne deren Annahme
die epidemiologischen Beobachtungen unerklärlich erschienen, ist durch
Digitized by LaOOQle
Arbeiten über die übertragbare Genickstarre in Preußen im Jahre 1905. 277
v. Lingelsheim erbracht worden. Er wies den Meningokokkus, den er
im Nasen - Rachensekret von Meningitis - Erkrankten in etwa 94 Proz. der
Fälle fand, in dem Nasen-Rachenraume der Angehörigen, der nächsten
Freunde nsw. der Erkrankten in etwa 15 Proz., aber bei anderweitig Er¬
krankten, die mit Meningitis-Kranken nicht in Berührung gekommen waren,
in 0 Proz. nach. Man wird nach diesen Befunden mit der Existenz ge¬
sunder Kokkenträger rechnen dürfen und ist damit sofort bei der Frage
der Disposition angelangt. Denn nur wenn der Keim verhältnismäßig
weit, die Disposition ungleich weniger verbreitet ist, ist das epidemiologische
Verhalten der Meningitis unter der Voraussetzung des direkten Kontakts
erklärbar.
Als Dispositionsmoment kommt einmal das Kopftrauma in Betracht,
ein Punkt, auf den in den Berichten etwas wenig Rücksicht genommen ist;
und doch sind viele sporadische Fälle von echter Meningokokken-Meningitis
und manche Anfangsfälle von Epidemien traumatischer Natur; auch der
oberBchlesiscben Epidemie fehlt es nicht an solchen Fällen. Unter den
zehn Fällen, die Flatten als Vorläufer bezeichnet, sind drei mit Kopf¬
trauma. Aub dem Reg.-Bezirke Breslau berichtet Schneider ebenfalls über
einen Fall im Anschluß an Kopftrauma. Im Verlaufe der Epidemie wird
dieses Moment natürlich keine wesentliche Rolle gespielt haben. Nach
Westenhoeffer sind folgende Punkte für die allgemeine Disposition ma߬
gebend: „ Allen Kranken gemeinsam war die vergrößerte Rachentonsille.
Fast allen Kranken gemeinsam war eine große, bei Erwachsenen noch
deutlich lymphatische Thymusdrüse." „Bei zwölf Kindern ist Schwellung der
Peyersehen Haufen- und Einzelknötchen des Darmes und entsprechende
Schwellung der Mesenterialdrüsen notiert." „Allgemeine Lymphdrüsen-
schwellung ist notiert in sechs Fällen." „Soviel aber geht aus allen diesen
Befunden hervor, daß diese an Genickstarre gestorbenen Menschen zweifellos
zum größten Teile eine Hyperplasie ihres lymphatischen Systems hatten,
daß sie, wie man sagt, eine lymphatische Konstitution besaßen." „So selten
in Oberschlesien Rachitis angetroffen wird, so häufig trifft man »Lympha¬
tismus» an, wenn man mit diesem kurzen und wie ich glaube, passenden
und lediglich beschreibenden Wort den Zustand bezeichnet, in dem alle
lymphatischen Einrichtungen vergrößert und ungewöhnlich lange erhalten
sind. Ich glaube daher mit einem gewissen Recht den Satz auffetellen zu
können: Die übertragbare Genickstarre befällt hauptsächlich
Menschen mit Lymphatismus." Dieser Anschauung pflichtet Rieger
auf Grund seiner epidemiologischen Beobachtungen bei, während sich ihr
Göppert nach seinen klinischen und pathologisch-anatomischen Unter¬
suchungen nicht anschließt und auch v. Lingelsheim Zweifel äußert.
Schneider betont, daß auch eine zeitliche Disposition in Rechnung zu
ziehen sei. „Es scheint also für manche Fälle durchaus zuzutreffen, daß
ein Mensch die Krankheitserreger der Genickstarre in sich aufnimmt und
lange ohne Schaden beherbergt, bis sie plötzlich aus Ursachen, die wir nicht
genau kennen, bei ibm ihre spezifische Wirkung entfalten. Andererseits
muß gerade deshalb die Möglichkeit ohne weiteres zugegeben werden, daß
verschiedene Personen einer Familie sich gleichzeitig infizieren können, daß
aber bei dem einen die Krankheit erheblich später ausbricht als bei dem
Digitized by LaOOQle
278
M. Neisser,
anderen. Daß auch die gegen die Meningokokken besonders empfindlichen
Kinder im zartesten Lebensalter diese ohne Schaden lange in sich tragen
können, bedarf aber erst noch des Beweises. u Ähnliches berichtet Flatten.
Als Ausdruck einer lokalen Disposition zeigt sich nach Westen*
hoeffer folgendes: „In allen Fällen, akuten sowohl als bei den Erwachsenen
findet sich eine durchweg gewaltige Hypertrophie, Rötung und Hypersekre*
tion der Rachentonsille mit mehr oder weniger intensiver Beteiligung
der hinteren Pharynxwand, des Tubenwulstes, der Tuba Eustachii und
der hinteren Abschnitte der Nasenschleimhaut, also des gesamten Nasen-
rachens. u „Unter unseren Fällen hatten sämtliche Erwachsene nicht nur
deutliche, sondern sogar zum Teil hyperplastische Rachentonsillen. a Dem^
entsprechend hält er den Nasenrachen für die erste Lokalisation
des Virus. Die rhinolaryngologischen Untersuchungen E. Meyers wider¬
sprachen dieser Anschauung nicht, ohne ihr allerdings eine Stütze zu geben.
Am deutlichsten läßt sich Westenhoeffers Anschauung mit seinen eigenen
Worten wiedergeben: „Die Infektion mit dem Meningococcus geschieht
durch Einatmung. Die Krankheitskeime passieren unaufgehalten die vor¬
deren Nasenabschnitte oder gehen, wenn sie dort liegen bleiben, in der
Mehrzahl der Fälle zugrunde. Sie setzen sich im lymphatischen Nasen-
Rachenring, speziell in der Rachentonsille fest. Von hier aus werden die
mit dem Nasen- Rachenraum und den hintersten Abschnitten der Nase in
Verbindung stehenden Höhlen infiziert, und zwar das Ohr und die Keilbein¬
höhle. Die Highmorshöhlen werden nur dann infiziert, wenn die Nasen¬
schleimhaut so weit nach vorn erkrankt ist, daß der Eingang zur Ober¬
kieferhöhle mit betroffen werden kann. Nur in den seltenen Ausnahmefällen,
in denen die ganze Nasenschleimhaut von Anfang an akut erkrankt, können
auch die Siebbeinzellen erkranken. Die Häufigkeit der Erkrankung der
Nebenhöhlen nimmt in rapider Weise von hinten nach vorn zu im direkt
umgekehrten Verhältnis zur Richtung des Weges der Krankheitserreger und
zweifellos auch zur Menge der eingeatmeten Krankheitserreger. Es kommen
die vorderen Abschnitte der Nase zweifellos bei der Infektion mit viel mehr
Keimen in Berührung als die hinteren, und doch erkranken die hinteren
Abschnitte, während die vorderen gesund bleiben. Die hinteren sind in
doppelter Weise ungünstig disponiert, einmal, weil der Luftstrom bei der
Einatmung mit voller Kraft gegen sie anstößt, ehe er nach abwärts abbiegt,
und zweitens, weil sie übersäet sind mit lymphatischen Rezeptoren, die
natürlich noch ganz besonders ungünstig wirken können, wenn sie durch
ihre Hyperplasie den Luftweg so sehr beengen, daß die Luft an den Wänden
viel mehr angepreßt wird, als unter normalen Verhältnissen nötig wäre.
In gleicherweise nimmt die Häufigkeit und Intensität der Rachenerkrankung
nach abwärts und vorn der Mundhöhle zu rasch und deutlich ab. u
Göppert möchte dem ganzen Respirationstraktus zuschreiben, was
Westenhoeffer im wesentlichen nur für den Nasen-Rachenraum gelten
läßt und sagt: „Der ganze Respirationstraktus von der Nase und
ihren Nebenhöhlen bis zu den Lungenbläschen zeigt daher im
Anfangsstadium der epidemischen Meningitis mehr oder weniger
heftige Entzündungserscheinungen. Dieselben können dem Aus¬
bruch der eigentlichen Krankheit vorhergehen. Der Zufall oder
Digitized by
Google
Arbeiten über die übertragbare Genickstarre in Preußen im Jahre 1905. 279
die Laune des Genius epidemicus bringen es mit sich, daß der
eine Beobachter diese, der andere jene Affektion mehr beob¬
achtet und in den Vordergrund gestellt hat. Keine dieser Affek¬
tionen ist an sich obligatorisch, und so darf die Vermutung aus¬
gesprochen werden, daß einmal dieser, einmal jener Punkt der
Schleimhaut die Eintrittspforte für den Meningococcus abgibt. u
Erbetont, daß als Initialsymptom auch eine Primärerkrankung des Darmes
▼orkommt; der gleichen Meinung ist E. Meyer, der schreibt: „Es kommen
zweifellos Fälle zur Beobachtung, bei denen das klinische Bild sowohl wie
die bakteriologische Untersuchung absolut keinen Anhaltspunkt für den
Einbruch der Entzündungserreger durch den Nasenrachen geben. In diesen
Fällen sind wir gezwungen, eine andere Infektionspforte anzunehmen. Den
Sektionsbefanden nach scheint dieselbe im Darme an den Peyersehen
Plaques gesucht werden zu müssen. tf
Ob die Übertragung nur von Person zu Person oder aber auch durch
leblose Gegenstände erfolgt, wird nicht übereinstimmend beantwortet. Der
Standpunkt Westenhoeffers ist bereits gekennzeichnet. Flatten mißt
ebenfalls den leblosen Gegenständen (Kleidern, Nahrungsmitteln usw.) keine
Bedeutung bei. Die anderen in Betracht kommenden Übertragungen, z. B.
Ungeziefer, Hausparasiten, werden nur bei t. Lingelsheim gestreift, der
schreibt: „Daß leblose Dinge, Gebrauchsgegenstände, Nahrungsmittel usw.
oder Tiere, Insekten dabei eine irgend in Betracht kommende Rolle spielten,
erscheint mir im höchsten Grade unwahrscheinlich." Ri eg er betont neben
der Einatmung noch die Berührung: „Die Ansteckung findet in der Regel
dadurch statt, daß die Keime durch Berührung, nicht durch Einatmung, in
den Mund und Hals gelangen."
Die Verbreitung des Virus Tom Primäraffekt aus hatte man sich
früher gewöhnlich per contiguitatem gedacht. Dagegen plädiert Göppert
für die Verbreitung auf dem Blutwege, die in Übereinstimmung mit den
neueren Befunden von Meningokokken im strömenden Blute steht und
Westenhoeffer schreibt: „Die Frage der Entstehung der Meningitis kann
meines Erachtens auf Grund des vorliegenden Materials noch nicht mit
Sicherheit entschieden werden. So viel scheint mir indessen sicher, daß
die Infektion in der Gegend des Chiasma geschieht. Allerdings muß ich
zugeben, daß die Wagschale sich erheblich zugunsten der hämatogenen
Infektion senkt."
Das pathologisch - anatomische Bild schildern Göppert und Westen¬
hoeffer ausführlich unter Anfügung von Protokollen und Bildern. Aus
den eingehenden Beschreibungen Westenhoeffers mögen hier einige Sätze
Platz finden: „Aus allen diesen Protokollen, aber auch zum Teil aus den
anderen, nicht besonders angeführten, geht ziemlich klar hervor, daß die
Meningitis beginnt in der Gegend des Chiasma Nn. opticorum, über der
Hypophysis und unter dem Tuber cinereum, also in derCisterna chiasmatis,
daß sie von dort sich nach vorn auf das Chiasma und die Nn. optici, nach
der Seite auf die Cisternae cerebri laterales (Sylvii), die Basis der Schläfen¬
lappen und nach hinten auf die Brücke, das verlängerte Mark, die Cisterna
cerebellomedullaris und von dort in den Rückenmarkkanal sich fortsetzt.
Sehr interessant ist, daß sie fast ausnahmslos und von Anbeginn an, oft
Digitized by LaOOQle
280
M. Neisser,
auch noch, ehe sie nach der Seite und nach dem Foramen magnum zu vor-
geechritten ist, auf den Oberwurm durch Vermittelung der Cisterna ambiens
über die Pedunculi hinweg längs der zwischen Brücke, Schläfenlappen und
Kleinhirn befindlichen schmalen Furche übergreift. tt „Dagegen ist bei keiner
Sektion eines akuten Falles am Bulbus olfactorius oder der Dura
mater über den Siebbeinzellen und den weichen Gehirnhäuten der Basis
der Stirnlappen auch nur eine Andeutung von Eiterung beobachtet worden."
„Die Rückenmarkshäute zeigten das gewöhnliche Bild der eitrigen
Meningitis." Besonderes Gewicht legt Westenhoeffer auf die von ihm
zuerst und konstant beobachtete perihypophyseale Eiterung, über die er
schreibt: „Es hat sich nun die höchst bemerkenswerte Tatsache heraus-
gestellt, daß um die Hypophysis stets eine Eiterung vorhanden ist." Im
übrigen betont er die Häufigkeit des Pyocephalus bzw. Hydrocephalus, die
Seltenheit encephalitischer Herde. Von weiteren Befunden seien die fol¬
genden Westenhoeffers erwähnt: „Bei Kindern mit epidemischer
Genickstarre findet sich stets eine Otitis media und zwar von
Beginn an." „Bei epidemischer Genickstarre erkranken fast stets
die Keilbeinhöhlen, und zwar vom ersten Beginn der Krankheit
an", wobei zu bemerken ist, daß die Keilbeinhöhlen erst vom dritten Jahre
an vorhanden sind, daß dieser Befund also nur für Altersklassen vom
dritten Jahre an Gültigkeit hat. „In den Fällen, wo noch keine Keilbein¬
höhle war, zeigte der Keilbeinkörper eine auffallend schmutzig rote, milz¬
pulpaähnliche (wie bei einer septischen Infektionsmilz) trübe Farbe, war
dünnbreiig und so vermehrt, daß man von der Knochensubstanz nicht viel
sah." „Regelmäßig in allen Fällen eine akute, entzündliche Schwellung
der Nacken- und Halslymphdrüsen." Die Befunde an den übrigen
Organen sind nicht charakteristisch. Die Göppertschen Fälle betreffen
mehr foudroyante Fälle bei Kindern im frühesten Alter. Sie stimmen daher
nicht völlig mit den Befunden Westenhoeffers überein. Eine ausführliche
Beschreibung mit interessanten Abbildungen gibt Göppert über die Ven¬
trikelauslässe und ihre Zisternen, sowie über die verschiedenen Arten des
bei der Meningitis entstehenden Wasserkopfes.
Gehen wir zur Klinik über, so sei zur Inkubationszeit bemerkt, daß
sie nach Flatten meist drei bis vier Tage, selten weniger beträgt. Zwei
in dieser Hinsicht interessante Fälle teilt Schneider mit. Aus dem er¬
wähnten Fall von Ri eg er würde eine Inkubation von fünf Tagen folgen.
Rieger schreibt übrigens, ohne beweisende Fälle anzuführen: „Die Inku¬
bation schien acht bis zehn Tage, häufig aber auch viel weniger Tage zu
betragen." Das klinische Bild im frühen Kindesalter schildert Göppert
am ausführlichsten. Das Bewußtsein ist bis auf die ersten Tage gewöhnlich
klar, das Fieber anfangs meist kontinuierlich, später remittierend, schub¬
weise auftretend; Pulsverlangsamung selten, Atmung beschleunigt. Nicht
selten besteht ein initialer Bronchialkatarrh. Recht häufig sind Krämpfe,
Erbrechen fast regelmäßig. Das wichtigste Zeichen ist die Überempfindlich¬
keit namentlich gegen passive Bewegungen. Herpes scheint bei Kindern
unter drei Jahren sehr selten, später häufig zu sein. Nackensteifigkeit
kann bei der Untersuchung völlig fehlen, wenn sie auch bei genauerem
Verfolg eines Krankheitsfalles gewöhnlich zu irgend einer Zeit auftritt.
Digitized by LaOOQle
Arbeiten über die übertragbare Genickstarre in Preußen im Jahre 1905. 281
Ebenso häufig besteht das Kernig sehe Symptom. Die Sehnen- und Haut¬
reflexe bedeuten pathognostisch wenig. Im Säuglingsalter fehlt die Nacken-
starre und das Kernigsche Symptom häufig genug; die Auftreibung der
offenstehenden Fontanelle ist in solchen Fällen wichtig. Über die Über¬
empfindlichkeit schreibt er: „Um so regelmäßiger ist die Empfindlichkeit gegen
passive Bewegungen vorhanden. Sie ist das konstante Initialsymptom, das,
solange keine Bewußtlosigkeit eingetreten ist, das Krankheitsbild beherrscht.
Alle Mütter klagen daher, daß ihre Kinder im Anfang der Krankheit nicht
aufgenommen sein, ja sich nicht anfassen lassen wollen. Die Schmerzhaftig¬
keit der Beine ist am ausgesprochensten, daher Mütter und Pflegerinnen
gerade von den stärksten Schmerzäußerungen beim Trockenlegen berichten.
Einmal wurde ich heim Betreten des Wartezimmers durch das jammervolle
Geschrei eines Kindes beim Umlegen von einem Arm auf den anderen auf¬
merksam gemacht, während ich ein anderes Mal überhaupt nur wegen Bein¬
schmerzen gerufen wurde. tt Göppert unterscheidet mehrere Typen. „Es
ergeben sich demnach folgende Verlaufstypen: Im ersten Typus beherrscht
die Auftreibung des Kopfes das Krankheitsbild von vornherein. Die Nähte
klaffen weit, die Fontanelle ist stark vorgewölbt, Nackensteifigkeit fehlt mei¬
stens dauernd, das Bewußtsein erlischt früh, in der Kegel schon Ende der
ersten, Anfang der zweiten Woche, auch bleibt das Leben meist nur kurze
Zeit erhalten.“ „Der zweite Typus umfaßt die Kinder, bei denen die Über¬
erregbarkeit das wesentliche Symptom bildet. Hier ist entweder die Fon¬
tanelle geschlossen oder, wenn sie offen ist, nur unauffällig gespannt. Fast
alle sind bei klarem Bewußtsein mit der oben erwähnten Form der Ein¬
schränkung. Ein Teil derselben hat Nackensteifigkeit. Bei denen aber,
wo das Symptom fehlt, bedarf es einer sorgfältigen Abwägung der Form
der Empfindlichkeit. Hierbei spielt namentlich die größere Schmerzhaftig¬
keit der Beine bei passiven Bewegungen und das Verhalten beim Aufsetzen
eine Rolle.“ Und schließlich das Stadium hydrocephalicum. „Charakte¬
ristisch ist für dasselbe die Fieberlosigkeit, die skelettartige Abmagerung
mit trockener abschilfender Haut und fast immer Steifigkeit der Beine, die
meist im Knie gebeugt, bei jüngeren Kindern jedoch auch gestreckt ge¬
halten werden.“ Über das Fieber schreibt er: „Die meisten der Patienten
haben ein initiales Fieberstadium von besonderer Konstanz, aber oft nicht
besonderer Höhe hinter sich. Die Länge desselben schwankt zwischen
14 und 48 Tagen. Dann erst tritt ein fieberloses Stadium ein, das nur
in drei Fällen durch seltene, eintägige Fiehersteigerungen unterbrochen
wurde. In sechs Fällen dagegen blieb das Fieber von Anfang an bis zu
Ende remittierend, und in einem Falle bestand ein kontinuierliches von
38° bis 39° mit sehr geringen Exkursionen.“ An Komplikationen seien
die nioht seltene Ertaubung, mit oder ohne vorhergegangener Mittelohr¬
entzündung so wie Iridocyklitiden erwähnt.
Über die Prognose schreibt Alt mann: „Eine Prognose läßt sich
meines Etachtens, solange Fieber besteht, überhaupt nicht stellen; ist das
Fieber mindestens 14 Tage geschwunden, bleibt auch der Puls regelmäßig
und ruhig, dann kann allmählich die Genesung erwartet werden; wenn
anderenfalls längere Zeit zwar Fieber sich nicht bemerkbar macht, jedoch
über 100 Pulsschläge gezählt werden, wird immer noch mit der Möglichkeit
Digitized by LaOOQle
282
M. Neisser,
eines Rückfalles zu rechnen sein; oft erfolgt, namentlich bei kleineren Kin¬
dern, unter einem Krampfanfall plötzlich der Tod. tt Er hat über den Aus¬
gang der Erkrankung bei zahlreichen Patienten des Knappschaftslazaretts
Nachforschungen über längere Zeit angestellt und schreibt darüber:
„1. Die Prognose der Meningitis cerebrospinalis quoad vitam war wäh¬
rend der verflossenen Epidemie sehr ungünstig.
2. Die Prognose quoad valetudinem ist nicht günstig, da etwa der vierte
Teil das Gehörvermögen einbüßt; bei einem kleinen Teile der Genesenen
machen sich leichte Störungen der Geistestätigkeit bemerkbar.
3. Der größte Teil der Genesenen erholt sich trotz längeren Kranken¬
lagers körperlich und geistig überraschend gut. u
Zur Beurteilung der therapeutischen Maßnahmen hat Göppert die
Resultate der in verschiedenen Krankenanstalten angewendeten Behand¬
lungen (heiße Bäder, Spinalpunktion, nur symptomatische Behandlung) ver¬
glichen. Sein Urteil ist recht entmutigend. „Es gibt keine Behandlung
der,Genickstarre, die imstande wäre, die Mortalität in wesentlicher Weise
zu beeinflussen. tt Ausführlicher bespricht er die Behandlung mit heißen
Bädern, die von Aufrecht ausging und von Lahmann lebhaft befürwortet
wurde. Göppert schätzt sie nicht sehr hoch ein und schreibt: „Sie ist
bei leicht zu bewegenden, daher bei nicht zu großen Patienten zweifellos
oft ein außerordentlich schmerzstillendes und beruhigendes Mittel, doch
durchaus nicht bei allen. u . . und ich möchte daher raten, bei Unruhe
zuerst mit regelmäßigen heißen Bädern mit Nachschwitzen zu beginnen.
Erweisen sie sich als wirkungslos, so sind feuchte, kühle Einpackungen als
Beruhigungsmittel heranzuziehen. Vorausgesetzt muß freilich bei der Aus¬
führung der Bäder werden, daß man den im Wasser befindlichen Kranken
nicht etwa, wie Lahmann es empfiehlt, am Kopfe stützt. Das hält kein
Genickstarrekranker aus. u Auch die etwa alle vier Tage wiederholte
Spinalpunktion hat im wesentlichen symptomatische Bedeutung: „Bei den
schweren Zuständen der ersten Krankheitstage, wenn bereits Depressions¬
erscheinungen da sind, wirkt die Punktion belebend. Die Atmung wird
tiefer, der Puls mitunter voller. Arzt und Eltern haben den Eindruck der
augenblicklichen Besserung (zehnmal in ausgesprochener Weise beobachtet).
Die meisten dieser Fälle gehören zur Gruppe der foudroyanten, bei welchen
natürlich diese Besserung nicht lange vorhält. Diese Anfangspunktion hat
auch mitunter die früher erwähnte günstige Wirkung auf Pupillen- und
Augenmuskelstörungen. Nur ein einziges Mal in dem schon in meiner
früher veröffentlichten Arbeit zitierten Falle Peter Fr. war das Kind am
Tage nach der Spinalpunktion gesund. Im weiteren Verlaufe der Krankheit
sehen wir fast nach jeder vorsichtig ausgeführten Punktion, daß Druck-
erscheinungen, d. h. starker Kopfschmerz, mehrere Tage ansteigendes Er¬
brechen oder von neuem eingetretene Aufregungs- und Depressionserschei-
nungen vorübergehend schwinden. Die Kinder sind danach ruhig, schlafen
ein, aber nur in einem Teile dieser Fälle hält diese Beruhigung länger vor.
Wenn man als Erfolg verlangt, daß die Wirkung wenigstens bis zum
nächsten Tage anhält, so ist die Zahl der Mißerfolge doch größer als die
der Erfolge." Westenhoeffer hatte eine besondere Operation, die Incision
des ligamentum atlanto-occipitale, zur Drainage der Hirnbasis vorgeschlagen.
Digitized by LaOOQle
Arbeiten über die übertragbare Genickstarre in Preußen im Jahre 1905. 283
Göppert bringt die Krankengeschichte zweier nach dieser interessanten
Methode operierten Fälle, von denen der eine starb, der andere in Ge¬
nesung ausging. Er h&)t die Resultate für ermutigend. Schließlich hat Göp-
pert selbst nooh das Methylenblau versucht. „Ich spritzte zun&chst sub¬
kutan t&glich zweimal 0,02 bis 0,04 g Methylenblau bei zwei von vornherein
sehr schweren Fällen ein. Sie sahen während ihres ganzen, zwei Monate
währenden KrankheitsVerlaufes auffällig munter aus, machten aber, wie von
vornherein zu erwarten war, jenen schweren Fieberverlauf durch, den uns
die früher angegebene typische Fieberkurve fast für beide identisch demon¬
striert, genasen aber beide. Drei schon lange kranke Fälle im Zustande
des drohenden Verfalles wurden nioht beeinflußt/ Eine lokale Therapie
des Rachens widerrät E. Meyer, ebenso wie die von Dornblüth vor¬
geschlagene prophylaktische Entfernung der Rachentonsillen. Ein von
Doyen (Paris) hergestelltes Serum, das nach v. Lingelsheim den Me¬
ningokokkus gar nicht agglutinierte, hatte nach Göppert keinerlei thera¬
peutischen Erfolg. Bekanntlich stellt die Pflege der Genickstarrekranken
an alle Beteiligten die größten Anforderungen, ja sie ist von ausschlag¬
gebender Bedeutung und Göppert schließt deshalb den therapeutischen